München - Ausgerechnet Schiedsrichter aus europäischen Profi-Ligen haben sich bei der WM als besonderer Schwachpunkt präsentiert.
Die Rekord-Flut der Gelben Karten und eine Reihe von groben Fehlentscheidungen lösten international heftige Reaktionen an der Zunft aus. Der Deutsche Volker Roth, als Mitglied der Fifa- Beobachterkommission zur Diplomatie neigend, hält die Karten-Inflation für "überzogen".
"Die Niete des Abends hieß Nieto"
Andere Mitglieder dieses Gremiums waren "entsetzt" und "empört" über die Leistungen von Antonio Lopez Nieto (Spanien) im Spiel Deutschland - Kamerun (2:0) und von Jan-Ned Wegereef (Niederlande) in der Partie Senegal - Uruguay (3:3).
Erstaunlich: WM-Referees aus den "Fußball-Entwicklungsländern" geben viel weniger Anlass zur Kritik. "Die Niete des Abends hieß Nieto", kanzelte Franz Beckenbauer den WM-Rekord-Kartenzieher (12 Mal Gelb, 2 Mal Gelb-Rot) ab. Karl-Heinz Rummenigge: "Es darf nicht sein, dass er bei dieser WM noch ein Spiel pfeift." Dieser Wunsch wird erfüllt.
Kein Spiel mehr für Nieto?
Mit ziemlicher Sicherheit wird Nieto zu den 12 von 36 Unparteiischen zählen, die von der Fifa am 18. Juni nach Hause geschickt werden. Warum der Weltverband ausgerechnet einen Spanier mit der Leitung des Spiels gegen Kamerun betraute, obwohl Spanien als Achtelfinal-Gegner des DFB-Teams in Betracht zu ziehen war, blieb ein Rätsel.
Selbst die Presse auf der iberischen Halbinsel ging mit Nieto knallhart ins Gericht. "Nun hat alle Welt gesehen, unter welchen Schiedsrichtern wir in Spanien zu leiden haben. In einer Liga, in der Zidane, Figo oder Rivaldo spielen, ist das Niveau der Unparteiischen so, wie es Lopez Nieto mit seiner wüsten Hysterie demonstriert hat", schrieb das Sportblatt "As". "Marca" spottete: "Lopez Nieto schafft den Einzug ins Guinness-Buch der Rekorde."
Viele Fehlentscheidungen
Schlimmer noch als die "Gelbsucht" in den Gruppen-Endspielen am Dienstag waren die Fehlentscheidungen. Beim 1:2 gegen Kroatien fühlte sich Italien um ein bis zwei Tore von Graham Poll (England) betrogen. Der Niederländer Wegereef benachteiligte Uruguay, indem er dem Senegal zur 3:0-Pausenführung mit einem unberechtigten Elfmeter und einem Abseitstor behilflich war.
Kurz vor Schluss schenkte er auch den "Urus" einen Strafstoß. Das dänische 2:0 gegen den gebeutelten Titelverteidiger Frankreich - Schiedsrichter war Vitor Manuel Melo Pereira (Portugal) - war nach einem voraufgegangenen Foul von Jon Dahl Tomasson irregulär.
Schwalben sehr beliebt
Auch der deutsche Vorzeige-Referee Markus Merk konnte mit seiner WM-Premiere nicht restlos glücklich sein, weil er Russland im Spiel gegen Japan (0:1) einen Elfmeter verweigerte.
Häufig gescholtene nicht-europäische Unparteiische fielen dagegen bislang nur ein Mal negativ auf. Nach dem Treffen von Brasilien - Türkei (2:1) wollte Beckenbauer den Südkoreaner Young-Joo Kim "sofort nach Hause" schicken, weil er Brasilien den entscheidenden Elfmeter (Foul vor dem Strafraum) schenkte und zudem auf die Schauspielkunst Rivaldos beim Platzverweis von Hakan Ünsal hereinfiel.
Zu schnell werden Karten gezogen
Dieses Beispiel zeigt auch: Von vielen Spielern - gerade Schwalben sind bei dieser WM sehr beliebt - werden die Schiris regelrecht reingelegt. Nach Ansicht von Beckenbauer wird bei dieser WM viel zu schnell die Karte gezogen und Elfmeter gepfiffen. Nieto übertraf mit seiner Kartenorgie die bisherige "Bestmarke" vom 5. Juli 1994 beim Spiel Mexiko - Bulgarien. Jamal AL Sharif (Syrien) verteilte damals in 120 Spielminuten zehn Gelbe Karten.
FIFA-Mediendirektor Keith Cooper führte die hohe Zahl der Verwarnungen auf die Kombinationen von Fehlverhalten nervöser Spieler und die strikte Fifa-Anweisung an die Referees, "keinen Unsinn" zuzulassen. Die Geschichte ist nicht neu. Manches Diktat von oben hat in den Reihen der Referees offenbar zur Verunsicherung beigetragen.