Ollümpja in Peking

Nervenkitzel, Faszination, atemberaubende Momente, das ist die Welt des Sports.
janw
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Fr 22. Aug 2008, 11:52 - Beitrag #1

Ollümpja in Peking

Seltsam, noch kein thread über den Verlauf der Olympischen Spiele...

Was gibt es denn über sie zu sagen?
Die Befürchtungen der Kritiker bestätigen sich IMHO, der chinesische Staat stellt sich als die Diktatur dar, für die er immer gehalten wurde, der IOC erweist sich als Institution, welche die Ideale der Spiele verrät um des Profites willen, in der deutschen Leistungsbilanz sind doch etliche gescheiterte Hoffnungen zu verzeichnen, und in der Berichterstattung erreicht die ARD nicht die gewünschten Zuschauerzahlen, dafür gelingen ihnen IMHO allabendlich mit Waldi & Harry geistige Tiefschläge der Extraklasse.

Mich wundert vor allem, wie unkritisch der IOC mit den chinesischen Altersangaben der jungen Turnerinnen umgeht, da sind doch Kinder an den Geräten! Wo ist die UNICEF?
Daß der olympische Frieden nichts mehr gilt, ist ja schon länger bekannt, wobei damit allerdings eine ganze Reihe Länder ausgeschlossen werden könnten. Fangen wur mal an: Russland und Georgien, usa, dann auch Irak und Afghanistan als Betroffene dazuzuzählen, wäre ziemlich ungerecht. Wie sieht es aus mit uns, die wir in Afghanistan so eine Mittelrolle einnehmen, Unterstützung des Wiederaufbaus und Schutz der Amerikaner?
Ist der Konflikt in Darfur ein Krieg im entsprechenden Sinne?

Insgesamt habe ich den Eindruck, daß die Welt keine Olympischen Spiele (mehr?) braucht, zumindest nicht in der ausgetragenen Weise. Vielleicht wäre es besser, sie auf einen festen Austragungsort zu beschränken in einem liberalen Land, wobei das natürlicherweise wieder auf einen West-Zentrismus hinaus liefe. Andererseits, die Spiele kommen nun mal aus Europa, das ihnen zugrundeliegende Denken und Wertekonzept ist europäisch, und insofern könnte mensch jede Austragung in anderen Regionen als einen Akt eines kulturellen Imperialismus ansehen. Nicht zu reden von den enormen Belastungen, die Bau und Ausrichtung der Spiele für die Länder bedeuten, oftmals mit Nachwirkungen in Form von Schulden und nicht weiter verwendbarer Gebäude, wer braucht schon diese Anhäufung an Riesenstadien?
Naja, aber jetzt seid Ihr dran^^

Traitor
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Fr 22. Aug 2008, 17:05 - Beitrag #2

Die Spiele hätten nie nach China vergeben werden dürfen, die Parallelen zu Berlin 1936 sind unübersehbar.

Für die Zukunft wäre ein umfangreicher ethischer Kodex für die Ausrichterländer einzurichten und bei Zweifeln an der Umsetzung die Bewerbung abzulehnen.

Die Verknüpfung der Spiele mit dem Friedensgedanken dagegen ist für mich überholt. Die Spiele dürfen nicht dazu dienen, vor Ort Unrechtsregierungen und Menschenrechtsverletzungen zu stützen und medial aufzuwerten. Aber sie können auch nicht als Mittel der globalen Politik aktiv eingesetzt werden, sie sind nunmal nur eine Sportveranstaltung und das ginge über ihre Bedeutung hinaus. Es wird weiterhin Kriege parallel zur Olympiade geben, und ein Ausschluss der Beteiligten brächte wenig, da über die einzelnen Sportler eh kaum Propaganda für diese Länder betrieben werden kann - oder findet etwa wegen Bolts Glanzleistungen plötzlich jemand Land und Regierung von Jamaika besonders beachtenswert?

Ein fester Austragungsort würde die Spiele entwerten. Die Austragungsländer müssten aber besser ausgesucht werden, s.o. Westlich müssen diese aber nicht unbedingt sein, gegen Japan oder Indien wäre wenig einzuwenden.
und insofern könnte mensch jede Austragung in anderen Regionen als einen Akt eines kulturellen Imperialismus ansehen.
Sicher nicht, die Länder bewerben sich ja immer noch freiwillig und kriegen die Austragung nicht aufgezwungen. Höchstens könnte man die weltweite Ausbreitung des europäischen Sportsystems als eine weitere Manifestation der kulturellen Hegemonie betrachten, die aber hier noch stärker als in anderen Bereichen freiwillig angenommen wird.

Lykurg
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Fr 22. Aug 2008, 19:35 - Beitrag #3

Wie fast immer weitestgehende Zustimmung zu Traitor.^^

Die Verknüpfung mit dem Friedensgedanken finde ich allerdings nicht überholt; im Gegenteil sehe ich positiv, daß selbst bei dieser Olympiade einige freundschaftliche Gesten etwa zwischen georgischen und russischen Athleten stattgefunden haben; das ist natürlich wenig und zu wenig, aber in meinen Augen kann ein Sportfest, wenn es als solches funktioniert, zur Völkerverständigung erheblich beitragen - und sollte das auch auf der Ebene der Verantwortungsträger tun.
Wenn ich mich richtig erinnere, gab es sogar bei den Spielen von 1936 eine solche Jesse-Owens-Begeisterung im Reich, daß die Rasseideologen vor Wut kochten... - Wichtig wäre tatsächlich, daß auf die moralische Sauberkeit des Ausrichterlandes geachtet wird. Darüber hinaus sollte man es nicht politisch aufladen, aber es wäre schon wünschenswert, daß die teilnehmenden Staaten sich wenigstens für diese zwei Wochen mehr mit Bogenschießen als mit Raketenreichweiten beschäftigen.

Den Vorschlag, Olympia fest zu verorten, finde ich ebenfalls nicht gut. Einerseits dient es dem Gedanken einer weltverbindenden Veranstaltung, wenn die auch allmählich "herumkommt", andererseits sind die Spiele auch zu einem gewaltigen Wirtschaftsfaktor geworden, der den Ausrichterländern die Möglichkeit gibt, etwa ihre Verkehrssysteme auf Vordermann zu bringen. Faszinierend fand ich etwa, wie der traditionell völlig chaotische Athener ÖPNV sich durch die Spiele von 2004 verbessert hat und darauf aufbauend weiterhin besser wird. Auch die Sportarenen finden nachher üblicherweise mehr oder weniger sinnvolle Zweitverwendungen, und die olympischen Dörfer sind oftmals nachher begehrte Mustersiedlungen. In Beijing sind die für dortige Verhältnisse äußerst großzügigen und umweltfreundlichen Wohnungen jetzt schon vollständig verkauft.

janw
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Di 26. Aug 2008, 15:12 - Beitrag #4

Zitat von Traitor:Für die Zukunft wäre ein umfangreicher ethischer Kodex für die Ausrichterländer einzurichten und bei Zweifeln an der Umsetzung die Bewerbung abzulehnen.

Das IOC proklamiert ja ständig, einen solchen Codex zu haben und dessen Einhaltung einzufordern, aber bei der Proklamation bleibt es dann auch, wie auch anders zu erwarten, wo doch das IOC hauptsächlich ein Rechtevermarktungsunternehmen ist und sich mit einer Durchsetzung des Codex selbst schädigen würde?

Die Verknüpfung der Spiele mit dem Friedensgedanken dagegen ist für mich überholt. Die Spiele dürfen nicht dazu dienen, vor Ort Unrechtsregierungen und Menschenrechtsverletzungen zu stützen und medial aufzuwerten. Aber sie können auch nicht als Mittel der globalen Politik aktiv eingesetzt werden, sie sind nunmal nur eine Sportveranstaltung und das ginge über ihre Bedeutung hinaus.

Damit wird Olympia aber zu einer x-beliebigen Multi-WM degradiert, bzw. gut, vielleicht wäre es ehrlich, weil damit das faktische Multi-WM-Sein nicht länger verbrämt würde.

Man muss sich vor Augen halten, daß mittlerweile die Einhaltung der Markenverwendungsrechte strenger überwacht wird und Verstöße sanktioniert werden (bis dahin, daß die Herstellerschilder von nicht zum Sponsorenkreis gehörenden Firmen überklebt wurden), als die Einhaltung der Grundlagen, auf denen die olympische Idee fußt, d.h. das IOC verrät den gesamten Kanon der kulturellen Werte hinter der olympischen Idee und schützt bis ins Detail partikuläre Verwertungsinteressen, für die das Ereignis nur Kulisse ist.

Ein fester Austragungsort würde die Spiele entwerten. Die Austragungsländer müssten aber besser ausgesucht werden, s.o. Westlich müssen diese aber nicht unbedingt sein, gegen Japan oder Indien wäre wenig einzuwenden.

Naja, Japan ist ja schon halb verwestlicht...zum Zwecke besserer Sendezeiten und für ein bisschen Rest-Exotik könnte ja eine Austragung im Wechsel vorgenommen werden

Sicher nicht, die Länder bewerben sich ja immer noch freiwillig und kriegen die Austragung nicht aufgezwungen. Höchstens könnte man die weltweite Ausbreitung des europäischen Sportsystems als eine weitere Manifestation der kulturellen Hegemonie betrachten, die aber hier noch stärker als in anderen Bereichen freiwillig angenommen wird.

Naja, wer bewirbt sich da eigentlich wirklich? Herrschende Eliten um die Lizenz zum Geld drucken und in die eigene Tasche wirtschaften.
Gut, und manche spendieren ihren Bürgern dann auch mal eine neue U-Bahn, flächendeckende Kameraüberwachung und für die Zahlungskräftigen etwas hochmodernen Wohnraum. Cgs.

Zitat von Lykurg:Darüber hinaus sollte man es nicht politisch aufladen, aber es wäre schon wünschenswert, daß die teilnehmenden Staaten sich wenigstens für diese zwei Wochen mehr mit Bogenschießen als mit Raketenreichweiten beschäftigen.

Man könnte es ja dahin gehend modifizieren, daß die Konflikte in dieser Zeit nur mit den klassischen Kampfkünsten ausgetragen werden dürfen. Mit Ringkampf und Steine stoßen hätten die Kaukasier vielleicht eine Chance gegen die Russen gehabt :crazy:

Faszinierend fand ich etwa, wie der traditionell völlig chaotische Athener ÖPNV sich durch die Spiele von 2004 verbessert hat und darauf aufbauend weiterhin besser wird.

Und warum hätten die das ohne Olympia nicht fertig gebracht? Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, daß ihnen das Geld gefehlt hätte, bei den europäischen Fördertöpfen für innerstädtische Mobilität...

Lykurg
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Di 26. Aug 2008, 16:30 - Beitrag #5

Naja, Japan ist ja schon halb verwestlicht...zum Zwecke besserer Sendezeiten und für ein bisschen Rest-Exotik könnte ja eine Austragung im Wechsel vorgenommen werden
Genau das passiert doch - die nächste ist wieder in London. Letztlich verfolgt das IOC das Ziel, die Kontinente untereinander abzuwechseln; und hat dabei das Problem, daß in Australien und Afrika aus unterschiedlichen Gründen nicht so viele Nationen zur Verfügung stehen, die die Spiele ausrichten könnten. ;)
Würde man die Spiele auf Europa beschränken, würde eben der Vorwurf des Imperialismus unter Garantie erhoben werden von denjenigen (meist Nichteuropäern), die jetzt schon finden, daß relativ gesehen zu viele Spiele in Europa stattfanden.
Und warum hätten die [Athener] das ohne Olympia nicht fertig gebracht? Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, daß ihnen das Geld gefehlt hätte, bei den europäischen Fördertöpfen für innerstädtische Mobilität...
Es fehlte vermutlich vor allem am nötigen Ergebnisdruck, den so ein Projekt mit sich bringt... Die Griechen hatten berechtigtermaßen erhebliche Bedenken wegen gefährdeter Kulturschätze, was insbesondere den U-Bahnbau um über 20 Jahre verzögert hat. Durch die zusätzlichen Mittel aus Olympia- und anderen Töpfen ließ sich eine entsprechende archäologische Begleitung des Projekts finanzieren, die jetzt dazu geführt hat, daß in den U-Bahnstationen frei zugängliche Minimuseen mit lokalen Fundobjekten entstanden sind.

Traitor
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Sa 30. Aug 2008, 00:04 - Beitrag #6

Damit wird Olympia aber zu einer x-beliebigen Multi-WM degradiert, bzw. gut, vielleicht wäre es ehrlich, weil damit das faktische Multi-WM-Sein nicht länger verbrämt würde.
So wie dein Beziehungsweise sehe ich es. Es ist nicht realistisch, Olympia als aktiven Weltverbesserungsapparat über die inhärente Internationalität eines solchen Ereignisses hinaus zu nutzen. Aber es muss dringend darauf geachtet werden, Olympia nicht passiv als Mittel der Weltverschlechterung ausnutzen zu lassen, primär eben als Imagepolitur des Austragenden.
Naja, wer bewirbt sich da eigentlich wirklich? Herrschende Eliten um die Lizenz zum Geld drucken und in die eigene Tasche wirtschaften.
Sicher, aber im Gegensatz zum Falle international festgelegter Menschenrechtskriterien kann man sich wohl kaum anmaßen, von außen beurteilen zu können, dass ein Volk soche Spiele eigentlich nicht will, und sollte hier die Souveränität der Bewerber gelten lassen.

Ipsissimus
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Di 2. Sep 2008, 10:06 - Beitrag #7

Sicher, aber im Gegensatz zum Falle international festgelegter Menschenrechtskriterien kann man sich wohl kaum anmaßen, von außen beurteilen zu können, dass ein Volk soche Spiele eigentlich nicht will, und sollte hier die Souveränität der Bewerber gelten lassen.


och, das geht schon^^ im Falle der Menschenrechtsverletzungen reichen ein paar Stimmen aus der Ureinwohnerschaft, die selbige Verletzungen behaupten, warum soll das im Falle der Ablehnung Olympias nicht genauso handhabbar sein^^ es ist mir jedenfalls keinerlei Fall bekannt, bei der aufgrund der internationalen Festlegung von Menschenrechtskriterien Einhelligkeit der Meinungen darüber erzielt würde, ob in einem Staate menschrechtskonform oder nicht gehandelt wird. Wenn man über diese schiere Sachfrage hinaus dann noch die Frage der Praxis des Umgangs von menschenrechtskonformen Staaten wie uns mit menschenrechtsunkonformen Staaten wie den USA hinzuzieht, kann einem ganz schwindlig werden über Sinn und Unsinn von allem^^ Hauptsache, die Haie dürfen weiter haien^^


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