janwModerator


Beiträge: 8488Registriert: 11.10.2003
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Das Thema kocht alle paar Jahre mal hoch, es ist gewissermaßen einer der Punkte auf der grundsätzlichen ToDo-Liste unserer Demokratieordnungsebene, der immer wieder aufgeschoben wird.
Grundsätzlich stimme ich Arschi und Traitor zu, wobei die Sache damit noch nicht ganz erledigt ist.
Man muß die Sache von verschiedenen Seiten beleuchten.
Da ist zum einen die Abgeordnetenperspektive:
Mensch arbeitet als Leitender Angestellter in einer Firma und entschließt sich, seine Meinung auch mal in eine Partei einzubringen.
Mensch wird in der Partei freundlich aufgenommen, und dank Kompetenz und gleichzeitiger Unterordnung in die Parteihierarchie erhält er nach 5 Jahren einen hinreichend hohen Listenplatz, der ihn nach dem Wahlsieg der Partei in ein Parlament befördert.
Sein Arbeitgeber ist davon nur mäßig erfreut, denn er verliert nun einen fähigen Mitarbeiter. Der Abgeordnete steht vor dem Problem: Was, wenn die Partei in 4 Jahren die Wahl verliert?
Arbeitgeber und Abgeordneter vereinbaren, daß der Platz frei gehalten wird, die Arbeit wird auf andere Schultern notdürftig verteilt, und als großzügiger und zugleich taktisch denkender Mensch gibt der Arbeitgeber dem Abgeordneten noch einen Teil des Gehaltes, "kannst ja mal für Gut Wetter sorgen..." sind seine Worte beim Abschied.
Die Perspektive des Arbeitgebers ist damit ebenfalls hinreichend beschrieben.
Der Abgeordnete geht nun in Ausschüsse, die ihn interessieren, sicher nicht zufällig solche, die mit seinem Beruf zusammen hängen und arbeitet dort an der Entwicklung von Gesetzentwürfen mit. Seine Herkunft und den Satz mit dem "Gut Wetter" schwingen dabei immer wieder bei ihm im Kopf, meist ist das unwichtig, denn es geht um allgemeine Dinge, die damit weniger zu tun haben. Bis, vielleicht, irgendwann...
Die Perspektive der Parlamentsverwaltung sieht so aus:
Nach dem Abgeordnetengesetz muß der Abgeordnete dem Bundestagspräsidenten sein kleines Gehalt von der Firma als Nebeneinkünfte angeben. Das tut er, und es erscheint in einer Statistik, die niemand liest.
Bis, vielleicht, irgendwann...die Emissionen für bestimmte industrielle Schadstoffe neu geregelt werden müssen. Schadstoffe, die gerade seine Firma sehr stark emittiert...
Ob der Abgeordnete sich nun in die Sache hineingehängt hat oder nicht, sei dahingestellt, jedenfalls wird eine industriefreundliche Regelung getroffen, was der Redaktion einer Magazinsendung nicht gefällt. Sie recherchiert und findet heraus, daß der Abgeordnete von genau dieser begünstigten Firma ein regelmäßiges Einkommen bezogen hat, und macht gleich einen Fall von Vorteilsannahme und Amtsmißbrauch daraus, ohne daß dies wirklich belegt werden kann.
Ein Abgeordnetenkollege des Abgeordneten hatte diese Probleme nicht. Er war Lehrer, als er das Mandat erhielt. Ein kurzes Gespräch mit dem Dezernenten genügte, und seine Stelle war ihm gesichert, falls er nach der Legislaturperiode wieder auf sie zurückkehren mußte. Sein bis dahin erworbener Pensionsanspruch war ihm ebenfalls gesichert, ob dieser in seiner Mandatszeit weiter wuchs, ist nicht überliefert.
Mit dieser mehrdimensionalen Betrachtung möchte ich folgendes ausdrücken:
Menschen aus der Privatwirtschaft haben erheblich mehr Probleme, in die Politik zu wechseln als solche aus dem Öffentlichen Dienst.
Das zeigt sich auch in der Berufsstruktur der Parlamente, die meisten Abgeordneten sind Beamte oder öffentliche Angestellte.
Die Lasten durch politisch tätige Angestellte werden Unternehmen entschädigungslos aufgegeben (meines Wissens), der Öffentliche Dienst hat dafür eigene Finanzstrukturen.
Dem steht gegenüber, daß die Parlamente eigentlich die gesamte Gesellschaft repräsentieren sollen.
Hier wäre also einiges neu zu regeln, um gleichwertige Zugangsmöglichkeiten zur Politik zu schaffen, die Lasten gleich zu verteilen und eine verläßliche Perrspektive zu sichern für die Zeit nach der Legislaturperiode.
Echte Nebentätigkeiten sind ein anderer Aspekt.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU Lamers zitierte heute im Deutschlandfunk eine Kollegin: eigentlich sei eine Nebentätigkeit mit einer engagierten Abgeordnetentätigkeit zeitlich nicht vereinbar. Denn hierzu gehört neben der Tätigkeit im Parlament und den Ausschüssen auch die Tätigkeit im Wahlkreis.
Lamers fordert deshalb eine Reduktion der Abgeordnetenzahl und parallel eine Aufstockung der Aufwandsentschädigungen dahingehend, daß die Abgeordneten besseres Personal einstellen könnten, um damit ihre Wahlkreisabeit zu verbessern, parallel eine deutlichere Limitierung der Nebentätigkeiten.
Letzteres ist der wirkliche Knackpunkt: So lange eine Nebentätigkeit zulässig ist, wenn sie nur benannt wird und nicht eindeutig interessenkollidierend erscheint, wird es sie geben, und damit die Möglichkeit, daß doch mal ein Interessenskonflikt auftritt.
Das wird auch so von Transparency International gesehen.
Aus meiner Sicht sollte die Sache etwa so neu geregelt werden:
-Angemessener Lastenausgleich für alle Arbeitgeber pro entsandten Abgeordneten, verbunden mit der Verpflichtung zur Freihaltung der Stelle über die 1. Legislaturperiode.
-Verbot von Gehaltsfortzahlungen u.a. geldwerte Leistungen während der Legislaturperiode
-Verbot von führenden Positionen (Aufsichtsrat, Vorstand) in der Wirtschaft und in Verbänden für Abgeordnete
-Analyse der Verhältnisse und ggf. Verbesserung der Ausstattung der Abgeordneten mit einer ausreichenden Infrastruktur für eine effiziente Parlamentsarbeit und eine effiziente Wahlkreisarbeit.
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