Umgang mit der NS-Vergangenheit

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Feuerkopf
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So 21. Aug 2005, 20:07 - Beitrag #41

teut,
über die Unschuld der Nachgeborenen sind wir uns einig.

Allerdings ist es gefährlich, jede Tat, jedes Wort auf irgendeinen geschichtlichen Umstand im Jahre Anno Schnuff zurückdatieren zu wollen, denn damit schiebt man jegliche Verantwortung von sich.

Hitler hätte bei einem Prozess seine schlimmer Kindheit anbringen können, seine Sozialisation etc. pp. Das hätte ihn aber nicht von seiner Verantwortung für seine Taten befreit, bestenfalls hätten wir heute Erklärungen für sein Verhalten.

Verantwortung bleibt immer! Niemand wurde gezwungen, die NSDAP zu wählen. Die, die sie gewählt haben, sollten sich wenigstens im Nachhinein Gedanken über ihre Mitverantwortung machen. Ob sie sich im 3. Reich zusätzlich schuldig gemacht haben, ist noch mal eine neue Frage. Z. B.:
Niemand musste seinen Nachbarn denunzieren, soweit ich weiß. Niemand musste in der Partei Karriere machen.

Wir Nachgeborenen sind nicht schuldig, aber wir können uns schuldig machen, wenn wir die Verantwortung nicht sehen, die aus unserer Geschichte erwächst, oder wenn wir nichts gelernt haben.

janw
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So 21. Aug 2005, 21:56 - Beitrag #42

Man muss es leider immer wieder betonen, daß der Holocaust nicht möglich gewesen wäre ohne das tagtägliche Handeln vieler Menschen, die teilweise durchaus wußten, was da geschah.
Gewiß, manches unterlag der Geheimhaltung, wie die Vernichtungslager über längere Zeit, aber die Disposition von Eisenbahnwaggons wurde von Bahnangestellten erledigt, die mitbekommen haben müssen, was da transportiert wurde. Was ist mit den Feuerwehrmännern, die tatenlos zusahen, als Synagogen brannten? Die Polizei, war sie 1937 so weit gleich geschaltet?
Nein, man kann die Schuldfrage nicht auf "die Nazis" abwälzen, es waren normale Bürger, die in ihren Zusammenhängen, teils wissentlich daran mitwirkten. Und sei es nur als Denunzianten.

Und was ist dran an der These von Aly, wonach die jüdischen Vermögenswerte als staatliche Wohltaten verteilt wurden, so daß alle letztlich zu Nutznießern und Nutznießerchen wurden? Ich halte die These für plausibel.

tjej
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So 21. Aug 2005, 23:35 - Beitrag #43

Zitat von teut:Ich habe alle postings gelesen und vermisse etwas!! Die NS Zeit erstand nicht wie der Phönix aus der Asche sondern war ein Endpunkt eines Jahrhunderte langen Geschehens.Die isolierte Betrachtung der jüngsten Geschichte ist grundfalsch.Die heutigen Geschehnisse sind ja auch nur Folgen aus vorangegangenen Entwicklungen.Der NS Staat war ganz einfach die monströse Gegenwehr gegen die Sieger von 1918 und deren unmenschlichen Friedensdiktate.Das Juden mit verwoben waren ist eben aus der Geschichte dieses Volkes erklärbar sowohl in Deutschland als auch in den anderen Ententestaaten.Schuldig fühlen kann sich nur ein Täter wenn überhaupt.Verantwortung tragen ebenso.Die Bewältigung der Vergangenheit(ein an sich blöder terminus technicus Vergangenheit ist nicht mehr zu bewältigen nur die Zukunft u. die Gegenwart) ist ja in Wirklichkeit zur Abzocke geworden und das ist das Problem.An den schauerlichen Geschehnissen der Jahre 33-45 besteht ja kein Zweifel aber sie sind nun Geschichte, wie die oben erwähnte Bartholomäusnacht der 30 jährige Krieg Oliver Cromwell und seine Puritane der Mord an den Indios u Indianern ,Hexenjagd u Inquisition etc etc etc..Die Nachgeborenen(nach 1945) sind einfach unschuldig basta!!Es wird auch nicht anders sein ,wenn man es wie eine Gebetsmühle immer wieder anders behauptet.Die unbegrenzte Erpressbarkeit muß einmal ein Ende haben.Gezahlt und Sühne wurde genug geleistet kein anderes Volk in der Geschichte hat jemals ähnliches so konsequent und selbstverleugnend durchgeführt und zwar die Unschuldigen !!!!



Warum gleich drei Ausrufezeichen? Muss das denn sein?

Denke bitte auch an die vielen Schuldigen, die nie fuer ihre Taten zur Verantwortung gezogen wurden. Teils, weil sie in verlogener und verschlagener Manier ihre Taten leugneten, teils weil niemand sich gross dafuer interessierte.
Wenn man nur bedenkt, wieviele Nazi-Ärzte(sie hatten ja nur "im Dienst der Wissenschaft" gestanden und dabei so "herausragende" und "unverzichtbare" Forschungen betrieben wie z.B.: Wieviele Tage kann ein Neugeborenes ueberleben ohne Nahrung oder : Wie lange kann ein erwachsener Mann in minus zwei kaltem Wasser ueberleben u.ä.) schnell wieder in Amt und Wuerden gelangten. Die Lehrbuecher der Rechtsmedizin sind voll von solchen, durch Nazi-Mediziner an KZ-Insassen gewonnenen "Erkenntnissen".

Und wie "basta" und "vorbei" das in Deutschland ist, kann man ja sehen:
Die rechtsradikalen Parteien haben grossen Zulauf. Holocaust-Leugnern wird zugejubelt.
Die NPD tritt auf rechtextremistischen Veranstaltungen(am 27.08.05)gemeinsam mit Fuehrern des KuKlux-Clan auf.



Mir scheint, so ganz hat es nicht geklappt mit der "Läuterung".
Richtig aufgearbeitet haben die Deutschen ihre grässliche Vergangenheit nie.
Aber vielleicht wollten das die meisten auch gar nicht.

Ipsissimus
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Mo 22. Aug 2005, 11:35 - Beitrag #44

es ist noch viel direkter; so hat die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des 3. Reiches es bis heute nicht "übers Herz" gebracht, die Urteile des Volksgerichtshofes formal aufzuheben und formal für "schon immer ungültig" zu erklären, alle sonstigen öffentlichen Geißelungen zum Trotz. Einfacher Grund: es werden, wohl zu recht, die Milliardenklagen der Familien gefürchtet; anders ausgedrückt, es werden Vorteile für die Heutigen damit erkauft, daß erkanntes Unrecht weiterbestehen gelassen wird in der Hoffnung, daß der Tod und die zeit sich als die großen Problemlöser erweisen, als die sie sich immer erweisen.
Solange die Verhältnisse so sind, kann nicht mit Fug erwartet werden, daß das Ausland uns das nachsieht. Politische Opportunität sitzt in den Köpfen der Herrschenden, nicht in den Herzen der Menschen.

Andererseits hat das nichts damit zu tun, was derzeit in Israel und Palästina geschieht. Es ist belanglos, etwas einzusehen ("Faschismus ist Scheisse") und dann dort zu schweigen, wo er betrieben wird. Alle berechtigte Kritik an den Zuständen in Deutschland ändert nichts daran, daß die Kritik an Israel berechtigt ist, auch wenn sie von Deutschen ausgesprochen wird, die nach dem WK2 geboren wurden. Kritik von Deutschen, die zur Zeit des 3. Reiches schon erwachsen waren, würde ich mir als Israeli auch nicht bieten lassen, dazu ist der Unterschied zwischen "Widerstandskämpfer" und "opportunistischem Nutznießer" viel zu unsicher nur eruierbar.

LadysSlave
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Mo 22. Aug 2005, 22:24 - Beitrag #45

Zitat von Die Maschine:Es geht ja um Hitlers Standpunkt... und wenn du aus seiner Sicht denken würdest, würdest du einsehen, dass seinSelbstmord Kapitulation war.

Ich denke es ist vollkommen schwachsinnig, den Beamten als Täter zu sehen... denn auch er hatte seine Auflagen und hätte er Hitler nicht zum Staatsbürger gemacht, hätte er auch seinen Posten räumen können... du kannst zu dem Zeitpunkt aber keinem "Normal-Deutschen" unterstellen, dass sie geahnt haben müssten, was für Terror auf sie niederkommt.... außerdem befand sich Deutschland in der geschichtlich und politisch miserabelsten Lage, dass die Machtergreifung unverhinderbar war... Er hätte so oder so Deutschland übernommen... aber das ist eine andere Diskussion die hier nicht hingehört.

Da ich davon ausgehe, dass der damalige deutsche Beamte sehr wohl des Lesens mächtig war, hätte er es natürlich wissen können, was Hitler vorhatte. Er hat es in "Mein Krampf"(oder so) klar und präzise geschildert.
En deutscher Beamter hatte eine derartig starke Position, dass er keine Angst davor haben musste, wegen der Ablehnung der deutschen Staatsangehörigkeit für den kriminellen Ausländer Namen Adolf Hitler, Probleme zu bekommen- etliche Beamte haben es ja schon ihre Pflicht erfüllt und Hitlers Ansinnen der deutschen Staatsangehörigkeit abgelehnt.
Doch waren die anderen politischen Kräfte im Land, für einen (noch immer keisertreuen) deutschen Beamten bedrohlicher: Die Sozis, oder gar die Kommunisten!
Eben deshalb meine ich, den Vorwurf gegen den ersten Gesetzesbrecher, dem Beamten der Hitler die deutsche Staatsangehörigkeit verschaffte, sehr wohl vorbringen zu müssen.
Es gehört zum Akzeptieren unserer Vergangenheit auch, die Täter zu benennen. Sonst gerät man wieder in den Sumpf der Nationalmasochismus, der nur den Rechten Kräften nutzt, in den wir doch nur geraten sind, weil die ganze Staatsführung der jungen Bundesrepublik mehr oder weniger NS-Belastet war!

@Milena
Es hat schon längst aufgehört!


Nie und nimmer.
Ist wohl eine gutgemeinte Wunschvorstellung Deinerseits, Ladyslave.
Ich kenne junge deutsche Studenten, die sich schämen Deutsche zu sein, sich für ihre Eltern schämen und das deutsche Land bis auf den Grund hin hassen.

Merkst du, dass du gerade bestätigst, dass es hauptsächlich die Deutschen selbst sind, die den Deutschen deshalb Verantwortung vorwerfen, weil sie nicht in der Lage sind, unsere Geschichte als das zu akzeptieren, was es ist: Unsere Geschichte.
Die Geschichte der Dichter und Denker, ist dieselbe,wie auch die Geschichte der Richter und Henker

Milena
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Mo 22. Aug 2005, 22:42 - Beitrag #46



weil sie nicht in der Lage sind, unsere Geschichte als das zu akzeptieren, was es ist: Unsere Geschichte

doch, doch Ladyslave, das tun sie schon, und sie schämen sich trotzdem dafür...akzeptieren ist auch nicht daselbe wie tolerieren , oder ?
der deutsche Student weiss um ´seine´Geschichte und trotzdem sind ihm seine deutschen Mitbürger verhasst und er schämt sich für das gesamte deutsche Land...
Student, 26 Jahre alt, studiert Geschichte und Literatur, kein Neonazi.

LadysSlave
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Mo 22. Aug 2005, 22:53 - Beitrag #47

Zitat von Milena:doch, doch Ladyslave, das tun sie schon, und sie schämen sich trotzdem dafür...akzeptieren ist auch nicht daselbe wie tolerieren , oder ?
der deutsche Student weiss um ´seine´Geschichte und trotzdem sind ihm seine deutschen Mitbürger verhasst und er schämt sich für das gesamte deutsche Land...
Student, 26 Jahre alt, studiert Geschichte und Literatur, kein Neonazi.

Das fände ich dann doch sehr traurig.
Ersten gab es auch einen Widerstand in Deutschland und deren Mut und Einsatz, wie zum Beipiel der Studenten der weissen Rose, werden von diesem Menschen dann gar nicht beachtet. Zweitens wurden auch Tausende Deutscher von den Nazis in den KZ´s umgebracht. Soll deren Andenken nichts mehr Wert sein?
Ich schreibe jetzt nicht vom bürgerlichen Widerstand der Menschen um Graf Schenk von Stuffenberg, deren Wiederstand zielgerichtet war, weil sie Ihre Ziele nicht mehr realisierbar sahen, sondern von den tausenden ehrlicher und aufrechter Bürger, die trotz Gestapo Widerstand leisteten.
Zumal ich doch nicht die Menschen, die nach 1945 geboren wurden, für das Entsetzliche verantwortlich machen kann. Deshalb ist dann wohl die geschilderte Einstellung auch ein wenig intolerant, oder?

Milena
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Mo 22. Aug 2005, 23:17 - Beitrag #48



Deshalb ist dann wohl die geschilderte Einstellung auch ein wenig intolerant, oder?

das vermag ich nicht zu beantworten, Ladyslave, ich selbst bin keine Deutsche....
aber ich weiss eben, dass sich StudentX unheimlich schwer tut hierzulande mit seinen Äusserungen, keine Freunde sich damit macht und wahrhaftig auch keine hat und oftmals nur knapp einer Prügelei entkommen ist...
das ist das Echo, das hierzulande ihm entgegen gebracht wird, ja weisst Du, da frage ich mich, wo bleibt in solchen Momenten der freien Meinungsäusserung die liebe Toleranz..

tjej
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Di 30. Aug 2005, 13:24 - Beitrag #49

Zur Thematik "Umgang mit der NS-Vergangenheit":


Junge Israelis und (und auch junge Juden anderswo) leiden noch heute unter der Vergangenheit.
Ich habe mehrfach von juedischen Freunden und Bekannten gehört, dass sie ihre Kindheit hindurch von Trauer umgeben waren und diese sich wie graue Patina ueber den Alltag legte.


Dazu ein paar Zeilen, Auszug aus einem Zeit-Interview mit dem israelischen Schriftsteller Amos Oz:

"Sechzig Jahre nach Kriegsende leiden die Juden in Israel und woanders immer noch unter den Konsequenzen, die Deutschen hingegen ueberhaupt nicht. Die Kinder und Enkel der Opfer sitzen immer noch in emotionalen Rollstuehlen. Die Kinder und Enkel der Verbrecher sind nicht schuldig an irgendetwas, aber sie sind nicht an einen Rollstuhl gefesselt. Ich will auch gar nicht, dass sie dort sitzen. Ich möchte bloss, dass sie uns in Erinnerung behalten."


Link: http://www.zeit.de/2005/35/Interview_Oz

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Mi 31. Aug 2005, 11:44 - Beitrag #50

Zitat von tjej:Zur Thematik "Umgang mit der NS-Vergangenheit":


Dazu ein paar Zeilen, Auszug aus einem Zeit-Interview mit dem israelischen Schriftsteller Amos Oz:

"Sechzig Jahre nach Kriegsende leiden die Juden in Israel und woanders immer noch unter den Konsequenzen, die Deutschen hingegen ueberhaupt nicht. Die Kinder und Enkel der Opfer sitzen immer noch in emotionalen Rollstuehlen. Die Kinder und Enkel der Verbrecher sind nicht schuldig an irgendetwas, aber sie sind nicht an einen Rollstuhl gefesselt. Ich will auch gar nicht, dass sie dort sitzen. Ich möchte bloss, dass sie uns in Erinnerung behalten."


Link: www.zeit.de/2005/35/Interview_Oz


Und dafür, dass wir sie in Erinnerung behalten, setze ich mich auch ein!
Denn nur so, können wir Gewährleisten, dass sowas nie wieder in unserem Namen getan wird!

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