Alternativen zum "Neoliberalismus" und der Marktwirtschaft

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Padreic
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Do 22. Sep 2005, 14:09 - Beitrag #1

Alternativen zum "Neoliberalismus" und der Marktwirtschaft

In anderen Threads wurde immer wieder Kritik am "Neoliberalismus" geübt. Es wurde u. A. gesagt, dass die Reichen in die Verantwortung gezogen werden sollten und es angemessene Bezahlung geben solle. Nun geht es mir darum, wie ganz konkrete Maßnahmen aussehen könnten, dies zu erreichen. Und zu diskutieren, wie erfolgversprechend diese sein könnten.

janw
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Do 22. Sep 2005, 15:07 - Beitrag #2

Ein Aspekt wäre für mich, welchen Beitrag welche Schichten für das Gemeinwesen leisten, in Form von Steuern und von Beiträgen in die sozialen Sicherungssysteme.

Im Bereich der Steuern ist dabei das Problem, daß durch eine ganze Reihe von, teils mal aus guten Gründen eingeführten, Steuerabzugsmöglichkeiten besonders Vielverdiener gute Möglichkeiten haben, ihre Steuern praktisch auf 0 zu senken, in dem sie z.B. irgendwelche Kapitalanlagen erwerben, die auf dem Papier Verluste einbringen.
Hier könnte einiges verbessert werden, wenn man diese Abzugsmöglichkeiten verringern würde - was die CDU ja auch will, allerdings in einer Weise, die gerade die Wenigverdiener besonders treffen würde.

Im Bereich der sozialen Sicherungssysteme ist das Problem, daß Beiträge für die Kranken- und Rentenversicherung nur auf Arbeitseinkommen erhoben werden.
Wer überwiegend von Mieten, Pachten und Kapitalerträgen lebt, zahlt minimale Beiträge und ist doch voll versichert - zu Lasten der Allgemeinheit.
Hier meine ich müßte jeder Bürger mit seinem ganzen Einkommen herangezogen werden, so, wie er ja auch als ganzer Bürger ganze Leistungen konsumiert.
Daß Familien mitversichert sein können in der Krankenversicherung, sollte beibehalten werden, keine Frage.

In der Rentenversicherung ist das Problem, daß hier fast nur Angestellte einzahlen, Selbständige können zwar, aber es ist bei der jetzigen demographischen Lage kaum zu empfehlen.
Damit fallen aber aber auch wieder viele Gutverdiener aus der Beitragszahlergruppe heraus.

Ich wäre dafür, daß es eine generelle Pflicht gibt zum Erwerb einer Altersabsicherung, und diese sollte auch für Selbständige einen Mindestbeitrag in die staatliche Rentenversicherung beinhalten - damit aber auch einen mindesten Leistungsanspruch erzeugen.

Soviel fürs erste.

Maglor
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Do 22. Sep 2005, 15:21 - Beitrag #3

Bei der Steuerpolitik in Deutschland ist es ja der Trend der letzten Jahre die Steuersätze zu senken und zum Ausgleich die Sozialleistungen zu senken. Da lobt sich natürlich an der Stelle die FDP, wenn sie darauf verweist, nach ihrem Steuersystem müssten geringervedienende Familien keine Steuern zahlen. Und das ist auch der Kern der Misere: Wer kein Geld hat, kann auch keine Steuern zahlen.
Je mehr Steuern man zahlt, also je mehr Geld man verdient, desto mehr kann auch absetzen.

Zitat von janw:In der Rentenversicherung ist das Problem, daß hier fast nur Angestellte einzahlen, Selbständige können zwar, aber es ist bei der jetzigen demographischen Lage kaum zu empfehlen.

Das Problem, das ich bei der jetzigen Rentenpraxis sehe, ist, dass dort im Grunde kein Solidarprinzip gilt. Wer im Berufsleben viel verdient hat, also viel eingezahlt hat, der soll auch eine hohe Rente bekommen; und wer das eben nicht hat, erlebt im Alter das Leben am Existenzminimum.
Was ich mich da Frage, wozu brauchen wir dann eine staatliche Rente, wenn am Ende jeder das bekommen soll, was er vorher einzahlt. Die Rente funktioniert im Grunde ähnlich wie ein Bausparvertrag, aber warum muss sie dann der Staat in den Händen halten?
Den Lösungsansatz der Bürgerversicherung halte ich für sozial und finanzierbar: Sämtliche Bürger zahlen einen prozentualen Anteil ihres Einkommens ein, aber im Ruhestand erhalten alle nur eine Standardrente deutlich oberhalb des Sozialhilfeniveau.

MfG Maglor

Ipsissimus
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Do 22. Sep 2005, 16:09 - Beitrag #4

aus meiner Sicht der Dinge ist der Neoliberalismus eine weitere Variante, in der sich pure, unverfälschte Gier als Selbstzweck ausdrückt und die Mittel sucht und schafft, um sich immer weiter ausdehnen zu können, auf Kosten aller anderen


Zunächst mal würde ich für eine komplette Überarbeitung der Lohn-, der Steuer- und der Sozialleistungsstruktur plädieren. Nach meinem dafürhalten sollten der höchste gezahlte Lohn und der niedrigst gezahlte Lohn eines Landes nicht mehr als einen Faktor 5 auseinander liegen. Als Lohn fasse ich hierbei auch den einem Selbständigen übrigbleibender Reingewinn seines Geschäftes auf.

Sodann faktorielle Pauschal-Besteurung: Lohnfaktor 1 - 10 Prozent Pauschalsteuer, Lohnfaktor 2 - 20 Prozent Pauschalsteuer ... Lohnfaktor 5 - 50 Prozent Pauschalsteuer

Reinerlöse, z.B. von Firmen, über Faktor 5 - 100 Prozent Besteurung

Lohnfaktor eins währe dann die vom Staat im Falle von Arbeitslosigkeit jedem Bürger zu gewährende Grundversorgung, die nach Ende der Lebensarbeitszeit bis zum Tod weitergezahlt wird. Das Geld hierfür stammt aus der Reinerlössteuer.

Lykurg
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Do 22. Sep 2005, 16:23 - Beitrag #5

Soweit ich sehe, hätte ein solches System vor allem drei direkte Folgen:
- starkes Absinken des unternehmerischen Engagements (weil Leistung sich über einem bestimmten Level nicht mehr lohnt)
- Steuerhinterziehung im großen Stil - eine Selbstverständlichkeit
- Massenabwanderung der Besserverdienenden (in Länder, die ihnen mehr Freiheit lassen)

Loben muß ich daran, daß - bis die drei Folgen greifen - das System zweifellos finanzierbar wäre (was bei solchen Vorschlägen sonst doch eher selten gilt).

Ipsissimus
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Do 22. Sep 2005, 16:36 - Beitrag #6

nun, wir haben doch die Globalisierung^^ nützen wir sie mal sinnvoll^^

das muss für einen Unternehmer nicht zwangsläufig unattraktiv sein, wenn damit eine Restrukturierung des Geldgewerbes, sprich der Finanzmärkte und Banken einherginge. Wenn der Unternehmer z.B. in einer Weise an Kapital gelangen könnte, die ihn nicht faktisch für den Rest seines Lebens zum Arbeitssklaven einer Bank mutieren läßt, könnte ich mir schon vorstellen, daß vor allem im klein- und mittelständischen Bereich einiges bewegbar wäre. Wenn klar ist, daß ich für einen Kredit von 100000 Euro nach Ende der Laufzeit nicht 500000 Euro zurückgezahlt habe, sondern maximal 150000 Euro, überlegen sich sicher viele, ob sich ihnen da nicht doch eine Perspektive bietet


wie die Steuerhinterziehung im großen Stil betrieben werden soll, sehe ich noch nicht ganz

und was die Massenabwanderung der Besserverdienenden angeht, sollen sie^^ schafft Arbeitsplätze für die jetzt noch nichts Verdienenden^^ und die anderen Länder warten bestimmt schon auf unsere Flüchtlinge, mit den wenigen eignen Problemen, die sie haben^^

Elbereth
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Do 22. Sep 2005, 19:01 - Beitrag #7

@Ipsissimus:

Also eine 100%-Besteuerung ist meiner Meinung nach absolut kontraproduktiv, denn wie von Lykurg schon gesagt, wo soll dann die Motivation her kommen besser zu werden, befördert zu werden, mehr Geld zu verdienen? Wenn das ab einem gewissen Nieveau eh nichts mehr ausmacht... In einer idealistischen Gesellschaft wo den Menschen die Arbeit Spass macht wäre es eventuell denkbar, aber in einer Gesellschaft wo das Geld so ziemlich die wichtigste Motivation ist... :rolleyes:

Und warum sind für dich "Besserverdiener" = faule Kapitalisten? (also zumindest hört sich das so an ;) ) Vielleicht sind es Menschen, die durch ihre Fähigkeiten eine gute Karriere geschafft haben, Forscher, Entwickler, Menschen mit unternehmerischem Geschick... Wenn sie abwandern würden, wäre es keineswegs positiv für das Land.

@Rentensystem: Zwar finde ich auch, dass die Einzahlung in die Rentenkasse einkommensbezogen sein sollte, aber dann müsste es für die "reicheren" Menschen immer noch andere Möglichkeiten geben ihr Alter so zu gestalten wie sie es möchten (wenn sie es sich leisten können), derzeit gibt es sowas ja auch..

Konkret würde ich auch die Steuern ändern, und zwar die Stufen "progressiver" machen (also sie sollte schneller mit dem Einkommen steigen), allerdings keinesfalls über 50% gehen...

Ausserdem sollten in großen Betrieben/Fabriken den Arbeitern mehr mitspracherecht eingeräumt werden, oder zumindest sollte sie mehr über ihre Rolle in der Produktion wissen, damit Geld nicht mehr die einzige Motivation wäre

Ipsissimus
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Fr 23. Sep 2005, 12:49 - Beitrag #8

Elbereth, einen Lohnfaktor fünf, z.B: für einen Arzt gegenüber einem Hilfsarbeiter, halte ich nicht für gerade gering oder für eine kleine Motivation. Daß unserer Erwartungshaltung eher mit exponentiellen als mit linearen Anstiegen rechnet, scheint mir Teil des Problems, nicht Teil der Lösung zu sein.

Die Finanzmärkte würde ich mit einem klitzekleinen Kniff reformieren^^ Verbot des Zinseszins-in-Rechnung-stellens; eventuell flankiert mit der gesetzlichen Vorgabe, daß es zur Nachweispflicht des Kreditgebers, also der Bank usw. gehört, positiv nachzuweisen, daß der Kreditnehmer nach Ablauf der Gesamtrückzahlzeit nicht mehr als 100 + 15 Prozent der ursprünglich erhaltenen Kreditsumme zurückzahlen mußte

Privatpersonen und Gesellschaften wäre natürlich auch weiterhin der Besitz von und die Verfügung über Kapital erlaubt - was nicht mehr erlaubt wäre, sind Geldgeschäfte. Kapital hätte somit nur noch dann Wert, wenn es in Waren-Umlauf gehalten wird; auch das würde schon einen großen Teil unserer Probleme lösen

Padreic
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Fr 23. Sep 2005, 13:00 - Beitrag #9

Du würdest in der Tat damit erreichen, dass die Geldgeschäfte zurückgehen. Insbesondere, dass es deutlich schwerer ist, an irgendwelche Kredite zu kommen.
Mit dem momentanen Zinssatz gerechnet, müsste der Kreditnehmer den Kredit in zwei oder drei Jahren zurückzahlen, was in vielen Fällen nicht möglich ist. Bei 10 Jahren Laufzeit wäre man bei 1,4% Zinsen. Es ist nicht einfach vorstellbar, dass dafür eine Bank Geld verleiht. Vielleicht, wenn die Bundesbank die Zinsen auf 0,1% senkt. Was mind. zwei Dinge voraussetzt: Kredite für Ausländer und ausländische Firmen verbieten und eine sehr hohe Inflation in Kauf nehmen.
Wenn das alles nicht in Kauf genommen wird (und ich bezweifle, dass es selbst dann funktionierte), dann würden Kredite nur noch in Ausnahmefällen gegeben werden können. Mit deutlichen Folgen für Innovation und Investition. Und deutlich negativem Wirtschaftswachstum, wie man so schön sagt.

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Fr 23. Sep 2005, 13:15 - Beitrag #10

na ja, du fragtest nach Alternativen zum Neoliberalismus. Es weiß eigentlich jeder, daß eine wachstumsorientierte Gesellschaft irgendwann an die Grenzen des Wachstums stößt, es weiß jeder, daß wir heute schon auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder- geschweige denn des Rests der Menschheit - leben, aber mehr oder weniger alle tun so, als sei das durch ein paar kosmetische Korrekturen in den Griff zu bekomen. Und diejenigen, die nicht so tun, benutzen die Situation, um noch mehr Privilegien für diejenigen durchzusetzen, die ohnehin schon im Überfluss schwimmen.

Das Problem ist imo nicht in den Griff zu bekommen, ohne Änderungen unserer gesellschaftlichen Grundprinzipien. Die von mir vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, GIER in jeder Form entgegenzuwirken und ihre Auswüchse effektiv zu verhindern. Erst wenn die Hybris unserer bisherigen gierbasierten Strukturen vor allem im Bereich der Finanzwirtschaft überwunden ist, kann vernünftig über Lösungen nachgedacht werden.

es gibt keine Alternative zum Kollaps, die mit selbstzweckhafter Gier kompatibel wäre, egal ob diese offen oder verschleiert daher kommt

janw
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Fr 23. Sep 2005, 14:28 - Beitrag #11

Ja, ich muss Ipsi da recht geben, das derzeitige System wird über kurz oder lang an die Wand fahren. Daß die von Ipsi dargestellten Alternativen nicht einfach umzusetzen sind und viele Probleme bergen, wie von Pad aufgezeigt - keine Frage.

Um mal kurz aufzuzeigen, wo wir jetzt stehen:
Die wirtschaftliche Entwicklung in der westlichen Welt hängt derzeit letzten Endes an einem einzigen Rohstoff, dem Öl.
Dieses Öl ist nicht nur absehbar begrenzt vorhanden, seine Verfügbarkeit hängt von Raffinieriekapazitäten ab, vielmehr wird sein Preis zu einem erheblichen Teil davon gar nicht beeinflußt, sondern davon, wie einige Wenige recht willkürlich durch An- und Verkauf den Preis machen.
Die wesentliche Ressource der wirtschaftlichen Entwicklung ist letztlich in Händen eines Oligopols, eines Kartells.
Ob da ein Hurrican Schaden anrichtet, ist sachlich mehr oder weniger egal. Es liefert nur die psychologische Begründung für ein kleines Preisspielchen.

Ebenso ist der Geldmarkt letztlich global gesehen in wenigen Händen konzentriert, und der Punkt ist absehbar, an dem diese Hände sagen werden "Mehr Kredit gibts nicht".
Die jetzige Umverteilung von Geld von unten nach oben ist der Schritt dahin.

Monopoly ist ein schönes Spiel. Leider erkennen zu wenige die Realität darin...

Padreic
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Fr 23. Sep 2005, 18:36 - Beitrag #12

@Ipsissimus:
Du wirst die Gier nicht abschaffen können. Es geht darum, Gier zu kontrollieren, zu dämpfen oder zu kanalisieren. Und hoffentlich ein paar Machthaber zu haben, die nicht gierig, sondern vernünftig sind und dies leisten können.

Ich glaube, es kann im weiteren Sinne neoliberale Politik geben, die unser System auch langfristig nicht an die Wand fährt. Man muss keine Schulden machen. Man muss die Umwelt nicht in dem Maße belasten, wie wir (und noch mehr noch andere Staaten) es heute tun. Man muss Wirtschaftswachstum opfern, ja, aber vielleicht kann man das heutige Wohlstandsniveau wenigstens in etwa halten.
Ich glaube übrigens nicht, dass die Macht der Vernunft in einer "echteren" Demokratie wesentlich höher wäre. Den Menschen sind doch ihre Kindeskinder scheißegal, Hauptsache es wird ihnen nichts weggenommen. Natürlich wollen sie auch, dass weniger Schulden gemacht werden. Aber sie wollen nichts aufgeben, wofür die Schulden gemacht werden...natürlich wollen die Leute Rußfilter in Dieselautos...aber auf die Idee, sich welche einbauen zu lassen, kommt kaum jemand. Tja. Das wird aber auch fast ein wenig Off-Topic.

Ipsissimus
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Fr 23. Sep 2005, 19:12 - Beitrag #13

dann geht es in den Abgrund


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