"Wir haben einen Bundespräsidenten".
Diese Feststellung trifft zu, wie sie auch zu anderen Zeiten leicht fragende Blicke bei vielen hervorgerufen hätte - "so, haben wir? Ja, und, wie heißt er denn nochmal...?" So zu Zeiten des beginnenden Weizsäcker und wohl bei etlichen seiner Vorgänger, wenn ich Berichte aus damaliger Zeit richtig verstehe.
Nun haben wir einen Präsidenten, Horst Köhler, der zu Anfang auf die Feststellung seiner Existenz ebenfalls fragende Blicke hervorgerufen hätte, dann aber begann, sich öffentlich zu äußern - sei es in Fernsehansprachen mit recht deutlicher Positionierung zu aktuellen politischen Fragen, sei es nun mit der wiederholten Zurückweisung von Gesetzen wegen aus seiner Sicht mangelnder Verfassungskonformität und mit einer Rede, die der sich für manche viel zu reformeifrig gebenden Regierung zu noch mehr Reformen rät.
Gemichte Gefühle ruft dies bei mir hervor - zum einen impliziert die Notwendigkeit der Unterzeichnung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten, daß diese bei Verdacht auf oder Vorliegen von Mängeln verweigert werden kann, es ist also seine Pflicht, in diesen Fällen die Unterzeichnung zu verweigern, zum anderen, ist ein Präsident, der nicht in Erscheinung tritt, überhaupt eine relevante Instanz?
Ist es nicht vielleicht gerade seine Aufgabe, dann und wann seine Sicht aus Metaebene auszudrücken - und die von Politik, sich davon genauso wenig beirren zu lassen, wie von den vielen anderen Einflüsterungen der zahlreichen Lobbies im Lande?
Nun, etwas in mir reibt sich doch daran, und vielleicht ist es, weil die konkrete Position mir nicht behagen will.
Mehr Reformen möchte er, mehr Liberalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft, mehr Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen auch bei sozialer Absicherung - der Neoliberalisten Credo, wie es scheint.
Nun ist Herr Köhler sozialistischer Umtriebe unverdächtig, als ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds hat er allerdings auch bei den Entwicklungsländern Sympathien gewonnen, ein Verteiler der Lasten, könnte man meinen.
Das bringt mich auf den Gedanken, sein Drängen auf Liberalisierung könnte der Einsicht der Gegeben- und Unabwendbarkeit der Globalisierung geschuldet sein, mithin, daß die Gefahr für das Land bestünde, abgehängt zu werden, wenn die Reformen nicht weiter gehen - so schmerzhaft sie manche auch treffen mögen.
Ich frage mich nun, ist Köhlers Verhalten angemessen, seinem Amte und der Lage, und wie ist diese überhaupt zu bewerten? Gibt es reale Alternativen zu den neoliberalen Zumutungen?
Sehr viel für einen thread, ich weiß, aber ich lasse es erstmal zusammen. Notfalls kann man immer noch teilen, was nicht zusammen führt.