Wie die Regierungen unsere Zukunft verspielen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 19. Mär 2007, 15:38 - Beitrag #41

ein Arbeitskollege von mir erhielt kurz vor Weihnachten seine Kündigung. Er ist Akademiker, Abschluss in einem Fach, in dem Leute händeringend gesucht werden, gebildet, jung (32 Jahre), ungebunden, teilt bis zur Blödsinnigkeit arbeitgeberische Grundmaximen, ist flexibel, extrem belastbar, motiviert, mobil, fließend auf Geschäftsgesprächsniveau englisch, französisch und italienisch und alles das nicht nur als Scherz, sondern tatsächlich. Die Kündigung erfolgte in Folge persönlicher Animositäten zwischen ihm und seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Er hat ein 1a Arbeitszeugnis erhalten.

Er hat seit seiner Kündigung an die 800 Bewerbungen rausgehauen, zwei Drittel davon auf angebotene Stellen, der Rest als Initiativ-Bewerbung, alles in seinem Fach und in benachbarten Gebieten. Erst nur deutschlandweit, dann EU-weit. Ergebnis: 2 - in Worten: zwei - Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch, eines in Schweden, eines in München. Die Münchner suchen einen Mitarbeiter für ihre Filiale in Taiwan, die Schweden wollen ihn offshore auf einer Bohrinsel in der Nordsee einsetzen. Er ist noch am überlegen.

janw
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Di 20. Mär 2007, 00:31 - Beitrag #42

...und 798 mal eine Absage, weil überqualifiziert...

Yanāpaw
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Di 20. Mär 2007, 15:20 - Beitrag #43

Hartz IV->kein Auto, kein Auto->kein Job, kein Job->weiter Hartz IV


Also dieser Teufelskreis sieht auf den ersten Blick sehr verheerend aus, wenn man aber bedenkt, dass gekündigte Arbeitnehmer immer mit Kündigungsfrist entlassen werden und sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnis für 6-32 Monate erstmal ALG I beziehen, dann wird klar, dass die Mehrheit dieser menschen 2-3 Jahre lang keine Arbeit akquirierte, bei 1,6 Millionen offenen Arbeitsplätzen. Wie kommt das? Weil sie so arm und unschuldig und fleißig und tugendhaft sind? Nach wie vor gilt in diesem Land der Grundsatz, wer Arbeit will, der findet Arbeit. Nur wer eben 99% aller Stellenangebote aus welchen Gründen auch immer ablehnt, der hat eben Pech, dumm gelaufen für ihn. Wenn der Akademiker keinen Job als Akademiker findet muss er Spargel ernten, oder Burger braten, so einfach ist das, hätte er sich mit seinem Chef arrangiert, stünde er nicht vor dem Problem. Und was Überqualifikation angeht, dass ist wieder so ein Pseudo-Schlagwort, Überqualifikation ist an vielen Orten Gang und Gäbe, da werden BWL-Studenten als Bürokaufleute oder Sachbearbeiter eingestellt und Informatik-Studenten als Fachinformatiker, komisch wo sie doch überqualifiziert sind, bei Millionen von Menschen macht das nichts mit der Überqualifikation, aber bei den Arbeitslosen, ja da ist es natürlich verheerend.


Rauchen ist sicher kein billiges Vergnügen, aber 3 Euro pro Tag geben im Jahr auch nur 1095 Euro - davon bekommt man mit 50 Jahren auch keine Altersvorsorge gebacken.


Nein aber mit 20-40 Jahren und 4-5 Euro, was auch viel eher dem Durchschnitt entspricht, als dein Minderheitenfokus, da lässt sich schon einiges machen. Eigentlich ist es aber müßig darüber zu streiten, nachdem 2 Billionen in den Aufbau Ost investiert wurden, völlig aber wirklich völlig ergebnislos, im Vergleich zur sonstigen Produktivitätsgenerierung mit diesem Mitteleinsatz, sollte man langsam die Notbremese ziehen und sich mit den Tatsachen abfinden. Ost-Deutschland kann gegenwärtig nicht aufgebaut werden, also sollte die Förderung schlichtweg eingestellt und in sinnvollere und erfolgsversprechendere Projekte investiert werden.



Verbreiterung der Einnahmebasis durch Heranziehung aller Einkommensarten, mit Freigrenzen, versteht sich.


Eine noch größere Belastung des Arbeitnehmers ist sicherlich genau der richtige Weg. Nicht die Details des Solidarsystems sind krank, das gesamte System ist krank. Ein Solidarsystem funktioniert nur bei zyklischem Wirtschaftsaufschwung und erheblicher staatlicher Subventionierung, ganz egal wie breit die Einnahmebasis ist, das sind nicht als Phrasen, die fehlenden Inhalt durch tolle Ideale von sozialer gerechtigkeit wettmachen sollen. Was genau bedeuetet eine verbreiterte Einkomensbasis genau mit den anderen Einkunftsarten denn konkret? Glaubst du im ernst, das brächte was? Das ist Augenauswischerei, abgesehen davon, dass es ein weiterer Schritt in die völlig falsche Richtung wäre, handelt es sich bei den Erträgen um Tropfen, auf heiße Steine.


Außerdem darf Rationalisierung nicht im bisherigen Umfang dazu führen, daß die Rationalisierungsgewinne privatisiert, die resultierenden sozialen Lasten aber sozialisiert werden.


Und das bedeutet konkret? Du möchtest Unternehmen dazu verpflichten, betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmern auch nach Ende des Beschäftigungsverhältnis Gelder zu zahlen? Mal ganz davon abgesehen, dass der überwiegende Großteil des Stellenabbaus über Nicht-Neubesetzung funktioniert, wo diese regelung schonmal überhaupt nicht greifen würde, ist es auch so, dass genau solche schwachsinnigen verpflichtungen und regulierungen gerade dafür sorgen, dass so wenige Arbeitsplätze entstehen.
Ich brauche einen Arbeitnehmer, aber ich stelle keinen ein, sonst bräuchte ich einen Betriebsrat, würde ihn im Zweifel nicht mehr los, müsste ihn abfinden et cetera, das ist präzise die Ursache für die zurückhaltende Einstellungspolitik mittelständiger-großer zuwachsstarker Unternehmen und sämtliche sozial-inspirierten Reformen wirken absolut kontraproduktiv.
Ich will die Politik der Konzerne nicht schönreden, aber tragfähige Reformen entstehen im Interesse des Mächtigen und nicht im Interesse des Wurms, wenn die Sozialen das verstünden wären wir schon Lichtjahre weiter.


Das rüttelt aber mächtig an dem von den Unternehmerverbänden aufgebauten Dogma der gesellschaftlichen Nützlichkeit der freien Wirtschaft


Wie viele Organisationen oder Gruppierungen kennst du, die genau und nur das tun, was sich aufs Banner schrieben? Und wie viele kennst du, die schöne Phrasen in der Außenwirkung klopfen und intern gänzlich andere Ziele verfolgen? In diesem Fall ist es ein bisschen komplexer, eine volkswirtschaftliche Grundregel, wird aus einem Theorem extrahiert und sinnverfälschend wiedergegeben.


Man muss zu den Kohlesubventionen konzedieren, daß sie auch ganz massive Technologieförderung bedeutet haben - wodurch die BRD ein wichtiger Lieferant von sicherer Bergbautechnologie ist und daß ohne sie der Wandel im Ruhrgebiet deutlich weniger sozial abgefedert worden wäre, mit deutlich schlechterer Nachnutzung der Industriebrachen


Wenn jeder Kumpel zu Hause geblieben wäre und hätte dafür 90% seines Lohns erhalten, bis zur Berentung oder dem Eintritt in ein anderes Arbeitsverhältnis, wäre das für den Staat um die Hälfte billiger gewesen, das ist für mich nicht wirklich etwas getan haben. Und Technologieförderung ist dort sinnvoll, wo Wachstumsmärkte bestehen, bsp. Frauenhofer Institut, Agrarökonomie-Forschung ist völlig sekundär, genau wie Kohleabbautechnologie, das sind stark rückläufige Ertragsgebiete, dahingehend zu forschen ist kurzsichtig, unrentabel und dämlich.

avenga
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Mi 21. Mär 2007, 16:52 - Beitrag #44

Richtig. Aber nicht alle. Und nicht alle leben 32 Monate von ALG 1, dem eigentlichen Arbeitslosengeld. Im Gegenteil: Heute wurde das ALG 1, egal, wie alt man ist oder wie schlecht man vorher bezahlt wurde ... auf 1 Jahr gestrafft.
Der Grundsatz mag stimmen, dass wer Arbeit sucht auch Arbeit findet. Es kommt vor allem nur darauf an, was für Arbeit man sucht. Zwischen "Traumjob" und "Reellem Notjob" sollte man schon unterscheiden können.
Und dazu zählt für einen Menschen mit Abitur auch solche Arbeiten wie Putzdienst im 2-Sterne-Hotel dazu. Oder, wer sich zu fein dazu ist, der kann ja auch noch einfachste Bürotätigkeiten erledigen, wozu ich leider dazu gehöre.
(Vielleicht aber auch, weil meine Bewerbungsmotivation im Moment gegen 0 gesunken ist.)
Und viele Akademiker werden natürlich wegen "Überqualifizierung" nicht genommen. Klar. Die würden ja auch zu viel Geld fordern und die Höchstgewinne ja auch schmälern. (Okay. Stammtisch-Polemik.)

Das sehe ich genau so. Es wurden 100te von Milliarden Euro in die wirtschatftliche Strukturentwicklung von Ostdeutschland gesteckt, die momentan stagniert, weil diese Subventionen, auch "Soli" genannt, irgendwo anders "verplempert" werden müssen.
Im Gegenteil: Schaut euch doch mal Städte in Westdeutschland oder die Dörfer. Sie verfallen regelrecht. Kleine Läden sterben aus und werden durch "Ramschketten" ersetzt. Und das noch "wilder" als im Osten.
Gut. Es könnte ja auch daran liegen, dass ich ein "Wessi" bin.
Aber was für Projekte sollen das sein, Yanapaw? Projekte, die gleichzeitig dem Osten und dem Westen Deutschlands, genauer gesagt den Menschen helfen? Was für wirtschaftliche Vor- und Nachteile werden diese Projekte haben?

Also ich möchte auch als Arbeitnehmer meinen Gunsten wegen auch nicht weiter belastet werden.
Gerade als Besserverdienender hat man erst dann wieder "Freude" an seinem Gehalt, wenn man zu den "Deutschen Spitzenverdienern" gehört. Also Top-Manager, Popstars oder Showstars.
Soziale Besserstellung der Geringverdiener ist da schon okay. Aber man hätte diese Lasten ruhig auf die Spitzenverdiener umlegen sollen. Und nicht auf die nächsthöhere Einkommensgruppe.

Also wie viele Volksgruppen bzw. wirtschaftliche Vereine so denken würden, weiß ich nicht. Aber vom volkswirtschaftlichem Sinne her betrachtet, sehe ich auch nicht den Grund, warum z.B. eine Maschine, die Fehler macht, aber kein Entgelt erhält der "bessere Arbeiter" ist als ein Arbeiter, der fehlerfrei arbeitet und dafür auch noch bezahlt wird.

Das ist richtig. Daher befinden sich die Fraunhofer-Institute auch in eher strukturschwachen Regionen. Also Regionen, die mit High-Tech durchaus an die "starken" Regionen dran kommen wollen.

Yanāpaw
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So 25. Mär 2007, 18:11 - Beitrag #45

avenga schrieb:
Im Gegenteil: Heute wurde das ALG 1, egal, wie alt man ist oder wie schlecht man vorher bezahlt wurde ... auf 1 Jahr gestrafft.


Die maximale Bezugsdauer ist nach wie vor altersabhängig und beträt 18 Monate. Unterhalb der Altersgrenze von 55 Jahren wird längstens 12 Monate ALG I gezahlt. Diese Kürzung war auch in Abetracht der Anzahl der Erwerbslosen und der daraus resultierenden Ausgabelast unumgänglich. Da ich aber vornehmlich von vergangenen Arbeitnehmern, jetzigen Langzeitarbeitslosen sprach unterstellte ich die alten Bezugsdauern.

avenga schrieb:
Aber was für Projekte sollen das sein, Yanapaw? Projekte, die gleichzeitig dem Osten und dem Westen Deutschlands, genauer gesagt den Menschen helfen? Was für wirtschaftliche Vor- und Nachteile werden diese Projekte haben?


Da gibt es unzählige Modelle, abhängig vom Finanzvolumen. Zunächst muss der Schuldenabbau der BRD oberste Priorität haben, da die jährlichen Zinszahlungen die Handlungsfreiheit enorm einschränken. Aktuell macht die Zinszahlung grob ein Sechstel der gesamten Ausgaben des Bundes aus, ein Sechstel aller Mittel werden für Vergangenheitsbewältigung, ohne irgendeinen Gegenwert zu erhalten, ausgegeben. Das muss sich ändern und zwar so schnell wie möglich. Denn Schuldenabbau bringt in der folgenden Wirtschaftsperiode geringere Zinsbelastungen, die Ersparnis kann wiederum zum Schuldenabbau verwendet werden, et cetera. Der Handlunsgspielraum des Bundeshaushalts ist faktisch minimal, 95% des Haushalts sind ohne eigenes Zutun verplant, für Soziales und Zinszahlung, wie soll sich da etwas ändern? Der Investitionsrahmen muss größer werden um erfolgreich in Bildung und Forschung investieren zu können.

Des weiteren könnten Teile der eingesparten Schwachsinnsförderung genutzt werden um Steuersenkungen zu finanzieren und so die Konsumquoten zu erhöhen und die Konjunktur anzukurbeln, in Kombination mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes, besonders des Kündigungsschutz' und des Arbeitsrechts würde das sehr schnell sehr viele Arbeitsplätze schaffen, vorausgesetzt man beschneidet noch die Gewerkschaften in ihrer doppelmoraligen pseudo-sozialen Macht hinsichtlich der Wirtschaftsschädigung.

Man könnte auch Teile der Ersparnisse nehmen um die Arbeitnehmer zu entlasten, indem man die Beiträge zur Sozialversicherung staffelt und die Steuerbelastungen minimiert. Außerdem könnte man den Sparerfreibetrag verdreifachen und gleichzeitig einkommensabhängig staffeln und somit der Wirtschaft wesentlich mehr Geld zur Verfügung stellen und gleichzeitig dem einzelnen und vor allem einkommensschwächeren eine bessere Altersvorsorge ermöglichen.

Ich könnte jetzt noch zig andere Modelle vorstellen, die ich aus Jux mal durchkalkuliert habe und ihre hypothetische Funktionalität statistisch belegt habe, aber eines ist ganz entscheidend, der Ansatzpunkt sind Unternehmen und Arbeitnehmer, nicht Erwerbslose und sozial Schwache.

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