dein erster Absatz ist praktisch unwiderlegbar. Das hat seinen Grund nicht in der Qualität der vorgetragenen Gedanken - die ich im übrigen durchaus hoch einschätze - sondern darin, daß in diesen Gedanken der Interpretationshintergrund dargestellt wird, vor dem deine übrigen Gedankengänge entfaltet werden, Elemente und Voraussetzungen deines persönlichen Weltbildes mithin. Diese können geteil werden oder - wie in diesem Fall von mir - nicht geteilt werden, aber sie können nicht als das in Frage gestellt werden, als was sie gerade charakterisiert wurden.
Ein Satz wie "Der Staat ist nicht das Volk, der Staat ist der Staat und als Staat hat er Privilegien, die ihm das Volk zugesteht, oder besser nicht verweigern kann" könnte nahezu unbegrenzt diskutiert werden, es könnte zudem noch diskutiert werden, wieso du denn - so dieser Satz tatsächlich eine konsistente Beschreibung der wirklichen Sachverhalte beinhalten sollte - diese "einfach so" akzeptierst, nicht als Ausgangsvoraussetzung, sondern quasi als Fundament in Beton gegossen.
Mir fehlt sehr viel von der imo typisch deutschen Obrigkeitshörigkeit. Mein Verhältnis zum Staat findet seine Entsprechung am ehesten im Verhältnis der meisten Franzosen zu ihrem Staat - in ihrer Lust an der Renitenz, der Rebellion, und ihrer Bereitschaft, dafür auch schnell mal ein paar Millionen Menschen zusammenzutrommeln und den Champs Èlisee hochzuziehen, auf das die Parlamentsmauern zittern, was sie in der Vergangenheit auch schon genügend oft taten.
Auch mit deiner Vorgehensweise der geordneten Regelhaftigkeit der Argumentation kann ich nicht viel anfangen. Mich schert Formalkorrektheit wirklich nur sehr, sehr wenig, und immer nur in Abhängigkeit davon, was ich damit erreichen will. Dein Argument mit der Beweislast ist für mich insofern irrelevant, als ich gar nicht beanspruche, für das Volk zu reden, das mag das Volk für sich selbst tun. Ich rede nur für mich, genauso - auch wenn das ein weiterer Punkt des Dissenses sein dürfte - wie alle Mandatsträger nur für sich reden, sobald sie Maßnahmen beschließen und durchsetzen, die keine allgemeine Zustimmung finden.
Will alles sagen, ich akzeptiere deine Darlegung in diesem ersten Absatz zwar als Teilfundierung deiner Weltsicht, ich akzeptiere sie jedoch nicht als die gemeinsame Basis unseres Gesprächs, auf der sich unsere Gedanken entwickeln. Ich werde meine Gedanken entlang meiner eigenen Kriterien von Konsistenz und Stichhaltigkeit darlegen, die ich durchaus auch da willkürlich durchbreche und ändere, wo mir bestimmte Konsequenzen nicht passen. Ich verwechsle die Landkarte nicht mit dem Land, das Modell nicht mit der Wirklichkeit, und ich lasse mich nicht auf eine Verbindlichkeit festlegen, die letztlich darauf hinausläuft, daß mir sogar schon in der Theorie ungestraft die Ohren langgezogen werden dürfen^^
Vermummt an einer Demonstration teilzunehmen ist ungesetzlich. Es handelt sich um eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Selbstverständlich ist es sinnvoll Gesetze zu hinterfragen, allerdings sehe ich keine akute Notwendigkeit an der Sinnhaftigkeit dieses speziellen Gesetz' zu zweifeln. Ganz im Gegenteil, da der einzige Grund, der für eine Vermummung spräche, der ist, dass man Straftaten vorsätzlich begehen möchte
warum die Erlaubnis zu Demonstrationen nicht gleich daran binden, daß alle Demonstranten ein gut leserliches Schild mit Name und Anschrift auf Brust und Rücken tragen müssen? Sorry, so naiv bist du doch nicht wirklich^^ schalt deine Firewall aus, downloade dir einen Bundestrojaner, veröffentliche deine IP, lass deine Haustür offenstehen, wenn du das Haus verlässt, schreib die Geheimzahl auf deine Kreditkarte, du hast ja nichts zu verbergen, und es gibt schließlich keinerlei Gründe, weswegen man nicht gesehen, erkannt, durchgescannt, überwacht usw. werden möchte außer dem einen, daß man eine Straftat plant. Blödsinn^^ es gibt unzählige Gründe, nicht erkannt werden zu wollen, und das Misstrauen gegenüber dem Staat, das vielen dieser Gründe zugrunde liegt, hat sich dieser selbst zuzuschreiben, bzw. ist dem Umstand Machtmissbrauch der Träger und Bediensteten der Macht zuzuschreiben, ihren Schnittpunkten zum organisierten Verbr ... sorry, zur Lobby u.dgl.
Den Rest dieses Abschnittes deiner Gedanken lasse ich besser unkommentiert, ich erwähnte ja schon, daß die mörderische Emotionalität etwas ist, das dich mit der Antifa verbindet, und auch mit der NPD und dergleichen^^
Interessant, dass dir kurze Sequenzen reichen um die stichhaltige vermutung der Existenz von "agent provocateur" zu validieren, aber sie reichen nicht um zu validieren, dass die Situation eskaliert weil Autonome an den Demonstrationen teilnehmen.
Das ist ein Missverständnis zwischen dir und mir. Ich hege keinerlei Vermutungen über die Existenz von agents provocateurs, das ist mir sowas von schnuppe^^ ich wandt mich lediglich gegen eine Argumentation, die aus dem Nichtvorliegen forensisch hieb- und stichhaltiger Beweise auf fehlende Wirklichkeit schlussfolgert. für das allerwenigste, das mir den ganzen Tag über widerfährt, könnte ich Beweise vorlegen, aber da es mir widerfährt, weiß ich trotzdem, daß es so und so stattgefunden hat. Wenn ich durch irgendeinen dummen Zufall SEHE, daß da ein Polizist sich in einem Mannschaftstransportwagen die Polizei-Uniform aus- und Kleidung im Antifastil anzieht, WEISS ich, das das passiert ist, auch wenn ich gerade keine Videokamera dabei habe, um das zu dokumentieren.
Umgekehrt zeigen die von dir verlinkten Videos immer nur Ausschnitte, lass es zusammen eine halbe Stunde sein, die zeitlich abgedeckt ist. Eine halbe Stunde von wieviel Stunden Demonstration? Wie repräsentativ ist das? Wie sehr sind die Videofilmer darauf aus gewesen, die Entstehungsgeschichte der Ausschreitungen zu dokumentieren? Sie dokumentieren lediglich, DASS es gewaltsame Auseinandersetzungen gab - das war aber von niemandem bestritten worden.
Wenn ich dir noch meine Interpreation der "Botschaft" darlegen dürfte^^ Die Botschaft lautet: Irgendwann wehrt sich jeder.
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Einschub, betreffend Genua
Südwestpresse 15.06.07
ZitatAnfang
ITALIEN / Prozess in Genua wegen der Misshandlung von Globalisierungsgegnern
Polizist räumt Prügelorgie ein
Ein hoher italienischer Polizeibeamter hat zugegeben, dass Polizisten während des G-8-Gipfels 2001 in Genua Globalisierungsgegner brutal misshandelten.
BETTINA GABBE
ROM Sechs Jahre nach den Ausschreitungen beim G-8-Gipfel von Genua im Jahr 2001, während derer auch ein Demonstrant erschossen wurde, hat ein hoher italienischer Polizeibeamter das Schweigen über brutale Gewalttaten seiner Kollegen gebrochen. Im Prozess wegen der Misshandlung von Globalisierungsgegnern räumte der damalige Kommandant einer eigens für den Gipfel geschaffenen Sondereinheit, Michelangelo Fournier, das "Gemetzel" in der Diaz-Schule ein.
"Ich habe zwei Beamte in Uniform und zwei in Zivil gesehen, die mit Gummiknüppeln auf ein Mädchen einschlugen, dass im Sterben zu liegen schien", sagte Fournier. In der Nähe des in einer Blutlache liegenden Kopfes der jungen Frau habe einer der Beamten einen Sexualakt gemimt. Bisher habe er "aus Scham und aus Zugehörigkeitsgefühl" geschwiegen.
Gemeinsam mit Fournier sind 28 weitere Polizisten wegen der Übergriffe in der Schule, die Globalisierungsgegnern als Pressezentrum und Schlafraum diente, angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten außer Körperverletzung auch Fälschung vor. Die beiden Molotow-Cocktails, die sie angeblich in der Schule entdeckt hatten und die die in einem Blutbad endende Massenverhaftung rechtfertigen sollten, hatten die Polizisten einer Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft zufolge selbst mitgebracht. Bereits im Januar stellte das Gericht fest, die als wichtiges Beweismittel geltenden Flaschen seien "versehentlich vernichtet" worden.
Über die Gewalttaten der Polizisten bestand kein Zweifel, da 73 Personen nach der Verhaftung mit zum Teil schweren Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert wurden. Fotos und Berichte misshandelter Globalisierungsgegner sorgten weltweit für Aufsehen. Doch die Tatsache, dass erstmals ein Polizist Brutalität der Beamten einräumt, gilt in dem langwierigen Verfahren als Wende. Die Mitangeklagten wollen daraufhin jede weitere Aussage verweigern. Die Mutter des getöteten Demonstranten, Haidi Giuliani, die mittlerweile im Parlament sitzt, dringt daher erneut auf die von der Regierungskoalition vor der Wahl versprochene Einsetzung einer Untersuchungskommission.
Erscheinungsdatum: Freitag 15.06.2007
ZitatEnde
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