Und um hier nicht nur rumzuspammen, dass ich deine Beiträge zur Vermeidung von Doppelposts etwas angepasst habe, ein paar kurze, unqualifizierte Gedanken zum Thema.

Interessant, dass es immer wieder zum Fußball zurückkehrt, dieses Thema, denn eigentlich geht es um den Sport allgemein.
Auch "Brot und Spiele" wurde oft genannt.
Mir ist dazu ein lateinischer Text, Autor vergessen, eingefallen, den ich einmal in der Schule gelesen hatte. Ein junger Römer beschreibt darin, wie er von Freunden quasi gewaltsam mit ins Kollosseum genommen wird, ein Ort, den er jahrelang gemieden hatte. Der bloße Gedanke daran, dass sich die Massen daran ergötzten, Menschen beim Sterben zuzusehen, hatte ihn - völlig untypisch für seine Zeit - abgestoßen. (Ich glaube, seine Empörung hatte mehr etwas damit zu tun, wie unbeherrscht sich ansonsten kultivierte Römer benehmen können und weniger mit Entsetzen vor dem Tötungsakt). Nun, er setzte sich hin und war fest entschlossen, sich keine Sekunde lang zu amüsieren, was allerdings keine fünf Minuten anhielt. Dann riss ihn die kollektive Begeisterung der Massen mit, und er fand sich selbst wieder, als er wie von Sinnen schrie, vor Wut, wenn die Masse wütend war, vor Begeisterung, wenn die Menge jubelte ... von da an musste man ihn eher gewaltsam aus dem Kollosseum raustragen.
Ähnlich stelle ich mir ein Fußballspiel vor. Abgesehen von Beerdigungen und Gerichtssälen kenne ich keinen anderen Ort, an dem emotionale Aus- und Zusammenbrüche so erwünscht und toleriert sind wie in einem Stadion. Gestandene Männer dürfen dort heulen, völlig aus sich heraustreten, wie die Irren brüllen, sich die Klamotten vom Leib reißen, wenn es sein muss ...
Dieses Phänomen begrenzt sich in dieser Ausprägung auf den jeweiligen Nationalsport. Ich meine, beim Tennis geht es auch um Sport, um ein Auge-Auge-Duell zwischen zwei bis 4 Kontrahenten, aber das sich die Massen vor dem Fernseher und im Stadion und auf der Straße und überall versammeln, um ein solches Spiel anzusehen, das geschieht doch nur, wenn ein Spieler (Geschlecht egal) so oft gewinnen konnte, dass die Breite Masse sie wahrnimmt. Dabei geht es dann nicht mehr Tennis, ein Sport, der für den laienhaften Beobachter relativ langweilig werden kann, sondern um die Einzelperson, die da spielt und ihren Gegner. Ich kenne auch wirklich niemanden, der völlig ausflippt, während er die internationalen Curlingmeisterschaften betrachten kann. Radrennen lebt auch zu 95% von den Skandalen, zu 1 Prozent von interessanten Einzelsportlern und zu 4 % von der Tatsache, das Menschen sich bis über die Erschöpfungsgrenze hinaus quälen, um als Erster über eine Ziellinie fahren zu können.
Und ich denke, da kommt es allmählich zum Punkt. Denn warum sehen Menschen anderen Menschen dabei zu, dass diese Sport treiben?
Das Gehirn reflektiert gerne das, was es sieht. Beobachte ich jemanden beim Gähnen, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit mitgähnen. Beobachte ich, wie jemand alles gibt, um ein Ziel zu erreichen, und lasse mich darauf ein, dann fühle ich selbst den Adrenalinrausch, den Siegeswillen. Ich werde eins mit demjenigen, der dort kämpft, leidet, siegt oder verliert. Es wird mein Kampf.
Sport zu betreiben, ist die eine Sache, wichtig für Körper und Seele. Sport zu beobachten, ist die andere Sache, die stark über die Psyche wirkt, den eigenen Körper aber auch unter positiven Stress setzt. Sport ist ein Unterhaltungsfaktor, die Stars der Arena sind Künstler - ob sie ihren Job nun verstehen oder nicht.
Nun werden Spitzenkünstler teuer bezahlt. Zu Recht - sie geben ihr Privatleben, ihre Gesundheit und noch vieles, vieles mehr auf, um die Massen zu unterhalten. Ein 30jähriger Fußballer ist ein Oldie, mit spätestens 35 wird er, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zwangsberentet und kann dann höchstens noch als Trainer und Werbestar auftreten - oder sich eine neue Beschäftigung suchen.
Eine 30jährige Kunstturnerin hat in der Regel die Hüfte so kaputt, dass sie dankbar sein darf, noch ohne Rollstuhl auszukommen.
Ärzte fangen mit 30 meist erst richtig an, ins Berufsleben einzusteigen.
Sprich: Profisportler opfern Gesundheit und Jugend. Und gewiss nicht alle werden dafür mit Millionen überschüttet. Hier kommt Neid auf. Fragen nach dem "Was soll das?"
Oha, ich habe keine Zeit mehr. Okay, also erst mal Schluss hier, obwohl der Gedanke erst zur Hälfte abgewickelt ist.
Fortsetzung: Da noch kein WIderspruch, setze ich mal den Gedanken fort.
Ist es gerecht, dass ein Fußballstar Millionen kassiert, die durchschnittliche Kunstturnerin aber nur Peanuts bekommt, obwohl sie ihre Knochen genauso ruiniert?
Leider ja. Denn bezahlt wird nicht die Opferbereitschaft des einzelnen, sondern sein Unterhaltungswert für die Masse. Ein Sportler muss entweder überragende Leistung erbringen, charismatisch sein oder blendend aussehen, um zum Star zu werden - trifft alles zu, wird er zum Superstar. Dort angelangt, darf er gerne fortan jedes Spiel/Wettkampf vermurksen, man liebt ihn trotzdem, leidet mit ihm, fiebert mit ihm mit ... siehe Ballack, oder Martin Schmidt. Sie werden zu Helden, ihr Leid berührt uns, ihr Sieg reißt uns mit ...
Ja, warum eigentlich?
Der Mensch ist ein Herdentier. Wir können noch so viel auf Individualismus pochen, es liegt in unserer Natur, uns über die Gruppen, denen wir angehören, zu identifizieren. Ob das nun der örtliche Schrebergartenverein, unsere favorisierte Sportmannschaft oder unsere stolze Nation ist - das WIR gewinnt. In einer Gesellschaft, in der das ICH hochstilisiert wird, in der es mehr Singles als Familien gibt, erfahren solche Gruppenerlebnisse eine noch höhere Bedeutung.
Um mal wieder zum Punkt zu kommen: Ja, Sport ist gemeinschaftsnützig. Heutzutage eher mehr als "früher". Sowohl das betreiben als auch das Beobachten von Sport hat hohe Bedeutung für Körper, Geist und Seele.
Die extremen Summen, die hier geschachert werden, die mafiösen Tätigkeiten im Hintergrund (Wetten, Doping ...) die gewachsene Traditionen des Vandalismus, dies alles ist die negative Kehrseite der Medaille - die aufzeigt, dass es eine ebenso starke positive Seite gibt. Denn warum sollte soviel Geld für etwas gezahlt werden, dass keinen Wert hat?
Andererseits gibt es natürlich noch viel mehr Wege nach Rom. Um ein gemeinschaftliches "Wir" zu erleben, ist auch ein Rockkonzert dienlich. Oder ein Besuch in der Oper. Ich habe noch nie in einem Stadium gestanden und mich dort heiser geschrien, aber wohl schon in Theater-und Musicalrängen auf der Stelle gehopst und die Hände wund geklatscht. Gemeinschaftliches Stricken soll auch sehr beruhigend wirken.

Wenn also Politiker (die sollte man auch mal nach Marktwert bezahlen - eine Merkel hat da einiges verdient, im Gegensatz zu "wtf ist unser Landwirtschaftsminister?") hingehen und Musik- und Kunstunterricht als überflüssig deklarieren, gehören die standesrechtlich erschossen. Musik, Kunst und Kultur sind gewachsene, unersetzliche Werte einer Gesellschaft. Während Sportlerstars nach einigen Jahren in Vergessenheit geraten, können die Spitzenwerke kulturellen Schaffens die Jahrtausende überdauern. Also: Sport UND Kultur, Hand in Hand.
Gedenken wir kurz der Spartaner, die ihr Volk sowohl zu Sport als auch Bildung als auch Kriegsteilnahme zwangen ... und hoffen mal, dass sich bessere Wege zu einem Gleichgewicht finden lassen.