Fremdenhass oder Frustration - und wie damit umgehen?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Mi 29. Aug 2007, 23:36 - Beitrag #1

Fremdenhass oder Frustration - und wie damit umgehen?

Ich möchte mal auf die Übergriffe neulich in Mügeln zu sprechen kommen, bei denen auf einem Volksfest eine Gruppe von 8 Indern von etwa 50 Leuten gehetzt wurden und in letzter Minute in einer Pizzeria Schutz fanden. Dann lieferten sich die Täter eine Straßenschlacht mit der Polizei.
Der Bürgermeister und auch einige andere Politiker bewerteten das Ereignis als "Volksfestschlägerei", ein fremdenfeindlicher Hintergrund wurde weggeredet.

Als ich zuerst von dem Vorfall hörte, dachte ich an einen Vorfall, wie er aus den östlichen Bundesländern immer wieder zu hören ist - latenter Hass gegenüber Fremden, teils einfach "Andersartigen", äußert sich in Übergriffen durch meist angetrunkene Jugendliche oder junge Erwachsene, meist als der rechten Szene zugehörig zu erkennen.
Die Reaktion der Politik erschien mir als Abwiegeln, Wahren der Fassade - "bei uns doch nicht!"

Seit einigen Tagen überlege ich, ob das Focussieren auf den fremdenfeindlichen Gehalt der Tat nicht am Problem vorbei geht, welches "kollektive Frustration" heißt - ist dies die Ernte der Saat, die flächendeckendes Hartz IV ohne Perspektive hieß, nach vorangegangenen Massenentlassungen und nichtblühenden Landschaften?
Oder sitzt das Problem tiefer, ist es eine Folge der DDR-Gesellschaftspolitik?

Wie wäre dem Problem am ehesten zu begegnen - aussitzen, bis die DDR-sozialisierte Generation aus dem aktiven Alter raus ist, bis die Demographie Arbeitskräfte wieder zum Nachfragegegenstand macht, Umstellung des Arbeitslosengeldsystems,... ?

Lykurg
[ohne Titel]
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Do 30. Aug 2007, 10:26 - Beitrag #2

Jein. Wie stark aktuelle Perspektivlosigkeit gegenüber langfristigen Erscheinungen - latente Fremdenfeindlichkeit als Nebenwirkung der DDR-Erziehung - zu gewichten ist, entzieht sich einem eindeutigem Urteil. Es ist ja jedenfalls auffällig, daß sich regelmäßig ausländerfeindliche Übergriffe in Gegenden ereignen, die den deutschlandweit niedrigsten Ausländeranteil haben. Bild

Die Tatsache, daß sich dem Mob keine Anständigen entgegenstellten, ist mit Angst weitestgehend zu erklären, bedeutet also nicht unbedingt, daß ein stilles Einverständnis mit solchen Handlungen verbreitet wäre. Eine besoffene und angriffslustige Horde von Glatzköpfen bedeutet für den nicht-organisierten Zivilisten schlicht eine Überforderung. Auch die Polizei rät ja deutlich von Einmischung ab, greift selbst nur ein, wenn sie entsprechend stark vertreten ist. Hier ist natürlich deutlich darauf zu achten, daß die Präsenz und Ausstattung genügt, solchen Lagen gerecht zu werden; außerdem, daß Ausbildungsstand und geistige Führung ein Handeln der Polizisten im Sinne der pluralistischen rechtsstaatlichen Ordnung sicherstellen.

Demographische Faktoren könnten schneller (und anders) greifen als gedacht... in vielen Ortschaften in der Lausitz gibt es - ich hörte grade neulich ein Radiointerview mit einem Bürgermeister - kaum noch junge Frauen, da die - wesentlich mobiler als Männer - in den Westen oder in die Städte abwandern. Das erhöht andererseits natürlich das Frustpotential, indirekt und möglicherweise auch direkt die Aggressivität der Gesellschaft und schwächt ihre Leistungsfähigkeit immens.

Maglor
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Do 30. Aug 2007, 10:41 - Beitrag #3

Die Ausländerfeindlichkeit ist dort am Größten, wo die wenigsten Ausländer leben. ;)
Interessant ist die Theorie vom ostdeutschen Problem. Tatsächlich gibt es, was die Verbreitung des Rechtsradikalismus angeht ein Nord-Süd-Gefälle. Der demografische Faktor in Ostdeutschland spielt gewiss eine Rolle. Ich denke hier allerdings in eine andere Richtung: Während halbwegs qualifizierte junge Leute in wirtschaftlich entwickeltere Regionen Deutschlands ziehen, verbleibt der ungebildete und unvermittelbare Mob vor Ort, um sich Rotten zusammenzuschließen. Tja, Selektion. :crazy:

Ich für meinen Teil glaube, dass die politischen Ansichten von derartigen Straßenschlägern für sie selbst im Grunde nebensächlich. Ähnlich wie Hooligans pflegen sie nur ihr Hobby, welches aus einer Verbindung von Alkoholkonsum und Gewalt besteht.
Wirklich gefährliche Rechtsradikale lassen sich hingegen nicht auf Festzeltschlägereien, sinnlose Straßenschlachten etc ein, sondern fliegen nach Palstätina um sich von Profis zu Terroristen ausbilden zu lassen.

Und zur Frage, wie man damit umgeht: Kein klar denkender Mensch wird versuchen eine gewaltbereite 50 Mann starke Gruppe aufzuhalten. Es sei denn man hat zufälligerweise selbst eine Schlägertruppe dabei, die der Sache gewachsen ist. Vielleicht finden sich ja die drei Pfeile der Eisernen Front wieder zusammen. :rolleyes:

MfG Maglor

Ipsissimus
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Do 30. Aug 2007, 12:59 - Beitrag #4

ist ein typisches Multi-Kontext-Problem, was in den Darlegungen von Maglor und Lykurg ja auch klar wird.

Ob es wirklich einen Gradienten, sei es von Ost nach West oder von Süd nach Nord gibt, wage ich zu bezweifeln, oder genauer gesagt, ich sehe den Gradienten nicht in der Existenz von Ausländerfeindlichkeit, sondern in der Form, in der sie sich ausdrückt. Der formalkorrekte aber emotional bösartige Umgang von Polizei und Behörden etwa mit Asylbewerbern zählt für mich da genauso dazu wie die stille Getthoisierung oder die violente Konfrontation auf der Straße.

Und da würde ich vermuten, daß diese Form in dem Maße formalkorrekten Vorgaben entspricht, wie die Leute selbst noch etwas zu verlieren haben, wenn sie ihrer Ausländerfeindlichkeit in übergreifend-agressiver Form nachgingen. "Gute Bürger" in gesicherten Verhältnissen gehen nicht gern ein paar Jahre hinter Gitter, nur um ein paar verhasste Andere zu batschen - ein paar Beschwerdebriefe an amtierende Politiker reichen ja völlig; Ausländerfeinde, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen jede Perspektive genommen hat, sind da nicht so pingelig - und das Einprügeln auf Sündenböcke ist eine liebe alte Tradition in Deutschland.

Lykurg, das "mobil" bei den jungen Frauen klingt so positiv^^ tatsächlich werden da ganze Landstriche entvölkert, weil diese Mobilität eine durch das Versagen der Politik erzwungene ist.

janw
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Do 30. Aug 2007, 22:46 - Beitrag #5

Nun, die Tatsache, daß die Zahl der Übergriffe auf Ausländer in der Ex-DDR am größten ist, und das schon seit ziemlich Anfang der 90er, ist schon auffällig, und mensch kann leicht auf den Gedanken kommen, es hätte etwas mit der DDR-Vergangenheit der Menschen zu tun, vielleicht mittlerweile durch Frustration verfestigt. Andersrum gesagt, es fällt auf, daß in wirtschaftlich gebeutelten Regionen der Alt-BRD diesbezüglich vergleichsweise wenig passiert. Frustration herrscht dort auch, wird aber scheinbar anders ausgelebt oder als "wir sitzen alle im selben Boot" erlebt. Aber wie kommt diese Differenz zustande?

Zitat von Maglor:Tatsächlich gibt es, was die Verbreitung des Rechtsradikalismus angeht ein Nord-Süd-Gefälle.

Zumindest was dessen organisierte Forme betrifft, sicher, und da könnte es sein, daß hier in Niedersachsen die aktuelle Ruhe eine strategische ist - keine Angriffspunkte liefern, während die NPD versucht, Schulungszentren zu etablieren.

Zitat von Ipsissimus:Der formalkorrekte aber emotional bösartige Umgang von Polizei und Behörden etwa mit Asylbewerbern zählt für mich da genauso dazu wie die stille Getthoisierung oder die violente Konfrontation auf der Straße.

Prinzipiell d'accord, aber die formalkorrekte Bösartigkeit regiert vom Meeresstrand bis zum Alpenrand. Was macht den Unterschied in der Ausdrucksform, allein der Frust? Wo der Frust ebenso nichts dem Osten allein eigenes ist.

Zitat von Lykurg:Die Tatsache, daß sich dem Mob keine Anständigen entgegenstellten, ist mit Angst weitestgehend zu erklären, bedeutet also nicht unbedingt, daß ein stilles Einverständnis mit solchen Handlungen verbreitet wäre.

Zitat von Maglor:Und zur Frage, wie man damit umgeht: Kein klar denkender Mensch wird versuchen eine gewaltbereite 50 Mann starke Gruppe aufzuhalten. Es sei denn man hat zufälligerweise selbst eine Schlägertruppe dabei, die der Sache gewachsen ist.

Hinsichtlich der Möglichkeiten des Einzelnen ist dies sicher so, aber mir ging es darum, wie dem Phänomen an sich zu begegnen wäre, d.h. auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

Zitat von Ipsissimus:Lykurg, das "mobil" bei den jungen Frauen klingt so positiv^^ tatsächlich werden da ganze Landstriche entvölkert, weil diese Mobilität eine durch das Versagen der Politik erzwungene ist.

Ein Thema, über das ich auch schon länger nachdenke...oder willst Du es starten? :)

Ipsissimus
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Fr 31. Aug 2007, 09:43 - Beitrag #6

janw, ich denke, die Leute im Westen haben selbst in den sozialen Problemzonen noch viel stärker den Eindruck, etwas verlieren zu haben, als im Osten - was sollen die dort verlieren, da sie nie etwas gehabt haben. Die haben noch nicht mal eine Illusion zu verlieren; da wo aber seit Jahrzehnten mit Illusionen Politik gemacht wird, scheuen sich Menschen ganz instinktiv davor, diese zu verlieren. Natürlich kommt der ganze gesellschaftstheoretische Schmarrn dazu, keine Erfahrung mit Demokratie und Freiheit, daher anfällig für braune Rhetorik usw.; aber ich glaube, das ganze ist gar nicht so hoch aufgehängt und spielt sich auf der Ebene elementaren Lebensempfindens ab. Und das ist "drüben" bestenfalls desolat, jedenfalls bei den allermeisten.

Maglor
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Fr 31. Aug 2007, 13:14 - Beitrag #7

Zitat von janw:Nun, die Tatsache, daß die Zahl der Übergriffe auf Ausländer in der Ex-DDR am größten ist, und das schon seit ziemlich Anfang der 90er, ist schon auffällig, und mensch kann leicht auf den Gedanken kommen, es hätte etwas mit der DDR-Vergangenheit der Menschen zu tun, vielleicht mittlerweile durch Frustration verfestigt.


Ich erhelle an dieser Stelle mal die frühen 90er:

1992 Brandanschlag aus die Wohnung zweier türkischer Familien in Mölln, Schleswig-Holstein, 2 Tote
1992 Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen Mecklenburg-Vorpommern, 204 verletzte Polizeibeamte (Interessant: Festegenommen wurden 110 Wessies, 217 Mecklenburg-Vorpommeraner, 37 sonstige Ossis)
1993 Mordanschlag in Solingen NRW, 5 Tote

Von den drei großen Zwischenfällen, die ja bekanntlich eine Verschärfung des Asylrechts zur Folge hatten, fanden 2 in Westdeutschland und einer in Ostdeutschland, wobei ein drittel der Täter in Rostock-Lichtenhagen Westdeutsche waren.

Interessant ist höchstens die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. So gab es in den letzten zwei Jahren in Nordhessen zwei Gewalttaten gegen sogenannte "Linke" und an Sylvester zogen ein paar Jungs mit Fackeln durch ein Dorf und sangen das Hort-Wessel-Lied.
Merkwürdig: Wenn in Leipzig jemand verhauen wird, weil er eine Irokesenfrisur hat, kommt es bundesweit in die Medien. Kleinere Zwischenfälle (ohne Tote!) im Westen hingegen werden hingegen außerhalb der Regionalpresse ignoriert.
Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland werden von der bundesdeutschen Öffentlichkeit stärker wahrgenommen als solche im Westen.

MfG Maglor

teut
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Fr 31. Aug 2007, 17:11 - Beitrag #8

ich sehe das von weit weg.Wenn man durch die TV Programme surft findet man solche Ausschreitungen überall.Ich find das klug diese unschönen Aktionen nicht auf zu blasen.Von Spanien bis Estland von den Niederlanden bis Zypern passieren solche Dinge .Nur in Deutschland ist das wieder ein Grund sich in der eigenen Schlechtigkeit zu wälzen und Gespenster aus der Mottenkiste zu holen vor denen sich außer den Deutschen niemand mehr fürchtet.Mit diesen Fehlentwicklungen werden wir leben müssen


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