Putins Zukunft

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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Di 18. Dez 2007, 07:02 - Beitrag #21

Inzwischen sind wir ja schonmal ein ganzes Stück schlauer. Eine Verfassungsänderung scheint Putin für unter seinem Niveau befunden zu haben, stattdessen soll Dmitri Medwedew sein Nachfolger und er selbst Ministerpräsident werden. Offen ist nun nur noch, ob die Macht auf dieses Amt umgeschaufelt werden wird (was wohl weitgehend auch mit normalen Gesetzen möglich sein soll), Medwedew nur als Übergangsbauer gedacht ist oder der Pseudozar vorgeblich - oder gar, kaum vorzustellen, tatsächlich - in die zweite Reihe zurücktritt.
In Anbetracht seines Inszenierungstalent könnte ich mir die Übergangslösung, nachdem sich meine Ungläubigkeit über eine derartige Verfassungsregelung gelegt hat, am ehesten vorstellen, idealerweise noch mit einer hübschen kleinen Krise und somit Rückkehr als Retter des Vaterlandes verbunden.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

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Di 18. Dez 2007, 12:33 - Beitrag #22

Er meinte (so ein Putin-Redeschnipsel gestern in der Tagesschau), er strebe keine Verschiebung der Machtbefugnisse der jeweiligen Ämter an. - Deine Prognose in Absatz 2 halte ich ebenfalls für sehr wahrscheinlich. Der Mann ist einfach brilliant... Bild

henryN
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Di 18. Dez 2007, 13:21 - Beitrag #23

Gestern Radio gehört über Putin und höre zwischen den Zeilen die gleiche Zwangsläufigkeit wie, wenn ein Auto an der grünen Ampel steht und nicht losfährt. Egal aus welchem Grund, Unaufmerksamkeit oder das Drama eines kaputten Motors, je mehr dahinter stehen und warten müssen, werden jene hupen.

Er hat sich seine eigene "Kontigenz" bzw. Abhängigkeit und Determiniertheit geschaffen, die aber auch nur Resultat ist.....

Solange nicht genügend Prozesse und Instanzen geschaffen sind, die zum einem zu hinreichender Verteilung und Ausstausch materieller Güter im gesamtgesellschaftlichen "Organismus" und darüber hinaus ermöglichen an diesen Prozessen nicht nur aus individueller Perspektive teilzunehmen, ist Putin zwangsläufig, wenn es ein Ziel der Gesellschaft ist, stabil zu sein.
Eine langfristige Perspektive hat natürlich nur Wandelbarkeit........
Ansonsten bleibt nur Leben oder Tod.

Aber wenn er so weiter macht, ohne dass sich die ökonomischen und sozialen Systeme diversifizieren und selbst stabilisieren durch "Kommunikation", ist die nächste Krise vorherbestimmt. Ein lebender Organismus, der seinen Krankheitszustand durch Kontrolle stabilisiert, bleibt trotzdem krank. Ohne Pressefreiheit ist die Gesellschaft der Chance zur Selbsterkenntnis beraubt, die es ihr ermöglicht sich verändernden Bedingungen anzupassen bzw. besser noch, sie zu integrieren.

Die russische Kultur und auch "Philosophie" scheint mir immer noch eine Philosophie von Ordnung und Tod zu sein...... immer noch Tschechow?
Fehlt ihnen Kafka, fehlt ihnen Camus, fehlen ihnen die 68er, Kundera, Marquez, Jelinek, Luhmann........'Schuld und Sühne' ?

janw
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Di 18. Dez 2007, 16:23 - Beitrag #24

Wie zu oft nicht genug Zeit, deshalb nur kurz dies:
Zitat von henryN:Die russische Kultur und auch "Philosophie" scheint mir immer noch eine Philosophie von Ordnung und Tod zu sein...... immer noch Tschechow?
Fehlt ihnen Kafka, fehlt ihnen Camus, fehlen ihnen die 68er, Kundera, Marquez, Jelinek, Luhmann........'Schuld und Sühne' ?

Ich denke, es ist in gewisser Weise ein Problem von "kultureller Adventivität" oder Aufgesetztheit eines singulären kulturellen features. Ein Problem, das IMHO kennzeichnend ist für die ganze Globalisierungsproblematik heute - es geht um folgendes:
Die Kultur der Menschen eines Gebietes ist ein System von Einzelfeatures, Mechanismen und Algorithmen zur Behandlung der diversen Lebenssituationen und Probleme dieser Menschen und ihrer Gesellschaft(en). Grundlage dieser features sind dabei die vorhandenen Kenntnisse und Fertigkeiten, historisch begründete Trieb- und Bremskräfte sowie grundlegende Vorstellungen über anzustrebende Lebenszustände des Einzelnen und der Gesellschaften(en), also ein Grundwertekanon.
In Europa hatte sich bis etwa 1850 aus den adventiv übernommenen Techniken der Römer und dem adventiv übernommenen christlichen Glauben eine Kultur entwickelt, die diese Techniken weiterentwickelt hatte und sich wirtschaftlich von einem Naturalgütertauschhandelssystem zu einem Produktionssystem entwickelt hatte.
Das ganze auf der Grundlage des christlichen Wertesystems, das zunehmend
durch die Aufklärung zu einem System umgestaltet wurde, das dem einzelnen Menschen Freiheitsrechte zusprach.
Im 17./18.JH kamen die russischen Zaren mit dieser Kultur in Kontakt, indem z.B. Peter der Große in den Niederlanden einen Schiffbauerlehre machte, und holten sich das technische know-how Europas ins Land, um wirtschaftlich zu profitieren.
Der wertmäßige Unterbau wurde dabei jedoch ignoriert, das aus der Aufklärung resultierende freiheitliche Menschenbild samt seinen Forderungen an die Herrschaft mussten sich nicht wie in Europa allmählich durchsetzen, sondern wurden erst gar nicht bekannt.

Im Grunde besteht dieses Problem IMHO bis heute fort, der wirkliche Sinngehalt individueller Freiheitsrechte und ihrer verbindlichen Rückwirkungen auf die Machtinstitutionen sind in weiten Kreisen in Russland offensichtlich nicht im Bewusstsein verankert, man vertraut hier auf die Obrigkeit, die ihre Machtansprüche seit Anbeginn zudem religiös und pseudoreligiös untermauert hat. Wenn die heilige Mutter Kirche ihren Segen dazu gibt, wenn es der Pattei und ihren Zielen diente, wenn es der Wirtschaft und der Bewahrung und Mehrung nationaler Größe dient(e), dann folgte und folgt man ihr bedenkenlos. Kritiker haben es da schwer, so lange die Wirtschaft tatsächlich wächst - ob davon unten etwas ankommt, ist unerheblich, so lange unten nur genug Fatalismus und Ergebung gegeben sind - und so lange sie als von außen gesteuert und auf die Minderung der nationalen Größe zielend hingestellt und wahrgenommen werden.
So gesehen, ja, es fehlt IMHO in Russland der kulturelle Unterbau der Aufklärung, der das Wirtschaftssystem in Mitteleuropa maßgeblich geprägt hat, so daß hier neben einer auf bedenkenlose Besitzmehrung ausgerichteten kapitalistischen Denkungsart auch eine Verantwortungskultur gedeihen konnte, ein Bürgertum, das unternehmerische Gewinne gemeinwohldienlichen Zwecken zukommen lässt, ein unternehmeriscer Mittelstand, der zwar geschäftstüchtig ist - und im Einzelnen sicher hinterfragungswürdig agiert - aber zugleich auch immer mal Leute auf der Lohnliste mitdurchzieht, die unter McKinsey-Kriterien nicht zu beschäftigen wären.

Dieses Problem des selektiven Exports kultureller Features unter bewusster Beiseitelassung wichtiger Grundlagen - Technologie und die Ideologie des Wirtschaftswachstums und der Kapitalisierung von Zeit und menschlicher Arbeitsleistung ohne den in Europa bis vor wenigen Jahren noch mitbestimmenden Grundsatz, daß Freiheit immer an Verantwortung gekoppelt ist, Wirtschaft eine gemeinwohldienliche Funktion beinhalten muss - ist IMHO eines der grundlegenden Probleme der Globalisierung, und es trifft uns jetzt, weil diese Lightversion der europäischen wirtschaftlichen Denkungsart jetzt als Reimport zu uns zurückkehrt und auf die Reste der wertemäßigen Grundlagen trifft, ohne welche sie einst exportiert wurde - und sich anschickt, diese als unmodern, vor allem aber renditeschädlich, die schlimmstmögliche Vorhaltung des Kapitalismus an eine Sache, beiseite zu schieben.

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