Christel Wegner - zurück in die Diktatur?

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janw
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Di 19. Feb 2008, 00:35 - Beitrag #1

Christel Wegner - zurück in die Diktatur?

Christel Wegner, Abgeordnete der Links-Fraktion im Niedersächsischen Landtag und Mitglied der DKP, ist in einem Interview mit "panorama" mit Äußerungen über ihre politischen Ziele, die Stasi und den Bau der Berliner Mauer in die Kritik geraten.
Diese entzündete sich vor allem an ihrer Bemerkung, daß ein zukünftiger sozialistischer Staat auch einen Geheimdienst ähnlich der Stasi benötigen werde, um gegen Feinde des Staates vorgehen zu können.

Die Links-Partei forderte sie auf, ihr Mandat zurück zu geben, nachdem sie sich weigerte, wurde sie heute aus der Fraktion ausgeschlossen.

Die Äußerungen fielen in einem Interview für einen Beitrag zum Wiedererstarken der DKP, der sich hierfindet.

Hier die entsprechenden Zitate aus dem Beitrag:
O-Ton
Christel Wegner, DKP:„Die Linke möchte mit Reformen Veränderungen erreichen und wir sind der Auffassung:
das reicht nicht. Die Macht des Kapitals kann nur dadurch überwunden werden, dass wir
eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel bekommen.“


O-Ton
Panorama:
„Was haben Staatssicherheit und Mauertote mit humanistischem Erbe zu tun?“
O-Ton
Christel Wegner, DKP:
„Also jeder Staat versucht ja, sich sozusagen vor Angriffen von außen zu schützen.“
Rechtfertigung der Stasi und der Mauer. Kein Wort zu den Opfern. Stattdessen schlägt die
gewählte niedersächsische Landtagsabgeordnete die Wiedereinführung der
Staatsicherheit vor, wenn nach der Revolution der Sozialismus wieder eingeführt wird.
O-TonChristel Wegner, DKP:
„Ich denke, dass wenn man eine andere Gesellschaftsform errichtet, dass man da so ein
Organ wieder braucht, weil man sich auch davor schützen muss, dass andere Kräfte,
reaktionäre Kräfte, die Gelegenheit nutzen, um so einen Staat von innen aufzuweichen.“


Hier findet sich das Interview mit Christel Wegner in voller Länge.

Auf mich wirkt die Aufregung eher reflexgesteuert, etwa in dem Sinne, daß Sozialismus für die Politakteure das politische Urböse verkörpert und folglich jeder Äußerung aus diesem Umfeld mit "vade retro..." und "ecce diabolo" begegnet wird.
Problematisch ist dabei für mich eher, daß z.B. in der CSU nach wie vor ungestraft den Nationalsozialismus verharmlosende Personen integriert sind und dann und wann auch in der CDU entsprechende Positionen zu hören sind - wobei die Reaktionen recht gemäßigt ausfallen. Es sei nur an den Fall Hohmann erinnert.
Letztlich ist IMHO auch nicht zu vernachlässigen, daß die BRD durchaus auf "Bauteile", Personal, aus der NS-Diktatur gegründet war, die es bis zum Bundeskanzler, iirc auch zum Bundespräsidenten, bringen konnten, ein Hang nach rechts und ein antilinker Reflex ist der bundesdeutschen Politik also eigen.

Daneben sind die Äußerungen von Frau Wegner IMHO vorwiegend dumm - daß ein jeder Staat eine Geheimdienst für nötig erachtet, ist offensichtlich, ja aus Sicht der Machtproblematik nicht anders zu erwarten.
Aber darüber reden? Nicht einmal die Vertreter der NPD und der DVU binden Journalisten aufs Auge, daß sie sich einen andereen Staat wünschen und diesen dann auf Kräfte stützen würden, die der SA entsprechen würden.
Weshalb Frau Wegner weiterhin ihrer Deutung der Berliner Mauer anhängt, wäre spannend zu erfahren, mir nötigt es ein Seufzen und gleichzeitige Freude über die Vielfalt politischer Erklärungsmuster ab.

Gefährlich ist das alles jedoch IMHO nur der sozialistischen Sache selbst.

Lykurg
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Di 19. Feb 2008, 22:33 - Beitrag #2

Auf mich wirkt die Aufregung eher reflexgesteuert, etwa in dem Sinne, daß Sozialismus für die Politakteure das politische Urböse verkörpert und folglich jeder Äußerung aus diesem Umfeld mit "vade retro..." und "ecce diabolo" begegnet wird.
Problematisch ist dabei für mich eher, daß z.B. in der CSU nach wie vor ungestraft den Nationalsozialismus verharmlosende Personen integriert sind und dann und wann auch in der CDU entsprechende Positionen zu hören sind - wobei die Reaktionen recht gemäßigt ausfallen. Es sei nur an den Fall Hohmann erinnert.
Letztlich ist IMHO auch nicht zu vernachlässigen, daß die BRD durchaus auf "Bauteile", Personal, aus der NS-Diktatur gegründet war, die es bis zum Bundeskanzler, iirc auch zum Bundespräsidenten, bringen konnten, ein Hang nach rechts und ein antilinker Reflex ist der bundesdeutschen Politik also eigen.
War denn diese deine Reaktion nicht reflexhaft? ;)
Die "milde" Reaktion bei Hohmann bestand in Fraktions- und Parteiausschluß, Konsequenz war das Ende seiner politischen Karriere. Dazu kommt eine allgemeine Ächtung, wie sie etwa in der Zeit der Hexenverbrennung praktiziert wurde... Bild
Was Hohmann machte, war einerseits, den Umgang mit den Deutschen als "Tätervolk" zu kritisieren (Leuten mit psychologischer Vorbildung sollte klar sein, was eine solche Pauschalkategorisierung für ihre Subjekte für langfristige Konsequenzen hat), andererseits auf das Vorhandensein einer 'dunklen Seite' bei ""den Juden"" hinzuweisen (in seinem Redetext (siehe telepolis) in Anführungsstrichen), die seiner Meinung nach etwa für die Frühphase der bolschewistischen Greuel in der russischen Revolution eine Rolle gespielt habe. Hätte Hohmann den Begriff des "Tätervolks", den er infolge dieser Überlegungen für ""die Juden"" anspricht und verwirft, nicht auf kommunistische Funktionäre der frühen Sowjetunion (so etwa vier der sieben Politbüromitglieder 1917), sondern auf das heutige Israel bezogen, hätte wohl kaum ein Linker in Deutschland ihm widersprechen wollen. Bild

Ich teile die von Hohmann gezogenen Schlüsse nicht und meine, daß seine Äußerungen mißverständlich waren, zudem die von ihm angesprochenen, komplexen und konfliktträchgiten Sachverhalte offensichtlich in Deutschland nicht außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses vermittelbar sind. Dennoch halte ich den von ihm begangenen Tabubruch für weniger bedenklich und folgenreich, auch für weniger symptomatisch für eine typische Gemütslage als Frau Wegners Äußerungen. Dazu unten mehr.
Daneben sind die Äußerungen von Frau Wegner IMHO vorwiegend dumm - daß ein jeder Staat eine Geheimdienst für nötig erachtet, ist offensichtlich, ja aus Sicht der Machtproblematik nicht anders zu erwarten.
Aber darüber reden? Nicht einmal die Vertreter der NPD und der DVU binden Journalisten aufs Auge, daß sie sich einen andereen Staat wünschen und diesen dann auf Kräfte stützen würden, die der SA entsprechen würden.
Weshalb Frau Wegner weiterhin ihrer Deutung der Berliner Mauer anhängt, wäre spannend zu erfahren, mir nötigt es ein Seufzen und gleichzeitige Freude über die Vielfalt politischer Erklärungsmuster ab.

Gefährlich ist das alles jedoch IMHO nur der sozialistischen Sache selbst.
Ihre Äußerungen sind auch aus meiner Sicht dumm, zeigen aber auch, was für eine Blindheit gegenüber demokratischen Prinzipien sich aus ihrer Haltung ergibt, die eben den Sieg der Sache weit über den Menschen stellt - daneben natürlich der Wunsch, sich die Geschichte zurechtzuluegen, wie es einem gerade paßt (Mauerbau, um sich 'vor Angriffen von außen zu schützen' - ganz offensichtlich, daher ja auch die Minenstreifen und Selbstschußanlagen nach innen...

Zum einen schaden Aussagen wie diese tatsächlich der sozialistischen Sache - sie zeigen, was für Unverbesserliche dort in Parteiämtern sitzen, zeigen zugleich auch ihre dummdreiste Naivität und treiben einen Keil ins kaum frisch gekittete linke Randlager. Politisch gesehen dürfte die Aussage kurz- und mittelfristig also nach hinten losgehen.

Daneben ist sie aber auch ein bezeichnendes Symptom für eine Gesellschaft, in der der Stellenwert von Freiheit marginalisiert wird, in der zugleich ein beeindruckend großer Prozentsatz der Bevölkerung laut einer Umfrage lieber will, daß man selbst und der Nachbar beide arm sind, als daß der mehr hat als man selbst (beide aber nicht arm). Eine Gesellschaft, in der Werte wie Selbstverantwortung und Eigeninitiative kritisch beäugt werden und die starke Hand des Staates herbeigesehnt wird... Zugleich nimmt das Wissen über die DDR immer weiter ab, es werden haarsträubende Geschichtsverfälschungen für wahr gehalten und zum Teil von 150%igen Ost-Lehrern verbreitet und zementiert. Haltungen wie diese finden in den zitierten Äußerungen ihr Echo, kommen von den rotbraunen Misthaufen der Geschichte wieder ins Rampenlicht und werden Stück für Stück gesellschaftsfähig, jedenfalls ein bißchen, so in der Diskussion...
Frau Wegner wird ihre Stasi bekommen, auch wenn sie es vielleicht nicht mehr erleben und bestimmt nicht erleiden muß. Bild

Maglor
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Di 19. Feb 2008, 23:30 - Beitrag #3

Nun, ich glaube hier zeigt vor allem die Situation der Linkspartei im Westen. Während man in den neuen Bundesländern auf geschulte Kader zurückgreifen kann, betrat man in Niedersachsen, Hessen usw Neuland und nahm jene, die man halt kriegen konnte. Ich denke mal zur nächsten Legislaturperiode wird sich die Linkspartei von den wirrsten Querköpfen gesäubert haben und frank und frei als Koalitionspartner der anderen Linken zur Verfügung stehen. :crazy:

janw
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Mi 20. Feb 2008, 02:35 - Beitrag #4

Nun, wenn diese Affäre nicht gewesen wäre, hätte ich über die rechtslastigen Verwicklungen dieser unserer Bundesrepublik nur so weiterseufzt, wie ich das von Zeit zu Zeit zu tun pflege, die Aufgeregtheit anlässlich Frau Wegners Äußerungen kamen mir da deutlich aufgeschreckter vor.
Hohmann ist nur einer der Vertreter rechter Haltungen in der CDU/CSU, man denke an Koch und seine an Volksverhetzung grenzende Umfrage, an diverse CSU-Granden und was diese zu geeigneten Anlässen so von sich geben - die ein auf soziale Spaltung und Wertdifferenz von Menschen hinauslaufendes Gesellschaftsbild vertreten, das für mich weitaus gefährlicher ist als die Forderung nach grundlegender Teilhabe aller Menschen an den Gütern der Gesellschaft. (Ich sags mal ganz direkt: Ich bekomme aufgrund meiner Vorerkrankungen keine Berufsunfähigkeitsversicherung, eine der elementaren Versicherungen, die jeder, zumindest jeder Selbständige, haben sollte. Sollte mir irgendetwas berufshinderliches passieren, bliebe mir nur Hartz IV.
Wäre ich nur ein paar Jahre älter, hätte ich dieses Problem nicht, denn da gab es noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung für alle, staatlich.)

Zitat von Lykurg:Daneben ist sie aber auch ein bezeichnendes Symptom für eine Gesellschaft, in der der Stellenwert von Freiheit marginalisiert wird,

Dass Problem ist IMHO, daß Freiheit praktisch nichts mehr wert ist, wenn mensch kein Geld hat, die regelsätze für Sozialleistungen sind so knapp bemessen, daß neben Miete, essen und nicht frieren für sehr viele nichts mehr bleibt, um zu leben, leben, wie wir es verstehen - Kultur erleben, ausgehen, Menschen treffen, uns entwickeln.
Selbstverantwortung ist schön und gut, kann aber nur der auch wahrnehmen, der die Möglichkeiten dazu hat - das Geld, um sich Erlebnisräume leisten zu können, seinen Horizont erweitern zu können, vielleicht auch einfach nur, um sich neue Klamotten für ein Bewerbungsgespräch kaufen zu können.
Selbstverantwortung kann nicht wahrnehmen, wer sich nicht beweisen kann - wer keinen Job hat, ist davon weitgehend abgeschnitten. Die Angebote, die es gibt, richten sich an die üblich erfolgreichen - mindestens Realschule, deutschsprachig, in einer Stadt oder in ihrer Umgebung lebend (möglichst im Westen), unter 35 und möglichst ungebunden und mit 20 Jahren Berufserfahrung - bei Arbeitslosigkeit natürlich ohne Einbußen, was den Anschluss an die Entwicklung betrifft. Was ist aber mit den Menschen ab 48, mit Hauptschulabschluss, im Osten oder in ländlichen Regionen des Westens, mit gebrochenen Biographien, mikt Berufen, die es heute nicht mehr gibt - und sei es die Mikroelektronik der 80er Jahre? Was ist mit jenen, die mehrere dieser Merkmale in sich vereinen?

Maglor
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Mi 20. Feb 2008, 10:48 - Beitrag #5

Nun janw, ich glaube mit deinem Eindruck liegst du falsch.
Tatsächlich ist es so, dass Behauptungen nach dem Motto, die Nazis haben eine gute Familienpolitik gemacht, mehr Empörung auslösen als solche, dass die Kindergrippen der DDR eine gute Sache waren. ;)
Das Denkverbot im Bereich DDR beschränkt sich eher auf die Fettnäpfchen, in die Frau Wegner getreten ist, während das 3. Reich für einen einzigen riesigen Fettnapf gehalten wird. :P
Was allerdings stimmt, ist die Sache mit der biografischen Vergangenheit. Während die Zugehörigigkeit zur NSDAP und ihren Ablägern oder die Ausübung von Staatsämtern in den Biografien der frühen Bundesrepublikaner als gewöhnlich gilt, zieht eine SED-Mitgliedschaft einen längeren Schatten. Vielleicht liegt es daran, dass die Erben der DDR im wiedervereinigten Deutschand, der Berliner Republik, eine Minderheit bilden. :rolleyes:
MfG Maglor

janw
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Mi 20. Feb 2008, 21:49 - Beitrag #6

Gut, was Familienpolitik und vielleicht auch Autobahnen betrifft, magst Du recht haben, aber wehe, wenn das Gespräch auf Ordnung und Kriminalität und Deutsche im Vergleich zum Rest der Welt kommt...

Sicher hat zu der Akzeptanz rechtslastiger Biographien beigetragen, daß zum Aufbau der Republik dringend Menschen mit Organisations- und Führungserfahrung gebraucht wurden, und die waren naturgemäß vor allem im Bereich des NS-Establishments zu finden, die Linke war entweder geflohen oder vernichtet oder laborierte an den Folgen der Verfolgung.
Im Gegensatz zur DDR, deren Personal auf vorwiegend besetzte Positionen stieß oder sich im Osten in Konkurrenz zu den Nachwuchs-Führungskräften aus dem Westen wiederfand - da wurden politische Merkmale zum Akzeptanzkriterium.

Interessant ist in dieser Hinsicht, wie ich kürzlich irgendwo hörte, daß in der DDR nach dem Krieg mit gewissem Stirnrunzeln festgestellt wurde, daß man den dortigen Aufbau nicht ohne einen Teil "bürgerlicher" Führungskräfte werde bewältigen können. Vielleicht ein Indiz für den gewaltigen einseitigen brain drain durch die NS-Diktatur.

Maglor
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Do 21. Feb 2008, 22:45 - Beitrag #7

Zitat von janw:Gut, was Familienpolitik und vielleicht auch Autobahnen betrifft, magst Du recht haben, aber wehe, wenn das Gespräch auf Ordnung und Kriminalität und Deutsche im Vergleich zum Rest der Welt kommt...

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Personen des öffentlichen Lebens lobende Worte für die Innenpolitik der Nationalsozialisten oder die Gestapo fanden... und dies von der Öffentlichkeit einfach so hingenommen wurde. :rolleyes:


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