Ypsilanti Dilettanti?

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janw
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So 8. Jun 2008, 21:09 - Beitrag #1

Ypsilanti Dilettanti?

Vor einigen Tagen hat die Koalition von Ypsilanti in Hessen ein Gesetz beachlossen, mit dem die Studiengebühren an Hessens Universitäten abgeschafft werden sollten.
Der kommissarische Ministerpräsident Koch weigerte sich jedoch, dieses Gesetz zu unterzeichnen, da es verfassungswidrig sei, insbesondere fehle der Satz, der die engestrebte Abschaffung der Studiengebühren explizit formuliere.
Aus der Koalition kam daraufhin deutliche Kritik an Koch auf, er hätte dies doch im Zuge der Gesetzgebung monieren können, er habe die Koalition gezielt auflaufen lassen. Mittlerweile kursieren einige Erklärungsversuche, wie es zu dem Fehler gekommen ist, u.a. ist von einem Computerfehler die Rede.

Ich muss sagen, daß ich erst an einen schlechten Scherz glaubte, als ich zuerst von der Affäre hörte - eine Gesetzesvorlage ohne den eigentlich inhaltsrelevanten Satz, hat es das schon mal gegeben?
Und Koch ist ja nun nicht gerade als jemand bekannt, der seinen politischen Gegnern Steine aus dem Weg räumt, eher als ein "augebufftes Schlitzohr", wenn nicht Schlimmeres. Von ihm, politischem Gegner in der konkreten Sache dazu, hier Nachhilfe zu erwarten, ist alles, nur nicht vertrauenserweckend.

Ist dies nun symptomatisch, für Ypsilanti oder die SPD, Grüne und Linke als Ganzes, oder ein Ausrutscher, ein Betriebsunfall?

Lykurg
[ohne Titel]
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So 8. Jun 2008, 23:50 - Beitrag #2

Ich halte die ganze Sache für einen Betriebsunfall. Daß beim Kopieren verschiedener Fassungen ein Satz nicht mitkopiert wird, kann doch wohl recht leicht passieren; daß letztlich kaum ein Parlamentarier die Gesetze durchliest, über die er abstimmt, ist bekannt (und jedenfalls wenn x Fassungen fast wortgleich sind, auch irgendwo verständlich). Wohl kaum jemand der Verantwortlichen konnte ein Interesse daran haben, sich und seine Partei in diesem Maße zu blamieren. (Oder sollte jemand gehofft haben, daß Koch es übersieht, unterschreibt und dann selbst blamiert ist? Ein viel zu riskantes Unterfangen gerade bei so einem rotrotgrünen Vorzeigeprojekt!)

Derartiges kann jederzeit und so ziemlich jedem passieren; trotzdem hatte Koch natürlich gute Gründe, die Situation so auszunutzen, du nennst sie ja selbst. Von ihm einen diskret-freundlichen Hinweis zu erwarten, damit dieses Projekt gegen ihn durchgesetzt werden könnte, wäre ja irgendwie auch eine übermenschliche Aufgabe gewesen. Nur, daß sein Schritt ziemlich nach hinten losgehen könnte: Die mühsam erreichte Harmonie mit den hessischen Grünen ist erstmal wieder dahin; Ypsi zwar in die Ecke getrieben, aber zusammen mit ihren beiden Wunschpartnern. Ich bin gespannt, ob jetzt eine Jagd auf 'den Schuldigen' läuft, ob Ypsi das als Anlaß sieht, sich (nochmal) zur Wahl zu stellen oder Koch, die Unregierbarkeit zu proklamieren -> Neuwahlen...

Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 9. Jun 2008, 09:22 - Beitrag #3

ist mir was entgangen? welche Koalition von Ypsilanti könnte in Hessen ein Gesetz beschließen?

janw
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Mo 9. Jun 2008, 17:21 - Beitrag #4

Naja, mit Koalition meinte ich diesen knappst mehrheitsfähigen Zusammenhang aus SPD, Grünen und Linkspartei.

Maglor
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Mo 9. Jun 2008, 22:29 - Beitrag #5

Nun, die Oppositionsmehrheit macht in Hessen nun die Gesetze. (Einige Sozialdemokraten finden es wohl offenbar aufrichtiger mit der Linken eine inoffizielle Koalition zu bilden und ohne Regierungsverantwortung "Dinge" zu beschließen.)
Dilettantische Gesetze haben in Hessen übrigens Tradition; so verfasste ja die CDU-geführte Regierung einst auch, dass Gesetz zur Einführung allgemeiner Studiengebühren, wohlwissend um die verfassungsrechtlichen Zweifel. Ob Studiengebühren in dieser Form der hessischen Verfassung widersprechen, dürfen natürlich die Gerichte prüfen.

Das ist doch Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus! Ich hätte so etwas ja in der deutschen "Parteiendemokratie" ja nicht mehr für möglich gehalten. In Hessen haben wir nun den interessanten Fall, dass eben nicht die Mehrheit der Abgeordneten durch Fraktions- oder Koalitionszwang an die Regierung und ihre Vorschläge gebunden. Regierung und Landtag kontrollieren sich gegenseitig.
In bundesrepublikanischer Tradition gibt es ja eigentlich keine Trennung von Legislative und Exekutive; Hessen könnte ja ein Vorbild sein.
MfG Maglor :rolleyes:


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