Links und rechts - was is'n das?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Padreic
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Mi 14. Mai 2008, 22:44 - Beitrag #1

Links und rechts - was is'n das?

Angeregt durch den Gebrauch dieser Termini im Nachbarthread über die 5-Parteienlandschaft und auch dadurch, dass ich mich neulich mal (wieder) gefragt hab, wie ich mich politisch einordnen würde, die folgende Frage: Links und rechts - was is'n das?

Ist jemand der sagt "Arbeit und/oder Sozialleistungen zuerst für Deutsche" oder "Man muss verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen" sagt rechts? Wie steht's mit "Türken, die kein Interesse an Bildung und ehrlicher Arbeit haben, brauchen wir hier nicht.", "Jeder, der in Deutschland auf Dauer eine Aufenthaltsgenehmigung haben will, muss die deutsche Sprache beherrschen und Grundkenntnisse über die deutsche Kultur haben."und "Deutschland muss eine starke Stellung in der Welt haben."?

Nach ähnlichen Fragen könnte man auch für die Linke fragen. Mich interessiert aber eher eine allgemein Einordnung. Wer schlicht antworten will, dass die Begriffe heute nicht mehr zeitgemäß sind oder dergleichen, soll bitte noch gleich mitliefern, weshalb er sie dann benutzt und welchen Zweck er damit verfolgt. Und auch interessiert mich, wie man erklären kann, dass sich Linke und Rechte an ihren Enden immer wieder so verblüffend ähneln...

janw
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Do 15. Mai 2008, 00:44 - Beitrag #2

Die Bezeichnungen gehen bekanntermaßen auf die Sitzordnung in irgendeinem Parlament des 19. JH zurück, wo die Sozialisten links und die Bürgerlichen bzw. "konservativen" rechts saßen.
Für mich bedeuten sie so etwas wie ein Integrat von Haltungen bezüglich des Menschen, grob die Betonung des Sozialen am Menschen, der Bedeutung von Gesellschaft für den Menschen und seiner Verantwortung für seine Mitmenschen auf der linken, die Betonung des Individuellen am Menschen, der Bedeutung individueller Freiheit und Eigenverantwortung auf der rechten Seite.
Letztlich kommt aber die Linke nicht ohne einen Diskurs über individuelle Freiheit aus - spätestens wenn der Staat als Mittler zwischen Gesellschaft und Individuen auf den Plan tritt und normativ Verantwortungsverhalten erzwingt -, wie auch die Rechte nicht ohne den Diskurs über soziale Verantwortung auskommt - spätestens wenn den freien Individuen bewusst wird, daß individuelle Freiheit ohne eine gesellschaftliche Verfasstheit aka Staat zu einem Haifischbecken führt - man könnte sagen, daß diese beiden Haltungen bestenfalls zwei Seiten einer Medaille sind, wenn nicht gar das eine nicht ohne das andere zu denken ist.
Ob eine Konvergenz in gedanklicher Hinsicht besteht, wäre IMHO näher zu ergründen, in praxi ergibt sie sich jedoch, weil die extrem linke wie auch rechte Position argumentativ auf die jeweils andere rekurriert und sich bei ihr bedient. Darauf bezieht sich der Begriff der Konvergenztheorie.

Ipsissimus
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Do 15. Mai 2008, 10:22 - Beitrag #3

das "Parlament" war die französische Nationalversammlung am Vorabend der Französischen Revolution, und es saßen vom Rednerpult aus gesehen die Königstreuen auf der rechten Seite und die Bürgerlichen auf der linken Seite. Und während die Königstreuen im Prinzip nur die vom König geforderten Steuererhöhungen abnicken wollten (und vielleicht so nebenbei noch auszuloten suchten, welche neuen Privilegien für sie dabei rausspringen könnten), wünschten die Bürgerlichen über weit mehr zu reden als nur über Steuererhöhungen. Sie erhofften sich von der Nationalversammlung eine eindeutige Weichenstellung hin zu einer geänderten Gesellschafts- und Staatsstruktur, was sich in den drei bekannten Schlagwörtern niederschlug.

Ich halte die links/rechts-Differenzierung für wenig aussagekräftig. Die Unterscheidung, die jan vorschlägt, hat zwar einiges für sich, scheitert aber z.B. an der Beobachtung, dass viele "Rechte" genau so wie viele "Linke" den "starken Staat" fordern, nur eben mit unterschiedlicher Zielgebung. Für die Rechten scheint ein starker Staat ein Selbstzweck zu sein, für die Linken das Mittel zu seiner eigenen Überflüssigmachung. Das Endziel wäre also ein anderes, bei ähnlicher Methodik des Vorgehens. Dieses mutmaßliche Endziel der Linken ist aber wiederum desavouiert durch die ehemaligen Machtträger der Länder des realen Sozialismus und Chinas, welche Staatsformen etablierten, die hinsichtlich Privilegienbildung und Leid der nichtprivilegierten Volksteile allen Vergleichen mit faschistischen Staaten standhalten. Ein eher realistisches Endziel der "westlichen Linken" könnte also vielleicht sein, den Staat soweit umzugestalten und nach dieser Umgestaltung soweit zu stärken, dass er als Bollwerk gegen die brachialkapitalistische Vereinnahmung der Gesamtbevölkerung als Mittel zum Zweck der Privilegienträger fungiert. Die SPD in Deutschland wäre damit eindeutig nicht mehr "links".

Die Betonung der Eigenverantwortung wiederum ist innerhalb der links/rechts-Dichotomie eigentlich ein Störelement seitens Liberalismus/Neoliberalismus, das allerdings mittlerweile von beiden Seiten wiederum für eigene Zwecke integriert wurde.

In postmodernen Gesellschaften - um das böse "post"-Wort endlich zu bringen - ist das Lager ohnehin scheissegal. Es bedient mensch sich der Einzelargumente, deren er zum Erreichen seines Zieles bedarf, ungeachtet irgendwelcher apokryphen Forderungen von Berücksichtigung des Kontextes, und somit ist das Ende dahingehend erreicht, dass wir in einer Mixtur von beliebigen Zutaten alles intentionsabhängig erklären und begründen können. Niemand muss mehr bei irgendetwas ein schlechtes Gefühl haben, und diejenigen, die die Zeche bezahlen, meine Güte, tja, die zählen nicht^^


Ist jemand der sagt "Arbeit und/oder Sozialleistungen zuerst für Deutsche" oder "Man muss verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen" sagt rechts? Wie steht's mit "Türken, die kein Interesse an Bildung und ehrlicher Arbeit haben, brauchen wir hier nicht.", "Jeder, der in Deutschland auf Dauer eine Aufenthaltsgenehmigung haben will, muss die deutsche Sprache beherrschen und Grundkenntnisse über die deutsche Kultur haben."und "Deutschland muss eine starke Stellung in der Welt haben."?


so jemand ist für mich bestenfalls ein fehlgeleiteter Nationalist, schlimmstenfalls ein Rassist und/oder Faschist, und in jedem Fall dumm (wobei ich Dummheit nicht als Gegenteil von Intelligenz auffasse, sondern als Gegenteil von Weisheit. Das Gegenteil von Intelligenz wäre Debilität). Dass er dumm ist, schließt nicht aus, dass er möglicherweise auch noch debil ist, aber das ist nicht zwangsläufig notwendig.

Maglor
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Do 15. Mai 2008, 13:06 - Beitrag #4

Zur Begriffsgeschichte:
Ich finde es bedauerlich, dass sich dieses dämliche links und rechts durchgesetzt hat. Gerade die Französische Revolution als Mutter des republikanschen Parlamentarismus hat doch viel ulkigere Bezeichnungen für politische Strömungen gefunden. Es wäre noch urkomisch, wenn es statt der Linkspartei eine Deutsche Jakobiner-Partei geben würde. Benannt nach dem Jakobi-Kloster dem historischen Materialismus vertreten, wäre sicher urkomisch. :crazy:
Viel treffender wären doch auch die Bezeichnung Bergpartei, die im Nationalkonvent die Jakobiner und ihre Anhänger bezeichnete. Gegenläufige Strömungen nannte man treffenderweise Ebene oder Sumpf. Dies wären doch ideale Kampfbegriffe für die Schlammschlacht? :crazy:

Ansonsten ist links und rechts in erster Linie eine Frage der Klubzugehörigkeit. Die ursprünglich damit verbundenden politischen Strömungen haben damit nichts mehr zu tun.
Den starken Staat oder wahlweise die Freiheit des Einzelnen betonen die unterschiedlichsten Lager. Auch die simple Definition, die Linke wären die Sozialisten und die Rechten eben nicht, zerplatzt beim Begriff des Nationalsozialismus, dem Inbegriff der Rechten, wie eine Seifenblase.
Da bleibt am Ende nur ein nettes Gut-Böse-Schema: Die Linken oder Rechten sind eben die "anderen", und genau deshalb sind nach altvorderer KPD-Logik die Sozialdemokraten auch Sozial-Faschisten. Ebenso tituliert Hitler in seinen Tischreden den Adel als blaue Internationale und zielt auf den Vergleich mit den Komintern.

Aber heutzutage haben sich die Politiker der Nicht-Splitter-Parteien ja von solch dummen Phrasen verabschiedet, bis auf ein paar anachronistische Ausrutscher in Wahlkampfzeiten. Heute ist die Mitte das Allein-seelig-Machende und Links und Rechts zusammen sind doch ein viel bedrohlicheres Feindbild. :boah:

Traitor
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Mo 9. Jun 2008, 23:06 - Beitrag #5

Archiv-Lektüre zum Thema:
WASG - Eine rechtskonservative Partei?
Was ist heute konservativ?
Links gegen Rechts

Für völlig überholt halte ich die Aufteilung nicht. Die derzeitige völlig mattgestellte Große Koalition mal außen vor, sehe ich zwischen den Reformen bzw. Reformplänen einer Regierung Schröder einerseits und der CDU im letzten Wahlkampf andererseits noch einen merklichen Mentalitätsunterschied. Erstere schien bei allen Fehlern doch noch in der schweren Situation den Staat so anpassen zu wollen, dass er dem Volk am nützlichsten ist, letztere dagegen einen abstrakten Plan für den Staat zu haben, dem sich das Volk fügen solle.

Auf den ersten Blick scheint der heute eher rechts verortete Liberalismus dem gerade nicht zu entsprechen, auf den zweiten passt er mit seinem Grundgedanken, jeder werde das schon schaffen und wenn nicht, sei er es halt nicht wert, genau dazu. Nur in der extremen Linken geht es dann auch in diese Richtung, da jeder Extremismus eben zuvorderst intolerant gegen Nichtfolgenwollen oder -können ist.

Zusammenfassend finde ich dies jedoch ein recht brauchbares Kriterium: Volk für den Staat oder Staat für das Volk.

Die Ausländerthematik halte ich dabei für eigentlich relativ unabhängig von diesem und anderen möglichen oder verbreiteten Charakteristika des Spektrums. Sie passt nur eben so wunderbar zum starken Staat und/oder Recht des Stärkeren, wovon man zumindest eines auf rechts (außen) sicher findet.

Dabei würde ich die von Padreic eingeworfenen Aussagen auch nichtmal grundsätzlich verdammen. Jede von ihnen enthält einen mehr oder minder großen Funken Wahrheit und wird erst durch Kontextlosigkeit, Akkumulation, engstirniges Vertreten und fragwürdige Begründungen zur Tumbheit. Daher sind sie, sieht man von simplem gutmenschlichen Entsetzen ab, auch so bedauerlich schwer zu kontern.

Maglor
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Mo 9. Jun 2008, 23:53 - Beitrag #6

Links und rechts sind eben ein recht grobes Raster. Ich denke liberal an sich, ist da nur schwer einzuordnen. Häufig werden die Begriffe und ihre Unterschiede deutlicher, wenn man Antonyme sucht.
[align=center]liberal vs. autoritär[/align]
Dem geneigten Leser wird wohl sicher auffallen, dass es z.B. sowohl links als auch rechts autoritäre und liberale Strömungen gibt.
Die anderen Begriffspaare sind nicht so einfach. Vielleicht sind meine Päärchen auch falsch. :rolleyes:
[align=center]konservativ vs. reformoriert/modern[/align]
[align=center]sozial va. aszoial? egoistisch??[/align]
Es nicht immer ganz einfach. Die CDU würde ich dann mit den Makeln Konservativ, Asozial und Autoritär versehen. Bei den Grünen wird es ja schon schwierig; sie sind auch der einen Seite ultramodern auf der anderen wertkonservativ, je nachdem ob es gerade um die Homo-Ehe oder Gentechnik geht. :crazy:

Ipsissimus
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Di 10. Jun 2008, 10:22 - Beitrag #7

dass Schröder bei irgendeiner seiner politischen Entscheidungen und Weichenstellungen das Wohl der Gesamt-Bevölkerung im Sinne hatte, bestreite ich entschieden, und das auch hinsichtlich des gesamten neoliberalen Flügels der SPD. Er war nur noch nicht so deutlich in seiner Darstellung wie andere, die wesentlich ehrlicher davon sprachen, dass die "Leistungsträger" bevorzugt zu bedenken seien, aber das war wirklich nur eine Darstellungsfrage, in der Sache hatte er damit keinerlei Probleme. Die letzte gelegentlich rötlich schimmernde SPD war die von Willy Brand und Herbert Wehner


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