Quo vadis Landwirtschaft und Ländliche Räume?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Fr 20. Jun 2008, 21:43 - Beitrag #1

Quo vadis Landwirtschaft und Ländliche Räume?

In der EU gibt es große Gebiete, die wirtschaftlich vor allem durch Landwirtschaft geprägt sind, dazu oft etwas verarbeitende Industrie wie Zuckerfabriken, Konservenfabriken, Mühlen, Schlachtbetriebe usw. und Handwerk. Vielfach stellt der Tourismus ein zweites wichtiges Standbein dar.
In sehr vielen dieser Räume ist die Arbeitslosigkeit deutlich erhöht, insbesondere höher Qualifizierte finden nur in Ballungsgebieten entsprechende Arbeit, außerdem herrscht dementsprechend oft eine starke Abwanderung in die Ballungsräume, oder es wird in diese gependelt, und dementsprechend oft eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung.

Nun ist die Landwirtschaft der am stärksten subventionierte Wirtschaftszweig in der EU, und vielfach wäre ohne die Subventionen die Landwirtschaft in diesen Gebieten nicht mehr konkurrenzkräftig, vor allem im Vergleich zur Großflächenwirtschaft der USA, Russlands, Brasiliens oder Argentiniens.
Es wäre absehbar, daß ohne diese Subventionen die bestehenden sozialen Probleme dieser Räume sich verstärken würden, verstärkte Abwanderung der Jungen und Überalterung der Bleiber wäre die Folge.

Nun wird andererseits die Subventionspraxis stark kritisiert, Marktwirtschaftler sehen in ihr eine unangemessene staatliche Einflussnahme - was irgendwo nicht rentabel zu produzieren ist, wird dort eben nicht produziert, und gut - und für viele Länder in Afrika und Südamerika bedeuten die durch die Subventionen gestützten niedrigen Preise der produzierten Güter eine Barriere, um ihre Produkte in Europa vermarkten zu können, umgekehrt stellen die in diesen Ländern vermarkteten Überschüsse der europäischen Produktion mit ihren niedrigen Preisen eine unerwünschte Konkurrenz dar.

Die Frage, die sich mir nun stellt, ist, wie diese Situation verbessert werden könnte, wie könnte eine alternative Förderung der ländlichen Räume aussehen, die den Menschen dort weiterhin ein Auskommen sichert, andererseits aber ohne die negativen Außenwirkungen auskommt?
Oder soll die marktwirtschaftliche These gelten, daß wo eben kein Wert geschöpft werden kann, eben nichts produziert werden soll - ist eine Entsiedelung Vorpommerns, des Wendlandes, der Mittelgebirge, Frieslands, der Corbieres, der Bretangne und der Vogesen die Lösung?

Maglor
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So 22. Jun 2008, 10:19 - Beitrag #2

Wichtig fände ich an der Stelle zu beachten, inwieweit die die Landwirtschaft an sich überhaupt als Arbeitgeber im ländlich Raum zur Verfügung steht. Ich lebe in einem nicht gerade winzigen Dorf mit vielleicht 900 Einwohnern.
Rundherum werden die Felder intensivbestellt und in den Ställen werden ein paar Tausend Schweine gemästet.
Tatsächlich gibt allerdings nur 3 Vollerwerbshöfe! In Lohn und Brot der Landwirtschaft stehen also tatsächlich nicht einmal 20 Menschen, Angehörige inklusive. :rolleyes:
Steht die Subventionen denn bitte in irgendeinem Verhältnis zum Nutzen? Wer jetzt die Landschaftpflege nennt, soll mir mal bitte verraten, was die jetzige Landwirtschaft mit Landschaftspflege zu tun hat! Jüngste Veröffentlichungen zur EU-Flächen-Subvention zeigten ja, dass der alte Adel und grundbesitzende Industrie in Deutschland Haupt-Nutznießer der Flächensubventionen sind.
Tatsächlich betreibt die EU mit ihren Landwirtschaft-Subventionen etwas, dass Karl Marx wahrscheinlich als "landwirtschaftliches Kindsmord" bezeichnen würde. Tatsächlich ist es so, dass die EU z.B. den Export von Milch noch immer subeventioniert, gleichzeitig die Produktion. So wird europäische Milch unter dem Preis verkauft und in Afrika ist sie billiger als einheimische Milch nicht subventionierter, weniger leistungsstarker Kühe. So geben dort immer mehr Bauern das Milchgewerbe auf, weil sie gegen das Milchpulver aus Europa keine Chance haben. Da diese Staaten ja kaum Infrastruktur und Bildung haben, wäre ja Landwirtschaft neben Menschen- und Drogenhandel die einzige Devisequelle, wenn der Boden nicht mit Öl, Diamanten oder Uran besegnet ist. :crazy:

janw
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So 22. Jun 2008, 20:05 - Beitrag #3

Nun, was die direkte Brötchengeberschaft betrifft, hast Du sicher recht, aber wenn man die ganzen nachgelagerten Bereiche einbezieht, kommt man schon dahin, daß die Landwirtschaft der tragende Wirtschaftszweig ist, ohne den es den Landhandel nicht gäbe, keine Landmaschinenwerkstätten, keine verarbeitende Industrie, ohne die Handwerksbetriebe einen wichtigen Auftraggebersektor mit laufendem Bedarf nicht hätten, und daran hängen dann wieder privater Konsum, Gaststätten, Schulen, Kindergärten,...

Ich gebe Dir natürlich recht, daß die vielbeschworenen bäuerlichen Familienbetriebe (hab hier im Dorf 7 Stück davon) nur den kleineren Teil des Subventionskuchens abbekommen, allerdings muss man auch sehen, daß es die z.B. in Vorpommern aus historischen Gründen kaum gibt, die jetzigen Betriebe dort sind Nachfolger der LPGen mit entsprechender Struktur und großflächiger Wirtschaftsweise. Nur würden gerade die Familienbetriebe ohne Förderung zuerst verschwinden, auf meinen Landkreis bezogen könnte das eine deutliche Verringerung der Nutzfläche durch Beschränkung auf die besten Böden bedeuten, aber auch in Vorpommern hängt die Landwirtschaft deutlich am Subventionstropf.

Die Frage ist eben, wie die ländlichen Räume weiterhin gestützt werden können, ohne diese ausgrenzenden Effekte auf andere Regionen zu erzeugen - wäre es eine Lösung, die Preise für Lebensmittel so weit zu erhöhen, daß die afrikanischen Bauern mithalten können, und wie verhindert man, daß z.B. eine Umstellung auf Rohrzucker eine Ausweitung der Anbauflächen in Brasilien hervorruft, auf Kosten der Campos cerrados und der tropischen Regenwälder?

Maglor
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So 22. Jun 2008, 20:44 - Beitrag #4

Also, in was für einem Deutschland lebst du den bitte?
Eine kleine Landwirtschaft, so wie die "meine", rentiert sich quasi überhaupt nicht. Vor Jahren mästeten wir noch bis 80 Schweine. Das Problem ist aber, dass sich dies auf Grund der stark schwankenden Preise nicht mehr rechnete. Mitunter waren die schlachtreifen Mastschweine nur geringfügig teurer als eben die Ferkel. Je nachdem, ob Seuchen gerade den Preis in die Höhe getrieben haben oder nicht. Noch extremer waren die Ausfälle bei Rinder, die zu Blütezeiten der BSE-Hysterie, die Preise gänzlich im Keller lagen. Mittlerweile befinden wir uns mit unsrer kleinen Landwirtschaft aus Gründen des Seuchenschutzes am Rande der Legalität. Offiziell ist unser Neben- und Durcheinander von Rindern, Schweinen, Enten und Hühnern wahrscheinlich verboten. :rolleyes:
Was von der Landwirtschaft abhängige Betriebe betrifft, so zitierst du offenbar Zustände aus 70ern. Der Landhandel ist quasi tot. Früher gab es z.B. in jenem Dorf eine Raiffeisen-Niederlassung, die Futtermittel vertrieb. Heute ist das Vergangenheit! Vollerwerbsbetriebe beziehen ganze LKW-Ladungen. Für Kleinabnehmer haben Baumärkte und Gartenhändel weitgehend die Lücke gefüllt. Vor kurzem musste ich auch feststellen, dass nahezu alle Geflügelhändler nur noch bei einer Mindestbestellmenge von 50 Hühnern liefern. Und wenn ich das eifrige Treiben der Vollerwerbslandwirte betrachte, so nutzen sie ihre durch vollautomatische Fütter- und Melkanlagen gewonnene Zeit dafür ihre Traktoren selbst zu reparieren oder nebenher eine Gaststätte oder einen Party-Service zu betreiben.
Vielleicht sollte ich noch mal beschreiben wie so ein "Familienbetrieb" aussieht: In meiner Verwandtschaft gibt es zwei Vollerwerbsbetriebe. Bauer und Ehefrau sind beide ganztägig im Hof beschäftigt. Beide mästen über tausend Schweine. Sonstige Nutztiere sind nicht vorhanden. Das Futter wird zum Teil selbst angebaut, außer natürlich transgenes Soja aus Übersee. Die Anbaufläche ist vor allem deswegen unverzichtbar, um genügend Fläche zur Gülle-Entsorgung zu haben. Mist fällt übrigens nicht an, da moderne Schweine auf Spaltbäuden leben.
Als Zuerwerb hat der eine ein Logistik und Landhandel unternehmen, fährt Kunstdünger und Getreide quer durch Deutschland. Der andere betreibt eine "bäuerliche" Gaststätte. Gut das die Stadtkinder nicht wissen, dass die Kartoffeln aus dem Großhandel kommen, und nicht einmal ahnen, dass Schweine nicht nur aus Schnitzel bestehen. Folglich kann die eigene Hausschlachtung auch nicht den Schnitzel-Bedarf großer Festlichkeiten decken.
Über zwei Ecken verschwägert bin ich noch mit einem richtigen Landwirt ohne Gewerbe, Hofladen, Baggerverleih und Partyservice. Tatsächlich hat der junge Mann auch nochmal tausend Schweine mehr und rechnet in Hektar und nicht mehr in Morgen.
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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So 22. Jun 2008, 21:15 - Beitrag #5

Naja, ich hab hier 7 Bauern im Dorf, die alle über die Runden kommen, mit einem Mix aus Milchvieh, Schweinen, Zuckerrüben, Kartoffeln, Getreide und Silomais.
Das Getreide dient zum guten Teil als Viehfutter, daneben aber auch Braugerste und Brotweizen.
Sicher hat die Schweinehaltung in den letzten Jahren zugenommen, bis hin zu einer regionalen Kreislaufwirtschaft von Ferkel"produktion" bis Endmast, und sicher ist Soja ein wichtiger Futterbestandteil, aber die anderen Sektoren sind nicht zu vernachlässigen.

Maglor
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So 22. Jun 2008, 22:11 - Beitrag #6

Ich vergaß zu erwähnen, dass ich über das Zentrum der deutschen Schweineproduktion schrieb. In keiner anderen Gegend Deutschlands gibt es mehr Schweine im Verhältnis zur Einwohnerzahl. :P
Interessant wäre noch zu wissen, inwieweit die sieben Bauern denn tatsächlich Vollerwerbsbauern sind. In meinem Dorf gibt es auch deutlich mehr Bauern im Nebenerwerb. Und in deren Höfen steckt wahrscheinlich auch mehr Idealismus. Mitunter erfüllen sie auch noch die Ideale bäuerlicher Selbstversorgung.
Interessant ist vielleicht noch, dass es in der Landwirtschaft fast keine versicherungspflichtigen Angestellten sind. Familiäre Helfer werden häufig gar nicht bezahlt. Ansonsten läuft das meiste auf 400€-Basis oder gleich schwarz. Und die Erntehelfer stammen ja bekanntlich aus Ländern jenseits der Oder. Und die landwirtschaftliche Renten- und Krankenkasse ist ebenfalls hochsubventioniert, wird als nicht durch Versichtertenbeiträge sondern durch Steuermittel finanziert.
Wenn es darum gehen soll, Leute in Lohn und Brot zu stellen, wäre wahrscheinlich eine höhere Subvention von öffentlichem Nahverkehr, Breitband-Internet oder Alten- und Krankenpflege eine weit aus effizienter Beitrag für mehr Lebensqualität und Beschäftigung auf dem Lande.

Ich glaube nicht, dass die Landwirtschaft das Land noch retten kann. Der letzte Strohhalm, die Bioenergie, ist ja zerplatzt wie eine Seifenblase. Hier wurde ja auch der ganze Unsinn der Subvention deutlich. Rapsanbau rechnet sich natürlich, wenn man den Anbau von Raps, dessen Verarbeitung und auch noch dessen Vertrieb subventioniert. Zu dumm, dass bei Saat, Ernte und Veredelung ungefähr genauso viel Energie verbraucht wird, wie am Ende rauskommt. Wenn dann natürlich der Traktor noch mit steuervergünstigtem Mineralöl überteuerten Bio-Sprit produziert... :crazy:
Schlimmer noch ist ja das Bio-Gas. Das Modell-Dorf Jünde in Niedersachsen versorgt sich komplett selbst mit Energie. Zu dumm nur, dass nun ungefähr 50% der Anbaufläche für die Vergasung herhalten müssen. Und was wollen wir dann bitte essen? Wir können auch gleich mit Banknoten heizen.

Viel schwerwiegender ist die Demografie. Die Vergreisung schreitet im ländlichen Raum viel schneller voran. Zusätzlich wandern viele qualifizierte Fachkräfte in urbane Zentren aus und zurück bleiben vor allem jene Teile der Bevölkerung, die quasi nicht vermittelbar sind.
Die Holländer sind uns natürlich wieder Lichtjahre voraus und haben bereits ein ein Modell für die Zukunft des ländlichen Raumes entwickelt.
MfG Maglor

janw
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So 22. Jun 2008, 22:39 - Beitrag #7

Nun, vielleicht sind die Verhältnisse in Hessen anders...hier ist die Schweinehaltung noch in einem erträglichen Rahmen, es gibt aber Potentialabschätzungen und darauf basierende Überlegungen zur Ausweitung, die bedenklich stimmen.
Die Landwirte in meinem Dorf sind alles Vollerwerbsbetriebe.

Hinsichtlich Bioenergie stimme ich Dir zu, so wie man sich das gedacht hat geht es nicht. Biogas könnte IMHO aber eine Rolle spielen, wenn man es statt aus Mais überwiegend aus Reststoffen gewinnen würde, das machen die in Jühnde wirklich falsch.

Mit der Demographie sprichst Du genau das an, worauf ich hinaus will, das würde noch viel mehr passieren, wenn es nicht ein wirtschaftliches Standbein der Region gäbe.
Nur, welches soll das sein? Ferngesteuerte Schweineproduktion nach holländischem Modell, Hochregallager an Autobahnausfahrten?

Ich bin übrigens alles andere als überzeugt, daß die Megaherbivorentheorie stimmt und die Beweidungsmodelle annähernd naturlandschaftsähnliche Landschaften entstehen lassen, zumindest nicht für die Gebiete außerhalb großer Flusstäler und Marschen.
Diese Herden würden in der Geest verhungern, außerdem sprechen alle Pollenbefunde gegen die Existenz großer waldfreier Flächen in Mitteleuropa vor der Rodungstätigkeit des Menschen, außer den Moorflächen selbst.
Davon ab, was heute an wertvollem artenreichem Grünland für diese Beweidungen genommen werden soll, ist ein Trauerspiel, da könnte man auch Gülle draufgießen, der Effekt wäre derselbe :(

Lykurg
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Mo 23. Jun 2008, 23:12 - Beitrag #8

Als Stadtkind, dem diese Thematik zwar beileibe nicht gleichgültig ist, aber völlig außerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs liegt, habe ich eure Diskussion gespannt verfolgt. Insbesondere hinsichtlich der Konsequenzen unserer Subventionspolitik für die dritte Welt habt ihr sehr deutlich gemacht, wie fragwürdig dieses Transfersystem in moralischer Hinsicht ist. Interessant war auch der Hinweis, daß die Regelung vor allem Großbetriebe begünstige, während traditionelle Kleinbetriebe unter der Last der Spezialvorschriften zusammenbrechen. Stellen sich für mich nun die folgenden Fragen:
- Fällt euch etwas ein, wie man den Bauern einen Abschied vom Subventionswesen versüßen könnte - und das große Betriebssterben vermeiden? Maglor, du sprachst ländliche Überalterung an: Ist die Landflucht der Jüngeren so stark, daß sich das eigentlich fast von selbst erledigt?
- Wie ist das mit dem Seuchenrisiko im traditionellen Kleinbauernhof mit allen Sorten Vieh? Gibt es wesentliche Krankheiten, die mehrere Tierarten befallen? Oder geht es 'nur' um Kontrollierbarkeit aufgrund großer Mengen?
Zitat von janw:Davon ab, was heute an wertvollem artenreichem Grünland für diese Beweidungen genommen werden soll, ist ein Trauerspiel, da könnte man auch Gülle draufgießen, der Effekt wäre derselbe
Verstehe ich dich richtig, daß dir eine Bewirtschaftung (als Acker oder Weide für Nutzvieh) lieber ist als Verwilderung, wenn es um die "falschen" Tierarten geht? Ist ein Projekt wie Oostvaardersplassen grundsätzlich falsch?

janw
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Di 24. Jun 2008, 01:00 - Beitrag #9

Ich denke, man müsste dafür sorgen, daß die Bauern angemessene Preise für ihre Produkte bekommen - wenn ich das richtig durchblicke, wird eben das durch die Subventionen letztlich verhindert, da sie letztlich auf ständige Überschussproduktion hinauslaufen. Andererseits ist die Produktionsmenge, denke ich, in der Landwirtschaft nicht so leicht zu steuern wie in anderen Bereichen, da z.B. Herden aufgebaut werden müssen und die Kühe dann regelmäßig besamt werden, kalben und dann Milch geben, da ist eben immer ein zeitlicher Vorlauf drin.
Eine Möglichkeit wäre vielleicht eine betriebsspezifische Grundförderung, die mit zunehmender Betriebsgröße niedriger wird.
Daneben müsste IMHO eine Art regionale Solidaritätsförderung eingeführt werden, nach der die reichen (Ballungs)Regionen die materiell weniger produktiven ländlichen Regionen fördern, quasi im Ausgleich für die von diesen Regionen bereitgestellten nichtmarktgängigen Werte: sauberes Trinkwasser, Frischluft, Artenvielfalt, Erholungswert usw.
Wenn ich das richtig sehe, ist die Überalterung gerade in Vorpommern und großen Teilen Brandenburgs ein Problem, insbesondere entwickelt sich da zunehmend ein starker Männerüberschuss. Langfristig kann das zu einem Problem bei der Aufrechterhaltung von Infrastrukturen führen wie Schulen usw.

Zitat von Lykurg:Verstehe ich dich richtig, daß dir eine Bewirtschaftung (als Acker oder Weide für Nutzvieh) lieber ist als Verwilderung, wenn es um die "falschen" Tierarten geht? Ist ein Projekt wie Oostvaardersplassen grundsätzlich falsch?

Nein, nicht generell, aber da wird heute in einer "Wildnis"-Euphorie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, durch Naturschützer, an denen offenbar die gesamte Kulturlandschaftsforschung vorbeigezogen ist, die glauben, man könne das, was ihnen als Wiesen und Weiden zurecht schutzwürdig erscheint, mit diesen Herden erhalten - und das, was die Tiere an Landschaft erzeugen, entspreche dem Zustand vor dem Eingriff des Menschen.
Oostwaardersplassen war eine Sukzessionsfläche nach einem großen wasserbaulichen Eingriff, keine gewachsene Kulturlandschaft, da kann man sicher mit solchen Tieren experimentieren, ansonsten müsste man sich wirklich genau überlegen, was man erreichen will und dann die dazu notwendigen Mittel benutzen.

Maglor
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Di 24. Jun 2008, 20:54 - Beitrag #10

janw, hat schon recht, dass die sogenannte Landschaftpflege nichts mit einem natürlichen Urzustand zu tun. Tatsächlich geht es ja um die Kulturlandschaft. Viele Pflanzen- und Tierarten, die heute die Rote Liste anführen, haben einst als Kulturfolger Karrierre gemacht: Großtrappe, Feldhamster, Knabenkraut... Geschöpfe einer Wald- und Wiesenwirtschaft! :boah:
Überlassen wir die deutsche Landschaft "sich selbst", so kehren die Wälder zurück. Wiesen verbuschen nach wenigen Jahren und werden zu Wäldern, wenn sie nicht regelmäßig gemäht werden. Diese betrifft insbesondere jene Flächen, die einer maschineller Bearbeitung trotzen, etwa weil sie zu steil, sumpfig etc sind. Hinzu kommt, dass im Zuge der Rationalisierung die Beweidung jener Flächen unrentabel geworden sind.
Bemerkenswert ist an der Stelle, dass die Wildpferde, Rinder und Hirsche es doch nicht ganz allein schaffen die offene Landschaft zu erhalten. Tatsächlich sorgen Ranger in Oostvaardersplassen regelmäßig mit der Heckenschere dafür, den Wald im Keim zu ersticken.
Oostvaardersplassen sollte nur ein Beispiel sein, wie echte Landschaftpflege aussehen kann. Unsere derzeitige Landwirtschaft hingegen bietet für Bodenbrüter wie Rebhühner und Feldlerchen einfach keinen Platz. Im Winter findet das Wild nur kahle Brachen vor und verbeißt stattdessen die Wälder. Und jene Wiesen, die tatsächlich gemäht werden, finden sie am Ende als Silage in weiße Folie verpackt mitten in der Landschaft, was eigentlich wie eine Science-Fiction-Requisite aussieht.
In der Landwirtschaft sehe ich keine Chance für neue Arbeitsplätze. Trotzdem sollten wir sie auf jeden Fall erhalten, denn Westeuropa ist eine der fruchbarsten Gegenden der Welt, vom Klima gesegnet und technisch hochgerüstet. Wenn wir 6 Milliarden Menschen ernähren wollen können wir doch nicht ausgerechnet darauf verzichten!

Ansonsten sehe ich nur, dass es an Infrastruktur fehlt und die vorhandende langsam abgebaut wird. In den meisten Dörfern gibt es kein DSL, manche liegen in so tiefen Tälern, dass Handys keine Empfang haben. Bahnhöfe werden geschlossen und der IC fährt neuerdings auch an der nächsten Stadt vorbei, sodass sich nicht einmal mehr das Pendeln in den Ballungsraum lohnt. Der öffentliche Nachverkehr beschränkt sich auf Schulbusse. Obendrein flattern in Hessen Pläne ins Haus, die allgemeine demografische Entwicklung nicht für die Schaffung kleinerer Schulklassen sondern für die Schließung von Schulstandorten zu nutzen. Dann sind es eben nicht mehr 10 sondern 20 Kilometer bis zur nächsten Schule.
So macht man den ländlichen Raum sicherlich nicht attraktiver: Weder für die Wirtschaft noch für die Bürger :o
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Di 24. Jun 2008, 21:25 - Beitrag #11

janw, hat schon recht, dass die sogenannte Landschaftpflege nichts mit einem natürlichen Urzustand zu tun. Tatsächlich geht es ja um die Kulturlandschaft. Viele Pflanzen- und Tierarten, die heute die Rote Liste anführen, haben einst als Kulturfolger Karrierre gemacht: Großtrappe, Feldhamster, Knabenkraut... Geschöpfe einer Wald- und Wiesenwirtschaft!

Vielleicht muss man zur artenmäßigen Ehrenrettung der vorjungsteinzeitlichen Waldlandschaften hinzufügen, daß sie wohl etwas lichter waren als heute, weil ohne Buche. Es waren Eichenmischwälder, aus Eiche, Ulme, Esche und Linde, und darin mögen, gerade in den niederschlagsärmeren Landschaften und auf wechseltrockenen Böden, einige der Arten der Wiesen vorgekommen sein. Der Rest stammt wirklich aus den waldfreien Steppen, Mooren, Sümpfen und Berggebieten, bzw. war nach der Eiszeit aus den damals in Mitteleuropa herrschenden Tundren dorthin abgedrängt worden.
Seltsam ist, daß die Buche genau an diem Punkt in den Pollenprofilen auftaucht, wo der Mensch eine erste Rodungsphase vollbracht hatte, manche Wissenschaftler spekulieren, daß die Buche nach einem klimatischen Rückschlag und Rückgang des Ackerbaus durch Bodenverarmung als Sekundärwald vorgedrungen ist - allerdings steht dies im Widerspruch zur Beobachtung, daß die Buche eine ausgesprochene Schattenbaumart ist.

Perspektivisch überlege ich, ob nicht für die trockeneren Gebiete, sprich Grenzertragslagen auf flachgründigen Böden sowie in dürregefährdeten Lagen - Feldberegnung ist wirtschaftlich auch grenzwertig - tatsächlich großflächige Viehwirtschaft eine Perspektive wäre - ganzjährige Bodenbedeckung schützt die Böden vor Winderosion, und die Rinder sind in der Lage, Gras beinahe jeder Qualität in Fleisch zu verwandeln. Zusätzlich würden dann die beweidungsempfindlichen Feuchtgrünländer weiter für Heu oder Silage genutzt.

Das wäre ein neues wirtschaftliches Standbein für den ländlichen Raum, der sonst wirklich auf der Kippe steht - man wird erst merken, was er bedeutet, wenn er verloren ist - wie immer.

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Mi 25. Jun 2008, 22:20 - Beitrag #12

Die verwirrende Eichenpopulation in der Jungsteinzeit erklärt sich sicher durch das andere Klima. In der Jungsteinzeit war es nämlich etwas wärmer als heutzutage! ;)
Was die Silage betrifft, so wird damit kein einziger Bodenbrüter gerettet; deren Gelege werden nämlich einfach abgemäht. Lediglich die Beweidung durch Vieh während der Brutsaison würde eben solches verhindert, aber das wäre ja nur im Rahmen extensiver Landwirtschaft möglich.
Ansonsten betrachte ich das nicht als Landschaftpflege.
Was Feuchtgrünland betrifft, so will ich nur mal anmerken, dass dieses empfindliche Ökosystem am besten mit Drainage entwässert und ordentlich gedüngt sicher eine gute Wiese für die Silage-Ernte wird.
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Mi 25. Jun 2008, 23:00 - Beitrag #13

Die Eichenmischwaldzeit wurde von kühler so warm, ja, und als es wieder kühler wurde, kam plötzlich die Buche.

Naja, es kommt eben drauf an, wann gemäht wird - wenn man den Uralt-Namen für den Juni ernst nimmt, dann kommen die Vögel gut zurecht.
Ich geb Dir recht, daß grüne Ballen schöner sind :P
Nein, ernsthaft, manchen Landwirten würde ein Kurs in Landschaftsästhetik ganz gut tun...meinte doch heute einer, er würde die Wege abmulchen "damit es schön sauber aussieht" - und war sich nicht recht im Klaren, daß das Gemeindegrund ist...würde er auch bei seinem Nachbarn mit dem Rasenmäher anrücken? :fear:


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