Steinmeier wird SPD-Kanzlerkandidat

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Traitor
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So 7. Sep 2008, 12:57 - Beitrag #1

Steinmeier wird SPD-Kanzlerkandidat

Wenn es nicht noch zu einer Abstimmungsüberraschung kommt und so die Vorab-Medienberichte Lügen gestraft werden, wird Außenminister Frank-Walter Steinmeier heute zum SPD-Kanzlerkandidaten für 2009 gekürt werden.

Persönlich:
Steinmeiers Stärken sind sicher seine Integrität (sofern ein Politiker soetwas haben kann, alternativ hat er sich bisher nur geschickt bedeckt gehalten) sowie seine staatsmännische Erfahrung im Kanzler- und Auswärtigen Amt.
Gegen ihn spricht sein Ruf als Bürokrat. Überrascht las ich, dass er zumindest aus einer klassischen SPD-Arbeiterfamilie stammt - aber letztlich ist er, von den Positionen noch ganz abgesehen, von seinem Werdegang und seiner Ausstrahlung her wohl kaum der richtige Mann, um das zur Linken abgewanderte Wählermilieu zurückzugewinnen.

Politisch:
Steinmeier steht für den Schröder-Müntefering-Realpolitikflügel der SPD. Deren Positionen sind für mich zwar oft durchaus diskussionswürdig, aber letztlich so das erträglichste, was derzeit zur Auswahl steht. Somit wäre ich mit deren erneutem Durchsetzen ganz zufrieden.

Perspektivisch:
Vermutlich ist es eh egal, wer SPD-Kandidat wird, da die Wahlen bei der derzeitigen Stimmung kaum zu gewinnen sein werden. Da Steinmeier derzeit ihr einziger Spitzenpolitiker mit halbwegs Potential ist, wäre es aber vielleicht geschickter, Beck zu "verbrennen" und es mit Steinmeier eine Periode später zu versuchen - wobei dann aber auch das Risiko bestünde, so richtig tief abzustürzen, also ist es wohl doch die einzige Möglichkeit, Steinmeier antreten zu lassen.

janw
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So 7. Sep 2008, 14:11 - Beitrag #2

In meinen Augen ist Steinmeier als Kanzlerkandidat insofern erfolgversprechender als Beck, als er ein in der Mitte angesiedeltes Wählerspektrum besser anspricht, das graumelierte rundliche Köpfe schätzt, die Hochdeutsch sprechen, Steinmeier strahlt eine Form von Seriosität aus, die u.U. auch noch sozialliberaler gesinnte Wähler aus dem CDU-Spektrum ansprechen könnte.
Klar ist, das dieses Wählerspektrum ein wichtiges ist, ob Steinmeier aber der richtige ist, als Kanzlerkandidat der SPD bzw. es als Kanzler wäre, wage ich zu bezweifeln.
Der Fall Kurnaz und die Frage der amerikanischen Verschlepptentransporte über deutsches Gebiet sind nicht abschließend geklärt, für mich ist klar, daß Steinmeier von beidem gewusst hat und hätte handeln können, die Tatsache, daß er nicht gehandelt hat, die Verbrechen geschehen ließ, macht ihn für mich als potentiellen Kanzler untragbar. Ich bin sogar der Ansicht, daß Guantanamo ein Fall für den Internationalen Gerichtshof werden könnte und daß dann auch Steinmeier als Beihelfer dort belangt werden könnte.

In jedem Falle steht Steinmeier für die Fortführung des Schröder-Kurses und ist damit auch Ausdruck dessen, daß die SPD nicht nur die negativen Folgen ihrer Reformen weiterhin schulterzuckend wegsteckt, sondern sich auch endgültig von den Wählerschichten am sozialen Rand verabschiedet hat. Die SPD bekämpft lieber die Linkspartei, als um deren Wähler zu kämpfen, in meinen Augen eine traurige und gefährliche Entwicklung.
Insbesondere auch, weil nach meinem Eindruck die Hartz IV-Reformen nicht mehr nur ein Reformprojekt von mehreren sind, wie es ja auch eine Gesundheitsreform zu Schröders Zeiten gab und diverse andere, und über die in der SPD frei diskutiert werden kann, sondern Hartz IV wird in meinen Augen Dogma, unhinterfragbare Ideologie. Wie sagte so schön neulich ein befreundeter SPD-Mann, als ich mir ihm darüber diskutierte...letztlich müsse man sehen, daß alles andere, jede weniger drastische Handabung, nicht bezahlbar sei, Hartz IV sei finanziell notwendig gewesen.
Leider hatten wir keine Zeit mehr für die Frage, wie es denn damit steht, daß die Reformen faktisch gar kein Geld gespart haben, daß Kosten verlagert werden und daß viele Menschen durch Hartz IV eher weniger Chancen haben, wieder eine dauerhafte tragfähige Beschäftigung zu erhalten, soziale Kosten, die keiner zählt. Das Dogma verwischt das Gedächtnis, fürchte ich, und so wird Steinmeier, sollte er Kanzler werden, ein Kanzler des Verdrängens.

Lykurg
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So 7. Sep 2008, 21:20 - Beitrag #3

Es ist ja nun tatsächlich noch wilder gekommen, Steinmeier als Kanzlerkandidat schon, aber zudem noch Becks Rücktritt und Münteferings Rückkehr...

Wie janw halte ich die neue Konstellation sicher in der "Mitte" für sehr viel besser vermittelbar, klar ist allerdings, daß sich daraus weitere Schwierigkeiten mit der Parteilinken ergeben (sowohl Beck als auch Nahles haben ja schon deutlich gemacht, daß sie das nicht widerspruchslos (mit sich) geschehen lassen). Außerdem treibt es sicherlich noch einige Wähler nach links, die bisher noch glaubten, sich an Beck halten zu können.

Ich hoffe für die SPD, daß sie mit diesem Wechsel auch Teile ihrer Stammklientel zurückgewinnen kann. Das könnte gelingen, wenn sie ihn entsprechend vermittelt - Verläßlichkeit ausstrahlt, den Leuten erklärt, was sie für richtig und notwendig hält, und an geeigneten Stellen Zugeständnisse macht.

Aber natürlich bin ich zu weit davon entfernt, um zu wissen, wie die Betroffenen selbst das empfinden...

Maglor
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So 7. Sep 2008, 21:24 - Beitrag #4

Die Sozialdemokratie, eine ewige Hydra. Für jeden Kopf, den sie verliert, wachsen gleich zwei neue nach. :crazy:
Mit Steinmeier hat die Partei sicher einen Mann, der alles kann, was ein Kanzler können muss. Jemand, der Kriege führt und Menschen verschwinden lässt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und dem das am Ende nicht einmal übel genommen wird... ;)
Rein personell ist es vor allem ein Ende der Pseudo-Opposition. Im Gegensatz zu Beck kann dieser wohl schlecht gegen die in Berlin wettern.

An dieser Stelle kann man nur neidisch über den großen Teich schauen und sich daran erfreuen wie dort Kanidaten gewählt werden. Die hierzulande übliche Taktik erinnert ja eher an die Exklamation mittelalterlicher Könige unter Auslassung der Salbung. :(
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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So 7. Sep 2008, 23:21 - Beitrag #5

Stammklientel der SPD waren einmal, in meiner Jugend, die einfachen Arbeiter und Gewerkschaftler. Die hat sie verspielt, und da ist nichts mehr mit " in der Mitte Verlässlichkeit vermitteln". Im Saarland hat die SPD derzeit weniger Prozente als die Linke. Zu Recht, auch wenn ich Oskar absolut nicht leiden kann.


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