Lykurg berichtete neulich über das 1855 erschienene Buch "Soll und Haben" von Gustav Freytag, in dem dieser eine Reihe antisemitischer Klischees entwickelt, die dieses Buch zum Anknüpfungspunkt vieler späterer Vertreter des Antisemitismus gemacht haben. Daraus ergibt sich dann für Lykurg die Frage, wie weit und warum antisemitische Haltungen und Positionen in moderne Kapitalismuskritik bzw. in Antikapitalismus eingeflossen sind.
Ohne daß ich dies jetzt im einzelnen belegen kann, ist mir schon mehrfach in kapitalismuskritischen Schriften aus dem 19. und frühen 20. JH eine Verquickung mit antisemitischen Positionen begegnet, allerdings betrifft dies vor allem Schriften aus dem nationalistischen Bereich, die dem Quellenfeld des "sozialistischen" Anteils des Nationalsozialismus zuzurechnen sind, im weiteren Sinne könnten hierzu auch Schriften Rudolf Steiners gerechnet werden, der eine Art neoromantischen Gegenentwurf zur Moderne vertrat und sich dabei zu den antisemitischen und nationalistischen Strömungen der Zeit in einigen Fällen so äußerte, daß er von Wortführern des Nationalsozialismus vereinnahmt werden konnte.
Außerdem greifen iirc einige Schriften aus der jungen Sowjetunion auf damals dort bestehende antijüdische Ressentiments zurück.
Insofern, daß diese Schriften zum Anknüpfungspunkt oder zur Argumentationsgrundlage moderner Kapitalismuskritik geworden sind, mag man eine genetische Verbindung antisemitischer und antikapitalistischer Positionen erkennen, allerdings sind antisemitische Positionen in keiner Weise notwendig zur Begründung von Ansichten, die eine Kritik am Kapitalismus und die Suche nach alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen zum Thema haben.
Gerne werden aus konservativer Sicht die Grünen als Sammelbecken gerade rechtsgerichteter Haltungen hingestellt, und wenn man sieht, daß die Grünen 1980 noch Personen wie Gruhl in ihren Reihen hatten, dann mag das für diese Zeit zutreffen. Gruhl trennte sich allerdings von den Grünen und gründete die ÖDP.
In meinen Augen ist der Versuch einer Verbindungsziehung von Antisemitismus und "Antikapitalismus" eher Ausdruck des Versuches, kapitalismuskritische Positionen generell als fragwürdig hinzustellen, ohne sich inhaltlich mit ihnen auseinander zu setzen.