Attacke auf Ghaza-Konvoi

[Ipsissimus]

meines Erachtens weisen deine Darlegungen ziemlich deutlich darauf hin, dass das Problem "Israel und Palästina" mit all seinen großen und kleinen Misslichkeiten in einen übergeordneten Zusammenhang eingebettet ist, ohne dessen Berücksichtigung die Bewertung einzelner Facetten immer Stückwerk bleibt.

Ich bin völlig deiner Meinung hinsichtlich der Wünschenswertheit bestimmter Entwicklungen in der Mentalität der Palästinenser und allgemein der meisten Araber. Fraglich ist mir nur, ob und wenn ja, wie lange, wir - ein allgemeines wir, die Menschheit vielleicht, sicher aber viele Menschen, die leiden - es uns leisten können, diese Entwicklungen zur Voraussetzung von Friedensschlüssen zu machen.

Das halte ich deswegen für problematisch, für extrem problematisch, weil derartige Entwicklungen normalerweise Jahrhunderte brauchen. Schau dir die ehemalige UDSSR an. 70 Jahre extreme Einflussnahme, und was passiert? Kaum bricht der Druck weg, zeigt sich, dass sich an der Mentalität der Leute nichts geändert hat, überall strömen Religiosität und Gier wieder aus dem privaten in den öffentlichen Raum. Einen ähnlichen Widerstandwillen und eine ähnliche Durchhaltefähigkeit persönlicher Dispositionen von gesellschaftlichem Belang sehe ich auch im Nahen Osten auf allen Seiten; nur ähnelt die Situation dort sehr viel stärker noch einem Pulverfass mit brennender Lunte.

Und genau wegen dieses Umstands müssen wir versuchen, Frieden auch mit Leuten zu schließen, die nicht unseren Gesellschafts-Konsensen entsprechen. Einfach deswegen, weil wir mit explodieren, wenn alles explodiert, und das Potential dazu bieten der Nahe und Mittlere Osten.

[Lykurg]

Auf der Ebene sehe ich es ganz genau so. Demokratie darf auch nicht Grundbedingung für Verhandlungen sein - so hatte ich die Delegitimation nicht verstanden. Auch mit einem Geiselnehmer müssen Verhandlungen geführt werden, ebenso mit Terrororganisationen. Es dürfte nur sehr schwierig bis unmöglich werden, mit einer sich als Staat bzw. Armee gerierenden Bewegung einen verläßlichen Friedensvertrag zu schließen, dafür sind die Partikularinteressen zu weit gefächert und die Allgemeinverbindlichkeit der Beschlüsse ihrer Führung vermutlich nicht hinreichend gegeben. Versuchen muß man es trotzdem, jeder durch Verhandlungen verhinderte Todesfall ist ein Gewinn.

Und ja, das Mentalitätsproblem sehe ich auch, Rußlands Sehnen nach dem Zaren ist ein gutes Beispiel. Auch in der Türkei haben wir zur Zeit eine starke Rückfallbewegung in prälaizistische Zeiten zu beobachten, allerdings hier eingebunden in ein komplexes Muster regionalstrategischer nund politischer Interessen. Allerdings hat man auch, wie du zu Recht anführst, die Modernisierung und mentale Umkrempelung mit sehr viel Druck durchzusetzen versucht, noch dazu Einschnitte, die auf großen (stillen) Widerwillen stoßen mußten. Möglicherweise wäre mit einer geschickteren allmählichen Annäherung, die stark auf die gegebenen Voraussetzungen bezugnimmt (sowohl religiöse Vertreter eines gemäßigten Islam und die hierfür immer gern angeführten versöhnlichen Tendenzen, als auch lokale Traditionen der Selbstverwaltung etc.) mehr zu erreichen als mit jeglicher Art von Überstülpung.

[Ipsissimus]

Möglicherweise weil Orientierung und innerer wie äußerer Halt für viele Menschen höhere Werte darstellen als eine realitätskongruente Auffassung von den Sachverhalten (wohlwissend, dass es auf Realitätskongruenz im Rahmen menschlichen Meinens, Wähnens und vor allem Wollens nicht wirklich ankommt^^)