Serbien

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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So 6. Nov 2011, 20:39 - Beitrag #1

Serbien

Ich bin eben auf einen Beitrag über Serbien gestoßen, in dem einiges über den Nationalismus erklärt wird. Vielleicht eine interessante Facette zu dem, was sich sonst auf dem Balkan abspielt?

deutschlandfunk

Maglor
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So 6. Nov 2011, 21:28 - Beitrag #2

Der Teil der Darstellung ist sicher richtig. Dass Serbien vor allen anderen Staaten des Balkans als das gekränkte Land gelten muss, daran bestehen keine Zweifel.
Ob es nun ein Problem mit der Wahrheit gibt? Sicherlich, ich zweifle nur, dass sich das viel von den Nachbarländern unterscheidet.

Der Balkan besteht in weiten Teilen aus Lügen. Eine der größten Lügen ist die Republik Bosnien-Herzegowina. Das Land ist nicht Souverän, sondern hängt am Tropf der NATO. Drei nach religiöser Zugehörigkeit ihrer Bewohner gebildete Teilrepubliken, die permanent gegeneinander arbeiten, machen Bosnien-Herzegowina auf lange Sicht unreagierbar. Gewünschte Separatismen werden ignoriert.

Lügen, Täuschungen am Laufenden, alle paar Jahre werden neue Sprachen erfunden, neue Kirchen gegründet, neue Grenzen gezogen und anschließend neue Nationen propagiert.
Die Balkan-Völker betrügen sich selbst. Wie ein Chamäleons wechseln sie die Identitäten und spielen das große europäische Spiel des Nationalismus. Insbesondere Deutschland lässt sich so hereinlegen.

Achja, Serbien kann in den letzten zwanzig als Opfer ausländischer Mächte gelten. Ob sie aber die Hauptlast an der Misere tragen, steht auf einem anderen Blatt.

Der Nationalismus Serbiens wird im Artikel nicht im geringsten erklärt.
Die Kirche spielt da sicherlich eine wesentliche Rolle. Der große Mythos ist der Kampf der Serben gegen die Osmanen. Daneben spielt es sicherlich noch eine Rolle, dass sich Serbien von Anfang (also insbesondere auch in vorkommunistischer Zeit) als Träger und Wahrer der jugoslawischen Sache verstand.
Wenn einer Jugoslawien zerstören wollte, musste er bei den Serben anfangen.

Ipsissimus
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Mo 7. Nov 2011, 13:48 - Beitrag #3

Wenn einer Jugoslawien zerstören wollte, musste er bei den Serben anfangen.
das ist in gewisser Weise richtig; andererseits steht zu bedenken, dass der Balkan ein Gebiet ist, in dem die Völker und Nationen seid Jahrhunderten Krieg gegeneinander führten, ehe sie durch die Situation nach dem zweiten Weltkrieg in eine Gemeinschaft gezwungen wurden, die außer überzeugten Anhängern Titos so wahrscheinlich niemand empfunden hat. Es hat diesem Gemeinschaftsgefühl auch sicher nicht geholfen, dass Serbien in diesem Verbund ganz eindeutig die Hegemonialmacht war.

Im Prinzip herrscht auf dem Balkan business as usual, ein wenig aufgepeppt und verkompliziert durch den Einfluss der EU und die damit verbundenen Möglichkeiten. Aber im Wesentlichen - Krieg aller gegen alle, egal ob heiß oder unter der Oberfläche. Und stolze Menschen sind nur selten weise Menschen.

Prognose - inhaltlich analoge Diskussionen werden noch in einigen Jahrhunderten geführt werden, wie auch die Kriege.

Die Einseitigkeit, mit der die EU und vor allem Deutschland auf Serbien schlägt, hat natürlich Gründe - zum einen hatte Deutschland noch nie etwas gegen kroatische Kriegsverbrechen, zum anderen hatte Serbien sich geweigert, sich der erstickenden Umarmung der EU zu ergeben. Also ist auf serbischer Seite böse, was auf kroatischer und kosowoalbanischer Seite gut ist, und die restlichen neuen Nationen schauen, dass sie ungeschoren bleiben. Klappt in Montenegro ja prima, alle sind begeistert, wie eine Nation sich als Abteilung der Mafia profiliert, in Slowenien weniger gut, die müssen so tun, als nähmen sie die Vorgaben der EU ernst, und Bosnien-Herzegowina tut so, als gäbe es die Welt nicht.

Lykurg
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Mo 7. Nov 2011, 14:32 - Beitrag #4

Dazu kommt in gewissem Maße ja auch die traditionell sehr gute Verbindung Serbiens nach Rußland, früher mal im Sinne einer panslawischen Identität recht virulent (I. WK...), im Kosovokrieg äußerte sich das dann (nur) in Form von Protestnoten, jedenfalls aber ist der Konflikt EU-Serbien auch zu einem kleinen Teil eine Stellvertreterschaft der EU-Rußland-Kontroverse, was Osterweiterung und Status der Ukraine angeht.

Und ja, starker partikularisierter Nationalstolz macht friedliche Nachbarschaft nicht gerade leicht, erst recht nicht, wenn alle Seiten das Gefühl von lauter noch offenen Rechnungen haben. Jugoslawien ist seit Jahrhunderten ein Pulverfaß, und das wird es wohl auch noch lange bleiben. Möglicherweise haben die Osmanen es nur deshalb so lange halten können, weil sie es weitestgehend sich selbst überließen und niemand weiter hinguckte...

Maglor
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Mo 7. Nov 2011, 19:28 - Beitrag #5

[quote="Ipsissimus"]das ist in gewisser Weise richtig]
Um so bezirrer wirkt dies im Gegensatz zur aktuellen Politik: Die multiethnischen Gebilde Kosovo und Bosnien-Herzegowina werden als Protektorate der UN bzw. NATO zwangsweise zusammengehalten.

Nun ein paar denk- und merkwürdige Wahrheiten über Serbien:

Was Serbien als russisches Einflussgebiet betrifft: Das ist definitiv eine lange Geschichte die lange vorbei ist.
Das sozialistische Jugoslawien gehörte nie zum sowjetischen Klientel. Lediglich in 1930er und 1940er waren jugoslawischen Kommunisten (noch als Partisanen) auf dem Kurs Moskaus.
Das Königreich Serbien kann lediglich vor und im 1. Weltkrieg als Teil einer russischen Einflussspähre gelten.

Slobodan Milosevic war während des Kosovokrieges nicht serbischer Staatschef sondern der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien.

Serbien existiert erst seit 2006 als unabhängiger Staat. Die Auflösung der Bundesrepublik Jugoslawien in die beiden verblieben Republiken Serbien und Montenegro erfolgte friedlich und auf parlamentarischen Beschluss.

Laut Internationalem Gerichtshof für Menschenrechte ist die serbische Regierung (Teilrepublik Serbien des Bundesrepublik Jugoslawien) unschuldig, was Menschenrechtsverletzungen (1998/1999) im Kosovo betrifft. Die serbische Regierung hatte nachweislich keinen Einfluss auf die Truppen, die allein der jugoslawischen Zentralregierung unterstanden.

Slobodan Milosevic war eigentlich gebürtigter Montenegriner, allerdings gab es zu seiner Zeit noch keinen ethnischen Unterschied zwischen Montenegrinern und Serben. Eine Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche sowie eine montenegrinische Sprache wurden erst später proklamiert.

In Serbien leben ca. 500.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Das Land selbst hat jedoch nur 7,5 Miollionen Einwohner und dürfte damit eine nicht beneidenswerte Europameisterschaft gewonnen haben.

janw
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Di 8. Nov 2011, 00:50 - Beitrag #6

Zitat von Maglor:Der Nationalismus Serbiens wird im Artikel nicht im geringsten erklärt.
Die Kirche spielt da sicherlich eine wesentliche Rolle. Der große Mythos ist der Kampf der Serben gegen die Osmanen.

Das verstehe ich nicht ganz - der Beitrag gibt doch recht deutlich wieder, worin Sreten Ugricic die Wurzeln des serbischen Nationalismus sieht - der Verlierer des jugoslawischen Konflikts zu sein und sich der Anerkenntnis des eigenen Anteils daran zu verweigern, in seinen Worten Verweigerung der Wahrheit, dazu Selbststilisierung zum Retter der Welt, angetrieben durch die orthodoxe Kirche.

Mir drängt sich da eine gewisse Parallele zu Deutschland nach dem 1. Weltkrieg auf, auch da Verweigerung der Anerkenntnis, mit ursächlich für den Krieg gewesen zu sein, jedenfalls eben die Konsequenzen des Verlustes hinnehmen zu müssen, wie dies eben jeder Verlierer hätte hinnehmen müssen, bis hin zur - pseudoreligiösen - Stilisierung zum Opfer des "Versailler Diktats" sein und der ebenso pseudoreligiösen Dolchstoßlegende.

Zitat von Maglor:Der Balkan besteht in weiten Teilen aus Lügen. Eine der größten Lügen ist die Republik Bosnien-Herzegowina. Das Land ist nicht Souverän, sondern hängt am Tropf der NATO. Drei nach religiöser Zugehörigkeit ihrer Bewohner gebildete Teilrepubliken, die permanent gegeneinander arbeiten, machen Bosnien-Herzegowina auf lange Sicht unreagierbar. Gewünschte Separatismen werden ignoriert.

Das sehe ich ähnlich, der Balkan ist ein Gebiet regionaler Bevölkerungsgruppen, die historisch nie ein ihre Vielfältigkeiten überbrückendes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben und auch gegenseitige Akzeptanz nur in Grenzen.
Das Problem dabei ist aber, daß die sich abzeichnenden separaten Einheiten für sich wirtschaftlich nicht lebensfähig sind, also kooperieren müssten, dazu aber wiederum wenig bereit sind. Und das vor der europäischen Haustür...

Was Serbien als russisches Einflussgebiet betrifft: Das ist definitiv eine lange Geschichte die lange vorbei ist.
Das sozialistische Jugoslawien gehörte nie zum sowjetischen Klientel. Lediglich in 1930er und 1940er waren jugoslawischen Kommunisten (noch als Partisanen) auf dem Kurs Moskaus.
Das Königreich Serbien kann lediglich vor und im 1. Weltkrieg als Teil einer russischen Einflussspähre gelten.

Die unzweideutigen Äußerungen der Regierungen von Putin und Medwedew bezüglich der Sanktionen gegenüber Serbien sprechen eine andere Sprache - als slawische Bevölkerung mit orthodox-christlicher Quasi-Staatsreligion sieht Russland Serbien nach wie vor als eine Art Protektorat an.

Slobodan Milosevic war während des Kosovokrieges nicht serbischer Staatschef sondern der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien.

Serbien existiert erst seit 2006 als unabhängiger Staat. Die Auflösung der Bundesrepublik Jugoslawien in die beiden verblieben Republiken Serbien und Montenegro erfolgte friedlich und auf parlamentarischen Beschluss.

Laut Internationalem Gerichtshof für Menschenrechte ist die serbische Regierung (Teilrepublik Serbien des Bundesrepublik Jugoslawien) unschuldig, was Menschenrechtsverletzungen (1998/1999) im Kosovo betrifft. Die serbische Regierung hatte nachweislich keinen Einfluss auf die Truppen, die allein der jugoslawischen Zentralregierung unterstanden.

Slobodan Milosevic war eigentlich gebürtigter Montenegriner, allerdings gab es zu seiner Zeit noch keinen ethnischen Unterschied zwischen Montenegrinern und Serben. Eine Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche sowie eine montenegrinische Sprache wurden erst später proklamiert.

Die Zuweisung administrativer Verantwortung für die Kriegsverbrechen führt in meinen Augen insofern nicht weit, als die entsprechenden Regierungen sich als Sachwalter der sich als serbisch wahrnehmenden Bevölkerung verstanden, jedenfalls die aus dieser Bevölkerungsgruppe begangenen zivilen Übergriffe gegen die anderen Bevölkerungsgruppen nicht behinderten, teils sogar militärisch unterstützten.
Daß die anderen Gruppen auch Übergriffe gegen die Serben begingen, ist dabei ebenso klar - nur hätte eine gemeinschaftliche Regierung eben nicht diese gesellschaftlichen Konflikte noch weiter schüren dürfen, wie dies die verschiedenen nationalistischen Regierungen unter Milosevic getan haben.

Letztlich geht es hier aber um den verbreiteten Nationalismus in der serbischen Bevölkerung.

In Serbien leben ca. 500.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Das Land selbst hat jedoch nur 7,5 Miollionen Einwohner und dürfte damit eine nicht beneidenswerte Europameisterschaft gewonnen haben.

Im Grunde hat da eine Entmischung der Bevölkerung stattgefunden, Serben sind aus den anderen Gebieten nach Serbien geflohen - wie auch Bosnier aus Serbien nach Bosnien-Herzegowina.

Zitat von Ipsissimus:Im Prinzip herrscht auf dem Balkan business as usual, ein wenig aufgepeppt und verkompliziert durch den Einfluss der EU und die damit verbundenen Möglichkeiten. Aber im Wesentlichen - Krieg aller gegen alle, egal ob heiß oder unter der Oberfläche. Und stolze Menschen sind nur selten weise Menschen.

Die Einseitigkeit, mit der die EU und vor allem Deutschland auf Serbien schlägt, hat natürlich Gründe - zum einen hatte Deutschland noch nie etwas gegen kroatische Kriegsverbrechen, zum anderen hatte Serbien sich geweigert, sich der erstickenden Umarmung der EU zu ergeben. Also ist auf serbischer Seite böse, was auf kroatischer und kosowoalbanischer Seite gut ist, und die restlichen neuen Nationen schauen, dass sie ungeschoren bleiben. Klappt in Montenegro ja prima, alle sind begeistert, wie eine Nation sich als Abteilung der Mafia profiliert, in Slowenien weniger gut, die müssen so tun, als nähmen sie die Vorgaben der EU ernst, und Bosnien-Herzegowina tut so, als gäbe es die Welt nicht.

Grundsätzlich gebe ich Dir recht, es ist business wie seit eh und je.
Bezüglich der beiderseitigen Kriegsverbrechen bin ich nicht ganz sicher, ob sich das so ausgleicht - ein Verbrechen wie in Srebrenica wurde so nur von einer Seite begangen.
Letztlich ist auch die EU-Sicht nicht durch Deutschland gesteuert, und ob unsere deutschen Medien derart gleichgeschaltet sind...? will sagen, ich denke, daß die kroatischen Kriegsverbrechen und Übergriffe sicher nicht hinreichend aufgearbeitet sind, aber der Nationalismus in Serbien, befeuert durch die Kirche dort, in dem, wie in dem Artikel ausgedrückt, kritische Stimmen unterdrückt werden, der sagt mir nicht so zu, und die dem entsprechende Kritik aus EU und Medien erscheint mir berechtigt.
Oder sollte das Problem eher darin bestehen, daß der Nationalismus der anderen nicht so medial transportiert wird?

Worin siehst Du eine Erstickung durch die EU? Warum ist es nicht wirtschaftliche Entwicklungshilfe? Oder...ist es keine Hilfe um der Entwicklung willen, sondern um jene europäische Agenden umzusetzen, die da heißen Marktausdehnung der europäischen Konzerne?

Ipsissimus
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Di 8. Nov 2011, 11:12 - Beitrag #7

ich glaube, Kriegsverbrechen gleichen sich nie aus, Jan, jedenfalls nicht durch Zahlenvergleich, und schon gar nicht, wenn man bis zum 2ten Weltkrieg zurückgeht und da die Beteiligung kroatischer Truppen an deutschen Massakern untersucht

was die erstickende Umarmung angeht empfinde ich die EU mittlerweile als eine Art Krake, der die Bevölkerung im Würgegriff hält. Alles für die Märkte, nichts mehr für die Menschen

janw
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Di 8. Nov 2011, 19:03 - Beitrag #8

Ipsi, so weit wollte ich nicht zurück gehen, weil davor, und erst recht davor...^^ und natürlich sind Menschen nicht aufzuwiegen. Nur finde ich das Vorgehen, alles Männliche, vom Jungen bis zum Greis abzuholen und umzubringen, doch etwas...es zielt auf die totale Vernichtung des Gegners ab, ethnische "Säuberung" trifft es denke ich.
Immer noch dahinter zu stehen, noch dazu mit dem Griff in die tiefe Vergangenheit (Amselfeld-Mythos) und mit dem Segen der Kirche, das zu akzeptieren fällt mir schwer, auch wenn die andere Seite sicher auch keine sauberen Hände hat.

Ich sehe doch noch einiges an Gutem für die Menschen und die Umwelt bei der EU, wenn ich an die Regionalförderungen denke, die FFH- und die Wasserrahmenrichtlinie, die Verbraucherschutz-Regeln usw.
Aber Du hast schon recht, die Wirtschaft mischt kräftig mit, und die Politik macht sich zu ihrem Erfüllungsgehilfen. Neoliberaler Ungeist, teils auch Getriebenheit durch Märkte...

Maglor
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Di 8. Nov 2011, 20:19 - Beitrag #9

Zitat von janw:Die unzweideutigen Äußerungen der Regierungen von Putin und Medwedew bezüglich der Sanktionen gegenüber Serbien sprechen eine andere Sprache - als slawische Bevölkerung mit orthodox-christlicher Quasi-Staatsreligion sieht Russland Serbien nach wie vor als eine Art Protektorat an.

Ich kann jedoch einen Unterschied zwischen Putins Balkanpolitik und der griechischen Balkanpolitik erkennen. Nun Griechenland ist NATO- und EU-Mitglied und eben Serbiensympathisant selbst in den schlimmsten Stunden. Griechenland brach UN-Embargo, beteiligte sich anders als Russland nie mit Blauhelm-Truppen an Friedensmission am Balkan, stattdessen beteiligten sich griechischen Söldner am Massaker von Srebrenica.

Zitat von janw:Im Grunde hat da eine Entmischung der Bevölkerung stattgefunden, Serben sind aus den anderen Gebieten nach Serbien geflohen - wie auch Bosnier aus Serbien nach Bosnien-Herzegowina.

Das entspricht aber so nicht den Tatsachen. Es sind keine Bosnier aus Serbien geflohen. Überhaupt sind in Rest-Serbien (ohne Kosovo) die Minderheiten im wesentlichen erhalten geblieben.
Die Diskriminierung von Roma und verwandten Ethnien ist jedoch wie in ganz Südosteuropa ein Problem.
Serbien selbst, inklusive Montenegro blieb während der Jugoslawienkriege von Kampfhandlungen weitgehend verschont. Vertreibungen und Fluchtbewegungen gab es lediglich während des Kosovokrieges und unmittelbar danach.

Die Niederlage Serbiens in den 90ern ist icht Ursache des serbischen Nationalismus, sie hat vielmehr zu einer Krise des serbischen Nationalismus geführt. Die Restaurierung bzw. Neubildung einer Montenegriner-Identität ist da nur das auffälligste Beispiel. An der Zugheörigkeit der Einwohner Montenegros zur serbischen Orthodoxie und zur serbischer Nation wurde fst 100 Jahre nicht gezweifelt.
Ein weiteres Indiz ist die neue Blüte der arumänischen bzw. walachischen Identität im Norden Serbien - autonome Vojvodina. Jahrzehnte behaupteten dortige Bevölkerungsgruppen Serben zu sein. Nun behaupten sie wieder Walachen zu sein. Die Zahl bekennender Walachen hat sich zwischen den Volkszählungen von 1991 und 2002 verdoppelt.
Die serbische Nation hat Prestige eingebüßt. Ursache hierfür sind vor allem die militärischen Niederlagen und die Kriegsverbrechen. Ein wesentlich Teil der ehemaligen Serben leugnet nun ihr Serbentum.
In Serbien selbst ist der serbische Nationalismus daher infolge der Niederlagen auf dem Rückzug. Selbst die Einheit der serbischen Othodoxie ist nunmehr Geschichte.
Wenn man hier nun ein Vergleich zur Verlierer-Nation Deutschland ziehen möchte: Das Deutschtum verlor nach 1945 auch wesentlich an Popularität. Plötzlich wurden aus vielen Deutschen wieder Polen und Österreicher, die vorher von ganzem Herzen und an vorderster für das Deutschtum auf andere eintraten.
Die Krise des Serbentum bezieht sich aber offensichtlich nicht auf die bosnischen Serben. Die Diaspora bleibt verbissen serbisch.

Was die Ursachen des serbischen Nationalismus betrifft:
Die sehe ich eher in der serbischen Größe. Serbien war Kriegsgewinnler im 1. Weltkrieg und wurde zum Königreich Jugoslawien. Die kommunistischen Partisanen um Tito waren wiederum Kriegsgewinnler im 2. Weltkrieg, gewissermaßen auf. Auch im Kalten Krieg haben sie sich noch wacker geschlagen und entgingen dem Satelliten-Schicksal anderer osteuropäischer Staaten.
Dies alles geschah fast 600 Jahre nach dem Sieg der Serben und Bosnier auf dem Amselfeld.
Sie, die Serben waren die Retter der Welt gegen die Osmanen, gegen die Habsburger, gegen Nazis sogar gegen Stalin. Nach nur zwanzig Jahren ist diese Welt aus den Fugen geraten.

Angemerkt sei hier noch, dass die Politik Serbiens sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Serbien weiß mittlerweile sehr wohl, dass die jugoslawische Idee gescheitert. So gab es Schuldeingeständnisse bzgl. Srebrenica, mehr Rechte für Minderheiten und vor allem Demokratie. Bezüglich der Unabhängigkeit des Kosovo bleibt das heutige Serbien nach wie vor unversöhnlich.

Im übrigen empfehle ich zur Einschätzungen eines angeblich groß-serbischen Nationalismus die Propaganda des Milosevics, insbesondere die berüchtigte Amselfeld-Rede, in der jedoch die Einheit in der Vielfalt gelobt wird. Es ist eine jugoslawische und auch sozialistische Propaganda, die sich eben nicht gegen Kroaten, Slowenen, Muslime etc. richtet, sondern die Einheit eines mulitethnischen Jugoslawiens propagiert.

Milosevic' fulminante Rede schloss mit den Worten: »Die Erinnerung an die Tapferkeit der Kosovo- Helden soll ewig leben! Hoch lebe Serbien! Hoch lebe Jugoslawien! Hoch lebe der Friede, hoch lebe die Brüderlichkeit zwischen den Völkern!« Die westlichen Medien zitierten davon nur die ersten beiden Sätze. Jugoslawien, Frieden und Brüderlichkeit schienen ihnen Begriffe aus längst vergangenen Zeiten. Sie sollten damit Recht behalten.

Der serbische Jugoslawe Milosevic vermochte den Zerfall Jugoslawiens nicht aufzuhalten
Milosevic war Jugoslawe, war Sozialist und war eben auch Serbe. Damit ist in der Sache natürlich schon 1990 schuldig, denn Serbien muss sterbien.

Problematischerweise wird der deutschen Öffentlichkeit in aller Regel nur ein Zerrbild Serbiens präsentiert. Genährt wird dies nicht zuletzt durch die unrflektierte Übernahme kroatischer, slowenischer oder gar albanischer Geschichtsbilder sowie eigener Kriegslügen. Hinzu kommt, dass in der Regel eigenes Vokabular verwendet wird, etwa wurde die Bundesrepublik Jugoslawien oder der Staatenbund Serbien und Montenegro von Tageschau und Co einfach als Serbien bezeichnet wurde. So wurde gezielt über die eigentliche Natur und den wahren Anspruch des Staates als Restjugoslawien hinwegsehen.

Milena
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Di 8. Nov 2011, 20:56 - Beitrag #10

..gefällt mir sehr, hier die beiträge zu lesen..va weil das haus meiner grosseltern und mein onkel selbst noch in vojvodina lebt...
leider kann ich selbst nichts dazu beitragen, da mir die geschichte meines geburtslandes relativ unbekannt ist...

Maglor
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Di 8. Nov 2011, 21:14 - Beitrag #11

Och, Milena, wer will den schon die Geschichte hören, wie wäre es mit der Gegenwart? ;)

Milena
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Di 8. Nov 2011, 21:38 - Beitrag #12

..selbst dazu bin ich nicht fähig...oder nur ein klein wenig..^^
von dem grossen jugoslawienkrieg kann ich nur von erzählungen meiner (meist inzwischen verstorbenen familienmitglieder) berichten:
serbien/vojvodina spürte natürlich auch den krieg..einer meiner onkel wurde zum kampf aufgerufen, er weigerte sich aber, und schaffte es nur, indem er sich ein paar finger abhackte...(unmöglich so einen schuss abzugeben)...
sein neu erbautes haus wurde zerschossen (als erstes flog sein dach davon)...
sie schrieben uns damals in einem brief, dass sie geld zum kauf von blumensamen dringend bräuchten, nicht für sich selbst oder so, sondern für die gestaltung des gartens (die wahrheit durfte nicht geschrieben werden, sonst würde nie etwas je ankommen...selbst heute kommen von hier nach dort briefe nicht an)...
danach kam erneut ein brief, mit der beschreibung, dass die samen gut gesät waren und sie noch weitere gebrauchen könnten...
lange begriff meine mutter nicht, was ihre schwester da von sich gab und dachte schon, sie sei deutlich am durchdrehen...
aber wir begriffen...
und was anderes:
serbien steht sehr gut mit russland....drüben weiss ein jeder, dass es diese unterführungen nach russland gibt und um den einzigartigen halt untereinander..russland ist die rückendeckung der serben...
und das leben dort ist relativ hart...
ein arbeiter verdient ca 200€ im monat..
ein arzt das doppelte....
mein onkel verkauft blumen, nebenbei zu seiner kleinen rente...
dann haben die samen doch ihre funktion im krieg nicht verfehlt..^^


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