Strukturelle Gewalt

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Mo 21. Nov 2011, 15:50 - Beitrag #1

Abgetrennt aus "Braune Armee Fraktion? - Traitor

ein Blick aus Richtung kritischer Gesellschaftstheorie

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35911/1.html

Schon die Äußerungsweisen der Gewalt sind vielgestaltig und vielschichtig. Zu ihnen gehören ja nicht nur die individuellen, unmittelbaren Aggressionsformen, wie die schon angesprochenen Amok-Handlungen, die Gewalt unter Jugendlichen, die keine Hemmschwellen mehr zu kennen scheinen, sondern auch strukturelle Gewalt. Beispielsweise in Gestalt arbeitsplatzvernichtenden Rationalisierungsstrategien. Wenn aufgrund solcher Maßnahmen die Aktienkurse steigen, werden die verantwortlichen Manager großzügig belohnt, während die Betroffenen aus der Bahn geworfen werden und ihnen psychisches Leid zufügt wird. Angesichts der Massenhaftigkeit solcher Formen struktureller Gewalt, ist man fast versucht zu sagen, es sei von nebensächlicher Bedeutung, wenn ein durch seine trostlose Lebenslage zermürbter Jugendlicher, in einem Akt zielloser Aggression einen Passanten krankenhausreif prügelt.


Diese Zusammenhänge werden in Medien und Politik, aber auch in der Wissenschaft geflissentlich verdrängt. In den massenmedialen Distributionssphären macht zum Beispiel gerade das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" des Professoren Steven Pinker die Runde, der den ganzen Komplex struktureller Gewalt weitgehend ausblendet, um das 20. Jahrhundert einem dankbaren bürgerlichen Publikum als Hort relativer Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit verkaufen zu können. ...

Explizit muss er auch noch die Phase der "Friedfertigkeit" auf die Jahrzehnte nach 1950 begrenzen und dabei solche Kleinigkeiten wie etwa dem Vietnamkrieg und die Dutzenden weiteren Interventionen der imperialistischen Hauptmacht in den Nachkriegsjahrzehnten weitgehend unberücksichtigt lassen. In seiner "Gewaltbilanz" taucht übrigens auch nicht auf, dass in Folge des amerikanischen Wirtschaftsembargos in den 1990er Jahren rund 500.000 irakische Kinder gestorben sind.

Selbstverständlich ist es für Professor Pinker bestenfalls nur eine Randerscheinung, dass die strukturelle Gewalt eines global hegemonialen Kapitalismus sich in der systematischen Unterentwicklung ganzer Regionen ausdrückt: Ein System des Hungers, der Unterernährung und ungesunder Lebensverhältnisse verschlingt Jahr für Jahr fast so viele Menschenleben wie der gesamte 2. Weltkrieg! Jean Ziegler hat das folgendermaßen ausgedrückt: Für die Menschen einer sogenannten 3. Welt, ist der Dritte Weltkrieg im vollen Gange. Das "Imperium der Schande" watet in Blut und Elend - und Professor Pinker intoniert das Lied einer fröhlich-friedlichen Welt! - Dabei ist angesichts des globalen und sich ausbreitenden Elends von besonderer Bedeutung, dass die intellektuellen und technischen Möglichkeiten im Übermaß vorhanden sind, um allen Menschen ein auskömmliches und würdiges Leben zu sichern.

das vollständige Interview ist bedeutend ausführlicher und auch thematisch ausgeweitet

e-noon
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Mo 21. Nov 2011, 16:10 - Beitrag #2

Angesichts der Massenhaftigkeit solcher Formen struktureller Gewalt, ist man fast versucht zu sagen, es sei von nebensächlicher Bedeutung, wenn ein durch seine trostlose Lebenslage zermürbter Jugendlicher, in einem Akt zielloser Aggression einen Passanten krankenhausreif prügelt.


Ich bin nicht versucht, das zu sagen. Gewalt gegen Menschen ist für mich eine ganz andere Kategorie, als aus Kostengründen darauf zu verzichten, Menschen Arbeit anzubieten, die man ihnen vorher angeboten hat.

Ipsissimus
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Mo 21. Nov 2011, 16:25 - Beitrag #3

Dem stimme ich zu. 1000den von Familien die Lebensgrundlage zu entziehen ist noch alle mal Bundesverdienstkreuz-würdig

Lykurg
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Mo 21. Nov 2011, 18:12 - Beitrag #4

Officer Krupke wird sich drüber freuen, Ipsissimus. Individuelle Aggressionsformen lassen sich mit struktureller Gewalt allenfalls teilweise erklären, aber diese Modellbildung hier sieht ziemlich nach einem Kasten aus, aus dem nach kräftigem Schütteln das gewohnte Ergebnis herausfällt, egal was man hineingetan hat (und Seppmann hat sich darum bemüht, viel hineinzutun). Daß allerdings das Rechtsradikalismusproblem im Osten, wo man von den Heimsuchungen des Kapitalismus doch über einige glückselige Jahrzehnte verschont geblieben ist, nicht gerade kleiner ist als im Westen, es aber auch damals schon nicht war, ist da ein gewisser Schönheitsfehler.

Ich will die aufgezeigten Zusammenhänge nicht von der Hand weisen, manches daran ist einleuchtend, wenn auch keine hinreichende Erklärung. Es wird allerdings mehr als schwierig, wenn er über einen geistigen Kurzschluß die "systematische Unterentwicklung ganzer Regionen" quasi als Unterdrückungsfolge ansieht. Unterentwickelt waren diese schon vor der Entstehung des Kapitalismus, und angesichts des Zusammenhangs von wirtschaftlicher Entwicklung und Versorgungssituation von Gesellschaften, etwa im direkten Vergleich europäischer und afrikanischer Staaten, läßt sich nicht überzeugend zeigen, daß eine vorkapitalistische Wirtschaftsform etwa in Äthiopien eine wesentlich bessere Ernährung herbeiführte als beispielsweise in Frankreich.

Anwendbar wird die Analyse aber eben erst, wenn die Faktoren dieses "System[s] des Hungers, der Unterernährung und ungesunder Lebensverhältnisse" benannt werden, um einen Weg daraus zu finden.

Ipsissimus
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Di 22. Nov 2011, 11:50 - Beitrag #5

fast jede Gesellschaft ist blind gegenüber struktureller Gewalt ihrer eigenen Strukturen; es kommt noch die juristische Maxime hinzu, nur solche Gewalttaten zu betrachten, bei denen Täterschaft auf konkrete Menschen zurückführbar ist - der Fall gewalttätiger, Gewalt implizierender oder Gewalt erzeugender Strukturen als integraler Teil des Baugerüsts einer Gesellschaft ist juristisch nicht vorgesehen und wird daher üblicherweise in juristischen Kreisen aus professionellen und in Medien aus propagandistischen Gründen geleugnet. Somit ist strukturelle Gewalt fast ausschließlich in der kritischen Soziologie Gegenstand der Betrachtung, und somit wohl ein "irgendwie linkes" Konzept, obwohl ausgerechnet der stockkonservative Luhmann mehr dazu zu sagen hatte als jeder linke Theoretiker^^

ich denke, dass diese juristische Absicht, Ursachen auf einzelne Menschen oder Gruppen konkreter Menschen zurückzuführen, in ähnlich vielen Fällen berechtigt ist wie sie andererseits den Blick auf die Sachverhalte verstellt

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 12:42 - Beitrag #6

Dass es strukturelle Gewalt gibt, will wohl niemand leugnen, wohl aber, dass sie ähnlich schwerwiegend und schuldhaft ist wie ein persönlich begangenes Gewaltverbrechen. Anders als beim Gewaltverbrechen ist es nämlich eher eine Unterlassungsschuld als eine aktive Schuld, wenn es denn eine Schuld ist. Ich persönlich würde auch lieber entlassen als krankenhausreif oder totgeprügelt zu werden.

Wenn eine Firma Menschen entlässt, dann wohl in den meisten Fällen, weil sie sie nicht braucht. Es wurde entweder eine Maschine erfunden, die die Arbeit übernimmt, oder es fällt weniger Arbeit an, weil Aufträge zurückgegangen sind oder aus anderen Gründen. Es kann natürlich sein, dass man spart und versucht durchzusetzen, dass die verbliebenen Arbeiter mehr arbeiten, aber unbegrenzt lange funktioniert das nicht. Ein anderer Fall bei internationalen Firmen ist natürlich die Abwanderung, aber hier handelt es sich ja nicht um eine Verringerung, sondern um eine lokale Verschiebung von Arbeitsplätzen. Möglicherweise geht es dadurch den Deutschen schlechter, aber den Rumänen und Polen besser. Daran sollte man auch denken, bevor man sich über Abwanderung beschwert. An dieser Stelle habe ich versucht, Informationen zum Thema 'Abwanderung' zu recherchieren, bislang ohne Erfolg.) Ah, Lykurg hat's gefunden.

Die genannten Gründe fallen zu einem geringen Teil in den Verantwortungsbereich der Firma und sind auch nicht an sich schlecht; ich fände es bedenklich, würde man technologische Entwicklungen aufhalten wollen, nur, weil sie Arbeitsplätze fressen. Hätte man berechtigte Angst gehabt, den Postboten zu ersetzen, könnten wir jetzt nicht über das Internet kommunizieren (/hätten keine Waschmaschinen zur Verfügung/...).
Dass man als Unternehmen keine Arbeitenden halten kann, die man nicht braucht, finde ich normal. Wenn ein Unternehmen einer Region 20 oder 30 Jahre lang Arbeit, Geld zum Leben und zur Entwicklung bereit gestellt hat, finde ich es undankbar, es nach dem Verlust der Arbeitsplätze allein auf diesen Verlust zu reduzieren. Es besteht keine Pflicht, irgendjemandem Arbeit anzubieten; wenn man es tut, umso besser für alle; wenn man es dann nicht mehr tut, ist das natürlich ggf. schlecht für die Arbeitnehmer, umso schlechter, je weniger vorgesorgt wurde, aber es ist immer noch meilenweit von körperlicher Gewalt entfernt. Niemand wird körperlich geschädigt; niemandes Grundrechte werden verletzt; und es kommt noch das wesentliche Moment hinzu, dass in der Lage der strukturellen Gewalt die Begleitumstände auf Seiten des Handelnden stark dafür sprechen (eine Entlassung ist besser für den verantwortlichen Manager, für die Firma, für die Wirtschaft, 'nur' schlecht für den Arbeitnehmer), während bei einem Gewaltverbrechen alle Gründe dagegen sprechen (Jemanden krankenhausreif zu prügeln ist schlecht für den Verprügelten, für den Schläger selbst, für die Gesellschaft, auch für das unmittelbare familiäre oder freundschaftliche Umfeld des Schlägers und es spricht NICHTS dafür).

Ipsissimus
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Di 22. Nov 2011, 14:41 - Beitrag #7

in den möglichen Folgen für das oder die Opfer unterscheidet sich strukturelle Gewalt in nichts von individualisierter Gewalt. Und wenn z.B. ein Familienvater aktiv entlassen wird, ist das erstens keine Unterlassungsschuld sondern Schuld durch aktives Wollen und Tun, und zweitens ist die Auswirkung nicht nur auf eine Person begrenzt sondern betrifft ganze Familien.

Wenn eine Firma Menschen entlässt ...
"Shareholder value" ist dir ein Begriff. Ob eine Firma erhalten bleibt oder nicht, hat immer weniger mit ihrer wirtschaftlichen Situation zu tun

der Postbote ist noch lange nicht ersetzt - schick doch mal ein Paket übers Internet. Es geht auch nicht pauschal darum, technische Entwicklung aufzuhalten, aber warum technische Entwicklung nicht so gestalten, dass sie Arbeitsplätze erhält statt vernichtet? Ganz allgemein stellt sich dahinter unter anderem die Frage, ob die Arbeit für den arbeitenden Menschen da zu sein hat, oder der arbeitende Mensch für die Gewinnmaximierung managender oder nutznießender Menschen

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Di 22. Nov 2011, 15:09 - Beitrag #8

in den möglichen Folgen für das oder die Opfer unterscheidet sich strukturelle Gewalt in nichts von individualisierter Gewalt.

In den möglichen Folgen nicht, da stimme ich dir zu; aber darin unterscheiden sie sich auch nicht von nichtgewalttätigen Handlungen. Ich kann jemanden bitten, mir auf dem Heimweg einen O-Saft mitzubringen, und er wird dabei angefahren, was andernfalls nicht passiert wäre. Da aber die diffuseren Folgen unserer Handlungen ganz und gar unabsehbar sind und aus den besten und schlechtesten Handlungen sehr gute wie auch sehr schlechte Folgen sich ergeben können, gilt es nicht, alle möglichen Folgen in einer endlosen Ursachenkette zu betrachten, sondern die direkten und unvermeidbaren Folgen der Handlung. Hier ergibt sich eine viel deutlichere Unterscheidung: Die Folge einer individualisierten körperlichen Gewalt ist körperliche Versehrtheit, Schmerz, je nach Fall Krankenhausaufenthalt, bleibende Behinderungen, Entstellungen, im schlimmsten Fall ist die direkte (!) Folge der Tod.
Im Gegensatz dazu bestehen die direkten Folgen einer Entlassung darin, dass derjenige keine Arbeit mehr hat; es springt dann zunächst staatliche Versorgung ein, vielleicht muss man sich eine kleinere Wohnung suchen, vielleicht kommen größere Sorgen hinzu, wenn man auf lange Sicht keine Arbeit mehr findet, aber Tod und Verstümmelung sowie körperliche Schmerzen werden durch eine Entlassung nicht verursacht.

Da du zu recht die Auswirkungen auf die Familie beschreibst, füge ich hinzu, dass es mir wesentlich lieber wäre, mein Bruder/Vater/Partner/Freund verlöre seinen Beruf, als dass er etwa ein Körperteil verlöre, oder Angst haben müsste, allein auf die Straße zu gehen, oder gar das Leben verlöre. Dass eine Familie an Komfort verliert, ist doch nichts gegen die Aussicht, dass sie eines ihrer Mitglieder verliert oder dieses verletzt wird.
Und wenn z.B. ein Familienvater aktiv entlassen wird, ist das erstens keine Unterlassungsschuld sondern Schuld durch aktives Wollen und Tun,

Natürlich ist aktives Wollen und Tun damit verbunden; was ich meinte, ist, dass das eigentliche Problem nicht im zugefügtwerden besteht (nicht darin, dass man ein unangenehmes Gespräch führt und von dem Verlust der Arbeit erfährt), sondern darin, dass man etwas, was man bisher bekam, worauf man aber (je nach Vertrag) nicht länger Anspruch hat, als der Vertragspartner das will, nicht mehr bekommt. Es handelt sich um einen Abbruch, ein Ende von Beziehungen und Leistungen, nicht aber um etwas negatives, das hinzukommt. Jemandem negatives hinzuzufügen (sei es Körperverletzung oder Mobbing) ist für gewöhnlich tadelnswerter, als etwas positives vorzuenthalten (selbst wenn Liebesentzug schmerzhafter sein kann als Mobbing durch unbedeutendere Menschen, würde man doch jemanden, der grundlos mobbt, für unsympathischer halten als jemanden, der sich nicht in der Lage sieht, jemanden zu lieben, der das gerne hätte). Natürlich sollte eine Firma oder ein Manager sich bemühen, in allem das Wohl aller Beteiligten zu suchen; aber ein Verstoß gegen diese freiwillige Selbstverpflichtung ist nicht zu vergleichen mit dem Verstoß gegen die persönliche Freiheit und Unversehrtheit eines Menschen.

der Postbote ist noch lange nicht ersetzt - schick doch mal ein Paket übers Internet.

Das stimmt und ist, wenn man es recht bedenkt, ein weiteres Argument für meine These, dass derartige Befürchtungen den technologischen Fortschritt nicht aufhalten sollten.

Es geht auch nicht pauschal darum, technische Entwicklung aufzuhalten, aber warum technische Entwicklung nicht so gestalten, dass sie Arbeitsplätze erhält statt vernichtet?

Manche Arbeitsplätze gehören vernichtet; es gibt sehr unangenehme und (lebens-) gefährliche Tätigkeiten, bei denen ich froh bin, dass sie heute von Maschinen übernommen werden. Das Ziel kann nicht allein sein, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern unangenehme zu vernichten, aber neue zu schaffen. Dass mittlerweile deutlich mehr Menschen ihren Arbeitsplatz in eben diesem Feld der Entwicklung von Technologien finden als früher, ist ja schon einmal erfreulich. Ich denke wie du, dass Technologien noch viel stärker zur Arbeitsplatzschaffung eingesetzt werden könnten, aber wie, wüsste ich zur Zeit nicht.

Ganz allgemein stellt sich dahinter unter anderem die Frage, ob die Arbeit für den arbeitenden Menschen da zu sein hat, oder der arbeitende Mensch für die Gewinnmaximierung managender oder nutznießender Menschen

Die Arbeit ist zunächst einmal dazu da, dass notwendige Aufgaben erledigt werden. Arbeit ist dazu da, die Hungrigen zu sättigen, die Kranken und Alten zu pflegen, die Jungen zu schützen und zu lehren. Wenn all dies von Maschinen besser übernommen würde als von Menschen (zumindest in der Produkterstellung ist das häufig so), dann ist das erst einmal neutral. Die Gesellschaft muss dann Wege finden, den Menschen diese Produkte auch zugänglich zu machen, wenn es keinen Weg mehr gibt, sie in die Produktion der Produkte einzubinden. Daraus erwächst der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft, und hier ist noch ein erhebliches Wachstumspotential; man könnte gerne die Zahl der Lehrer (pro Schüler) verdoppeln, Kindergartenplätze und Krankenpflege ausbauen, viel mehr Psychologen in Schulen und Schnittstellen der Entwicklung einsetzen... alles Bereiche, in denen ein Ausbau sowohl für die Beschäftigtenzahlen als auch für das Wohlbefinden der Gesamtgesellschaft wohltätig wäre, man muss es nur finanzieren.

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Do 24. Nov 2011, 10:46 - Beitrag #9

Zum anfangs zitierten Artikel: Eine "fröhlich-friedliche Welt" haben wir global sicher nicht, und die strukturelle Gewalt gibt es, global wie lokal. Ähnlich wie Lykurg möchte ich aber darauf hinweisen, dass das keine Neuerfindung unserer modernen Gesellschaft ist. Für die Dritte Welt hat er es ja schon angesprochen, daher möchte ich nur den Vergleich hierzulande anstellen. Was ist denn bitte die heutige strukturelle Gewalt, die darin besteht, dass man im Laufe seines Lebens ein- oder mehrmals seine Arbeitsstelle verlieren kann, eventuell auch endgültig, oder darin, dass man als Abkömmling bestimmter Schichten schlechtere Chancen auf Aufstieg hat, gegen die jahrhundertelang etablierte strukturelle Gewalt, dass 90% der Bevölkerung unfrei waren, trotz in Vollzeit fordernder Arbeit kaum von der Hand in den Mund leben konnte und fast völlig verschwindende Aufstiegschancen hatte? Unsere Gesellschaft ist bei weitem nicht die beste aller denkbaren, aber mit Sicherheit die beste, die bisher realisiert wurde, und zwar auch für die Menschen selbst, nicht nur für gesamtwirtschaftliche Kenngrößen oder die den Reichtum abschöpfenden Oberen.

Konkrete Einzelzitate:
Zitat von Ipsissimus:fast jede Gesellschaft ist blind gegenüber struktureller Gewalt ihrer eigenen Strukturen] Ist das nur eine Maxime, gäbe es also eine Alternative, oder ist das nicht vielmehr Grundbedingung juristischen Denkens? Wie sollte die Verfolgung struktureller Gewalt aussehen, wer wird wie wozu verurteilt?
Zitat von Ipsissimus:Es geht auch nicht pauschal darum, technische Entwicklung aufzuhalten, aber warum technische Entwicklung nicht so gestalten, dass sie Arbeitsplätze erhält statt vernichtet?
"Technische Entwicklung" im Sinne von "Entwicklung der Technik" kann man nicht auf solche gesellschaftlichen Ziele hin gestalten, da mit wenigen Ausnahmen bei der Grundlagenforschung und auch noch bei der Entwicklung konkreter Geräte beim besten Willen nicht abzusehen ist, wie sie sich gesellschaftlich auswirken. "Technische Entwicklung" sim Sinne von "Entwicklung des Einsatzes der Technik in der Gesellschaft" zu steuern sollte aber ein wichtiges Betätigungsfeld der Politik sein, aber außer in seltenen Fällen klar festzustellender Schädlichkeit nicht durch Technologieverbote, sondern höchstens durch Strafsteuern, und lieber noch durch Alternativenschaffung, beispielsweise Umschulungen verdrängter Arbeiter oder frühzeitige Adaptierung der Lehrpläne auf neue Technologien.
Zitat von Ipsissimus:Ganz allgemein stellt sich dahinter unter anderem die Frage, ob die Arbeit für den arbeitenden Menschen da zu sein hat, oder der arbeitende Mensch für die Gewinnmaximierung managender oder nutznießender Menschen
Noch allgemeiner wäre die Frage, die du iirc anderswo schon angesprochen hast, deren negative Beantwortung du hier aber realistischerweise vorauszusetzen scheinst - ob der Mensch in absehbarer Zeit nicht ganz ohne Arbeit auskommen könnte, diese nur ein Notbehelf zu seiner Erhaltung in einer unzureichend entwickelten Gesellschaft ist. Solange das nicht der Fall ist, sollte das Arbeitsermöglichen für alle Menschen aber ein Grundstein des Wirtschaftssystems sein, da stimme ich dir zu, siehe unten zu e-noon.

Zitat von e-noon:Wenn eine Firma Menschen entlässt, dann wohl in den meisten Fällen, weil sie sie nicht braucht.
Wie Ipsissimus schon andeutete, was eine Firma braucht, kann man sehr verschieden beurteilen. Ist der Sinn der Firma einzig das Abwerfen maximalen Gewinns, braucht sie manchmal weniger Arbeitnehmer. Noch radikaler ist der "shareholder value", das also nichtmal der maximale Gewinn entscheidend ist, sondern im Extremfall sogar eine pleitegehende Firma sich für die Anleger mehr lohnen kann, wenn sie geschickt querinvestiert oder abgesichert haben. Dem entgegensetzen könnte man aber alternative Ideale des Firmenzwecks, nämlich die Maximierung ihrer Produktivität und/oder des gesamtgesellschaftlichen Nutzens. Im Extremfall wäre das totale Planwirtschaft ohne jedes wirtschaftliche Erfolgskriterium, wenig sinnvoll. Aber ein sozialmarktwirtschaftlicher Mittelweg kann gefunden werden, und Deutschland war da vor ein paar Jahrzehnten zumindest schonmal deutlich näher dran als heute. Dann wäre nur ein Arbeitnehmer überflüssig, der nichts oder zu wenig zum Umsatz beiträgt, nicht zum Gewinn, und solange der Gewinn positiv bleibt, sind Entlassungen, die sich nicht auf die konkrete Leistung des einzelnen Arbeitnehmers beziehen, strikt zu unterlassen. Natürlich würde das auch ein sehr weitgehendes Verhindern von Bilanztricks erfordern...
[quote="e-noon"]In den möglichen Folgen nicht, da stimme ich dir zu]Ein so kurzsichtiges Verursacherprinzip greift aber zu kurz. Was moralische Schuld angeht, sowieso, aber auch in Sachen juristischer. Sicher gibt es eine Diffusitätsschwelle, hinter der man nicht mehr urteilen kann, aber zwischen der und ganz konkreter Verursachung gibt es noch ein weites Spektrum schuldhafter Verhaltensweisen, da die Auswirkungen zumindest hochwahrscheinlich und al solche auch klar zu erkennen waren. "Entlassung-->Depression-->Selbstmord" würde ich keinesfalls als justitiable oder auch nur moralisch schuldhafte Kausalkette sehen, ebensowenig wie du, "Massenentlassung-->Verelendung eines ganzen Viertels" aber durchaus als klar vorauszusehen und somit moralisch schuldhaft, und in einer Wirtschaftsordnung wie der oben beschriebenen müsste es auch justitiabel sein.

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Do 24. Nov 2011, 11:05 - Beitrag #10

Traitor, dass aus der Massenentlassung ein (ggf. erheblich) gesunkener Lebenswandel erfolgen kann, wollte ich gar nicht bestreiten; ich wollte nur bestreiten, dass das zu vergleichen sei mit der direkten Folge einer Gewalttat.

Ich bin gleichfalls der Ansicht, dass es einem Manager moralisch anzulasten ist, wenn er für den größten Profit Arbeitsplätze vernichtet, die sich nicht nur weiterhin selbst getragen, sondern weiterhin Gewinn betrachtet hätten. Ob ein nationales System, das Gewinnmaximierung verbietet, globalen Bestand hätte, weiß ich nicht; im Zweifel wäre ich aber dafür, es zu versuchen, denn außer einer sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich hat die Gewinnmaximierung offenbar nicht viel gebracht.

Zustimmung zu Traitors Vergleich jetziger mit früheren Gesellschaften; man könnte noch anmerken, dass es selbst Adligen früher in Sachen Gesundheit, Bildung, Lebensstandard, Komfort, Lebenserwartung etc. schlechter ging, als es heute einem durchschnittlichen Arbeitslosen geht. Das ist allerdings nicht direkte Folge des Kapitalismus, aber immerhin direkte Folge offenen Forschens in alle Richtungen.

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Do 24. Nov 2011, 11:51 - Beitrag #11

Zustimmung zu Traitors Vergleich jetziger mit früheren Gesellschaften; man könnte noch anmerken, dass es selbst Adligen früher in Sachen Gesundheit, Bildung, Lebensstandard, Komfort, Lebenserwartung etc. schlechter ging, als es heute einem durchschnittlichen Arbeitslosen geht. Das ist allerdings nicht direkte Folge des Kapitalismus, aber immerhin direkte Folge offenen Forschens in alle Richtungen.
Doch, das ist ziemlich direkte Folge von Merkantilismus und Kapitalismus, in Kombination mit technologischem Fortschritt, der sich aber wiederum im Kapitalismus extrem beschleunigt hat, da Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie großer Einsatz von Mitteln zur Forschung im Team möglich wurden. Um xkcd zu zitieren: Drei Fünftel der geschätzten ökonomischen Gesamtleistung der Menschheit(-sgeschichte) entstanden in der Zeitspanne seit den 1980ern. Und dabei handelt es sich nicht nur um Zahlenspielerei, sondern auch sehr direkt um fühlbaren Wohlstand einer sehr großen Zahl von Menschen.

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Do 24. Nov 2011, 13:37 - Beitrag #12

das Problem dabei ist nur, dass der Löwenanteil dieser drei Fünftel (vier Fünftel seit der industriellen Revolution) zwar mit den Ressourcen der gesamten Erde erwirtschaftet wird, die Früchte dieser Erwirtschaftung, z.B. direkte Wohlstandssteigerung, dem Löwenanteil der Menschen aber vorenthalten werden, noch so ein Phänomen struktureller Gewalt, das die gesamte Menschheit betrifft.

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Do 24. Nov 2011, 15:14 - Beitrag #13

Nein.

Aus dem Erwirtschafteten (zu dem die Länder der Dritten Welt nur einen winzigen Bruchteil beitragen, ihre Ressourcen allerdings natürlich schon) werden auch Entwicklungshilfen bzw. Katastrophenbekämpfungsmaßnahmen finanziert, die der gesamten Welt zugutekommen. Auch wenn man sich über die vielfältigen negativen Folgen von Entwicklungshilfe auf agrarische Produktion, politische und soziale Strukturen, Bevölkerungswachstum uvm. uneinig sein kann, ist weltweite Hungerhilfe im akuten Notfall sicher unter die Annehmlichkeiten der Moderne zu rechnen.

Die medizinische Versorgung auch in den ärmsten Ländern der Welt wird laufend besser - und extreme Armut ist eben nicht mehr das, was sie früher war. Export von Werten und Menschenrechten wirkt sich dahingehend aus, daß Sklaverei zum Randphänomen geworden ist - noch vor hundert Jahren war sie in großen Teilen der Welt vorherrschend. Hygienische Verhältnisse, Elektrizität, Geburtenkontrolle, Bildung - es gibt in zentralen Bereichen massive Verbesserungen, die sich nicht auf die Erste Welt beschränken.

Darüber hinaus profitieren insbesondere die Bevölkerungen vieler afrikanischer Länder im großen Maßstab von unseren Waffenexporten, die sie bereitwillig aufkaufen, um ihre lokalen Konflikte auf zeitgemäße Weise auszutragen und so ein für alle Mal zu lösen.

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Do 24. Nov 2011, 21:19 - Beitrag #14

@e-noon: Ok, kann man sich drauf einigen. Vergleichbar sind indirekte und direkte Folgen nur sehr indirekt, aber einen moralischen Freispruch für Indirekta muss das nicht direkt bedeuten.

National hätte so ein System mit Sicherheit keine Chance, kontinental könnte es vielleicht klappen.

@Lykurg: Der Kapitalismus, der den Fortschritt lange vorangetrieben hat, war aber noch von einem anderen Charakter als der heutige, eher Materialkapitalismus als Kapitalkapitalismus. Manchester-Kapitalisten waren ihre Arbeiter eher weniger wert als heutigen CEOs, aber ihre Fabriken und deren Produkte dürften ihnen wichtiger gewesen sein.

Rohstoffe gegen Entwicklungshilfe ist schon ein besserer Handel als Sklaven gegen gar nichts, ein gerechter aber noch lange nicht. Dass wir hier mit den Rohstoffen der Dritten Welt unseren Fortschritt vorantreiben, solange diese nicht selbst etwas mit ihnen anfangen kann, finde ich durchaus in Ordnung, aber die Gegenleistung müsste größenordnungsmäßig höher und vor allem aufbauorientierter sein. Wäre das leidige Bevölkerungsexplosionsproblem nicht, könnte aber wohl auch schon mit den aktuellen Maßnahmen einiges mehr erreicht werden.
Dass der Konfliktreichtum Afrikas keine von Europa aufgezwungene Neuerung ist, betone ich ja auch immer wieder gerne.

@Ipsi: Wie gesagt, der Transfer ist in diesem Jahrhundert schonmal deutlich besser als in den 500 davor. Ob eine Verbesserung oder Verschlechterung gegenüber einer angenommen idealen Isolation vorliegt, ist schwerer zu beurteilen, im groben Mittel würde ich aber auf eine Nullsumme tippen, soziale Instabilität und gelegentliche katastrophale Einbrüche zuvor unbekannten Ausmaßes und außerhalb dieser durchaus gegebene Lebenshaltungsfortschritte dürften sich halbwegs wegheben.

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Do 24. Nov 2011, 21:34 - Beitrag #15

Dass wir hier mit den Rohstoffen der Dritten Welt unseren Fortschritt vorantreiben, solange diese nicht selbst etwas mit ihnen anfangen kann, finde ich durchaus in Ordnung
aufgrund welcher Berechtigung? Und heißt das , du lässt mich deinen Garten zu meinem Nutzen bestellen, solange du selbst nichts damit anzustellen weißt? Und wenn ich dann mit der Ernte aus deinem Garten reich geworden bin, baust du darauf, dass ich dir keine Rechtsanwälte oder gleich meine Privatarmee auf den Hals hetze, wenn du dann eines Tages sagst, dass du jetzt dran bist?

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Do 24. Nov 2011, 22:26 - Beitrag #16

Aufgrund der Berechtigung, dass Fortschritt für einen Teil der Menschheit besser ist als kein Fortschritt für alle. Was ich bei dieser Aussage aber definitiv unterschlagen habe, ist das Fordern einer gewissen Nachhaltigkeit. Die derzeit in einigen (du würdest vermutlich "allen" sagen) Bereichen betriebene Totalausbeutung hat meine Zustimmung nicht. Weder darf die Rohstofförderung so üble lokale Nebenwirkungen haben, wie sie das mit Rodung und Vergiftung oft hat, noch darf sie sämtliche Vorräte aufzehren, sodass für die Zukunft dieser Länder nichts mehr übrig bleibt. Ersteres uneingeschränkt, zweiteres höchstens durch sehr klare Ausgleichszahlungen und Recyclingpläne einschränkbar.

Aufs Beispiel angewendet also: solange du mir zumindest eine geringe Gegenleistung für die Gartennutzung zukommen lässt, nicht meine Terrasse abreißt und die Abfälle in meine Küche kippst, und den Garten in einem weiterbenutzbaren Zustand hinterlässt, ja.

Deutlich passender wäre aber folgende Variante:
Gegen eine ziemlich fürstliche Gegenleistung lasse ich als lokaler Miethai dich den Garten der mir gehörenden Mietskaserne völlig nach deinem Gutdünken, inklusive Küchenvermüllung und Bodenkomplettverwüstung, bestellen.
Denn über den klassischen Kolonialismus sind wir ja durchaus soweit hinaus, dass wir (von gelegentlichen amerikanischen und französischen Ausnahmen abgesehen) uns die Rohstoffe nicht mehr mit eigener Waffengewalt besorgen, sondern die lokalen Machthaber durchaus für deren Geschmack angemessen dafür entlohnen, das Land ihrer Bevölkerung ausbeuten zu dürfen.

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Mo 28. Nov 2011, 11:45 - Beitrag #17

Das heißt, du setzt bestimmte Axiome so hoch an, dass sie dem möglicherweise entgegengesetzte Axiome überschreiben. Das kannst du aber nur dann erfolgreich machen, wenn du mächtiger bist, läuft im diskutierten Kontext also auf Wirtschaftsimperialismus, oder anders gesagt auf die Arroganz der Macht hinaus. Selbst wenn wir uns lokaler Machthaber bedienen, unsere Methoden gegenüber vor 100 Jahren also nochmal verfeinert haben.

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Mo 28. Nov 2011, 13:46 - Beitrag #18

Welche Axiome?

So traurig es auch ist, aber die von mir beschriebene Vorgehensweise ist bei abstrakt-radikaler Analyse weniger imperialistisch als deine. Du nimmst doch quasi an, besser zu wissen, was für die Menschen vor Ort gut ist, als ihre jeweiligen Machthaber. Und, da sie diese ja zumindest theoretisch loswerden könnten, besser als sie selbst.
Imperialistisch wird es erst wieder, wenn wir durch Wirtschafts- und Militärhilfen Herrschern, die ihr Volk nicht mehr will, die Macht sichern.

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Mo 28. Nov 2011, 15:09 - Beitrag #19

z.B. das Axiom, "dass Fortschritt für einen Teil der Menschheit besser ist als kein Fortschritt für alle".

nun, ich nehme an, dass völlig unabhängig von dem, was wirklich gut für die Menschen vor Ort ist, es keinesfalls gut für sie war, vor 150 bis 75 Jahren, teilweise schon viel länger, von uns über den Tisch gezogen zu werden, von den Todesopfern gar nicht erst zu reden. Wir hatten einfach nie, was soviel heißt wie niemals, zu keinem einzigen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte, das Recht, dort zu sein und uns zu nehmen, was uns gefällt. Wir hatten lediglich die Macht dazu und haben diese weidlich ausgenutzt.

Danach haben wir einen Scherbenhaufen aus zerstörten Kulturen hinterlassen, aus dem dann Machthaber entsprungen sind, die auch gleich aus der Hölle entsprungen sein könnten. Und diese Machthaber brauchen natürlich Waffen. Noch jede Menge Weltbankkredite obendrauf, geschmiert mit ein bisschen Entwicklungshilfe fürs heimische Gemüt, die haben die Waffen und die Schulden, wir als Bezahlung für die Waffen die Gelder aus den Krediten, und siehe da, plötzlich zeigt sich, dass sich sogar aus ausgepquetschten Zitronen noch Rohstoffe gewinnen lassen. Zum Besten der Menschheit, yipieee^^

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So 11. Dez 2011, 16:24 - Beitrag #20

z.B. das Axiom, "dass Fortschritt für einen Teil der Menschheit besser ist als kein Fortschritt für alle".
Das ist kein Axiom, sondern eine Folgerung aus "etwas ist besser als nichts", unter der (sehr nontrivialen) Annahme, dass die, die keinen Fortschritt abbekommen, dafür zumindest keinen Rückschritt erleiden. Wie gesagt, ich heiße nicht den derzeitigen Modus gut, sähe nur nichts grundsätzlich verdammenswertes an der Nutzung fremder Ressourcen, solange dadurch nicht zuviel Schaden angerichtet würde und ein vernünftiger Ausgleich stattfünde.


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