Brüderle und Sexismus

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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So 3. Feb 2013, 21:13 - Beitrag #1

Brüderle und Sexismus

Noch keinen Niederschlag in hiesigen Themen gefunden hat die von einem Stern-Artikel über fragwürdiges Verhalten von FDP-Spitzenmann Brüderle ausgelöste Sexismus-Debatte gefunden, die seit 2 Wochen oder so quer durch alle Medien geistert. Dafür gibt es von mir jetzt gleich 2 Threads dazu - im Parallelen soll es abstrakt um Begrifflichkeiten und Konzepte gehen, die mir in der aktuellen Debatte durcheinanderzugehen scheinen, in diesem mehr oder weniger konkret um den debattierten "Fall", ähnliche Fälle, die gesellschaftliche Gesamtsituation usw.

Die Brüderle-Geschichte allein wäre das große Palaver wohl nicht wert. Ziemlich peinlich von ihm, sicher auch symptomatisch für den allgemeinen Politiker-Typus, aber für mich kein ahndbares Vergehen zu erkennen. Deutlich anders war da schon der doch ziemlich eindeutige Verleumdung erkennen lassende Fall mit der Spiegel-Redakteurin und den Piraten gelagert, der mangels involvierter echter Prominenz aber kurz vorher eher im Sande verlief.

Interessant dann aber, dass gerade dieser Brüderle-Artikel eine allgemeine Sexismus-Diskussion lostrat, bei dem von Macho-Politikern über Begrabbeln am Arbeitsplatz bis zu Benachteiligung von Mädchen im Schulunterricht alles munter durcheinander geht. Wieviel davon sind aufgebauschte Einzelfälle, was davon hat System, was ist schlimm, was weniger...?

Den interessantesten Artikel in diesem Komplex fand ich übrigens den hier (ähnliches dürfte es auch in anderen Medien gegeben haben), durch den man ganz nebenbei mal erfährt, wie es im politisch-journalistischen Milieu Berlins eigentlich so zugeht - nicht nur scheinen Mitternachts-Hotelbar-Treffen weit verbreitet zu sein, Journalisten können sich auch wöchentlich auf FDP-Kosten zum Frühstück bewirten lassen und Hofberichterstattung betreiben. Wenn alle 5 Parteien im Bundestag das so halten, wären schonmal alle Werktagsmorgen abgedeckt. Durchaus interessant.

009
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So 3. Feb 2013, 21:24 - Beitrag #2

Wegen der Masse an Nachrichten und vielen Texten zu diesem Thema, von denen viele die Welt wie die Diskussion gewiss nicht wirklich bereichert haben, der wie im Parallelthread auch aufgezeigtem Zusammenmengen von schlechten Benehmen bis hin zu Vergehen und Verbrechen unter dem Aufschrei des Sexismus war ich nicht unfroh, hier nichts dazu zu lesen.
Denn mir deucht, es ist ein derart komplexes Thema, das eine ernsthafte Erörterung leicht mehr Kapazität benötigt, als mir insbesonders die ursächliche Lapalie wert ist.
Interessant fand und finde ich das, was Prof. Höcker bei Maybrit Illner in die Diskussion einwarf, zudem mag ich noch auf diesen Beitrag Hoeckers verweisen, wie es auch, und ganz anders gewesen sein könnte. Ohne damit eine Einschätzung der Wichtigkeoit der generellen Debatte, wofür ich die Threadduplizierung schon genial finde, abstreiten zu wollen hat Hoecker zur Bedeutung und Öffentlichkeitsrelevanz des konkreten Falles hier m.E. sinniges geäußert.

e-noon
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So 3. Feb 2013, 22:13 - Beitrag #3

Ich finde es ziemlich ekelhaft, was Brüderle sich da offenbar geleistet hat. Wenn es stimmt, was Himmelreich schreibt, dann hat da jemand, der gut ihr Großvater sein könnte, eine Frau, die das nicht wollte, auf ziemlich widerwärtige Weise angemacht. Wenn das Gang und Gäbe ist im Politbusiness, dann ist es gut und richtig, dass jemand darauf hinweist. Wie das passiert ist, gefällt mir dagegen nicht besonders.

Persönlich würde ich mit so jemandem nicht bekannt sein wollen, und es wäre mir auch sehr unangenehm als Journalistin, mit ihm umgehen zu müssen. Persönliche Integrität finde ich auch bei Politikern wichtig, und diese hat - wenn alles so verlief, wie von Himmelreich beschrieben - er durch Missbrauch einer Machtsituation, unhöfliches und schmieriges Verhalten sowie nicht zuletzt aufgrund der Kränkung, die er damit sicherlich seiner Ehefrau zufügte, eindeutig verloren.

Ich stimme auch nicht denjenigen zu, die diese wie andere Politikeraffären gerne dem Privatbereich zugeordnet sähen, um Schlammschlachten zu vermeiden. Sicher wäre die Welt ein besserer Ort, wenn es für solche Debatten keinen Anlass gäbe, aber wenn jemand in einer Situation durch seinen Beruf, durch seine Stellung jemanden in Bedrängnis zu bringen sucht, dann ist es auch legitim, diesen Versuch mit diesem Beruf, dieser Stellung in Verbindung zu bringen.

009
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So 3. Feb 2013, 22:22 - Beitrag #4

Zitat von e-noon:Ich finde es ziemlich ekelhaft, was Brüderle sich da offenbar geleistet hat. Wenn es stimmt, was Himmelreich schreibt, dann hat da jemand, der gut ihr Großvater sein könnte, eine Frau, die das nicht wollte, auf ziemlich widerwärtige Weise angemacht. Wenn das Gang und Gäbe ist im Politbusiness, dann ist es gut und richtig, dass jemand darauf hinweist. Wie das passiert ist, gefällt mir dagegen nicht besonders.


Der letzte Satz ist ein Euphemismus für meine Sichtweise. Ich vermisse ua. jeglichen Hinweis darauf, das Himmelreich irgendwie eindeutig zu erkennen gegeben hat, das ihr Brüderles Verhalten zuwieder ist.
Zudem, so meine ich von Kubicki als Augenzeigen (da bin ich mir grad unsicher) des Vorfalls in der Maybrit Illner Talkshow gehört zu haben, das und warum sich Himmelreich bei ihrer Kontaktaufnahme nun auch nicht gerade gut benehmend zeigte oder mit Ruhm bekleckert hat. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass es ein zugegeben unverantwortlich mißlungener Versuch Brüderles war, auf komische Ansprache komisch zu reagieren (Tanzkarte!).

Padreic
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Mo 4. Feb 2013, 01:40 - Beitrag #5

Ich finde diesen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen ganz interessant. Siehe auch die Zusammenfassung der Lanz-Show für noch stärkere Aussagen in eine ähnliche Richtung.

Brüderle hat sich sicherlich unpassend benommen, aber keineswegs eine Machtposition ausgenutzt. Niemand weiß, was dort ganz genau passiert ist, deswegen will ich mir auch kein genaues Urteil anmaßen. Dass Brüderle verheiratet ist, verleiht dem ganzen vielleicht noch zusätzliche Brisanz, das sollten aber die Eheleute unter sich regeln. Insgesamt sehe ich mit dieser "Affäre" Brüderles etwaige Eignung für ein politisches Amt nicht beeinträchtigt (wobei mir nicht bekannt ist, was er für politische Eignungen hat).
Fest steht, dass sich Frau Himmelreich zumindest in liberalen Kreisen ziemlich ins Abseits gestellt hat.

Traitor
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Mo 4. Feb 2013, 11:40 - Beitrag #6

@e-noon: "Ziemlich ekelhaft" und "widerwärtig" finde ich sogar schon zu starke Attribute für sein Verhalten, für mich reicht da "peinlich" völlig aus. Aber das könnte dann tatsächlich der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Wahnehmung und Identifikationsfähigkeit sein, ich stelle mir die Szene nur als unbeteiligter Beobachter vor.

Auch finde ich es nicht so klar, wie die meisten Medien und anscheinend auch du es darstellen, dass da eine "Machtsituation" vorlag. Ja, Brüderle hat insgesamt betrachtet Macht, aber verlieh ihm die in dieser konkreten Situation wirklich Macht über die Journalistin? Dass die FAZ die Machtsituation gleich umdrehen will, sehe ich auch nicht ein (s.u.), aber würde doch sagen, dass sich hier zwei Menschen auf halbwegs gleichem (Macht-, nicht Ausdrucks-)Niveau begegnet sind.

Den Privatbereichsvorbehalt halte ich hier auch nicht für anwendbar, schließlich geht es nicht um eine Affäre außerhalb des Politschauplatzes, sondern um ein dummes Verhalten in zumindest halboffizieller Situation.

Was hältst du von der gesamtgesellschaftlichen Debattenausweitung?

@Padreic: Die FAZ-Analyse kann ich nicht nachvollziehen. Gerade im Gegensatz zu seinen jungen Konkurrenten Rösler und Lindner ist die Frage nach Brüderles Selbstwahrnehmung seines Alters eine durchaus (macht-, nicht sach-)politisch relevante. Ja, die Frage hat einen leicht beleidigenden Unterton, ist aber doch deutlich harmloser als vieles, was Journalisten Politikern auch bei offizielleren Presseterminen an den Kopf schleudern dürfen. Ein Machtspiel ihrerseits bedeutet das wohl kaum.
Insgesamt sehe ich mit dieser "Affäre" Brüderles etwaige Eignung für ein politisches Amt nicht beeinträchtigt (wobei mir nicht bekannt ist, was er für politische Eignungen hat).
Interessant ist ja, dass gerade das der eigentliche Sinn des Originalartikels gewesen sein soll... es sei ihr weder um den Vorfall noch um Sexismus an sich gegangen, sondern um Brüderles allgemeine Eignung.

Ipsissimus
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Mo 4. Feb 2013, 15:18 - Beitrag #7

Ich fasse sein Verhalten als Alkohol-induzierte Respektlosigkeit auf. Damit disqualifiziert er sich nicht von politischer Eignung, sofern eine Partei keine Probleme damit hat, dass ihre Politiker Dreckschweine sind. Der Rest ist eine Frage der PR, nicht der Ontologie.

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Mo 4. Feb 2013, 16:36 - Beitrag #8

Ich habe ein erhebliches AHA-Erlebnis. Ich wollte mal gucken, wer denne igentlch diese von Brüderle gedirndelte Laura Himmelreich ist und habe sie gegoogelt.
Ausnahmsweise kann ich nicht anders, als den dabei zu Tage geförderten Bild-Artikel zu verlinken.
Dieser zeigt, dass Himmelreich im letzten Jahr über die bayerische CSU-Politikerin und Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner schrieb.
Überschrift: Dirndltauglich.

Ich weis nicht, was ich dazu noch sagen soll.

Im übrigen stimme ich Paadreic bzw. der FAZ schon zu. Was ich vergaß: wie Traitor halte ich e-noons Wertung ebenfalls für ich sag mal keineswegs zu vorsichtig. Sicher müssen Politiker eigentlich einiges aushalten, aber das mit dem in den Wald hineinrufen gilt gruindsätzlich auch bei und für Brüderle natürlich.

Inweiweit der Stern glaubhafter Vorkämpfer für den Feminismus sein kann, der Frage kann man sich zB auch über eine Analyse seiner Titelseiten (bewusst mit einem l und einem n geschrieben...) nähern...

Ipsissimus
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Mo 4. Feb 2013, 17:15 - Beitrag #9

na ja, dieses Himmelreichsche "dirndltauglich" bezieht sich aber aufgrund der Wortwahl nicht auf Aigners Brüste, sondern dürfte eher im Sinne von "sie macht auch im Dirndl eine gute Figur" gemeint sein, was bei Brüderles Variante eher nicht der Fall ist

009
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Mo 4. Feb 2013, 17:26 - Beitrag #10

Da bin ich mir leider so sicher gar nicht. Wenn es darum gegangen wäre, das Aigner für die CSU in Bayern wichtiger ist als im Bund (z.B. als potentielle Ablösung für Seehofer) und den Bayern auch als eine von Ihnen zu vermitteln ist (manche wünschen sie sich klar als Nachfolgerin für Seehofer), dann hätte das doch wohl genausogut über weniger geschlechtlich-sexualsierte Sprache vermittelt werden können. Auch hätte es dann nicht eines solch klaren Dirnds-Bildes im Artikel bedurft (bei der Bild im Screenshot zu sehen).
Bayern(tracht)tauglich wäre mein spontaner Laienvorschlag und nur ein kurzer Bllick zu Google zeigt mehrere Bilder, die - ich sag mal - mehr die Trachtentauglichkeit als herausgehoben die Dirndltauglichkeit abbilden: hier oder hier oder ganz besonders hier.

Maglor
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Mo 4. Feb 2013, 21:23 - Beitrag #11

Die Debatte ist zwar so unnötige wie Herr Rainer Brüderle, aber es macht die Sache sicherlich nicht ekelhafter, dass er ein älterer Herr.
Journalisten spielen Politikern auf recht üble Weise (da geht es all zu oft um das Aussehen, Sprachfehler und mutmaßliche sexuelle Vorlieben), dass es schon reichlich komisch wirkt, wenn eine Journalisten derart heftig reagiert. (Immerhin kam der Dirndl-Spruch auch an der Theke und nicht auf der Tribüne.)

Es zeigt schon überdeutlich, wer hier am längeren Hebel sitzt.
Vielleicht klingt da auch wieder so eine Art sexistischs Verhalten mit und alle haben vergessen, dass es sich um eine erwachsene Frau handelt und nicht um ein kleines Mädchen, das vor bösen Buben beschützt werden muss.

Ein kleiner Rat von Degenhardt: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder!

Zitat von e-noon:Wenn das Gang und Gäbe ist im Politbusiness, dann ist es gut und richtig, dass jemand darauf hinweist.

Schröder, Münte, Wulff natürlich, sogar Kohl!
Alle schnappen sich irgendwelche Journalistinnen, die ihre Töchter seien könnten.
Die Sache scheint oft genug zu funktionieren.
Tja, Brüderle ging bislang leer aus. :crazy:

e-noon
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Mo 4. Feb 2013, 22:49 - Beitrag #12

Zitat von Traitor:Was hältst du von der gesamtgesellschaftlichen Debattenausweitung?

Nervig, aber gut. Beunruhigender fände ich es, wenn so eine Begebenheit mit einem "ach was, die hätte ja weggehen können" abgetan wird.

Zitat von 009:Ich vermisse ua. jeglichen Hinweis darauf, das Himmelreich irgendwie eindeutig zu erkennen gegeben hat, das ihr Brüderles Verhalten zuwieder ist.

Als sensibler Mensch merkt man, wenn man dem Gegenüber unangenehm ist. Wenn man es nicht bemerkt, obwohl es offensichtlich ist (der Sprecherin Brüderles war es offenbar klar, sie entschuldigte sich für sein Verhalten), ist das ein Grund mehr, die Gesellschaft für solches Tun zu sensibilisieren.

Zitat von stern online: Ich möchte von ihm wissen, wie er es findet, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen. Er will lieber über etwas anderes sprechen: mein Alter. Auf 28 Jahre schätzt er mich. Ich sehe ihn erstaunt an, weil das zu diesem Zeitpunkt stimmt. "Mit Frauen in dem Alter", sagt Brüderle, "kenne ich mich aus." [...]
[Sie sagt, sie wohne in München]
Dort seien die Frauen eigentlich trinkfest, sagt er und blickt skeptisch auf die Cola Light in meiner Hand. Ich sage ihm, dass ich privat, zum Beispiel auf dem Oktoberfest, durchaus Alkohol trinke. Brüderles Blick wandert auf meinen Busen. "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen."
[...]
Im Laufe unseres Gesprächs greift er nach meiner Hand und küsst sie. "Ich möchte, dass Sie meine Tanzkarte annehmen." "Herr Brüderle", sage ich, "Sie sind Politiker, ich bin Journalistin." "Politiker verfallen doch alle Journalistinnen", sagt er. Ich sage: "Ich finde es besser, wir halten das hier professionell."
"Am Ende sind wir alle nur Menschen." [...]

Link.

Ich habe mal markiert, wo die Journalistin deutlich macht, dass sie die Kommentare nicht gutheißt. Am Ende des Gesprächs kommt er ihr unangenehm nahe, sie hält die Hände vor den Körper, seine Sprecherin entschuldigt sich.

Ich schlage vor, dass sich die hier schreibenden Herren einmal in eine entsprechende Lage versetzen. Ihr geht zu einer Dozentin an der Uni, bei der ihr eine Sprechstunde für eure schon begonnene Abschlussarbeit habt, sagen wir, um dem Beispiel gerechter zu werden, es ist eine Ferienstunde, die sie extra für euch vereinbart hat, weil ihr zur regulären Sprechstunde nicht könnte. Sie setzt sich unangenehm nahe, fragt, was man nach der Sprechstunde noch vorhat; vielleicht dreht man sich um oder bückt sich, um etwas aus der Tasche zu holen, und sie sagt mit zweideutigem Unterton, während ihr Blick in der Körpermitte weilt "Oh, Sie können sich gerne öfters umdrehen!"
Fragen zur Arbeit beantwortet sie kurz und kommt dann immer wieder aufs Private zurück, fragt, wo ihr herkommt, ob ihr auch mal einen trinken geht, wo ihr dann so hingeht. Zum Abschluss schüttelt sie eure Hand, legt vielleicht noch die andere Hand um eure, lässt sie lange Zeit nicht los.

Wäre euch das nicht unangenehm?

Was macht man in dieser Situation? Man kann schlecht aufstehen und empört hinausstürmen (was wird dann aus der eigenen Arbeit? Wird sie sich bei der nächsten Sprechstunde dann noch fair verhalten?). Man kann schlecht ruckhaft seine Hand wegziehen. Man kann kaum etwas erwidern auf Kommentare, die das Gespräch auf die eigene Körperlichkeit reduzieren. Hättet ihr in einer solchen Situation nicht das Gefühl, dass euch ein Unrecht geschieht, dass es so nicht sein sollte?

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Mo 4. Feb 2013, 23:01 - Beitrag #13

Wofür genau sich Brüderles SPrecherin zu entschuldigen müssen meinte ist Gegenstand durchaus gegensätzlicher umstrittener Darstellungen.
Gerade weil Brüderle "old school* ist habe ich meine Zweifel ob er wirklich die Hand küsste oder einen Handkuss ausführte.
Zudem ist nur ihre Schilderung der Situation bekannt, das sie exakt widergibt, wie es war ist sicher nicht. Niemand von uns war dabei.

Der Vergleich mit der Uni hinkt IMHO recht gewaltig. Die Betreuerin meiner Abschlußarbeit hatte auf michund meinen weiteren Weg einen deutlich größeren Machteinfluß als ein einzelner Politiker beim Hintergrundgespräch auf eine Journalistin.

Davon ab wäre ich in so einer Situation in der Tat irritiert, hätte mich recht sicher erst mit Freunden und der Gleichstellungsstelle beraten, eben weil ich aus mir selbst heraus nicht wüsste, wie damit umgehen, es aber weder ignorieren noch in der Situation hätte wild eskalieren lassen wollen.

Edit: mit dem Problem der Unsicherheit, das der wortwortliche Verlauf der Situation noch der aus der Situation unter Einbezug von Mimik und Gestik ableitbare Eindruck bekannt ist, hinkt der Vergleich auch, weil dann die Dozentin auf den betreuten damit zugehen müsste, warum er in seinem Alter noch meint durch eine Abschlußarbeit für sich Hoffnung schöpfen zu können.

Unabhängig von all dem hoffe ich, dass nicht nur ich das Ganze schon zum Anla nehmen, nochmals schärfer zu gucken, wie das (gerade weibliche) Gegenüber reagiert, im Zweifel auch in/kurz nach der Situation lieber einmal zuviel nachzufragen. Und damit niemals ein Jahr zu warten, sondern dann, wann es erstmal passt (was m.E. eher nur bei intensiveren Telefonaten oder Begegnungen zutrifft). so zumindest ist meine Innensicht, wie ich es handhaben will, zur Außensicht kann ich nicht wirklich belastbares sagen, gerade weil ich ibspw. in einem Fall noch auf die passende Situation notgedrungen warten muß (wo es aber auch nicht um zu schlüpfriges sondern eher um allgemeine Kontaktaufnahme/-halten geht).

Padreic
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Di 5. Feb 2013, 04:58 - Beitrag #14

Ich habe jetzt endlich auch mal den Originalartikel vollständig gelesen. Fazit: Brüderle scheint Alkohol und schmutzige Witze und Bemerkungen zu mögen. Das auf diese Weise als Grundlage zu nehmen, um Brüderle als Politiker anzugreifen, ist kein seriöser Journalismus [wer hätte das im Stern auch erwartet?] Die Autorin erwähnt zwischendurch, dass er auch als Politiker nicht viel geleistet hätte, sie tut es aber in einem Stil, der mir kein Vertrauen in ihre Äußerungen einflößt.

@e-noon: Stellen wir mal eine klarere Analogie her: Man besucht eine fachliche Konferenz, am Abend trifft man sich noch in einer Kneipe. Ich stelle einer älteren Professorin noch eine fachliche Frage (meinetwegen frage ich sie sogar, wie es ist, in ihrem Alter noch Forschung zu betreiben) - sie will lieber nicht über die Arbeit, sondern über Privates reden. Ich fange wieder an eine, eine fachliche Frage zu stellen - sie macht nach kurzem Geplänkel eine anzügliche Bemerkung über meine Figur. [ich bin mir nicht sicher, was das genaue Äquivalent wäre, falls ein solches existiert.] Später im Gespräch, das ich offenbar nicht abgebrochen habe, umarmt sie mich noch ungebeten und unerwünscht. Offenbar ist sie etwas alkoholisiert.

Wie ich das fände? Etwas unangenehm, etwas amüsant, etwas schade, dass ich die fachliche Frage nicht richtig beantwortet bekam; unter Umständen vielleicht sogar ein wenig schmeichelhaft. Vermutlich würde ich aber herausfinden, dass sie so etwas häufiger macht, mit allen möglichen Leuten. Ich würde mich in Zukunft darauf beschränken, mit ihr in Situationen, wo sie nicht alkoholisiert ist und eine professionelle Atmosphäre herrscht, mit ihr zu sprechen. Meine persönliche Wertschätzung ihr gegenüber würde dadurch sicherlich stark leiden; meine fachliche wäre nicht wesentlich betroffen.
[Die Analogie ist wohl aber immer noch nicht so ganz vollständig, da ein älterer Mann, gerade in einer gesellschaftlich gehobenen Position, nicht davon ausgehen muss, dass ihn eine jüngere Frau generell nicht attraktiv findet. Das ist sicherlich nicht geschlechtssymmetrisch.]

Traitor
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Di 5. Feb 2013, 11:04 - Beitrag #15

@009: Interessante Hintergrundrecherche. Aber ob man wirklich davon ausgehen kann, dass Brüderle geistreich auf diesen Altartikel anspielte...?

@e-noon: Padreics Beispiel passt deutlich besser als deines, da deines die eindeutige Machtsituation beinhaltet, die manche Presseerzeugnisse in die Brüderle-Geschichte hineininterpretieren, die dort aber eben nicht vorlag.
Ansonsten hat ja niemand bezweifelt, dass einem als Betroffenem so ein Verhalten "unangenehm" ist; aber "unangenehm" ist es mir auch, wenn mich jemand beleidigt, in meiner Nähe gröhlt oder raucht (letzteres sogar "ekelhaft" und "widerwärtig"). Das direkteste und damit potentiell "widerwärtigste", was Brüderle (nach Himmelreichs Schilderung) gemacht hat, war der Handkuss, und den kann man bei seinem Alter wohl sogar noch als Relikt ehemals als gut geltenden Benehmens interpretieren. Der Rest war dumm, peinlich und schmierig, in der Summe sicherlich unangemessen, aber im Spektrum üblichen sozialen Fehlverhaltens für mich keine allzu scharfen Worte wert.

Letztlich denke ich, dass der Artikel kein journalistisches Glanzlicht ist, aber trotz der negativen Bemerkungen wie "kein Politiker wird sich mehr alleine mit Journalistinnen treffen" oder "kein Verlag wird mehr Journalistinnen allein zu Politikern schicken" doch eher positives bewirken dürfte - vielleicht gibt es ein paar Wochen oder Monate lang solche Überreaktionen, aber danach dürfte sich die übliche Interaktion wieder einspielen, aber bei den "Männern der alten Schule" mit dem Gedanken im Hinterkopf, sich sowas nicht mehr leisten zu können. Nicht aus Einsicht, aber aus Angst vor Öffentlichmachung.

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Mi 6. Feb 2013, 00:24 - Beitrag #16

Wollen wir prognostizieren, wieviel Strafe und Schadenersatz jenes Fremdgeh-Portal wird zahlen müssen, das sich nicht entblödet, mit Brüderle in Psssst-Geste und dem Spruch "Diskreter un anonymer als jede Hotelbar" zu werben?
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