Europas Agrarüberschüsse erzeugen Armut

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Scuba
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Di 26. Mär 2013, 21:22 - Beitrag #21

Zitat von Ipsissimus:im freien Markt gibt es also nur Heilige, die nie, niemals, in alle Ewigkeit nicht auf kluge Ideen kommen, z.B. Preisabsprachen, Monopolbildungen, Bildung von Trusts (heute Global Player), Lobbyismus.

Abgesehen davon, dass Du hier etwas zu konstuieren versuchst, was offenbar passend für Deine Ideologie gemacht werden soll, wird es auch in einem freien Markt natürlich auch immer wieder betrügerische Handlungen geben, so lang es Kriminelle gibt. Aber im Gegensatz zunm Sozialismus und anderen Ausbeutungssystemen, gehen Pleitiers in einem freien Markt pleite und werden Betrüger bestraft, weil es eben keine "Freunde" in der Politk, bzw. der staatstragenden Mafia gibt, die Dich zu Lasten Dritter "raushauen"!

Und dass die Freiheitsfreunde in der Lage sind, maföse Herrrschafstrukturen abzuschaffen, haben sie in der Geschichte schon mehrfach bewiesen. Ansonsten würden wir immer noch unter "Fürsten und Königen" als Leibeigene wirtschaften. Freier Handel schafft Frieden zwischen den Menschen und den Völkern, ohne dass das angeordnet werden muss. Es macht die Ausbeuter überflüssig und demaskiert sie. Eine Leistung gegen werthaltiges Geld zu erbringen, schafft erst die Möglichkeit sich aus Beziehungsabhängigkeiten zu lösen.

Franciso d'Anconia: "Laufen Sie vor jedem Menschen davon, der Ihnen sagt Geld sei böse. An dieser Aussage erkennt man, das sich ein Plünderer nähert. So lange die Menschen gemeinsam auf der Erde leben und ein Tauschmittel brauchen, ist der einzige Ersatz für Geld die Mündung eines Gewehres..."

Der Bäcker backt doch nicht für Dich Brötchen, weil er ein "Heiliger" ist!? - Er will Profit machen! - Und dafür ist er bereit, eine Leistung - 'für Dich' zu erbringen. Also die Art von 'gesundem Eigennutz', - der anderen nutzt. Ganz im Gegensatz zum verlogenen, weil ideologisch vorgespielten Altruismus der Gutmenschen (Weltverbesserer)

Und jetzt analysiere ich mal die Münze, die in Deinem Universum offenbar Zahlungsmittel ist (und die auch von den Religiösen gespielt wird)
Du willst aus einer gespielten moralischen Überheblichkeit heraus 'kostenlos bedient' werden. Du beanspruchst für Dich das Recht, das andere Menschen für Dich da zu sein haben. Dazu bist Du bereit, das Ausbeutungssystem, dass Du und Deine Lobby installiert haben, weiter auszubauen und moralisch zu überhöhen, um von der Arbeitsteilung zu profitieren, - ohne das ihr Euch selbst daran beteiligen wollt.

Frederic Bastiat vor ca. 200 Jahren:

"Wenn Ausbeutung für eine Gruppe in der Gesellschaft zu einer Form des Lebens wird, so wird sie für sich selbst ein Rechtssystem schaffen, was dies autorisiert, und einen Moral-Kodex, der dies glorifiziert"

Ipsissimus
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Mi 27. Mär 2013, 13:56 - Beitrag #22

nun ja, Scuba, wie ich schon sagte, du und ich, wir leben offenbar in unterschiedlichen Universen. Ich lese, was du schreibst, sehe mich aber außerstande, in dem Gelesenen irgendeinen realen Bezug zur beobachtbaren Wirklichkeit zu erkennen. Mag ja sein, dass in deinem Universum schöne Worte und wohlfeile Theorien bereits identisch mit der Wirklichkeit sind, in meinem Universum ist das nicht so, da zählt nur der Erweis. Von daher haben wir beide uns wohl nichts zu vermitteln, aber das war ja schon öfter so.

Scuba
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Mi 27. Mär 2013, 22:05 - Beitrag #23

Zitat von Ipsissimus:nun ja, Scuba, wie ich schon sagte, du und ich, wir leben offenbar in unterschiedlichen Universen. Ich lese, was du schreibst, sehe mich aber außerstande, in dem Gelesenen irgendeinen realen Bezug zur beobachtbaren Wirklichkeit zu erkennen. .


Interessant - für Dich ist also nicht beobachtbar, das vor Einführung einer (etwas) liberalen Wirtschaftsordnung Millionen Menschen verhungert sind (In China unter Mao und seinem sozialistischen Umerziehungslager über 20 Millionen). Genauso bei uns in Europa 'bevor' der "Manchesterkapitalismus" mehr bot, als den (stillen) Hungertod - und das man Kinder in den Wald führte, wenn es mal zuviel gab. Ich denke das sagt weniger aus darüber, in welchen Universen wir leben, sondern wie sehr Du in der Lage bist die Wirklichkeit zu Gunsten einer für Dir genehmen Ideologie auszublenden.

Du scheinst einem fatalen Mißverständnis zu unterliegen:
Liberalismus ist keine politische Ideologie, - sondern ein 'ethisches Konstrukt' - eine (logisch) begründete Handlungsanleitung um die 'Dreiecksbeziehung' zwischen individueller Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und friedlicher Kooperation zu stärken. Dazu haben die Liberalen in den Jahrhunderten Axiome gefunden, die in Kontinentaleuropa mit seiner wiederholten Affinität zu sozialistischen Trugblidern und dem neuerdings "bunten" Massenwahn, der so langsam faaschistoid zu werden droht, leider nahezu vergessen sind. (Insbesondere - immer wieder - bei "uns Deutschen")

Du musst dieser Ethik nicht folgen. Niemand wird dazu genötigt. - Niemand soll sich aber dann auch nicht darüber beklagen, dass z.B. ein "doppelt so hoher Mindestlohn" - eben nicht "doppelt sozial" ist, sondern nur doppelt so hohe Jugend - und Migrantenarbeitslosigkeit verursacht.

Vlt bist du "noch" in der Lage Dich selber zu fragen, - auf welcher Basis (D)eine Ideologie beruht, die scheinbar nur darauf aus ist, andere die nach Freiheit streben und bereit sind, für ihren Wohlstand etwas zu tun, - in's moralische Unrecht zu setzen, um sie ausbeuten "zu dürfen".

Denn außer einer gelangweilten Lamorianz, die voraussetzt, das Wohlstand immer vorhanden ist ("auf den Bäumen wächst") und nur die bösen Kapitalisten die sozial gerechte Verteilung sabottieren, - sehe ich nichts substanzielles.

Padreic
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So 31. Mär 2013, 05:03 - Beitrag #24

Das Thema Liberalismus scheint ja immer wieder eine hoch-emotionale Debatte anzureizen ;). Das gerade, wenn man sich über das Ausgangsthema, dass die Asymmetrie vom Freihandelsverständnis der EU sicherlich kein moralisches Glanzstück ist (sondern vielmehr neben einer Schweinerei auch eine Rinderei, Weizenerei,....) eigentlich einig ist.

Ich selber würde mich als milden Neoliberalen bezeichnen. Neoliberalismus hier natürlich nicht als den sozialistisch aufgeheizten Kampfbegriff, sondern als Kampfbegriff gegen eben jene Neubelegung in seiner ursprünglichen Bedeutung; also in etwa im Sinne sozialer Marktwirtschaft im Gegensatz zum radikaleren klassischen Liberalismus. Die "moderne", sich vom eigentlich Sozialismus abgrenzende Sozialdemokratie ist natürlich wirtschaftspolitisch in diesem Sinne auch nur eine Spielart des Neoliberalismus. So ist es sachlich gesehen (im Prinzip) genauso korrekt, die SPD als neoliberal wie auch die FDP als sozialdemokratisch zu bezeichnen. Sowohl bei FDP, SPD, Union und den Grünen (sogar Teile der Linkspartei) scheint es mir die gleiche wirtschaftliche Grundüberzeugung zu geben, die nur unterschiedliche Akzente und Schattierungen setzt.

Es mag in der FDP vereinzelt Leute geben, die marktradikal denken, der Mainstream aber offenbar nicht. Das sieht man schon daran, dass die FDP nicht gegen eine allgemeine Krankenversicherung opponiert, die in den USA gern als sozialistisch bezeichnet wird und sicher nichts mit Marktradikalität zu tun hat. Genauso wenig opponiert sie gegen die Existenz von Sozialhilfe etc. Es geht bloß nur um die Höhe von Sozialleistungen und staatlicher Intervention, nicht um deren Existenz.

Die Einigkeit der großen Parteien in diesen Punkten ist natürlich nicht ohne Grund. Bei allen Schwächen des Systems beispielsweise in Deutschland muss man doch zugestehen, dass es vergleichsweise zu so ziemlich allen probierten Systemen sehr gut abschneidet.

@Scuba:
Da ist grober Unfug. In einem freien Markt können sich keine Monopole bilden, dies ist nur unter staatlichem Schutz möglich. Will ein Unternehmen in einem freien Markt ein Monopol durchsetzen, muss es über eine lange Zeit hinweg einen Verlust 'vorfinanzieren' - den es ohne staatlichen Schutz nie mehr erwirtschaften kann, da spätestens dann , wenn die "Monopolrente" eingefahren werden soll, die Konkurrenten den Gewinn entscheidend drücken
Daran glaube ich nicht. Ein einfaches Beispiel wäre, wenn ein Unternehme eine brillante neue Erfindung macht, die andere auch in den nächsten Jahren nicht schaffen zu kopieren [oder sie einfach unter Patent steht; oder ist Patentrecht schon Etatismus?] Das wäre vielleicht ein Fall von einem Monopol, das man als "gut" ansehen könnte, weil es auf echtem Fortschritt beruht. Wenn aber einmal so eine Vormachtsstellung erreicht wurde, können viele Tricks benutzt werden, um sie auszubauen und zu halten, auch ohne große neue Innovationen. Bekannt z. B.: Man beliefert nur Händler (mit Rabatt oder überhaupt), die keine Konkurrenzprodukte anbieten. Wenn Produkte dieses Typs eine lange Einarbeitungszeit erfordern, wenn man das Produkt wechseln, oder es Kompatiblitätsprobleme geben kann, kommt noch eine Zögerlichkeit im Wechseln dazu, die man mit diesen Tricks kombinieren kann. [Dieses Beispiel ist an Microsoft orientiert]

Kartelle und dergleichen sind noch einfacher. Wer sollte einen an Preisabsprachen, um die Preise hochzuhalten hindern? Natürlich, nach einer Weile wird immer jemand ausscheren oder ein neuer Konkurrent kommen, aber das kann Jahre oder Jahrzehnte dauern.
Ähnlich wenn sich einfach alle Konkurrenten zu einem großen Unternehmen zusammenschließen.

Das ist, denke ich, ein Grund, warum selbst verhältnismäßig deutliche Liberale häufig staatlich gelenkte Kartell- und Monopolbildungsverhinderungsmaßnahmen billigen.

@Ipsissimus:
eigentlich ist es auch völlig gleichgültig, ob "Liberalismus" oder "Etatismus", weil Begrifflichkeiten nichts an den Motiven und an den Sachverhalten ändern. Es geht im einen wie im anderen Fall - und in beinahe allen weiteren Varianten - nur um eines, und das sind Privilegien. Ob sie durch "das freie Spiel des Marktes" oder durch staatliche Lenkung unterdrückt werden, ist für die allermeisten Menschen völlig irrelevant, weil das beschissene Gefühl dabei dasselbe ist.
Es kommt sehr darauf an, was man beispielsweise unter 'Liberalismus' versteht. Wenn man darunter versteht: "Etwas, was bestimmte Leute benutzen, um ihre Verhaltensweisen zu legitimieren." liegst du vermutlich nicht ganz falsch. Legt man aber solche Maßstäbe an, kann einem jeder Begriff im Munde verdreht werden. Benutzt man eine übliche Definition des Begriffs 'Liberalismus' kann ich keine Hinweise für deine Behauptung sehen, dass es dabei nur um Privilegien ginge. Natürlich: Wenn manche Leute mehr Besitz und damit mehr Möglichkeiten haben als andere, ohne dass eine Ordnungsmacht ihnen diesen Besitz sofortig wegnimmt, kann man das als Privilegienwahrung der Leute mit mehr Besitz sehen. Aber selbst diese Interpretation angenommen, wäre es noch ein weiter Schritt zu sagen, dass es dabei nur um Privilegienwahrung geht. Dass es Liberalen generell primär oder sogar ausschließlich darum geht, dass die Reichen reich bleiben oder sogar reicher werden, ist einfach faktisch falsch. [Übrigens kann man auch durchaus sagen, dass es im umgekehrten Fall ein Privileg der Armen wäre, wenn eine Ordnungsmacht den Reichen ihren Besitz wegnimmt und den Armen gibt. Privileg scheint mir immer als eine Abweichung von dem Zustand zu gelten, der einem als natürlich oder angemessen gilt. Dementsprechend ist hängt die Ausgestaltung des Begriffs Privileg natürlich extrem von ökonomischen, juristischen und ethischen Grundeinstellungen ab.]

Die europäischen Agrarsubventionen sind natürlich ein Ärgernis. Das ist aber nicht Folge staatlicher Lenkung, sondern Folge dessen, dass die Agrarlobby Staaten dazu veranlasst hat, die Karten zu ihren Gunsten zu zinken. Das mag optisch so wirken, als sei da Etatismus am Werk, aber wenn es Etatismus ist, dann ein solcher, der von privaten Lobyisten mit Macht beschworen wurde, im Grunde eine Kapitulation des Staates vor den Privaten. Wie da noch mehr Freiraum für die Privaten dagegen wirksam werden sollte, bleibt ein Geheimnis neoliberaler Politik, oder von mir aus auch liberaler Politik.
Erstmal möchte ich anmerken, dass ich die Existenz von Agrarsubventionen in der EU nicht für ein Ärgernis halte. Dass sich die EU zumindest zu wesentlichen Teilen mit Nahrungsmitteln selbst versorgen kann, halte ich für einen wünschenswerten Zustand. Die Höhe und Art der Subventionen und die Asymmetrie in der Behandlung anderer Länder ist das Ärgernis.

Die Bürger eines Staates sind Privatleute; die Bedienung von Interessen von Privatleuten ist daher durchaus Aufgabe des Staates. Das demokratische Prinzip fördert diese Bedienung, da sich die Politiker so Stimmvieh erkaufen können, beispielsweise die Stimmen der Bauern (oder auch die zig anderer gesellschaftlicher Gruppierungen). Die Frage ist immer, ob der Staat die verschiedenen Privatinteressen angemessen unter einen Hut bringt, oder ob er durch Bestechung oder Erpressung zu sehr in gewisse Richtungen gelenkt wird [Ideologen und Dummheit können natürlich noch zusätzlich ihren Beitrag leisten] Erpressung können z. B. Großdemonstrationen oder Generalstreiks genauso wie Drohung von Verlegung von Produktion ins Ausland und zig andere Sachen sein. Erpressung oder Bestechung können aber auch gerade Stimmentzug oder Stimmgabe sein.
Die Macht in einer Demokratie liegt letztlich in den Händen des Volkes. Ohne Erpressung und Bestechung könnte es diese aber nie ausüben. Letztlich sind natürlich manche Organisationen von Privatleuten erfolgreicher als andere in diesen Operationen, sei es wegen mehr Geld, sie es wegen größerem Organisationstalent. Fest steht allerdings, dass große staatliche Kontrollmacht und Einflussnahme von Privatleuten auf den Staat in keinem Widerspruch stehen.

Die Frage bleibt, ob die Landwirte einen unfair großen Einfluss nehmen. Wahrscheinlich ein bisschen, genauso wie wohl auch Bergleute es genommen haben und andere, deren Gewerbe ohne staatliche Intervention vom Aussterben bedroht wäre. Fest steht aber auch, dass die meisten Landwirte mit dem, was sie machen, nicht reich werden und auch sich kaum auf die faule Haut legen können. Allzu groß kann ihr Einfluss also auch nicht sein...

Ipsissimus
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Mo 1. Apr 2013, 12:30 - Beitrag #25

Es geht bloß nur um die Höhe von Sozialleistungen und staatlicher Intervention, nicht um deren Existenz.
Mag sein, doch kommt es mir so vor, als würde durch die derzeitige Höhe von Sozialleistungen deren Existenz zu einem bloßen Anstrich reduziert.

Bei allen Schwächen des Systems beispielsweise in Deutschland muss man doch zugestehen, dass es vergleichsweise zu so ziemlich allen probierten Systemen sehr gut abschneidet.
Bis 2003 hätte ich das so unterschrieben.

Benutzt man eine übliche Definition des Begriffs 'Liberalismus' kann ich keine Hinweise für deine Behauptung sehen, dass es dabei nur um Privilegien ginge.
Das ist richtig, setzt aber bei einer falschen Interpretation der Wortwahl "es geht um" an. Es "geht um" Gewinnmaximierung und Kostenminimierung, und ein Mittel hierfür ist der Erwerb, Erhalt und Ausbau von Privilegien. Außerdem wird in einer Definition lediglich die Theorie einer Idee vermittelt, sie erlaubt noch keinerlei Eindruck von der Praxis dieser Idee.

Dass es Liberalen generell primär oder sogar ausschließlich darum geht, dass die Reichen reich bleiben oder sogar reicher werden, ist einfach faktisch falsch. [Übrigens kann man auch durchaus sagen, dass es im umgekehrten Fall ein Privileg der Armen wäre, wenn eine Ordnungsmacht den Reichen ihren Besitz wegnimmt und den Armen gibt. Privileg scheint mir immer als eine Abweichung von dem Zustand zu gelten, der einem als natürlich oder angemessen gilt.
Der erste Satz stimmt teilweise, insofern es beim Erwerb von Privilegien nicht darum geht, diese Privilegien zu teilen, noch nicht mal mit anderen Privilegienträgern. Teilung von Privilegien mit anderen Privilegienträgern ist lediglich ultima ratio, wenn Privilegien einer Gruppe insgesamt angegriffen und gefährdet werden.

Der zweite Satz mag so sein oder nicht; falls ein derartiger Vorgang irgendwann einmal beobachtet werden könnte, würde ich dir mehr dazu sagen können. Die Praxis scheint das nicht wirklich herzugeben.

Der dritte Satz kommt mir falsch vor, Privilegien sind normalerweise dann vorhanden, wenn Rechte theoretisch - per Gesetz - gleich verteilt sind, in der Praxis aber durch das Wirken ungleich verteilter Machtmittel die Gleichverteilung zu einer faktischen Ungleichverteilung mit Konzentration auf Kleingruppen gerät.

Die Höhe und Art der Subventionen und die Asymmetrie in der Behandlung anderer Länder ist das Ärgernis.
Mir scheint das Ärgernis vor allem darin zu liegen, dass durch den allmählichen Wechsel der Vergabemodi und -bedingungen das vor 40 Jahren ursprünglich mal vorhandene Anliegen der Subventionen, den Lebensunterhalt klein- und mittelständischer Bauern zu sichern, völlig gegenstandslos wurde. Heute profitieren im Wesentlichen nur noch bäuerliche Großbetriebe von den Subventionen, alle anderen werden, so sie nicht ohnehin schon verschwunden sind, immer mehr an den Rand gedrängt. Die übergroße Zahl der Landwirte wurde durch die Subventionen also nicht nur nicht reich, sie wurden vom Markt verdrängt. Und das nicht deswegen, weil Subventionen grundsätzlich böse sind, sondern weil ihre Verteilung vorhandenen Privilegien folgte und diese zementierte.

die Bedienung von Interessen von Privatleuten ist daher durchaus Aufgabe des Staates.
Das sehe ich wesentlich anders. Aus meiner Sicht steht im Zentrum der Existenzrechtfertigung eines Staates der Ausgleich divergierender Interessen der Bürger.

Die Macht in einer Demokratie liegt letztlich in den Händen des Volkes.
sehr, sehr, sehr, sehr, sehr theoretisch

Fest steht allerdings, dass große staatliche Kontrollmacht und Einflussnahme von Privatleuten auf den Staat in keinem Widerspruch stehen.
das ist leider völlig richtig, und bei Oligarchien, auch wenn diese in Parteien organisiert sind, nichts besonderes. Nur in einer Gesellschaft, die für sich den Charakter einer Demokratie beansprucht, hat Lobbyismus nicht das geringste zu suchen. Aber Demokratie ist ja auch nur Theorie, die Praxis heißt Parteienoligarchie.

Traitor
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Mo 1. Apr 2013, 15:29 - Beitrag #26

Vielleicht passt die Liberalismus-Diskussion besser in den gerade von Bauer-Ranger ausgegrabenen Thread.

Zum Agrathema selbst möchte ich die Frage aufwerfen, ob es wirklich die "heimische funktionsfähige Struktur" (janw) gibt, die von europäischen Exporten zerstört wird, bzw. "funktionsfähig" nach welchen Kriterien? Selbst, wenn es in Indien oder Afrika keine Hungersnöte gäbe, kann eine kleinbäuerliche Selbsterhaltswirtschaft nach westlichen humanistischen Kriterien als "funktionsfähig" angesehen werden, wenn es gerade diese Struktur ist, die große Teile der Bevölkerung in Bildungsferne und Patriarchie festhält?

janw
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Mo 1. Apr 2013, 16:23 - Beitrag #27

Traitor, lass den L-Diskurs mal drin, schließlich sterben wir auch alle gerade Hungers aufgrund unseres ÖPNV-Sozialismus ;)

"Funktionsfähig" im Sinne von eine regionale oder auch überregionale Bevölkerung ernährend, also keine reine Subsistenzwirtschaft.

Wenn ich mehr Zeit habe, gehe ich noch auf das Vorangegangene ein.

Scuba
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Mo 1. Apr 2013, 20:04 - Beitrag #28

Hallo!
Zitat von Padreic: Sowohl bei FDP, SPD, Union und den Grünen (sogar Teile der Linkspartei) scheint es mir die gleiche wirtschaftliche Grundüberzeugung zu geben, die nur unterschiedliche Akzente und Schattierungen setzt.


Da halt Liberalismus eher eine ethische Einstellung als eine politische Ideologie ist, ist diese wohl in allen halbwegs demokratischen Parteien mehr oder weniger (eher zunehmend weniger) präsent. Reaktionäre Bewegungen hin zum Konservatismus und Sozialismus sind ja letztlich dafür verantwortlich, das man den Staat als "Beschützer" von Monopolen und "(vorgeblichen) sozialen Errungenschaften", - die aber nichts anderes als Ausbeutungssysteme sind, die von schmarotzenden Intellektuellen (von dem z.B. Marx einer war) installiert wurden, - einzuspannen versucht.

Die 2 'Todsünden' des Liberalsimus sind hier schon richtig benannt:
http://www.mises.de/public_home/article/403/1

1) Die unzulängliche intellektuelle Aneignung liberaler Grundprinzipien.

Tatsächlich gbit es hier in Zentraleuropa kam noch liberale Zirkel und "Thinktanks", die immer wieder die liberale Ethik einfordern. Freiheitsrechte werden wohl zu einfach als selbstverständlich hingenommen - was sie aber nicht sind. Die einzige Partei die mir in D dazu einfällt ist die "Partei der Vernunft"

In den USA hat man noch einen ganz anderen Bezug dazu. Wohl auch weil viele Liberale Juden waren, die von den Nazis und Kommunisten vertrieben wurden und dort Beachtung fanden. Wie z.B. Ludwig von Mises - oder Ayn Rand

..aber wer einmal 'Ayn Rand' gelesen hat (und in den USA ist "Atlas shrugged" angeblich derezit das meistgelesenste Buch neben der Bibel) - wird die real existierende etatistische Welt mit ganz anderen Augen betrachten und erkennen, das dies die wahren Wurzeln des Faschismus sind. Ein 'Augenöffner' der das Zeug hat Leben zu verändern: http://www.amazon.de/Der-Streik-Ayn-Rand/dp/3000370943


Vlt. versteht man dann auch die amerikansiche Seele besser und findet die Forderung nach allgemeiner Sozialversicherungspflicht für alle nicht mehr ganz so "sozialgerecht", sondern einfach nur verlogen und perfide.

2) Die Scheu davor, liberales Denken offensiv zu vertreten.


Angesichts der immer mehr im sich greifenden 'political correctnes' im "rot-grünen Umerziehungslager" (Zitat Roland Tichy), werden Liberale mittlerweile schon deshalb als "rechtspopulistisch" oder gar "rechtsextrem" gebrandmarkt, wenn sie sinnvolle oekonomische Handlungen gegenüber dem Mißbrauch des Sozialsystems einfordern und Zusammenhänge aufzeigen (siehe auch die Mindestlohn- und Eurodebatte). Mit der Folge, das gar nicht mehr vernünftig über Ökonomie und Geldsystem diskutiert werden kann, sondern 'Diskussionsverbote' gefordert werden, damit sich "die Gemeinwohlschmarotzer" gar nicht mehr an der Wirklichkeit messen lassen müssen, sondern nur noch an ihrem inkompetenten "guten Wollen".

Da aber die radikalen Liberalen, - die Libertären und Voluntaristen , - im Gegensatz zu Sozialisten jeglicher coleur - initierende Gewalt strikt ablehnen, haben sie als einzige Waffe das 'scharf gesprochene' - Wort, verknüpft mit dem Apell an Logik und Vernunft. Was wohl - auf dem Weg in die (neosozialistische) Knechtschaft - immer weniger fruchtet und wieder zur existenziellen Gefahr wird, angesichts der zunehmend übergreifender werdenden "Gedankenpolizei" in ihrem vorgeblichen "Kampf gegen Rechts". Ein Propagandafeldzug der Kollektivisten, der mittlerweile zu einem Kampf gegen die liberalen Bürgerrechte umfunktioniert worden ist.

Die Einigkeit der großen Parteien in diesen Punkten ist natürlich nicht ohne Grund. Bei allen Schwächen des Systems beispielsweise in Deutschland muss man doch zugestehen, dass es vergleichsweise zu so ziemlich allen probierten Systemen sehr gut abschneidet.


Die mittlerweile notorischen Rechtsbrüche um angeblich das System ("Der Euro ist Frieden") zu retten und die zunehmende Umverteilung in Folge der Ausrottung des bürgerlichen Mittelstandes sprechen eine andere Sprache.

Reichtumsverteilung: http://www.querschuesse.de/deutschland-vermogen-fur-viele-unerreichbar/

Wenn immer davon die Rede ist das "wir" vom Euro profitieren, meinen die Sozialpolitiker sich selbst - und die oberen 10%, die von der kreditfinanzierten Exportsubvention profitieren.

Padreic
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Di 2. Apr 2013, 04:49 - Beitrag #29

@Ipsissimus:
Mag sein, doch kommt es mir so vor, als würde durch die derzeitige Höhe von Sozialleistungen deren Existenz zu einem bloßen Anstrich reduziert.
Das glaube ich in der Form nicht - so einen Ausspruch halte ich für Polemik - und verhöhnend noch dazu all denen gegenüber, die von wesentlich weniger als dem deutschen Hartz4 leben müssen. Wenn man sich den Unterschied vor Augen hält zwischen Hartz4, einem Satz Geld, der das Überleben sichert, aber keinen "Luxus" wie Fernseher, Telefon und Wohnungen mit mehr Zimmern als Leuten zulässt und dann noch einmal einem Satz Geld, der nicht vorhanden ist, kann man nicht guten Gewissens sagen, dass die Sozialleistungen in Deutschland bloßer Anstrich sind.
Das gleiche kann man nochmal mit der Krankenversicherung vorführen. Natürlich lassen sich einige Sachen vorführen, wo Leute mit mehr Geld vielleicht bessere Behandlung bekommen können, aber selbst als Mittelloser wird man im Normalfall (im Krankenhaus) das medizinisch Notwendige bekommen, was sich durchaus auf 100.000ende Euro belaufen kann. Dinge ließen sich sicherlich verbessern, aber auch hier ist es kein Vergleich zu dem wie die Zuständen ohne (oder mit schlechteren) Krankenversicherungen wären.

Der erste Satz stimmt teilweise, insofern es beim Erwerb von Privilegien nicht darum geht, diese Privilegien zu teilen, noch nicht mal mit anderen Privilegienträgern. Teilung von Privilegien mit anderen Privilegienträgern ist lediglich ultima ratio, wenn Privilegien einer Gruppe insgesamt angegriffen und gefährdet werden.
Ich musste das einige Male lesen, bis mir der Bezug zu meinem Schrieb klar wurde ;). Natürlich hast du recht, aber sicher ist dir auch bewusst, dass du damit nicht getroffen hast, was ich meine. Deshalb noch einmal, diesmal präziser: Nicht jedem Anhänger des Liberalismus geht es darum, reich zu sein, reich zu werden oder den Reichtum von Reichen zu fördern. Einem (Neo-)liberalen kann es durchaus darum gehen, den Wohlstand einer breiten Schicht, vielleicht sogar aller zu fördern. Ich denke, das ist Fakt. Ob der (Neo-)liberalismus dazu geeignet ist, bedarf natürlich einer gesonderten Diskussion. Seinen Anhängern generell aber vorzuwerfen, dass sie nur Anhänger sind, um ihre eigenen Privilegien zu fördern, sehe ich als Polemik. [Du vertrittst also deine politischen und ökonomischen Thesen auch nur, um deinen eigenen Wohlstand und deine Privilegien zu fördern?]

Der zweite Satz mag so sein oder nicht; falls ein derartiger Vorgang irgendwann einmal beobachtet werden könnte, würde ich dir mehr dazu sagen können. Die Praxis scheint das nicht wirklich herzugeben.
Sehr interessant, wie dieser Ausspruch verschiedene Wahrnehmungs- und Deutungssysteme beleuchtet, unterschiedliche Schlüsse begünstigend und von unterschiedlichen Schlüssen begünstigt. Aus meiner Sicht ist das eines der Grundprinzipien eines Sozialstaates, dass Reichen Besitz weggenommen wird und dieser (teilweise) an die Armen verteilt wird. Ersteres über Steuern, letzteres z. B. über Sozialhilfe. Damit geschieht Umverteilung von Reich nach Arm offenbar in Deutschland.

Aus meiner Sicht ist der "natürliche" Zustand erst einmal der ohne Staat und mit Vertragsfreiheit. Gegenüber diesem ist unser Sozialstaat eine Errungenschaft und verteilt Geld von Reich nach Arm um.
Deiner Sichtweise nach scheint der "natürliche" Zustand eher in einer Gleichverteilung der Güter zu liegen [wenn ich dir so etwas unterstellen darf]. Damit ist natürlich in einem Staat, der ein System mit großen Unterschieden zwischen Arm und Reich geschaffen hat, eine große Umverteilung von Arm nach Reich im Gange, insbesondere wenn diese Unterschiede größer werden.
Zwei verschiedene Sichtweisen auf die gleichen Umstände. Beide sind historisch gesehen natürlich Fiktionen. Aber irgendeine Sichtweise ist nötig, um solchen Begriffen wie 'Umverteilung' und meiner Meinung nach auch 'Privilegien' Sinn zu geben.

Der dritte Satz kommt mir falsch vor, Privilegien sind normalerweise dann vorhanden, wenn Rechte theoretisch - per Gesetz - gleich verteilt sind, in der Praxis aber durch das Wirken ungleich verteilter Machtmittel die Gleichverteilung zu einer faktischen Ungleichverteilung mit Konzentration auf Kleingruppen gerät.
Was aber nun, wenn die Rechte vorhanden sind, aber nicht ausgeschöpft werden können? Das kann aus ökonomischen Gründen sein (man kann sich gewisse Dinge z. B. nicht kaufen), kann aber auch in mangelnder Begabung liegen (gewiss hat jeder das Recht, Professor zu werden, und bei genügender Begabung ist es, denke ich, auch aus dem Großteil der Lebensumstände in Deutschland heraus möglich). Natürlich kann man jemanden beispielsweise mit großer Begabung als privilegiert bezeichnen, aber ist es so etwas, worauf du hinaus willst?

Natürlich gibt es zwischen einem Millionär und einem einfachen Arbeiter in der Praxis auch Unterschiede in seiner Stellung vor dem Gesetz, aber die treten meiner Meinung nach deutlich hinter dem Aspekt zurück, dass ein Millionär selbst bei vollkommener Neutralität der Justiz sich einfach mehr kaufen kann als ein einfacher Arbeiter.

Das sehe ich wesentlich anders. Aus meiner Sicht steht im Zentrum der Existenzrechtfertigung eines Staates der Ausgleich divergierender Interessen der Bürger.
Da jeder Bürger auch ein Privatmensch ist, meinte ich gerade dies damit, dass ich es durchaus als Aufgabe des Staates sehe, die Interessen von Privatleuten (d.h. von uns allen) zu bedienen.

Mir scheint das Ärgernis vor allem darin zu liegen, dass durch den allmählichen Wechsel der Vergabemodi und -bedingungen das vor 40 Jahren ursprünglich mal vorhandene Anliegen der Subventionen, den Lebensunterhalt klein- und mittelständischer Bauern zu sichern, völlig gegenstandslos wurde. Heute profitieren im Wesentlichen nur noch bäuerliche Großbetriebe von den Subventionen, alle anderen werden, so sie nicht ohnehin schon verschwunden sind, immer mehr an den Rand gedrängt.
Im Einzelnen muss man da doch sehr schauen, was ein Großbetrieb ist. Heute kann eine Fläche von 80 Hektar mit weniger Leuten bewirtschaftet werden als früher 10 Hektar. Der Familienbetrieb ist in der Landwirtschaft bis heute nicht unüblich; die größere Technisierung erlaubt nur wesentlich größere Betriebe bei gleichem Personal.

sehr, sehr, sehr, sehr, sehr theoretisch
Wenn man mit den Zuständen in einer absolutistischen Monarchie vergleicht, sollte man zumindest drei der 'sehr's streichen...

das ist leider völlig richtig, und bei Oligarchien, auch wenn diese in Parteien organisiert sind, nichts besonderes. Nur in einer Gesellschaft, die für sich den Charakter einer Demokratie beansprucht, hat Lobbyismus nicht das geringste zu suchen. Aber Demokratie ist ja auch nur Theorie, die Praxis heißt Parteienoligarchie.
Zur Ablehnung von Lobbyarbeit kann ich dir weitgehend zustimmen (das schließt für mich genauso klassische Lobbyarbeit wie auch Demonstrationen ein). In einer realen Regierung lässt sich der Lobbyismus aber meiner Meinung nach (obwohl Übel) nicht vollkommen ausklammern. Der Staat ist auf die Kooperation von organisierten Gruppierungen angewiesen. Sonst können diese Gruppierungen in Streiks treten (das kann klassische Streiks von Gewerkschaften bedeuten, Verlegungen von Produktion ins Ausland, Stoppen von Milchauslieferung etc.). Erdulden dieser Streiks kann größeres Übel verursachen als die Lobbyarbeit zuvor. Brechen des Streiks (Entlassen der Arbeitnehmer, Enteignen der Arbeitgeber, Beschlagnahmung der Milchproduktion) kann zu Eskalationen führen. Im Einzelfall muss man das immer abwägen; Realität ist Erpressbarkeit.

@Scuba: Danke für den Link zur Reichtumsverteilung. Den Schlussfolgerungen stimme ich zwar nicht immer zu, die Daten sind aber interessant.

Ipsissimus
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Di 2. Apr 2013, 13:48 - Beitrag #30

... und verhöhnend noch dazu all denen gegenüber, die von wesentlich weniger als dem deutschen Hartz4 leben müssen ...
Ist in diesem Kontext der Vergleich mit den Lebensumständen in der Dritten Welt relevant, oder stellt sich Sozialhilfeempfängern in Mitteleuropa eher die Frage, in welchem Verhältnis die ihnen hier gewährten Mittel zu den hier entstehenden Kosten, selbst nur zu den unvermeidbaren Kosten stehen?

Im Vergleich zu den Entwicklungsländern sind wir alle hier Prasser und Verschwender, und selbst die Ärmsten unter uns dürfen sich noch als begütert fühlen ... dürften sich noch als begütert fühlen, wenn sie von dem Geld, das sie hier erhalten, die Ausgaben bestreiten müssten, die sich dort ergeben. Sie müssen aber tatsächlich die Ausgaben bestreiten, die sich hier ergeben, und somit halte ich den Vergleich zu dort nicht wirklich für aussagekräftig. Sie sind arm in Bezug auf ihre Lebenswelt, und das ist Mitteleuropa. Und die Diskussion über die Höhe der Sozialleistungen muss m.E. somit auch in Bezug auf die Situation in Mitteleuropa geführt werden, und da bleibe ich dabei: schöner Schein.

Bezüglich Krankenversicherung: die meisten haben dafür bezahlt, ehe sie in die Armut getrieben wurden. Die meisten würden auch liebend gerne weiter dafür bezahlen, wenn man sie denn gegen angemessene Entlohnung arbeiten ließe. Gerade bei den Kranken- und Sozialversicherungen wird aus meiner Sicht überdeutlich, dass HartzIV-Leuten ein persönliches Versagen zugeschoben wird, das tatsächlich bei der gesamten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik liegt.

Vielleicht ist das alles schon Altersstarrsinn, ich würde es nicht bestreiten^^ ich erinnere mich eben noch an Zeiten, in denen Globalisierung noch ein ferner Albtraum war, aber dafür den allermeisten bedürftigen Menschen noch vernünftige Mittel zur Verfügung gestellt wurden, ohne die ganzen Diffamierungen und Demütigungen, denen sie sich heute aussetzen müssen, um oft genug nicht auch nur das Allernotwendigste zu bekommen. HartzIV ist als Versorgung Bedürftiger gründlich missverstanden; in Wirklichkeit ist es ein Abwehrmechanismus des Staates gegen Ansprüche seiner Bürger.

Nicht jedem Anhänger des Liberalismus geht es darum, reich zu sein, reich zu werden oder den Reichtum von Reichen zu fördern.
Es geht mir auch nicht darum, dass z.B. im Sudan Menschen für mich sterben; trotzdem nehme ich als Nutznießer des Weltwirtschaftssystems deren Tod zugunsten billiger Baumwollpreise in Kauf. Diese Systeme konstituieren strukturelle Gewalt, wurden also so konstruiert, dass ihre Nutznießer sich nicht mit persönlicher Verantwortlichkeit für das Elend anderer rumschlagen müssen.

Auf der individuellen Ebene kann ein Liberaler ja durchaus nett sein. Das ändert aber nichts an seiner Unterstützung eines Systems, das die große Mehrheit aller lebenden Menschen in einen ausweglosen Albtraum stürzt. Ich werfe einzelnen Anhängern des Liberalismus gar nichts vor, sondern beschreibe lediglich, was ich an Wirkungen beobachte. Und die laufen auf die Konzentration von Reichtum und damit Macht in den Händen immer weniger Personen hinaus. Wobei der Liberalismus nicht das einzige System ist, das so etwas bewirkt. Mafia-Organisationen sind ähnlich wirkungsvoll.

Aus meiner Sicht ist das eines der Grundprinzipien eines Sozialstaates, dass Reichen Besitz weggenommen wird und dieser (teilweise) an die Armen verteilt wird. Ersteres über Steuern, letzteres z. B. über Sozialhilfe. Damit geschieht Umverteilung von Reich nach Arm offenbar in Deutschland.
Steuern werden von allen erhoben, nicht nur von Reichen. Dabei werden Reiche in einer Weise belastet, die sie kaum spüren, jedenfalls nicht in ihrem persönlichen Wohlergehen, und Arme werden belastet, dass sie kaum wissen, wovon sie ihre Familien ernähren sollen. Hinzu kommt noch die Beobachtung, dass die Entlohnung in den unteren Einkommensklassen immer mehr unter Druck gerät, was dazu führt, dass für diesen Personenkreis die Relation zwischen Löhnen und Preisen zunehmend entgleist. Nicht meine Vorstellung von Gerechtigkeit.

"Natürliche" Zustände hat es das letzte Mal gegen Ende der Sammler und Jäger-Epoche gegeben, also vor etwa 8000 Jahren. Ich glaube kaum, dass die damaligen Zustände heute noch für ein "natürliches" Wirtschafts- oder Gesellschaftsmodell herhalten können. Und mit der aufkommenden Landwirtschaft und Viehzucht kamen dann im Prinzip schon die gleichen Verteilungsprobleme auf wie heute auch, durch die wesentlich höhere Bereitschaft zu direkter Gewalt natürlich wesentlich deutlicher als heute. Wobei diese Gewaltbereitschaft m.E. nicht verschwunden ist, sondern nur schläft, zumindest solange andere Methoden wie Brot und Spiele effektiv genug zur Massenkontrolle sind.

Ein Gesellschaftsvertrag ist also immer was Kulturelles. Er ist in den meisten Ländern noch nicht mal was kulturell Gewachsenes, dafür sind die Zäsuren durch Kriege zu massiv und bedeutsam. Also kann ein Gesellschaftsvertrag auch immer anders abgeschlossen werden, schlimmer geht immer, aber besser ginge auch, wenn die Absicht dazu bestünde.

Was aber nun, wenn die Rechte vorhanden sind, aber nicht ausgeschöpft werden können? ...

..., dass ein Millionär selbst bei vollkommener Neutralität der Justiz sich einfach mehr kaufen kann als ein einfacher Arbeiter.
Rechte, die nicht ausgeschöpft werden können, existieren nur in der Theorie, in der Praxis sind es keine Rechte. Und die nette Vorstellung, dass in den Industrienationen jemand von seiner Arbeit zum Millionär werden kann, ist nur ein Märchen, noch nicht mal ein freundliches. Es sei denn, man definiert "von seiner Arbeit" als "durch die Nutznießung der Arbeit vieler anderer".

Wenn man mit den Zuständen in einer absolutistischen Monarchie vergleicht, sollte man zumindest drei der 'sehr's streichen...
Es geht sehr viel schlimmer, also ist es so, wie es ist, als gut aufzufassen? Nicht sonderlich überzeugend, zumal es auf sehr verschiedene Weisen übel sein kann.

Der Staat ist auf die Kooperation von organisierten Gruppierungen angewiesen.
Mag sein, aber das ist noch nicht Lobbyismus. Wenn Einflussnahme, dann offen. Bei Demonstrationen (größtenteils auch bei Parteibeschlüssen) ist das der Fall, bei Lobbyismus nur in den seltensten Fällen.

Scuba
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Di 2. Apr 2013, 19:54 - Beitrag #31

Zitat von Padreic: Daran glaube ich nicht. Ein einfaches Beispiel wäre, wenn ein Unternehme eine brillante neue Erfindung macht, die andere auch in den nächsten Jahren nicht schaffen zu kopieren [oder sie einfach unter Patent steht] Das wäre vielleicht ein Fall von einem Monopol, das man als "gut" ansehen könnte, weil es auf echtem Fortschritt beruht.


Ein Monopol, das auf Grund der Leistung entstanden ist, das es maximalen Nutzen für andere bringt und dabei die Leistung so günstig und qualtitativ hochwertig anbietet, das die Konkurrenz chancenlos ist - wäre kein Monopol - sondern ein "Engel". ;)

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Fr 12. Apr 2013, 06:10 - Beitrag #32

@Ipsissimus:
Im Vergleich zu den Entwicklungsländern sind wir alle hier Prasser und Verschwender, und selbst die Ärmsten unter uns dürfen sich noch als begütert fühlen ... dürften sich noch als begütert fühlen, wenn sie von dem Geld, das sie hier erhalten, die Ausgaben bestreiten müssten, die sich dort ergeben. Sie müssen aber tatsächlich die Ausgaben bestreiten, die sich hier ergeben, und somit halte ich den Vergleich zu dort nicht wirklich für aussagekräftig. Sie sind arm in Bezug auf ihre Lebenswelt, und das ist Mitteleuropa. Und die Diskussion über die Höhe der Sozialleistungen muss m.E. somit auch in Bezug auf die Situation in Mitteleuropa geführt werden, und da bleibe ich dabei: schöner Schein.
Ich weiß nicht genau, was das soll. Du kannst kaufkraftbereinigen wie du willst: die breite Mehrheit der Weltbevölkerung lebt von wesentlich weniger als dem deutschen Hartz4. Ich will hier gar nicht mit Entwicklungsländern vergleichen. Ein Blick in andere mitteleuropäische Länder wie Polen oder Ungarn mag verdeutlichen wie Sozialleistungen aussehen. Nicht mehr ganz Mitteleuropa, aber von der Familie meiner Freundin weiß ich z. B. auch, in was für einer Wohnung die Familie eines leitenden Ingeneurs in Odessa gelebt hat und in was für einer Wohnung sie dann von Hartz4 in Deutschland gewohnt haben...du darfst raten, welche Wohnung gewinnt.
Ich will ja Hartz4 gar nicht schönreden. Aber wenn du weiterhin behaupten willst, dass Hartz4 nur bloßer Anstrich ist, darfst du gerne versuchen, einen Monat von Hartz4 zu leben und danach einen Monat ganz ohne Geld zu leben. Man darf und soll vielleicht auch gerne sagen, dass Hartz4 wenig ist, aber dass bloßer Anstrich ist oder nicht mal zum Notwendigsten reicht: Das ist schilcht falsch und bloßer rhetorischer Trick. So etwas mag ich nicht.

Bezüglich Krankenversicherung: die meisten haben dafür bezahlt, ehe sie in die Armut getrieben wurden. Die meisten würden auch liebend gerne weiter dafür bezahlen, wenn man sie denn gegen angemessene Entlohnung arbeiten ließe. Gerade bei den Kranken- und Sozialversicherungen wird aus meiner Sicht überdeutlich, dass HartzIV-Leuten ein persönliches Versagen zugeschoben wird, das tatsächlich bei der gesamten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik liegt.
Die meisten Leute bekommen auch kein ALGII. Das ändert nichts daran, dass eine nicht unwesentliche Anzahl von Leuten gibt, die entweder nie oder nur in sehr geringen Maße in die Krankenversicherung eingezahlt hat, trotzdem Gesundheitsmaßnahmen auf Kosten eben jener bezieht. Das hat nichts damit zu tun, dass man ihnen Schuld zuschiebt (und ich sehe auch nicht, dass ein Schuldzuschieben im besonderen im Bezug auf Krankenversicherungen geschieht...) - wenn man etwas positives über das Sozialsystem sagen will, dann wohl gerade, dass es Leute, die schuldlos (oder schuldarm, was die realistischere Annahme sein dürfte) in die Misere gekommen sind, Leistungen gibt.

Vielleicht ist das alles schon Altersstarrsinn, ich würde es nicht bestreiten^^ ich erinnere mich eben noch an Zeiten, in denen Globalisierung noch ein ferner Albtraum war, aber dafür den allermeisten bedürftigen Menschen noch vernünftige Mittel zur Verfügung gestellt wurden, ohne die ganzen Diffamierungen und Demütigungen, denen sie sich heute aussetzen müssen, um oft genug nicht auch nur das Allernotwendigste zu bekommen.
Ich kenne keine Zahlen (und konnte im Internet auch keine auftreiben), wie es um die Sozialhilfe im Verhältnis zu Kaufkraft beispielsweise 1970 oder 1980 stand; daher kann ich auch nicht beurteilen, ob es mehr oder weniger als heute war. Und bezüglich Diffarmierungen: Ich glaube gerne, dass Sozialleistungen früher weniger negativ Thema in den Medien waren (was auch mit geringerer Schuldenlast des Staates zusammengehangen haben mag), aber wann hatte bitteschön arbeitslos sein einen guten Ruf und fühlte sich für viele Leute nicht demütigend an?

Rechte, die nicht ausgeschöpft werden können, existieren nur in der Theorie, in der Praxis sind es keine Rechte. Und die nette Vorstellung, dass in den Industrienationen jemand von seiner Arbeit zum Millionär werden kann, ist nur ein Märchen, noch nicht mal ein freundliches. Es sei denn, man definiert "von seiner Arbeit" als "durch die Nutznießung der Arbeit vieler anderer".
Das gilt nur für Rechte, die prinzipiell nicht ausgeschöpft werden können; bei so ziemlich jedem Recht lassen sich Umstände angeben, wo man sie nicht ausschöpfen kann.
Zum zweiten Punkt: Wir alle leben nicht aus Selbstversorgung, können mithin nur überleben "durch die Nutznießung der Arbeit vieler anderer". Insofern, ja, natürlich. Kann die Arbeit eines Einzelnen aber durch seine Erfindungs- oder Organisationsfähigkeit Millionen wert sein? Ja, natürlich. Kann ein zunächst mittelloser durch seine eigenen Fähigkeiten und seinen eigenen Willen zum Millionär werden? Ja, auch natürlich.

Mag sein, aber das ist noch nicht Lobbyismus. Wenn Einflussnahme, dann offen. Bei Demonstrationen (größtenteils auch bei Parteibeschlüssen) ist das der Fall, bei Lobbyismus nur in den seltensten Fällen.
Ich mag Lobbyismus nicht mehr als du und wäre sicherlich auch glücklich darüber, wenn die Einflussnahme von organisierten Gruppierungen wenigstens öffentlich geschähe; das macht sie nicht unbedingt besser, aber vielleicht etwas weniger schlimm.

Ein Wort noch zum Lobbyismus: Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass Lobbyismus ein gern gebrauchter Vorwurf ist, wenn einem eine politische Entscheidung nicht passt. Gerade weil Lobbyismus ja oft hinter verschlossenen Türen stattfindet, dürfte die übliche Belegqualität für solche Vorwürfe ja gering sein. Oder wie kommst du z. B. darauf, dass es eine mächtige Agrarlobby gibt? Müsste dafür nicht erstmal im Agrarbereich viel Geld sein, was man überhaupt zu Lobbyzwecken einsetzen könnte? Und wie wenig erfolgreich, selbst bei entsprechendem Geldeinsatz, (vermutete) Lobbyarbeit manchmal ist, kann man ja an der Tabakgesetzgebung der letzten Jahre sehen....

Ipsissimus
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Fr 12. Apr 2013, 12:30 - Beitrag #33

Man darf und soll vielleicht auch gerne sagen, dass Hartz4 wenig ist, aber dass bloßer Anstrich ist oder nicht mal zum Notwendigsten reicht: Das ist schilcht falsch und bloßer rhetorischer Trick.
wir befinden uns an dieser Stelle ernsthaft im Dissens, Padreic. Das ist von mir nicht als rhetorischer Trick, sondern ernst gemeint. Möglicherweise ist es ein Wahrnehmungsproblem, und wir schauen einfach an unterschiedliche Stellen, du schaust vielleicht eher darauf, was H4 den Staat kostet, ich schaue eher darauf, was es die Menschen kostet, die von H4 leben müssen, und was es ihnen in Relation zu diesen Kosten bringt.

dass eine nicht unwesentliche Anzahl von Leuten gibt, die entweder nie oder nur in sehr geringen Maße in die Krankenversicherung eingezahlt hat, trotzdem Gesundheitsmaßnahmen auf Kosten eben jener bezieht
Und wodurch ist das ursächlich bedingt? Dieses Phänomen tritt erst auf, seit der Arbeitsmarkt durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft massiv unter Druck geraten ist und im Prinzip gar keine Absicht mehr besteht, diese Leute in angemessenen - also angemessen entlohnten - Arbeitsverhältnissen unterzubringen. Das ist etwas, das ich als Zynismus der falschen Art empfinde, erst macht man es den Leuten unmöglich, zu arbeiten oder von ihrer Arbeit zu leben, und dann schiebt man ihnen die persönliche Verantwortung für absehbare Folgen eines Systemumbaus zu, der gegen den Willen Vieler von völlig abgehobenen Ebenen von Entscheidungsträgern auf Druck einiger weniger Global Player - die jetzt den Rahm abschöpfen - überhaupt erst begonnen wurde.

Und bezüglich Diffarmierungen ...
sprich einfach mal mit realen H4-Empfängern und verlass dich weniger auf die offiziellen Verlautbarungen der Arbeitsagentur. In der PR ist alles golden. Es geht bei weitem nicht nur um das allgemeine Gefühl, abgehängt worden zu sein, sondern um konkrete Demütigungen zuhauf, die so zahlreich sind, dass es sich nicht mehr um individuelle Fehlleistungen einzelner SachbearbeiterInnen handelt.

Kann die Arbeit eines Einzelnen aber durch seine Erfindungs- oder Organisationsfähigkeit Millionen wert sein? Ja, natürlich.
Auch diesbezüglich befinden wir uns im Dissens. Diese Millionen werden gezahlt, das ist Fakt, aber "wert sein"? Wenn die Arbeit einer ungelernten Aldi-Mitarbeiterin 500 Euro im Monat wert ist, dann ist keines Menschen Arbeit mehr als 3500 Euro im Monat wert. Okay, über die konkreten Zahlen lässt sich streiten, aber die ungefähren Relationen halte ich für angemessen. Wobei die Relationen dieser Einkommensspanne zu den Lebensunterhalts-Kosten, also zum Beispiel Mit- oder Lebensmittelpreisen, sogar noch außen vor geblieben sind.

Kann ein zunächst mittelloser durch seine eigenen Fähigkeiten und seinen eigenen Willen zum Millionär werden? Ja, auch natürlich.
Unter Einsatz illegaler Methoden vielleicht. Oder bei extremem Glück. Im Normalfall: Nein.


Gerade weil Lobbyismus ja oft hinter verschlossenen Türen stattfindet, dürfte die übliche Belegqualität für solche Vorwürfe ja gering sein.
Und weil die Rahmenbedingungen so gebaut wurden, dass vieles nicht sauber belegbar ist, müssen wir dulden, dass die Dinge so sind, wie sie nicht sein dürfen? Oder anders, strukturelle Gewalt ist okay, solange sie nicht in einem mathematischem Sinne bewiesen werden kann? Auch da liegen wir im Dissens.

Was die Tabaklobby angeht, erstens verdienen die Konzerne nach wie vor so viel, dass es sich offenbar lohnt, und zweitens gab es in diesem Fall eine Gegenlobby. Das ist aber nicht der Normalfall.

Und was die Bauernlobby angeht, das ist so ähnlich wie die Friseurgewerkschaft, deren Mitglieder größtenteils aus den Arbeitgebern besteht. Im Bauernverband haben Gutsbesitzer und andere Großbauern das Sagen, und die haben ihren Einfluss zugunsten ihrer eigenen sozialen Schicht benutzt, und nicht zum Nutzen der normalen Bauernhöfe. Der strukturelle Wandel spricht diesbezüglich eine eindeutige Sprache.

Padreic
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Sa 13. Apr 2013, 04:18 - Beitrag #34

@Ipsi:
wir befinden uns an dieser Stelle ernsthaft im Dissens, Padreic. Das ist von mir nicht als rhetorischer Trick, sondern ernst gemeint. Möglicherweise ist es ein Wahrnehmungsproblem, und wir schauen einfach an unterschiedliche Stellen, du schaust vielleicht eher darauf, was H4 den Staat kostet, ich schaue eher darauf, was es die Menschen kostet, die von H4 leben müssen, und was es ihnen in Relation zu diesen Kosten bringt.
Nein, ich schaue dabei nicht auf die Kosten für den Staat. Vielleicht benutzen wir die Begriffe nur anders. Für mich heißt "bloßer Anstrich", dass es keinen wesentlichen Unterschied machen würde, wenn es kein Hartz4, sondern stattdessen keine Sozialleistungen gäbe. Für mich ist das "Notwendigste" im wesentlichen das zum Überleben notwendige: Eine beheizbare Wohnung mit Kochmöglichkeit (mindestens 5-10qm pro Person), Lebensmittel (entweder aus öffentlichen Küchen oder Supermarkt), Kleidung aus Second-Hand-Läden/Kleidungsspenden; so etwas. Was verstehst du unter den Begriffen 'bloßer Anstrich' und 'das Notwendigste'?

Und wodurch ist das ursächlich bedingt? Dieses Phänomen tritt erst auf, seit der Arbeitsmarkt durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft massiv unter Druck geraten ist und im Prinzip gar keine Absicht mehr besteht, diese Leute in angemessenen - also angemessen entlohnten - Arbeitsverhältnissen unterzubringen. Das ist etwas, das ich als Zynismus der falschen Art empfinde, erst macht man es den Leuten unmöglich, zu arbeiten oder von ihrer Arbeit zu leben, und dann schiebt man ihnen die persönliche Verantwortung für absehbare Folgen eines Systemumbaus zu, der gegen den Willen Vieler von völlig abgehobenen Ebenen von Entscheidungsträgern auf Druck einiger weniger Global Player - die jetzt den Rahm abschöpfen - überhaupt erst begonnen wurde.
Mir geht es sicherlich nicht darum, Arbeitslosen Schuld zuzuschieben. Deine Erklärungen für die Höhe der Arbeitslosigkeit finde ich aber doch sehr vereinfachend, wohl auch etwas verzerrend.
Erstens: Ich verstehe nicht, wie Globalisierung Arbeitsplätze vernichtet - sie verlagert sie nur. Wie die europäische Gemeinschaft innerhalb von Europa Arbeitsplätze vernichtet hat, ist mir deshalb schleierhaft.
Zweitens: Ich glaube nicht, dass heute weniger Leute für angemessenen Lohn beschäftigt werden in (West-)deutschland als, sagen wir mal, in den 60ern. Selbst wenn man alle Schönfärberei und Inflation rausfiltert, ist erstens das Lohnniveau seitdem gestiegen und zweitens gibt es mehr Erwerbstätige, z. B. hier nachzulesen, was, schätze ich, nicht allein durch höhere Beschäftigtenzahlen im Niedriglohnbereich zu erklären ist. Ein Grund, warum es trotzdem höhere Erwerbslosenzahlen gibt, ist sicherlich die veränderte Sozialstruktur: Durch mehr Single-Haushalte, ist das klassische "Mann arbeitet, Frau bleibt zu Hause" häufig gar nicht mehr möglich, selbst wenn es gewünscht wäre. Hinzu kommen noch andere Faktoren, wie z. B. dass durch Waschmaschine und co heutzutage ein Haushalt kein Fulltime-Job mehr sein braucht. Eine Illustration zum damalig niedrigeren Lohnniveau mag sein, dass es früher nicht unüblich war, neben seinen Beruf noch ein wenig Vieh (häufig Kaninchen oder Ziege, manchmal sogar ein Schwein) zu halten, um über die Runden zu kommen; dass Pflanzen und Fallobst vom Straßenrand aufgelesen wurde, um sich und das Vieh auch zu ernähren; dass Dorfschullehrer dafür bekannt waren, bei Festmahlen unglaublich zu fressen, weil sie sonst nicht viel bekamen.
Drittens: Viele Jobs in Industrie und Landwirtschaft wurden durch Maschinen ersetzt. Das ist kein bewusster Systemumbau von abgehobenen Eliten, das ist eine Kombination von technologischem Fortschritt und Kosten-Nutzen-Kalkulationen. 1960 arbeiteten fast 18 Millionen Leute in der Landwirtschaft - wären es heute noch genauso viele, hätten wir wohl keine Sorgen um Arbeitslosigkeit. Wohl aber um die Lebensmittelpreise, die sicherlich ein Vielfaches wären. [wenn man den Fleischpreis gegen Durchschnittslohn aufgeträgt, hat man heute vielleicht ein Viertel des Fleischpreises von 1960]
Viertens: Erst jetzt würde ich die Globalisierung auflisten, die Arbeitsplätze aus unseren Gefilden bis nach China verlagert hat. Ohne müssten wir aber natürlich auch auf exotische Früchte, 5-Euro-T-Shirts und ziemlich viel von unserer Elektronik verzichten...

sprich einfach mal mit realen H4-Empfängern und verlass dich weniger auf die offiziellen Verlautbarungen der Arbeitsagentur. In der PR ist alles golden. Es geht bei weitem nicht nur um das allgemeine Gefühl, abgehängt worden zu sein, sondern um konkrete Demütigungen zuhauf, die so zahlreich sind, dass es sich nicht mehr um individuelle Fehlleistungen einzelner SachbearbeiterInnen handelt.
Ich denke, ich spreche häufiger mit Hartz4-Empfängern als dass ich offizielle Verlautbarungen der Arbeitsagentur lese. Die wenigen Hartz4-Empfänger, die ich kenne, scheinen im Großen und Ganzen ganz zufrieden mit ihren Sachbearbeitern zu sein. Vermutlich haben sie Glück. Wie repräsentativ deine Erkundigungen/Erfahrungen sind, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber gerne, dass es da im Umgang viele Erfahrungen gibt, die als demütigend empfunden werden. Wie demütigend eine Erfahrung ist, hängt aber natürlich auch nicht nur vom Sachbearbeiter ab.

Auch diesbezüglich befinden wir uns im Dissens. Diese Millionen werden gezahlt, das ist Fakt, aber "wert sein"? Wenn die Arbeit einer ungelernten Aldi-Mitarbeiterin 500 Euro im Monat wert ist, dann ist keines Menschen Arbeit mehr als 3500 Euro im Monat wert.
Was 'wert sein' heißt, dürfte hier der Streitpunkt sein. [abgesehen davon, dass 500 Euro Teilzeit ist, oder?] Bewertet man den Einsatz, sehe ich selbst einen Faktor von 7 gegenüber einer Aldi-Verkäuferin/einem Aldi-Verkäufer (bei gleicher Arbeitszeit) kaum gerechtfertigt - im Aldi arbeiten scheint eine stressige Sache zu sein. Auch jeder Mensch ist das gleiche wert. Das ist ein berechtigter Standpunkt.
Es gibt aber durchaus andere Standpunkte, um den Wert von Arbeit zu bestimmen: Was hätte es für einen Unterschied gemacht, wenn diese Arbeit nicht oder, sagen wir einmal besser, von "jemand durchschnittlichem" geleistet worden wäre? Bei Hitler und Stalin können wir uns da, wenn man den quantifizieren will, gern im negativen mehrstelligen Milliardenbereich bewegen... bei vielen anderen aber auch deutlich im positiven Bereich.
Lister, Pasteur und Fleming kann man beispielsweise im medizinischen Bereich nennen - sie haben einen Unterschied gemacht. Bei aller Wertschätzung muss man sagen, dass, wenn eine konkrete Aldi-Verkäuferin ihren Job nicht machen würde, man eben jemand anders finden würde, der den Job macht. Bei den genannten wäre es wohl nicht so und es hätte einen erheblichen Unterschied gemacht, hätte es einen von denen nicht gegeben. Unter diesem Standpunkt ist ihre Arbeit durchaus Millionen (oder auch Milliarden) wert gewesen.
Das war auf der Erfinder-/Forscherseite. Aber auch ein guter Organisator (beispielsweise eine Politiker, Manager oder Baustellenleiter) kann einen Unterschied machen, der weitaus stärker wirkt, als ob ein Arbeiter jetzt arbeitet oder nicht.
Man kann sagen, dass das eine Unterscheidung zwischen intrinsischem und extrinischem Wert ist - jeder der Standpunkte hat sicherlich seine Berechtigung.

Unter Einsatz illegaler Methoden vielleicht. Oder bei extremem Glück. Im Normalfall: Nein.
Im Normalfall nicht, natürlich. Im Normalfall hat man weniger Talent noch Willenskraft genug dafür. Bei genügendem Talent und genügender Willenskraft ist der Mangel an finanziellen Mitteln jedoch nur ein kleiner Hemmschuh. Möglicher Lebenslauf: Schule mit guten Noten abgeschlossen, Studium mit guten Noten abgeschlossen (mit Stipendium oder Bafög), rein in Unternehmensberatung oder Finanzbranche - diesen Anfang vorausgesetzt dürften sich Gelegenheiten für die Million bieten.
Wenn ich meinen eigenen Werdegang analysiere, der die ersten beiden Punkte, wenn auch nicht den dritten, beinhaltet, so waren die finanziellen Mittel meiner Eltern dabei nie das entscheidende. Gewiss, sie haben manches einfacher oder angenehmer gemacht; ohne entsprechende Finanzen hätte ich beispielsweise wohl nie das Klavierspiel erlernt, was schade wäre. Aber ich sehe keinen Punkt, wo die Finanzen entscheidend gewesen wären.
Was vielmehr Hemmschuhe sind, sind viele Sachen, die mit Armut häufig einhergehen. Eltern haben keine akademische Ausbildung, legen vielleicht auch keinen großen Wert auf Bildung. Eltern haben kein Auftreten, das hilft, das Kind aus Schwierigkeiten rauszubringen [Edit: Das bringt mit sich, dass man selbst häufig dann auch nicht das Auftreten, die "Manieren", das Small-Talk-Wissen hat, das einem soziale Ereignisse in der "höheren Gesellschaft" einfacher macht. Ein Bekannter von mir aus einer Arbeiterfamilie, der dementsprechend kein Instrument spielt, hat sich mal von einem Professor anhören müssen, dass seinem Kind kein Instrument beizubringen ja das größte Verbrechen von Eltern an ihren Kindern sei...]. Schwierige familiäre Situationen. Aufwachsen in sozialen Brennpunkten mit schlechten Schulen und Freundeskreisen, wo Bildung uncool ist.
Das alles sind Hindernisse, selbst hohe Intelligenz vorausgesetzt. Spätestens ohne diese muss das Kind mittelloser oder zumindest armer Eltern wirklich auf illegale Geschäfte oder großes Glück zurückgreifen. Der dumme Arzt- oder Unternehmerssohn kann noch Arzt oder Unternehmer werden; das dumme Arbeiterkind nicht.
Ich bleibe aber dabei: Selbst heute noch (und natürlich noch viel mehr ein paar Jahrzehnte früher) ist ein sozialer Aufstieg, Talent vorausgesetzt, möglich und praktikabel.

Und weil die Rahmenbedingungen so gebaut wurden, dass vieles nicht sauber belegbar ist, müssen wir dulden, dass die Dinge so sind, wie sie nicht sein dürfen? Oder anders, strukturelle Gewalt ist okay, solange sie nicht in einem mathematischem Sinne bewiesen werden kann? Auch da liegen wir im Dissens.
Nein. Außer bei dir lautet die Antwort auf diese Fragen 'ja'. Aber auch dir dürften die Schwierigkeiten einer Aussage wie "Ich habe weder persönliche Erfahrung noch Belege dafür, dass es so abläuft - aber dass es so abläuft ist eine Schweinerei." klar sein.

Und was die Bauernlobby angeht, das ist so ähnlich wie die Friseurgewerkschaft, deren Mitglieder größtenteils aus den Arbeitgebern besteht. Im Bauernverband haben Gutsbesitzer und andere Großbauern das Sagen, und die haben ihren Einfluss zugunsten ihrer eigenen sozialen Schicht benutzt, und nicht zum Nutzen der normalen Bauernhöfe. Der strukturelle Wandel spricht diesbezüglich eine eindeutige Sprache.
Zu den Großbauern ein paar Zahlen: In Westdeutschland (wo Familienbetriebe nicht zugunsten von Großbetrieben staatlich zerschlagen (oder vielmehr fusioniert) wurden) sind 57% der Angestellten in der Landwirtschaft Familienangehörige; 12% sind ständig Angstellte; 31% sind Saisonarbeitskräfte. Gewiss, die Anzahl der Familienbetriebe ist rückläufig. Das aber unter anderem weil viele junge Leute einfach nicht den Hof erben, sondern ihre eigenen Wege (mit Dingen wie Urlaub) gehen wollen. Nochmal mit anderen Zahlen: Wir haben 374.500 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, bewirtschaftet von 1,25 Millionen Leuten (viele davon nur saison- oder teilzeitbeschäftigt), entsprechend 530.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Der Trend mag zum Großbetrieb sein, die Realität sieht doch vielmehr eine große Zahl von Klein- und Familienbetrieben.

Ipsissimus
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Mo 15. Apr 2013, 15:14 - Beitrag #35

Eine beheizbare Wohnung mit Kochmöglichkeit (mindestens 5-10qm pro Person), Lebensmittel (entweder aus öffentlichen Küchen oder Supermarkt), Kleidung aus Second-Hand-Läden/Kleidungsspenden; so etwas. Was verstehst du unter den Begriffen 'bloßer Anstrich' und 'das Notwendigste'?
Na ja, ich bin im Herzen immer davon überzeugt geblieben, dass das Motiv des Kommunismus - "jedem nach seinen Bedürfnissen" - einziges relevantes Staatsziel für seine gesellschaftliche Entwicklung sein kann. Natürlich bin ich nicht so naiv, dieses Motiv unkritisch stehen zu lassen, es gibt genügend Menschen, deren Bedürfnisse in verschiedensten Richtungen ... nun, etwas abgehoben sind^^

Aus meiner Sicht definiert sich "das Notwendigste" darüber, dass Menschen sich in ihrer Lebenssituation noch wohlfühlen können. Nicht unbedingt wohlfühlen im Sinne blinder, unbedingter Behaglichkeit, aber doch so, dass sie nicht das Gefühl zu haben brauchen, überflüssig zu sein und als Abschaum am Pranger zu stehen und vorgeführt zu werden, während sie unmittelbar am Abgrund balancieren. Dieses "Notwendigste" sehe ich derzeit als nicht gewährleistet.

Und ja, es geht noch tiefer als H4. Obdachlose sind i.d.R. noch schlimmer dran. Das besagt aber nicht, dass H4-Leute gut dran wären, und es wäre ein Armutszeugnis sondergleichen, wollte sich die Gesellschaft hinsichtlich des Zumutbaren an der Gosse orientieren.

Ich verstehe nicht, wie Globalisierung Arbeitsplätze vernichtet - sie verlagert sie nur. Wie die europäische Gemeinschaft innerhalb von Europa Arbeitsplätze vernichtet hat, ist mir deshalb schleierhaft.
Durch den gemeinsamen Binnenmarkt. Es ist eine alte volkswirtschaftliche Erkenntnis: Willst du ein nationales Wirtschaftssystem abschießen, dann schaffe die Schutzzölle ab. Ein gemeinsamer Binnenmarkt funktioniert nur dann, wenn vor der Zusammenlegung die Wirtschaftsleistung inklusive der Belastungen durch Löhne, Sozialabgaben und Steuern auf ungefähr gleichem Niveau liegen. Dies war bei der europäischen Zusammenlegung nur bedingt und nur bei ein paar wenigen Ländern der Fall. Aus allen anderen Ländern drängen daher billige Waren und billige Arbeitskräfte - von bösen Zungen als weitere Form billiger Waren aufgefasst - in die ursprünglich geschützten Länder und setzen dort die Märkte - Waren- und Arbeitsmarkt - unter Druck. Mit dem bekannten desaströsen Ergebnis.

Wenn du natürlich Europa mittlerweile als eine einzige Nation ansiehst, ist das eine Anpassung der sozialen Verhältnisse, vergleichbar dem Länderfinanzausgleich. Ich bezweifele allerdings, dass die Leute, die dadurch so richtig unter die Räder geraten sind, derart altruistisch empfinden. Und viele, die noch nicht völlig unter die Räder geraten sind, kommen mittlerweile schon mal ins Grübeln.

Man hätte die Dinge vorher auf ein Level bringen müssen. Und dann vielleicht rechtzeitig gesehen, dass es nicht geht.

dass heute weniger Leute für angemessenen Lohn beschäftigt werden in (West-)deutschland als, sagen wir mal, in den 60ern. Selbst wenn man alle Schönfärberei und Inflation rausfiltert, ist erstens das Lohnniveau seitdem gestiegen
Das mag sein. Ich wiederhole mich nur ungern, aber die absoluten Zahlen besagen überhaupt nichts. Wichtig ist die Relation zwischen den Einkommen und den Lebenshaltungskosten. Wenn eine alleinerziehende Kassierin bei Aldi mit 600 Euro monatlich nach Hause kommt, darf die Miete für eine 3ZKB-Wohnung in mittlerer Qualität und Wohnlage inklusive aller Nebenkosten eben nicht mehr als 150 Euro monatlich betragen.

Das Lohn-/Preisverhältnis war nie berauschend. Mittlerweile ist es gänzlich entgleist, zumindest aus der Perspektive des prekären Teils der Bevölkerung, der übrigens um einiges über den Kreis der H4-Leute hinaus geht.

Viele Jobs in Industrie und Landwirtschaft wurden durch Maschinen ersetzt. Das ist kein bewusster Systemumbau von abgehobenen Eliten, das ist eine Kombination von technologischem Fortschritt und Kosten-Nutzen-Kalkulationen.
Und dieser technologische Fortschritt hat nichts mit Kosten-Nutzenkalkulationen zu tun? Die Konsequenzen dessen waren nicht absehbar? Doch, waren sie. Sie waren den Entscheidungsträgern in Industrie und Politik nur gleichgültig.

1960 arbeiteten fast 18 Millionen Leute in der Landwirtschaft - wären es heute noch genauso viele, hätten wir wohl keine Sorgen um Arbeitslosigkeit. Wohl aber um die Lebensmittelpreise, die sicherlich ein Vielfaches wären. [wenn man den Fleischpreis gegen Durchschnittslohn aufgeträgt, hat man heute vielleicht ein Viertel des Fleischpreises von 1960]
Dafür haben wir heute den wievielten Fleisch- und/oder Lebensmittelskandal? Das aber nur nebenbei^^ "Die Leute wollen, dass das Zeug so billig ist." Aber warum sie es wohl wollen? Weil es so geil ist, Dreck zu essen? Oder doch eher, weil viele sich nichts anderes mehr leisten können, also weil ihre Kaufkraft, das gerade besprochene Verhältnis zwischen Preisen und Löhnen, nichts anderes mehr hergibt? Aus meiner Sicht ist das nicht wirklich eine Frage. Das ist sowenig eine Frage, dass Zyniker der falschen Art mittlerweile triumphierend die Umkehrung der Kausalität feststellen können, es brauchen gar keine besseren Lebensmittel produziert zu werden, die Leute kaufen sie ja eh nicht.

Erst jetzt würde ich die Globalisierung auflisten, die Arbeitsplätze aus unseren Gefilden bis nach China verlagert hat. Ohne müssten wir aber natürlich auch auf exotische Früchte, 5-Euro-T-Shirts und ziemlich viel von unserer Elektronik verzichten...
Das gesamte Weltwirtschaftssystem ist von Ungerechtigkeit und der Dominanz weniger mächtiger Staaten geprägt. Es gehört insgesamt auf den Prüfstand. Davon abgesehen, vieles, was unverzichtbar dazu gehört, ist nur unternehmerische Bequemlichkeit oder Gleichgültigkeit. Die Elektronik könnte auch hier produziert werden. Aber dann müsste man den Leuten ja mehr bezahlen. Andererseits, würde man ihnen mehr zahlen, könnten sie sich auch teurere Elektronik erlauben. Aber so weit reicht die Phantasie von Industriellen dann offenbar doch nicht.

Wie repräsentativ deine Erkundigungen/Erfahrungen sind, kann ich nicht beurteilen.
für einen ersten Überblick reicht das. Da sind auch jede Menge weiterführende Links drin. Aber lass es lieber. Das ist ein Ozean.

... wenn eine konkrete Aldi-Verkäuferin ihren Job nicht machen würde, man eben jemand anders finden würde, der den Job macht. Bei den genannten wäre es wohl nicht so und es hätte einen erheblichen Unterschied gemacht, hätte es einen von denen nicht gegeben.
ein Einstein, Pasteur, Roentgen usw. haben auch nur ihren Job gemacht. Hätten sie es nicht getan, würde die Welt anders aussehen. Na und? Vermisst du, was du gar nicht kennst? Davon abgesehen stimmt die Story vom isoliert arbeitenden, genialen Einzelwissenschaftler, der ganz alleine eine Forschung vorantreibt und zum genialen Abschluss bringt, schon lange nicht mehr. Außerdem wären diese Leute ja unter denen zu finden, die an der Obergrenze des Bereichs liegen, 3500 Euro in einer Welt mit 750 Euro Durchschnittsverdienst ist nicht gerade wenig.

Heutige Spitzenlöhne bemessen sich nicht am Wert der geleisteten Arbeit, sondern am Erlös der verkauften Waren oder Dienstleistungen. Manager generieren aus der Arbeit anderer Milliardengewinne, deswegen erhalten sie Millionenlöhne. Natürlich ist das nach unten gestaffelt, aber eines bleibt: Diejenigen, die die Arbeit leisten, erhalten dramatisch weniger. Allein schon deswegen ist die Mär vom Tellerwäscher, der durch eigener Hände Arbeit zum Millionär wird, nichts als ein nettes Märchen für einen Hollywoodfilm. Die echte Arbeitsleistung eines Managers würde ich noch nicht mal so hoch einstufen wie bei den besagten Geistesgrößen.

Selbst heute noch (und natürlich noch viel mehr ein paar Jahrzehnte früher) ist ein sozialer Aufstieg, Talent vorausgesetzt, möglich und praktikabel.
Ja, natürlich, möglich bleibt es. Zum einen sind die Maßnahmen zum Abschotten der sozialen Schichten noch nicht abgeschlossen, zum anderen braucht jede Gruppe frisches Blut, solange der Zufluss nach den Regeln der Gruppe geregelt werden kann.

"Ich habe weder persönliche Erfahrung noch Belege dafür, dass es so abläuft - aber dass es so abläuft ist eine Schweinerei."
Ursprünglich wollte ich nach dieser Aussage die Diskussion verlassen, aber was soll´s.

Ich habe in der Tat keine übermäßige Lust, für eine von mir als "normal", also nicht als wissenschaftlich empfundene Diskussion Belege in dem Sinne, wie du sie im weiteren zusammengetragen hast, zu sammeln (wobei ich darum bitte, mir zuzutrauen, dass ich die Googlesuche durchaus bedienen kann). Stattdessen greife ich auf ein Gesamtbild zurück, das sich im Laufe vieler Jahre entwickelt und modifiziert hat. Dieses Bild entstand durch viele Einzelgespräche mit Bauern (ich habe viele Jahre auf dem Land gelebt) oder Personal von Bauernhöfen, durch Zeitungsberichte, Rundfunk und Fernsehberichte und später Internetbeiträge. Dass dieses Bild vielleicht nicht gänzlich irrelevant ist, darf ich vielleicht durch zwei Zitate belegen, beide von dir, aus deinem letzten Statement:

1960 arbeiteten fast 18 Millionen Leute in der Landwirtschaft
bewirtschaftet von 1,25 Millionen Leuten (viele davon nur saison- oder teilzeitbeschäftigt), entsprechend 530.000 Vollzeitarbeitsplätzen
wenn das kein Rückgang und eine Konzentration auf immer weniger Höfe ist, dann weiß ich nicht, was du unter einem Rückgang verstehst.

Padreic
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Di 16. Apr 2013, 03:52 - Beitrag #36

@Ipsissimus:
Aus meiner Sicht definiert sich "das Notwendigste" darüber, dass Menschen sich in ihrer Lebenssituation noch wohlfühlen können. Nicht unbedingt wohlfühlen im Sinne blinder, unbedingter Behaglichkeit, aber doch so, dass sie nicht das Gefühl zu haben brauchen, überflüssig zu sein und als Abschaum am Pranger zu stehen und vorgeführt zu werden, während sie unmittelbar am Abgrund balancieren. Dieses "Notwendigste" sehe ich derzeit als nicht gewährleistet.
Ich persönlich fände, wenn, den Begriff 'das Notwendige' deutlich angemessener als 'das Notwendigste', was zu einer besonders extrem Interpretation des Wortes durch den Superlativ ja geradezu auffordert.

Durch den gemeinsamen Binnenmarkt. Es ist eine alte volkswirtschaftliche Erkenntnis: Willst du ein nationales Wirtschaftssystem abschießen, dann schaffe die Schutzzölle ab. Ein gemeinsamer Binnenmarkt funktioniert nur dann, wenn vor der Zusammenlegung die Wirtschaftsleistung inklusive der Belastungen durch Löhne, Sozialabgaben und Steuern auf ungefähr gleichem Niveau liegen.
Für ein exportorientiertes Land bringen Schutzzölle aber primär dann Vorteile, wenn sie einseitig erfolgen. Einseitige Schutzzölle funktionieren aber nur bei deutlichen wirtschaftlichen/politischen Machtgefälle und sind darüberhinaus unethisch. [Zudem mag man einwenden, dass Schutzzölle zwar durchaus ein gangbares kurz- oder mittelfristiges Vorgehen sind, sie langfristig aber leicht dazu führen, dass unter ihrem Schutz minderwertige Produkte produziert werden.]

Nochmal möchte ich aber davor warnen, alle Probleme auf den europäischen Binnenmarkt zu schieben. Neben den Vorteilen für Deutschland für den Export ist auch einfach der Punkt, dass ein Großteil der ausgelagerten Produktion eben nicht nach Portugal oder Griechenland ausgelagert worden ist, sondern nach China und Südostasien. In vielen Punkten haben wir eben einen "weltweiten Binnenmarkt". Was dir als Globalisierungsmahner sicherlich auch nicht besser behagt ;).

Ich bezweifele allerdings, dass die Leute, die dadurch so richtig unter die Räder geraten sind, derart altruistisch empfinden. Und viele, die noch nicht völlig unter die Räder geraten sind, kommen mittlerweile schon mal ins Grübeln.
Aber sollten wir unseren Politikern wirklich vorwerfen, dass sie nicht nationalistisch genug denken?

Das mag sein. Ich wiederhole mich nur ungern, aber die absoluten Zahlen besagen überhaupt nichts. Wichtig ist die Relation zwischen den Einkommen und den Lebenshaltungskosten. Wenn eine alleinerziehende Kassierin bei Aldi mit 600 Euro monatlich nach Hause kommt, darf die Miete für eine 3ZKB-Wohnung in mittlerer Qualität und Wohnlage inklusive aller Nebenkosten eben nicht mehr als 150 Euro monatlich betragen. Das Lohn-/Preisverhältnis war nie berauschend. Mittlerweile ist es gänzlich entgleist, zumindest aus der Perspektive des prekären Teils der Bevölkerung, der übrigens um einiges über den Kreis der H4-Leute hinaus geht.
Deswegen sprach ich von einer Inflationsbereinigung, d.h. es ging eben gerade um das Verhältnis von Lohn und Lebenshaltungskosten, also den Reallohn. Dass das Lohn-/Preisverhältnis für die finanziell schlecht gestellten nicht berauschend ist, will ich gar nicht bestreiten; ich bezweifle nur, dass es beispielsweise in den 60er-Jahren irgendwie besser war.

600 Euro dürften meiner Einschätzung nach Aushilfs- oder Teilzeitarbeit sein - eine zumindest angelernte Vollzeitaldikassiererin dürfte das Doppelte verdienen. Dass man mit so einem Job keine Familie ernähren kann, ist eben so, aber dafür gibt es ja staatliche Fürsorge, die deutlich über dem liegt.
[Warum man mit dem schlechtmöglichst bezahlten Job eine Wohnung mittlerer Qualität und Lage bekommen soll, ist mir auch schlecht begreiflich; für wen ist dann die untere Qualität und Lage? ] Man kann natürlich dem Lohn-/Preisverhältnis entgegenwirken durch die Subvention von Grundnahrungsmitteln und Sozialwohnungen; inwieweit das ein Vorteil gegenüber direkten staatlichen Leistungen an die Betroffenen ist, sei aber dahingestellt.

Und dieser technologische Fortschritt hat nichts mit Kosten-Nutzenkalkulationen zu tun? Die Konsequenzen dessen waren nicht absehbar? Doch, waren sie. Sie waren den Entscheidungsträgern in Industrie und Politik nur gleichgültig.
Der einzelne Unternehmer oder Industrielle hatte hier wohl nur eine beschränkte Entscheidungsmacht. Selbst Benevolenz gegenüber seinen Arbeitern vorausgesetzt, dürfte eine dauerhafte Produktion mit Kosten deutlich über denen der Konkurrenz häufig wohl am Ende eher zur Entlassung aller Arbeiter führen [je nach Branche gibt es hierbei aber natürlich Ausnahmen; VW zahlt in Deutschland beispielsweise durchaus gute Löhne]. Die Politik kann natürlich mit Schutzzöllen und Entlassungsverboten versuchen, dem entgegenzuwirken.

Insgesamt muss man natürlich aber sehen, dass die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte die Grundlage unseres Wohlstands sind und erstmal etwas gutes sind. Vielleicht könnte man mittlerweile sagen, dass die Produktivität hoch genug ist und wir alle ein bisschen weniger/verteilter arbeiten können (und dafür mehr Leute Arbeit haben) und man dafür ein staatliches Grundgehalt einführt. Zumindest, wenn der Staat keine zwei Billionen Schulden an der Backe hätte....

Dafür haben wir heute den wievielten Fleisch- und/oder Lebensmittelskandal? Das aber nur nebenbei^^ "Die Leute wollen, dass das Zeug so billig ist." Aber warum sie es wohl wollen? Weil es so geil ist, Dreck zu essen? Oder doch eher, weil viele sich nichts anderes mehr leisten können, also weil ihre Kaufkraft, das gerade besprochene Verhältnis zwischen Preisen und Löhnen, nichts anderes mehr hergibt? Aus meiner Sicht ist das nicht wirklich eine Frage. Das ist sowenig eine Frage, dass Zyniker der falschen Art mittlerweile triumphierend die Umkehrung der Kausalität feststellen können, es brauchen gar keine besseren Lebensmittel produziert zu werden, die Leute kaufen sie ja eh nicht.

Lebensmittelskandale haben sicherlich mit vielen Sachen zu tun, aber nur beschränkt mit der Personalschlüsselveränderung im Agrarsektor. Entscheidender dürften hier bessere Nachweisverfahren (wenn man geringe Menge Dioxin nicht nachweisen kann, gibt es auch keine Dioxin-Skandale), größeres nationales Medieninteresse an Skandalen und höheres Gesundheitsbewusstsein sein. Aus heutiger Skandal-Brille sind doch die 50er und 60er Jahre ein einziger DDT-Skandal...

Auch würde ich den Schluss von günstigen Lebensmitteln zu 'Dreck' nicht ganz so schnell ziehen. Viele Leute kaufen gerne günstig Lebensmittel, auch wenn sie sich deutlich teurere leisten könnten. Das Interesse an den günstigen Lebensmittelpreisen in Deutschland kommt nicht nur von den Armen, sondern auch von den Sparsamen. [Nebenbei: Interessant sind auch Preisvergleiche zu den USA. Während viele Sachen hier in den USA zumindest größenordnungsmäßig ähnlich viel kosten wie in Deutschland sind beispielsweise Milchprodukte und Rapsöl sehr viel teurer, teilweise sogar dreimal so teuer.] Ich kenne einige Leute, die von sich sagen, dass sie eigentlich zu viel Geld haben, aber teure Lebensmittel häufig eher als Verschwendung ansehen würden; insbesondere da teuer nicht gut heißen muss und ohne genauere Kenntnisse es dann wirklich Verschwendung sein mag.

Davon abgesehen, vieles, was unverzichtbar dazu gehört, ist nur unternehmerische Bequemlichkeit oder Gleichgültigkeit. Die Elektronik könnte auch hier produziert werden. Aber dann müsste man den Leuten ja mehr bezahlen. Andererseits, würde man ihnen mehr zahlen, könnten sie sich auch teurere Elektronik erlauben. Aber so weit reicht die Phantasie von Industriellen dann offenbar doch nicht.
Das ist nicht primär eine Frage von Phantasie, sondern von individueller unternehmerischer Kalkulation. Ein nationales Kartell, das Produktion wieder nach Deutschland verlegt, könnte sich tatsächlich lohnen [zumindest vorausgesetzt, die Leute kaufen danach keine ausländischen Produkte]. Für einen einzelnen Unternehmer muss aber durchaus kein lohnender Schritt sein. Abgesehen davon ist es ja auch nicht so, als ob es keine Produktion in Deutschland gäbe; nur in einzelnen arbeitsintensiven Gebieten wie der Textilbranche ist sie fast vollständig verschwunden.

für einen ersten Überblick reicht das. Da sind auch jede Menge weiterführende Links drin. Aber lass es lieber. Das ist ein Ozean.
Neben den vielen nicht-gefundenen-Seiten auch teilweise recht aufschlussreichen Material. Die Sanktionspraxis ist tatsächlich skandalös (oder war sie zumindest 2009). Sanktionen können kein Ersatz für ausreichend Personal im Jobcenter sein. Sinnlose Maßnahmen tragen weder zu Sparzielen noch zum Wohle der Bezugsempfänger bei. Man kann das wohl tatsächlich unter strukturelle Gewalt packen; ein einzelner Schuldiger ist wohl schwer festzumachen.

ein Einstein, Pasteur, Roentgen usw. haben auch nur ihren Job gemacht. Hätten sie es nicht getan, würde die Welt anders aussehen. Na und? Vermisst du, was du gar nicht kennst? Davon abgesehen stimmt die Story vom isoliert arbeitenden, genialen Einzelwissenschaftler, der ganz alleine eine Forschung vorantreibt und zum genialen Abschluss bringt, schon lange nicht mehr. Außerdem wären diese Leute ja unter denen zu finden, die an der Obergrenze des Bereichs liegen, 3500 Euro in einer Welt mit 750 Euro Durchschnittsverdienst ist nicht gerade wenig. Heutige Spitzenlöhne bemessen sich nicht am Wert der geleisteten Arbeit, sondern am Erlös der verkauften Waren oder Dienstleistungen. Manager generieren aus der Arbeit anderer Milliardengewinne, deswegen erhalten sie Millionenlöhne. Natürlich ist das nach unten gestaffelt, aber eines bleibt: Diejenigen, die die Arbeit leisten, erhalten dramatisch weniger. Allein schon deswegen ist die Mär vom Tellerwäscher, der durch eigener Hände Arbeit zum Millionär wird, nichts als ein nettes Märchen für einen Hollywoodfilm. Die echte Arbeitsleistung eines Managers würde ich noch nicht mal so hoch einstufen wie bei den besagten Geistesgrößen.
Wie gesagt, allein durch der eigenen Hände Arbeit kann nur der Selbstversorger, der seine Nahrung selbst anbaut, überhaupt überleben. Deine Kritik am Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär scheint mir daher eher formal angelegt zu sein. Um solch formale Betrachtungen kümmern sich Hollywoodfilme normalerweise nicht. Auf jeden Fall möchte ich dem Mythos entgegentreten, dass die Arbeit eines Managers oder Politikers weniger wesentlich ist als die eines Arbeiters. Was eine angemessene Bezahlung ist, wie gesagt, darüber kann man unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Übrigens scheinst du interessante Auffassungen darüber zu haben, was es für einen schweizer Patentbeamten heißt, einfach ihren Job zu machen ;). [siehe xkcd].

Ursprünglich wollte ich nach dieser Aussage die Diskussion verlassen, aber was soll´s. Ich habe in der Tat keine übermäßige Lust, für eine von mir als "normal", also nicht als wissenschaftlich empfundene Diskussion Belege in dem Sinne, wie du sie im weiteren zusammengetragen hast, zu sammeln (wobei ich darum bitte, mir zuzutrauen, dass ich die Googlesuche durchaus bedienen kann). Stattdessen greife ich auf ein Gesamtbild zurück, das sich im Laufe vieler Jahre entwickelt und modifiziert hat. Dieses Bild entstand durch viele Einzelgespräche mit Bauern (ich habe viele Jahre auf dem Land gelebt) oder Personal von Bauernhöfen, durch Zeitungsberichte, Rundfunk und Fernsehberichte und später Internetbeiträge.
Ich muss mich für meine etwas harsche Wortwahl entschuldigen. Das Zitat bezog sich gar nicht mal im Speziellen auf dich. Inwieweit dein Bild zutrifft und fundiert ist, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber, dass das Schlagwort 'Lobby' gern auch von Leuten benutzt wird, deren Kenntnisse nicht hinreichend fundiert sind, um diesen Vorwurf zu rechtfertigen; und ich weiß, dass meine Kenntnisse nicht hinreichend fundiert sind. Google zu bedienen traue ich dir übrigens durchaus zu - jedenfalls nicht schlechter als ich, der ich regelmäßig große Probleme habe, Zahlen zu finden, die doch irgendwo im Internet zu finden sein müssten...

wenn das kein Rückgang und eine Konzentration auf immer weniger Höfe ist, dann weiß ich nicht, was du unter einem Rückgang verstehst.
Die Konzentration auf immer weniger Höfe habe ich nie bestritten. Aber wir verstehen wohl etwas anderes unter Großbetrieben. Einen reinen Familienbetrieb betrachte ich nicht als Großbetrieb, auch wenn ein solcher durchaus heutzutage 80 Hektar bewirtschaften kann (und muss, um wirtschaftlich zu überleben). Großbetriebe messe ich an der Anzahl der Mitarbeiter. Die Vergrößerung von Betrieben bei sinkender Belegschaft hat, wie ich es sehe, primär mit technologischem Fortschritt auf der einen Seite und steigendem Preisdruck auf der anderen Seite zu tun. Bei beiden sehe ich keinen Lobbyeinfluss von Großbauern... Der mag woanders liegen (vielleicht liegt er manchen Seltsamkeiten der Milchquotenregelungen zugrunde?), aber in der grundsätzlichen Produktivitätssteigerung/Betriebsvergrößerung sehe ich ihn nicht.

Ipsissimus
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Do 18. Apr 2013, 15:14 - Beitrag #37

Einseitige Schutzzölle funktionieren aber nur bei deutlichen wirtschaftlichen/politischen Machtgefälle und sind darüberhinaus unethisch.
Ich sehe nicht, dass das wirtschaftlich/politische Machtgefälle durch die Bildung der EU und des barrierefreien Binnenmarktes dramatisch nivelliert worden wäre. Nach wie vor bestimmt, wer das Geld hat.

Auch für die ethische Situation scheint mir nichts gewonnen; im Gegenteil, wir erleben eine erhebliche Ausweitung der ethischen Problematik. "Gut gemeint" ist bekanntlich das Gegenteil von "gut gemacht". Die EU ist aus meiner Perspektive derart schlecht gemacht, dass dies zu massiven ethischen Problemen geführt hat. Ob es überhaupt auch nur "gut gemeint" war, darf zusätzlich hinterfragt werden. Da wurden Dinge übers Knie gebrochen, die weitaus sorgfältiger hätten geprüft und vor allem vor der Gründung gelöst werden müssen. Und in der bekannte Maxime - die uns z.B. bei der Euro-Einführung vorgebetet wurde - "jetzt ist er nunmal da" konnte ich schon damals nicht als Argument begreifen.

dass ein Großteil der ausgelagerten Produktion eben nicht nach Portugal oder Griechenland ausgelagert worden ist, sondern nach China und Südostasien
Das ist eben aus meiner Perspektive gleichgültig. Dass überhaupt die Produktion ausgelagert wird, ist das Problem. Das müsste dadurch gelöst werden, dass die Importe und Exporte nivelliert werden, weltweit und über alle Länder, aber nicht dadurch, dass die Arbeitsplätze verschoben und damit aufgelöst werden, denn das steckt ja hinter dem harmlosen Begriff der "Auslagerung der Produktion".

Aber sollten wir unseren Politikern wirklich vorwerfen, dass sie nicht nationalistisch genug denken?
Das brauchen sie gar nicht. Sie müssen lediglich politische Lösungen finden, die den Problemen sachlich angemessen sind, statt dass der shareholder value im Fokus steht. Aber der heilige Marktzwang ist ja wichtiger als die Menschen, die ihm in angeblich naturgesetzlicher Unbedingtheit unterworfen sind^^

Deswegen sprach ich von einer Inflationsbereinigung, d.h. es ging eben gerade um das Verhältnis von Lohn und Lebenshaltungskosten
Inflation ist nur ein geringfügiger Teil der Problematik des Verhältnisses zwischen Einkommen und Preisen. Wenn das Verhältnis bereits entgleist ist, spielt eine gewisse Preissteigerung auch keine Rolle mehr. Das ist so, als wollte jemand sich von einem 100 Meter hohen Fels stürzen, aber um noch ein bisschen Höhe zu gewinnen, stellt er sich noch auf einen Hocker.

600 Euro dürften meiner Einschätzung nach Aushilfs- oder Teilzeitarbeit sein - eine zumindest angelernte Vollzeitaldikassiererin dürfte das Doppelte verdienen.
Ich habe noch mal ein bisschen recherchiert. Die Aussagen sind sehr unterschiedlich. Offizielle Zahlen habe ich keine gefunden, die kolportierten Zahlen sind bundeslandspezifisch, liegen brutto zwischen unter 7 Euro bis 15 Euro die Stunde und betreffen alle großen Discounter, wobei die Ketten außer den Filialleitern in der Regel keine Vollzeitkräfte einstellen. Für eine halbe Stelle (20 Wochenstunden) ergeben sich dann Löhne zwischen unter 560 Euro bis maximal 1200 Euro monatlich. Der theoretisch relativ hohe Lohn am oberen Ende der Skala nützt aufgrund der Stundenbegrenzung also auch nichts.

Der einzelne Unternehmer oder Industrielle hatte hier wohl nur eine beschränkte Entscheidungsmacht.
Das ist ja gerade der Clou bei jeder Form struktureller Gewalt: Niemand ist noch persönlich verantwortlich, die Strukturen regeln alles und erlangen somit den Status einer Gottheit. Dass diese Strukturen nicht gottgegeben sind, sondern gemacht, also explizit zu diesem und analogen Zwecken entworfen und verwirklicht wurden, ist für die meisten Menschen wohl zu abstrakt, als dass sie mit der Vorstellung etwas anfangen könnten. Um so einfacher ist es, Gesellschaften damit zu steuern.

Insgesamt muss man natürlich aber sehen, dass die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte die Grundlage unseres Wohlstands sind und erstmal etwas gutes sind.
Diese Produktivitätssteigerung steht aber vor dem Hintergrund dramatisch erhöhter Bevölkerungszahlen, und der davon generierte Wohlstand wurde auch nicht nach dem Gießkannenprinzip verstreut, sondern in den Händen Weniger konzentriert. Zudem wurde besagte Steigerung auch mit dem ein oder anderen Krieg, dieser oder jener Kolonialisierung und insgesamt mit sehr viel Blut, zumeist woanders, erkauft.

Das Interesse an den günstigen Lebensmittelpreisen in Deutschland kommt nicht nur von den Armen, sondern auch von den Sparsamen.
Deren "Interesse" sich offenbar daran erweist, wenn sie in schöner Regelmäßigkeit vollkommen überrascht sind, wenn gelegentlich zu Tage tritt, was in dem Zeug drin ist^^ und "Interesse" kann in diesem Kontext, zumindest im Kontext prekär lebender Menschen, durchaus als Euphemismus gelten, "Zwang", oder beruhigender "Notwendigkeit", dürfte der Situation eher nahe kommen.

Wie gesagt, allein durch der eigenen Hände Arbeit kann nur der Selbstversorger, der seine Nahrung selbst anbaut, überhaupt überleben.
mag sein, nur ging es gerade nicht ums Überleben, was mit eigener Hände Arbeit vielleicht möglich sein mag - einige Bauern sehen das deutlich anders - sondern um den Aufstieg zum Millionär und um die Art der dazu notwendige Ausnutzung fremder Leute Arbeit.

Was eine angemessene Bezahlung ist, wie gesagt, darüber kann man unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Das wird normalerweise über die Macht der betroffenen Personen geregelt^^

Inwieweit dein Bild zutrifft und fundiert ist, kann ich nicht beurteilen.
Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine grundlegende Frage. Früher war ich fasziniert von Details, habe alles aufgesaugt, was nur greifbar war. Irgendwann schlich sich so eine leise Ahnung ein, dass ich über den Details in vielen Fällen das Bild aus den Augen verloren habe, dass die Details nicht wirklich etwas besagen, oder vielmehr, nur dann etwas besagen, wenn sie vor dem Hintergrund eines Bildes, einer Deutung stehen, ganz ähnlich wie in der Physik, bei der Einzeldaten auch erst wirklich relevant werden, wenn sie sich in Bezug zu einer Theorie einordnen lassen. Mittlerweile kümmere ich mich hauptsächlich um das Bild und stehe den Details deutlich gelassener gegenüber. Wenn es mir schlecht geht, ist mir die Aussage eines Arztes, dass meine Blutwerte meine Gesundheit beweisen, ziemlich gleichgültig.

Die Vergrößerung von Betrieben bei sinkender Belegschaft hat, wie ich es sehe, primär mit technologischem Fortschritt auf der einen Seite und steigendem Preisdruck auf der anderen Seite zu tun. Bei beiden sehe ich keinen Lobbyeinfluss von Großbauern...
wir beginnen, uns im Kreis zu drehen^^


Insgesamt scheint mir anhand unserer Diskussion ziemlich deutlich zu werden, wie sehr die Bewertung von Daten persönlichen Weltbildern folgt, allen Ansprüchen an Objektivität zum Trotze. Davon nehme ich meine Darlegungen nicht aus. Mein Freund, der Soziologe sagt dazu immer: "Wirklichkeit ist ein soziales Konstrukt".

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