Einer der Gründe, warum ein Wahlgeheimnis eine so gute Idee ist, ist ja, dass dem Wähler keine Diskriminierung aufgrund seiner bekanntgewordenen Entscheidung widerfahren soll. Das gleiche lässt sich aber für die reine Wahl-Nichtwahl-Information sagen, es ist leicht genug, sich Fälle vorzustellen, in denen ein Nichtwähler von staatlicher, betrieblicher oder privater Seite diskriminiert wird - oder in gewissen Umfeldern auch umgekehrt ein Wähler.
Nun ging ich eigentlich immer implizit davon aus, dass das deutsche Wahlgeheimnis diese Frage miteinschließt und klar geregelt sein müsste, dass die abgehakten Wählerverzeichnisse bzw. -listen ausschließlich bei der Auszählung verwendet werden dürfen, und das nur von den entsprechend vereidigten Personen. Leider konnte ich mit mittlerem Rechercheaufwand dazu bisher nichts konkretes finden, weder im Bundes- noch diversen lokalen Wahlgesetzen. Lediglich ein paar Kommentare und Gerichtsurteile zu Betriebsratswahlen etc. habe ich gefunden, wobei es teilweise auch nur um die Einsicht während einer laufenden Wahl ging - dass die nochmal bedenklicher ist, ist klar.
Daher zwei Fragen:
Erstens, kann mir jemand eine Quelle nennen, wie das hierzulande geregelt ist - sowohl de jure als auch in der Praxis (also wie die Wählerverzeichnisse nach der Wahl gelagert werden und so)?
Zweitens, wie seht ihr es persönlich, gehört zu einer echten freien Wahl dazu, dass nicht öffentlich bekannt wird, ob man gewählt hat?
Eine ziemlich obskure Geschichte zu dem Thema ist übrigens diese hier von 1970 - die SPD wollte ein eigenes Wählerverzeichnis mit erschreckendem Umfang anlegen und nutzen, u.a., indem Wahlhelfer während der Wahl die Hakenlisten nach draußen weitergeben. Zumindest dass letzteres explizit illegal war und ist, hoffe ich doch sehr.
PS: Ich weiß, dass ich hier in der Vergangenheit auch schon mal eine Wahlpflicht, auch mit Sanktionen bewehrt, gefordert habe, was natürlich auf den ersten Blick mit Wahl-/Nichtwahlgeheimnis kollidiert - aber einerseits nur auf den ersten Blick, es sind technische Umsetzungen denkbar, die den Konflikt auflösen, und andererseits wäre die Einführung einer solchen Pflicht eh eine so große Änderung des Systems, die mit einer starken Prioritätenverschiebung einherginge (und mit entsprechend guten Argumenten begründet sein muss), dass sie (aus Befürworterperspektive) das Nichtdiskriminierungsgebot abschaffen bzw. einschränken würde - also kein Konflikt in der Folgerung, sondern eine Änderung der Axiome. Und ob ich das derzeit noch so fördern würde, muss ich nochmal ergründen.
PS2: Wie üblich findet man das entscheidende Fundstück kurz nach Bekanntgabe der eigenen Fundunfähigkeit doch noch selbst. Die Regelung scheint sich nicht im Bundeswahlgesetz, sondern nur in der Bundeswahlordnung zu finden:
§ 89 Sicherung der Wahlunterlagen
(1) Die Wählerverzeichnisse, die Wahlscheinverzeichnisse, die Verzeichnisse nach § 28 Abs. 8 Satz 2 und § 29 Abs. 1, die Formblätter mit Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge sowie eingenommene Wahlbenachrichtigungen sind so zu verwahren, dass sie gegen Einsichtnahme durch Unbefugte geschützt sind.
(2) Auskünfte aus Wählerverzeichnissen, Wahlscheinverzeichnissen und Verzeichnissen nach § 28 Abs. 8 Satz 2 und § 29 Abs. 1 dürfen nur Behörden, Gerichten und sonstigen amtlichen Stellen des Wahlgebiets und nur dann erteilt werden, wenn sie für den Empfänger im Zusammenhang mit der Wahl erforderlich sind. Ein solcher Anlass liegt insbesondere bei Verdacht von Wahlstraftaten, bei Wahlprüfungsangelegenheiten und bei wahlstatistischen Arbeiten vor.
(3) Mitglieder von Wahlorganen, Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete dürfen Auskünfte über Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge nur Behörden, Gerichten und sonstigen amtlichen Stellen des Wahlgebiets und nur dann erteilen, wenn die Auskunft zur Durchführung der Wahl oder eines Wahlprüfungsverfahrens oder zur Aufklärung des Verdachts einer Wahlstraftat erforderlich ist.
Bleiben die Frage danach, was ihr persönlich davon haltet, und die, warum so eine durchaus grundrechtsrelevante Regelung nur eine "Ordnung", aber kein "Gesetz" ist.