Mittelalter

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Thod
Harfner des Erhabenen
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Mo 3. Dez 2001, 19:30 - Beitrag #41

ich persönlich mache keinen Unterschied, ob es sich bei einer Vernichtung von Menschenleben um Männer oder Frauen handelt...
Beides ist schlimm.

Das Phänomen der Hexenverbrennung auf germanischem Boden gibt es allerdings schon länger, als das Christentum. Auch fällt es auf, daß es regional begrenzt war. Man kann auch nicht unbedingt Inquisition und Hexenverbrennung über einen Kamm scheren, weder von ihrer geographischen Lage, noch von der Zeit, in der sie immer wieder aufkamen. Prinzipiell kann man festhalten, daß das Verbrennen ein Staatsakt war. Die Kirche hat die Verurteilten dem Staat aber oft übergeben: sie selber hat eher aufgehangen. Das soll keine Relativierung von irgendwas sein, sondern zur Erklärung von Zusammenhängen helfen. (Ein verbrannter Leichnam kam nach christlichem Verständnis der damaligen Zeit nicht in den Himmel, darum durfte die Kirche sowas nicht tun...)
Das Geflecht der verschiedenen Begründungen für diese Sachen ist kompliziert. Ich denke, du hast recht, es im Mittelalter-Thread anzusiedeln, denn da hatte es seinen Höhepunkt. Aber die Ansicht, daß das der Kirchliche Einfluss gewesen sei, die kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde sagen: Trotz heftiger kirchlicher Widerstände hat sich der Hexenglauben in Teilen Europas im MA ausgebreitet. Er ist dann (ähnlich wie der Sozialismus heute) in die Kirche über Genereationen hinweg hineingewachsen, und durch einen Selbstreinigungsprozess auch wieder herausgewachsen. Sowas dauert lange, aber die Mitglieder der Kirche sind auch immer Kinder ihrer Zeit. Die Gründe für den Hexenwahn, liegen aber weit jenseits des Christentums...

Gruß,
Orald

Traitor
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Mo 3. Dez 2001, 19:35 - Beitrag #42

Klar, Gründe und Ursprünge sind älter. Aber mit Dingen wie dem starken Sündenglauben, dem in dieser Zeit extremen Himmel- und-Hölle-Denken etc. hat das Christentum / die Kirche dem Stoff auch selbst genug zusätzliche Nahrung gegeben.

Dass es nicht nur die Kirche war, ist klar. Aber dass sie es gebremst hätte? Ich weiß nicht. Aber hier muss man wohl wieder zwischen Kirchenlehre und einzelnen Kirchenmitgliedern unterscheiden, was meien Frage wohl klärt?

Thod
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Mo 3. Dez 2001, 19:44 - Beitrag #43

wo kommt denn dieser Sündenglauben her? Schau dir da mal ein wenig das an, was wir von den Kelten wissen, und später z.B. den iroschottischen Wandermönchen. Ein sehr interessantes Gebiet, welches weit vor das MA zurückreicht...
Die mittelalterliche Kirche hat eine ganze Reihe von Büsserorden und extremen Gruppierungen in dieser Richtung ausgeschlossen. Auch hatte wohl Bonifatius da letztlich einen größeren Einfluss, als die besagten Wandermönche.
Interessant ist, daß solche Dinge durchaus was mit dem Boden zu tun haben. Der deutlich strengere Protestantismus ist nämlich auch eher auf nordischem Boden angesiedelt...

Gruß,
Orald

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Mo 3. Dez 2001, 20:06 - Beitrag #44

Kommen wir noch mal auf die Rolle der Kirche zurück.

Es war schon vor dem Aufflammen des Hexenwahns durchaus üblich, geistige Abweichler zu verfolgen, zu foltern und zu töten, die damaligen Päpste waren da nicht zimperlich.

Letztlich geht es um Macht. Der Klerus besaß Land, politischen Einfluss und Kapital. "Ketzer", die zum reinen Glauben zurückwollten, bzw. den Prunk anprangerten, waren - wie Jesus - eine Gefahr für den eigenen Bestand, ergo wurden sie verfolgt.

Die Auflistung von Sünden und ihre Ahndung sind auch immer ein Mittel der Angsterzeugung, der Gehorsamserzwingung.
Auch die Verlesung der Messe in lateinischer Sprache verhinderte die Teilhabe der Masse am Wissen. Das hat schon Prinzip.
Wissen ist halt Macht.

Die Rolle der Kirche ist schon deshalb so wichtig im MA, weil sie die Gelehrten stellte, Königshäuser beeinflusste und überhaupt die Regeln des täglichen Lebens aufstellte.
(immer auf Europa bezogen)

Thod
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Mo 3. Dez 2001, 20:18 - Beitrag #45

auch wenn dies hier kein Thread über die Rolle der Kirche im MA sein sollte, sondern einer generell über das MA, denke ich, wir können diesen Gedanken durchaus als Ausgangspunkt nehmen. Bitte aber nicht immer mir vorwerfen, ich würde aus allem einen Kirchenthread machen wollen ;)

Die Verbindung von Kirche und Staat war damals sehr eng. Der Kaiser hatte ja z.B. auch eine religiöse Funktion, und der Streit der beiden Mächte zeichnete das MA für lange zeit.
Sicherlich lagen die Vorstellungen Augustinus' aus de civitate dei von hier stark zu grunde. Auf jeden fall, war das politisch/religiöse Gebäude des MA sehr verwoben. Um nun zu sagen: hier war die Kirche, oder hier der Staat treibende Kraft, denke ich, bleibt einem nicht viel andreres Übrig, als sich ein möglichst umfassendes Bild zu machen. Beim Staat ist das einfacher als bei der Kirche: hier sind die Motivationen und die Traditionen leicht umrissen.
Bei der Kirche ist das ganze weitaus komplexer: Hier müsste man ein wenig schauen, wie z.B. die Konzilien verliefen, was dorft Frage und Streitpunkte waren, welche Ansichten in die Lehrmeinung aufgenommen wurden und welche nicht, bzw. woher die unterschiedlichen Geistesströmungen kamen.
Vieles kann man nicht immer gleich erkennen: man ist in seiner Zeit ja auch nicht unabhängig, und Folgen von Einstellungen zeigen sich auch oft erst nach Generationen. Somit ist es wohl recht schwierig, rechtzeitig zu handeln, und auch entsprechende Strukturen zu setzen.
Ich denke, die Kirche hat im Ma durchaus gelernt, sich gegen fremde Einflüsse besser zu wapnen. Man sieht das z.B. IMHO am Unfehlbarkeits-Dogma, auch schon das Konziel von Trient hat da Maßstäbe gesetzt.

Gruß,
Orald

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Mo 3. Dez 2001, 20:31 - Beitrag #46

Du bist geschickt, Orald.
Aber um die Diskussion kommst Du mir nicht herum:
Sündenglaube und auch das Unfehlbarkeitsdogma dienen letztlich dem Machterhalt.

Immerhin hat es bis zum 2. Vatikanischen Konzil gedauert, bis aus dem Großinquisitor der Chef der Glaubenskongregation wurde, obwohl Herr Ratzinger das bestimmt heimlich bedauert. ;)

Also noch mal: Welchen Sinn hat der Sündenglauben? Reichen nicht einfach 10 Gebote und die freiwillige Selbstverpflichtung der Gläubigen, sich angemessen zu verhalten? Warum muss immer Druck, Angst und Strafe sein? Jesus würde sich im Grabe umdrehen, hätte er denn eines!

Thod
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Mo 3. Dez 2001, 20:41 - Beitrag #47

Ich will mich gewiss nicht vor einer Diskussion drücken...
Übrigends, mir wäre der Titel Großinquisitor auch lieber, als "Chef der Glaubenskongregation". Da ist doch aller "Saft" raus...
Sündenglaube und auch das Unfehlbarkeitsdogma dienen letztlich dem Machterhalt.

Dem möchte ich doch nun wirklich widersprechen. Der Sündenglaube ist eine Erfahrung der Menschen. Jede Kultur, jede Religion, zeigt, daß die Welt irgendwie nicht so funktioniert, wie sie sollte. Selbst bei optimalen Zuständen scheint irgendwas nicht zu stimmen. Menschen, die scheinbar mit allem gesegnet sind, sind dennoch oft unzufrieden und gar bösartig: woher kommt das.
Das Christentum verweist hierin auf die Beschränktheit des Menschen, und seinen Wunsch, mehr sein zu wollen, als er ist. Hierin liegt und lag christliches Sündenverständnis.
Was konkret verstehst du unter Sündenglauben? Auch heute wird den Menschen andauernd ein schlechtes Gewissen eingeredet. Das ist nichts Kirchliches. Die Regeln hinter dem christlichen Glauben, die scheinen mir doch die humansten überhaupt zu sein.
Starkes Büssertum und selbstkasteiung etc, kommt im Christentum tatsächlich aus dem Erbe der Kelten, und teilweise aus dem der Germanen. Vieles, was von dort überliefert wurde, hat meiner Meinung nach völlig zu recht keinen Einzug in die christliche Lehre erhalten. Dazu gehört auch letztlich der protestanitsche Purismus, bis hin zum Calvinismus...

Was das Papstdogma angeht: so ist es wohl am ehesten als ein politisches Zeichen gegen den aufkommenden Pluralismus zu deuten. Die Kriche hat den Auftrag, die Lehre zu tradieren. Um dem in besonderem Maße nachzukommen, gibt es eine einheitliche Struktur im Amt. Wo die nicht vohanden ist, splittern die Gruppen förmlich auseinander, wie man gut sehen kann.
Nun, im Zuge der heutigen pluralistischen und relativistischen Ansichten hat man die Einheit der Kirche, und somit die Kompetenz des Lehramtes gestärkt. Innerkirchlich war das meiner Ansicht nach ein wichtiger Schritt, nicht zur politischen Macht, sondern zur konsequenten Weitergabe der Kirchenlehre.

Allerdings driftet das nun wirklich weit vom Topic ab, oder?

Gruß,
Orald

Feuerkopf
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Di 4. Dez 2001, 02:00 - Beitrag #48

Stimmt, Orald. Beschließen wir diesen Exkurs.

Im Vergleich zu heute war das MA wahrscheinlich roher und grundsätzlicher.
Du konntest davon ausgehen, dass die Hälfte Deiner Kinder nicht das Kleinkindalter überlebte. Du wurdest selbst nicht viel älter als vielleicht 40. Als Bauer warst Du meist Leibeigener, es gab Folter, es gab Seuchen, es gab Kriege.

So sehr viel hat sich nicht geändert, seitdem. In einem Großteil der Länder gelten die o. g. Regeln nach wie vor...

Wir in unserer priviligierten Situation übersehen das allerdings meistens.

SoF
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Di 4. Dez 2001, 18:59 - Beitrag #49

Aber der Unterschied zu heute ist doch, dass es in den "zivilisierten Ländern" sowas wie Folter, Verfolgung, Pest oder Leibeigene nicht bis kaum mehr gibt. Im Mittelalter dagegen waren solche Punkte in fast jeder Stadt an der Tagesordnung. Was im Mittelalter sehr stark war, war die Pest, die sehr vielen Menschen das Leben kostete. Heutzutage ist der "Schwarze Tod" ja so gut wie ausgerottet.

Anfauglir
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Di 11. Dez 2001, 19:23 - Beitrag #50

Tja SoF, das is schon richtig, aber man darf auch den Punkt nicht ausser Acht lassen, den Feuerkopf angesprochen hat.

Pest gibt es noch, nur nicht (oder kaum) bei uns.
Folter gibt es noch, nur nicht mehr in europäischen Städten (außer in SM-shops ;)). Anderswo sind Regimes nach wie vor barbarisch, denke nur mal an solche Länder, in denen Militärregierungen ("Juntas") an der Macht sind, wie Burma/Birma/Myanmar oder Burundi. in Myanmar soll die Situation besonders repressiv sein. Da is dann auch Folter an der Tagesordnung.

Und der berühmte Dreck auf den Straßen ist auch nur da weg, wo kontinuierlich Geld in die Instanthaltung der Kanalisation fließt. In Osteuropa ist die Situation jedoch so, dass die meisten Staaten gar kein Geld haben, um in jeder Stadt alle Systeme aufrechtzuerhalten.

Wenn du in Betracht ziehst, dass Wohlstand und Fortschritt in der westlichen Welt unter anderem auch dadurch zustande kommen (und gekommen sind), dass anderswo auf der Welt Menschen mit sehr wenig auskommen müssen. Deswegen müssten wir uns schuldig fühlen. Nicht nur weil wir es gut haben und andere leiden, sondern auch weil unser Wohlstand zum Teil auf deren Leid zurückgeht, also indirekt. Zumindest ich will jetzt jedoch keine politische Debate führen, es sollte nur klar sein, dass gesellschaftlicher Fortschritt weder global stattfindet noch angeboren wird. Es reicht ein einschneidendes Ereignis, um das Denken einer gesamten Gesellschaft umzukrempeln. Wenn ich mich umsehe sehe ich Ideale der Renaisscance und der Aufklärung vergessen und ignoriert. Es ist praktisch gar nicht möglich, die Ansätze aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen, die wir mit dem Mittelalter verbinden. Denn Gesellschaft wird auch von Menschen gemacht, und innere Triebe wird es noch in tausenden von Jahren geben, so auch Macht- bzw. Herrschaftstriebe. Nur kontinuierliche und konzentrierte Bildung können den Fortschritt langfristig sichern.

Und da soll mir nochmal einer sagen dass Bildung ein Gut ist wie ein Auto oder ein Fernseher.

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