Sozialismen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Thod
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Do 13. Dez 2001, 15:58 - Beitrag #1

Sozialismen

Hallo Traitor,

da wir uns ja im Lieblingsepochentread laut Schweigi nahe am Rande der Legalität befunden haben (OT) stelle ich die Frage hier einmal.

Wodurch zeichnen sich Sozialistische Systeme aus, worauf gehen sie zurück, und was macht den Nationalsozialismus zu einem Sozialismus.
Insbesondere möchte ich gerne diskutieren, was ein Sozialismus nationaler Ausprägung ist, und ob sowas genaugenommen überhaupt möglich ist. (Vorausgesetzt ein Sozialismus ist überhautp eine mögliche politische Struktur...)

Gruß,
Orald

Erdwolf
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Do 13. Dez 2001, 17:26 - Beitrag #2

Mal ganz simpel:
Sozialistische Systeme sind Systeme die sich stark am Volk und der Gemeinschaft orientieren.

Also irgentwie sollte danach jeder Staat sozialistisch sein, oder?

Traitor
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Do 13. Dez 2001, 17:27 - Beitrag #3

Wenn du erlaubst, verschieben wir das Thema erstmal, da ich doch einige heftige Lücken in meinen Informationen gefunden habe. Da muss ich mich erstmal nochwas umgucken, ok?

Thod
Harfner des Erhabenen
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Do 13. Dez 2001, 17:39 - Beitrag #4

ok, wusste gar nicht, daß du jetzt mod. bist. Wohin willst du den Thread verschieben? :D

Gruß,
Orald

Traitor
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Do 13. Dez 2001, 18:00 - Beitrag #5

Ins Unterforum "späterer Zeitpunkt" :D
Aber wenn solche Sachen wie im anderen thread dich nicht allzu sehr stören, dann können wir es auch jetzt diskutieren (du kannst mir ja meine Irrtümer sagen :) )

Und das mit dem Mod kommt hoffentlich bald

Thod
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Do 13. Dez 2001, 18:26 - Beitrag #6

Ich bin von dir ja schon so einiges gewohnt ;)
Tu dir da keinen Zwang an, ich schrei schon rechtzeitig.

Gruß,
Orald

P.S. hat dich bezüglich des Mod. Posten der Ehrgeiz gepackt, Lebende Legende?

Traitor
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Do 13. Dez 2001, 20:59 - Beitrag #7

Gut, dann versuch ich mal was zu schreiben. Du kannst es dann ja in der Luft zerreißen ;)

Ich fände so etwas auch nicht gut. Denn dann könnte man als Wähler keine Parteien mehr wählen, sondern nur noch Koalitionen.

Ich denke es gibt verschiedene Arten von Sozialismus. Erstmal den "echten Sozialismus", nach marx, engels, lenin, mao usw, der sich (zumindest theoretisch) durch totale Gleichberechtigung, Allgemeinbesitz etc auszeichnet.
Andererseits gibt es "begrenzten Sozialismus", zB die BRD. Im Verhältnis zu den USA erscheint Deutschland für mich teilweise sozialistisch, da der Kapitalismus stark in Regeln gepackt wurde, der Arbeiter geschützt, starke Gewerkschaften usw. Eben "Sozialdemokratie", wobei "Sozial-" nicht nur von sozial, sondern halt auch von sozialistisch abgeleitet ist.

worauf gehen sie zurück

AUf diverse philosophsiche Prinzipien. Vor allem: Der Mensch ist von Grund auf gut. Und da liegt auch der Knackpunkt des Systems, es funktioniert nur mit idealen menschen, die es leider nicht gibt. Andere wichtige Vorstellungen sind wohl "alle Menschen sind gleich", der Atheismus, der Ach mist wie hieß das Teil noch mal? Das von wegen historische Abfolge der Gesellschaftsordnungen (Feudalismus--->Kapitalismus-->Kommunismus und so).

und was macht den Nationalsozialismus zu einem Sozialismus.

Im prinzip nur wenige Ansätze, denke ich. Macht den Arbeitern zb, ein starkes Bewusstsein als "ein Volk" etc. Die wirklichen ideale des Sozialismus (bzw die die ich dafür halte *g*) trifft er IMHO nicht.

Insbesondere möchte ich gerne diskutieren, was ein Sozialismus nationaler Ausprägung ist, und ob sowas genaugenommen überhaupt möglich ist.

Ich weiß nicht genau, was du damit meinst. Meinst du sowas wie Stalin oder China, wo sich der Sozialismus mit nationalistischen Elementen mischt?

Thod
Harfner des Erhabenen
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So 16. Dez 2001, 23:24 - Beitrag #8

Hi Traitor,
hab ich dich je schon mal in der Luft zerrissen? :D

Marx, Engels und Co haben ja nicht den Sozialismus, sondern den Kommunismus gepredigt, aber lassen wir das mal auf sich beruhen. Wenn auch nicht völlig korrekt, so denke ich kann man doch vom Sozialismus als gemäßigtem Kommunismus sprechen...

Wie die meisten politischen Einstellungen muß man diese Richtung wohl auch aus ihrem geschichtlichen Kontext heraus sehen. Dabei kann man aber meine Ansicht nach nicht weit genug zurück gehen. Als ersten Anhaltspunkt möchte ich feststellen, daß die Unterscheidungen Sozialismus-Kapitalismus deutlich zu kurz gegriffen sind. Ich denke, da ziehen sich rote Fäden durch die Geschichte des Abendlandes, und diese müssen zuerst einmal untersucht werden.
Weder der Kommunismus, noch der Sozialismus sind in anderen Kulturkreisen entstanden. Das hat einige Gründe, und ich werde mal versuchen, meine Auffassung hier *kurz* darzustellen, auch wenn ich weiss, daß das ein Balanceakt ist, und dieses Sicher vielerlei Anlass zur Kritik bieten wird, da ich der kürze wegen auf vieles nicht eingehen kann, was an sonsten Bibliotheken füllen würde.

1. Besonderheit in der Entwicklung des christlichen Abendlandes gegenüber anderen Kulturen.
I.d.R. definieren sich Gesellschaften über Gruppenzugehörigkeiten. Wir haben Stämme, Städte, Kulturkreise etc, und die einzelnen Individuen gehen in diesen auf, sind ihnen verpflichtet und bilden quasi kleine Rädchen im Gesamtgefüge.
Maßgebend ist die Gruppe oder Gesellschaft, in die man hineingeboren wird, und diese wird in der Regel durch wenige oder gar nur einen Führer geleitet, mal zum Wohle, mal zum Wehe des einzelnen.
Hier hat das Christentum eine weltweite Neuerung eingeführt, die mittlerweile auf der Welt fast selbstverständlich geworden ist, so daß man sie oft übersieht und für menschliches Allgemeingut hält: die Person, bzw. Personalität
Dieses Konzept holt den Einzelnen aus der Gesellschaft heraus, und gibt ihm Rechte und Pflichten. Den Begriff hier näher zu erläutern sprengt allerdings sicher den Rahmen, so daß ich darauf verzichten werde. Bei Bedarf kann man dazu sicher einen eigenen Thread aufmachen.
Das herausgerissen sein aus der Gesellschaft, diese besondere Position des Menschen (als Ebenbild Gottes) veränderte das gesamte Gesellschaftsgefüge. Sünde und Schuld wurde unterschieden, Verantwortung auch für Abstrakta wurde möglich, der Mensch wurde quasi über alle anderen Geschöpfe herausgehoben, und bekam (im Guten wie im Schlechten) eine völlig neue Rolle in der Welt.
Die Kirche versuchte diese in einem Gleichgewicht zu halten, indem sie komplexe Strukturen und Abhängigkeiten zwischen Personalität und Gruppe, zwischen Person und Amt aufzeigte, und für alle diese Dinge ausgewogene Konzepte entwickelte. Durch die Definition der Person war der Mensch über alles erhoben, aber über seine Position im Amt wurde seine besondere Verantwortung gezeigt. (Besonders schön bei Thomas Morus nachuzulesen)
Im Vergleich zu allen anderen Kulturen, in der nur die Position innerhalb der Gruppe ausschlaggebend für Würde und Ansehen des Menschen ist, (er selber hat eingentlich nie Ansehen, nur Position) war nun etwas neues Geschaffen: ein komplexes Zusammenspiel von persönlicher Entwicklungsmöglichkeit und Verantwortung innerhalb des Gruppengefüges.

2. Von der Person zum Individuum.
Schon zu Zeiten des Mittelalters (11. oder 12. Jhdt.) entstand zu dieser Kirchlichen Errungenschaft eine Weiterentwicklung, welche sich quasi als Konkurrenz aus dem christlichen Gedankengut herausentwickelte: der Individualismus
Die neue Position des Menschen wurde aufgenommen, seine Verpflichtungen in der Gesellschaft jedoch wurden geleugnet. Man sag den Menschen als Mittelpunkt und Zentrum der Welt, wo im Christentum Gott steht, wurde der Mensch etabliert. Einer der ersten, welche sich in dieser Art äußerten war glaub ich ein Mönch namens Gottschalk.
Mit dieser Einstellung, daß der Mensch etwas besonderes war, und mit der Ablehnung Gottes als nötiges (auch spirituelles) Zentrum begann eine Art des Rationalismusses. Die Mysthik, welche dem Egoismus und Egozentrismus entgegenwirkte wurde mit samt des Gottesbildes abgelehnt, und die Allmacht der Ratio begann ihren Siegeszug.
Von der Person, welche sich über die Liebesfähigkeit, die Möglichkeit der Reifung und Verantwortung definierte, bleib nur noch das Individuum übrig. Zusammen mit dem Rationalismus warf man alle möglichen Prinzipien aus christlicher Ethik über Board, man griff unbewusst auf alte antike oder vorantike (babylonische/esotherische) Praktiken wie Astrologie, und ähnliches zurück, und dachte, der Mensch könne mit seiner Ratio alles. Dies begann schon in der Renaissance, und hatte in der sog. Aufklärung einen vorläufigen Höhepunkt, immer in strenger Abgrenzung zur Kirche und zum Christentum. Interessant lässt sich diese Entwicklung vor allem in der Kunst, aber natürlich auch in Philosophie und Politik nachvollziehen.
Es bildeten sich also im Abendland zwei konkurrierende Weltanschauungen heraus: das Christentum mit seiner Mystik und Schloastik, und eine Form des Humanismusses, mit seiner Ratio und Alleinbestimmung.

3. Neue Gesellschaftsformen
Im Verlauf der Geschichte zeigten sich nun auch einige negative Seiten des so in die Höhe gelobten Individuums. Allein durch das Fallenlassen gewisser christlicher Moralanschauungen, dem neuen Blick auf den Menschen als quasi allmächtiges Wesen, welches funktionalen Strukturen folgt ähnlich wie es Maschinen tun, trug seine Früchte. Zusammen mit dem Rationalismus und der Entmystifizierung entstand eine immer mehr rein Naturwissenschaftliche Sicht, welche vieles zwar funktional erklärte, in ihrer Härte aber auch ungeheure Grausamkeit aufzeigte. (Schön sieht man das z.B. später an den Expressionisten wie z.B. Benn)
U.a. die Härte und Grausamkeit einer emotionslosen rationalistischen Sicht auf den Menschen schuf neue Hierarchien. Auf den Kulturkampf vor allem mit dem etablierten Adel und der Kirche möchte ich hier nicht imeinzelnen eingehen, wichtig scheint mir nur, daß damit der Aufstieg des Bürgertums und des Geldadels neben die alte Adelsschicht einherging.
Dieser Aufstieg wurde allerdings auf den Köpfen von sklavenähnlichen Massen an Arbeitern und quasi rechtlosen geführt. Bildung, Humanismus und Rationalismus führten nicht zu einer Gleichberechtigung der Menschen, sondern im Gegenteil zu strengen Einteilungen in Klassensysteme, wie man vor allem in England gut sehen kann.
Gab es im Christentum immer noch die Möglichkeit, den Fürsten und auch den Geistlichen persönlich anzusprechen und ihm sein Verhalten und seine persönlichen Sturz deutlich zu machen, so war diese Möglichkeit in den neuen Strukturen nicht mehr vorhanden: Erfolg rechtfertigte die Moral, ähnlich wie es auch der Kalvinismus predigt. Niemand brauchte sich zu hinterfragen, da die einzige moralische Instanz letztlich das "Können" war, und das konnte man auch am Erfolg ablesen.
Interessant ist, daß dies auch gerade in der Bürgerschaft erkannt wurde, und die Initiative dagegen auch aus ihr hervor ging.
Diese Entwicklung auf Gesellschaftlicher Ebene (ich raffe natürlich Jahrhundertprozesse in sträflicher Kürze, berücksichtige weder den aufkommenden Welthandel, die Technisierung, die ganzen Imperialisitschen Strukturen, weder Krankheiten, noch sonstige Katastrophen und Entdeckungen können hier genannt werden) fand natürlich in allen Gebieten ihre Entsprechung.
Als Ausgleich gegen diese Härte gegen die Massen begann man an neuen Konzepten von Staat und Gesellschaft zu arbeiten.
Kurz gesagt: aus diesen Konzepten, welche aus dem Individualismus und der Aufklärung hervorgegangen sind, entstanden solche Dinge, wie die amerikanische Verfassung, die Englische u.a., bis hin zur Französischen Revolution. Wie gesagt: Interessant finde ich, daß es die Söhne der Besitzenden waren, nicht die Unterdrückten, die aus ihrer bequemen Situation heraus von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten. (Wie will man auch Mitleid u.a. streng rational erklären...)
Zusammenfassend kann man meiner Ansicht nach festhalten:
Aus der Unterdrückung der Massen, welche durch den Rationalismus, die einseitige Reduktion des Menschen auf seine Individualität heraus und druch das Mangelempfinden eine nicht mehr vorhandenen Gesellschaftlichen Komponente der Zugehörigkeit aller Individuen, welche es überall sonst gibt, entstanden ist, erwuchsen auf sehr abstraktem Boden von neuem Konzepte zur Einordung *aller* Menschen in eine vermeintlich bessere Welt bzw. Gesellschaftsordnung.

4. Praxis der neuen Gesellschaften.
Ich beschränke die weiteren Ausführungen nun noch weiter auf eine recht enge, evtl. etwas plakative Schiene, aber zur Diskussion ist ja später noch genügend Raum :)
Eine der Früchte dieses aus der Aufklärung entstandenen Denkens war die Französische Revolution. Wie man sicher weiss, hat sie sich durch besondere Grausamkeit, durch die Symbolik des Fallbeils und die Unbeschreiblichen Greuel und Blutbäder einen guten Namen gemacht.
Woran lag das? Man wollte doch eine bessere Welt: Gleichheit, Bründerlichkeit und so weiter...
Einerseits denke ich daran, daß man eben all diese Werte nicht vom Reißbrett her schaffen konnte. Auch waren die Menschen in dieser Zeit nicht gerade von hohen Idealen verwöhnt, und gewisse Rachegedanken dürften eher ausschlag gebeben haben.
Auf jeden Fall kann man wohl fest halten, daß die Ideale nicht besonders glücklich umgesetzt wurden, daß gerade auch die Initioatoren von der Härte und Konsequenz mit der sie ihre Gedanken umsetzten selbst getroffen wurden. Ich würde sagen, das katholische "sowohl als auch", die Freie des "Verzeihen könnens", Spiritialität u.a. fehlten.
Wie auch immer, trotz ein paar napoleonischen Wirren, die Ideen blieben und die missliche Lage großer Bevölkerungsgruppen auch.

Um nun dem Bogen zu diesem Thread wieder zu schließen: Der Sozialismus und auch der Kommunismus sind Ergebnisse dieser aus dem Individualismus heraus entstandenen Weltanschauungen. Hier geht es in der Entstehung um Klassenkampf, um das Wiedererlangen eine Gemeinschaft, trotz der Seperierung der Gesellschaft in lauter Individuuen. Die Ziele liegen meist in ferner Zukunft, man möchte ein neues Reich (ein kommunistisches) schaffen, in dem jeder seinen gleichberechtigten Platz hat, und dafür hat man viele Konzepte entworfen.
Natürlich hat man festgestellt, daß das alles nicht so einfach geht: Die Menschen verhalten sich nicht entsprechend aufopfernd für die Gesellschaft, und viele lassen sich von Träumen nicht anstecken sondern nutzen die Chancen die sich ihnen bieten, auch entgegen allen Moraledikten.
Das hat einige dazu verleiten lassen, Konzepte über Diktatorische strukturen aufzubauen, um in einer Übergangsphase alle zur Gleichheit zu erziehen, andere haben durch Krieg oder auch nur durch gutes Beispiel versucht zu ihrer Vision beizutragen.

Das einzige was meine Ansicht nach geblieben ist, ist die Tatsache das *alle* diese Konzepte nicht gehalten haben, was sie versprachen.
Ein Nationalsozialismus schaft enge Gesellschaftstrukturen, Zusammengehörigkeitsgefühle und die Aussicht auf eine gute Zukunft auf Basis ethnischer oder Nationaler Gedankengänge, ein Kommunismus das gleiche auf Basis der Arbeiterklasse. Ersteres hat dafür diejenigen, die nicht zur Nation gehörten ausradieren wollen, zweiteres war genauso Blutig zu intellektuellen und anderen, welche nicht dem Ideal des Arbeiters entsprachen, um nur zwei Beispiele herauszunehmen, welche das letzte Jahrhundert prägten.

Für mich ist das Scheitern dieser gesamten Systeme zuerst durch das defizitäte Menschenbild bedingt:
- Der Mensch muß in der Gesellschaft funktionieren (als Gegenbewegung zum Ursprünglichen Individualismus, der dennoch überall durchscheint) und für die Gesellschaft leben und handeln
- Es wird der Person des Menschen in seine Verantwortung einerseits, in seine auf etwas höheres Bezogenen Reflexivität, und andererseits in seiner individuellen Freiheit und der persönlichen Fähigkeiten unabhängig von vorgegebenen Strukturen nicht Rechnung getragen.

Für mich unterscheiden sich in diesen keine aller mir bekannten Kommunistischen und Sozialistischen Systeme.

Gruß,
Orald

Traitor
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Mo 17. Dez 2001, 18:21 - Beitrag #9

Willst du nicht vielleicht mal ein buch schreiben? Die Länge stimmt schon in etwa ;)

Wenn auch nicht völlig korrekt, so denke ich kann man doch vom Sozialismus als gemäßigtem Kommunismus sprechen...

Da kann ich dir zustimmen.

zu 1 und 2: Deine Definition, dass nur das christliche Menschenbild ein vollständiges sei, bezweifle ich und halte sie auch für gefährlich. Aber das haben wir ja schon in anderen Themen ausführlich diskutiert.

zu 3:
Dieser Aufstieg wurde allerdings auf den Köpfen von sklavenähnlichen Massen an Arbeitern und quasi rechtlosen geführt.
von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten
Aus der Unterdrückung der Massen, welche durch den Rationalismus, die einseitige Reduktion des Menschen auf seine Individualität heraus

Hier romantisierst du das Mittelalter, dass ich der EInfachheit halber mal als "christliche Zeit" bezeichne, wieder über die Maßen. Denn wenn du behauptest, soziale Ungerechtigkeit wäre eine Folge der Rationalisierung, so ignorierst du einfach, dass auch im Mittelalter ca 90% der Bevölkerung aus Leibeigenen bestand, die noch weniger Rechte hatte als Arbeiter und andere "unterpriveligierte" Klassen späterer Zeiten.

zu 4:
Wie auch immer, trotz ein paar napoleonischen Wirren, die Ideen blieben und die missliche Lage großer Bevölkerungsgruppen auch.

Am Anfang sagst du noch selbst, die Ideen wären gut gewesen, nur die Umsetzung falsch, jetzt behauptest du, die Ideen wären schuld.

Der Mensch muß in der Gesellschaft funktionieren (als Gegenbewegung zum Ursprünglichen Individualismus, der dennoch überall durchscheint) und für die Gesellschaft leben und handeln

Da ist doch nichts schlechtes dran :confused:

Thod
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Mo 17. Dez 2001, 21:38 - Beitrag #10

Nu, lieber Traitor,
ich denke, da machst du dir es aber etwas sehr einfach.
Deine Definition, dass nur das christliche Menschenbild ein vollständiges sei, bezweifle ich und halte sie auch für gefährlich.

Was hältst du an meinen Aussagen für gefährlich?
Bitte, wenn du schon kritisierst, dann lies etwas genauer: Ich habe nicht gesagt, daß das christliche Menschenbild das einzig vollständige sei. Natürlich bin ich aber der Meinung, daß es in besonderer Weise sich von anderen abhebt.
Ich habe gesagt, daß der Begriff der Person und Personalität, also auch seine abgeschwächte Form, der Individuumsbegriff genuin christlich ist. Dieser ist dort entstanden, und das ist keine Erfindung von mir. Daß mir dieser Begriff gefällt, ist Grund dafür, daß ich Christ bin. Wenn er dir nicht gefällt, dann lass uns das diskutieren, aber einfach zu sagen, es sei gefählich, der Ansicht zu sein, daß im Christentum mit der Einführung des Personalitätsbegriff ein Sprung in der Entwicklung des Menschenbildes von statten gegangen sei, sorry, aber das ist mir zu primitiv.
Hier romantisierst du das Mittelalter, dass ich der EInfachheit halber mal als "christliche Zeit" bezeichne, wieder über die Maßen. Denn wenn du behauptest, soziale Ungerechtigkeit wäre eine Folge der Rationalisierung, so ignorierst du einfach, dass auch im Mittelalter ca 90% der Bevölkerung aus Leibeigenen bestand, die noch weniger Rechte hatte als Arbeiter und andere "unterpriveligierte" Klassen späterer Zeiten.

Dieser Text bezieht sich auf keines der von dir gebrachten Zitate meines Textes.
Daß es im MA genauso viele Ungerechtigkeiten gab, wie in anderen Zeiten auch, das hab ich nicht bestritten, und darin liegt auch meine Romantiesierung nicht. Das genuin Christliche Gedankengut ist in der Patristik entstanden, nicht im Mittelalter. Auch der Personenbegriff. Im MA hat sich aber der Individuumsbegriff von dem der Person abegespalten, und dadurch hat die von mir beschriebene Reduktion stattgefunden. Die Misstände des MA hat die Zeit bereinigt. Die Kirchenlehre aber ist geblieben. Wo ist dein Argument???
Am Anfang sagst du noch selbst, die Ideen wären gut gewesen, nur die Umsetzung falsch, jetzt behauptest du, die Ideen wären schuld.

Ich kann dazu nur noch einmal sagen: Wenn ich mir schon die Mühe mache, derart viel zu schreiben, dann bitte lies das ganze auch, bevor du es beanstandest: und zwar einigermaßen gründlich.
Ich habe gesagt, daß der Rationalismus/Individualismus defizitär ist. Darum sind auch alle Ideen, die aus ihm entspringen defizitär. Die sozialistischen Weltbilder entspringen aus einem Empfinden dieses vorher selbst geschaffenen Ungleichgewichtes. Natürlich empfinden sie die Misstände real. Nur die Abhilfe trägt nicht, wenn sie weiterhin auf ihrem Menschenbild beharren.

Gruß,
Orald

Padreic
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Mo 17. Dez 2001, 22:20 - Beitrag #11

Nun, dann will ich mich dem ganzen auch mal widmen.

@Orald
Bildung, Humanismus und Rationalismus führten nicht zu einer Gleichberechtigung der Menschen, sondern im Gegenteil zu strengen Einteilungen in Klassensysteme, wie man vor allem in England gut sehen kann.

Wenn ich mich nicht irre, gab es im Mittelalter doch auch verschiedene Stände. Vielleicht nicht ganz so extrem wie mit den Klassen, aber es gab doch deutliche Unterschiede. Vielen Bauern ging es im Gegensatz zum Adel und Klerus recht schlecht.

Gab es im Christentum immer noch die Möglichkeit, den Fürsten und auch den Geistlichen persönlich anzusprechen und ihm sein Verhalten und seine persönlichen Sturz deutlich zu machen

Sprichst du von einem fiktiven, wirklich christlichen Staat oder von einem Staat im Mittelalter? Ich bezweifle, dass ein armer Bauer im Mittelalter wirklich die Möglichkeit hatte, dem Fürsten in einem ausführlichen Gespräch sein Fehlverhalten klarzumachen.

von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten.

Meinst du theoretisch gesehen gleich oder praktisch? Theoretisch gesehen waren in einem christlichen Staat vielleicht alle gleich, aber Adel und Klerus hatte doch deutlich mehr Recht als ein Bauer.

Eine der Früchte dieses aus der Aufklärung entstandenen Denkens war die Französische Revolution.

War diese nicht auch eine Antithese zum Absolutismus?

Zu Nationalsozialismus vs. Kommunismus:
Natürlich ist auch der Nationalsozialismus eine Art von Sozialismus (Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei). Aber dieser Sozialismus hat m. E. deutliche Unterschiede zu dem kommunistischer Art.
1. Für den Kommunismus ist m. E. die Internationalisierung ein wichtiger Punkt. Da alle Menschen gleich sind, sollen auch Menschen jeder Nation dem Kommunismus beitreten. Außerdem wird keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen "Rassen" gezogen.
Im Nationalsozialismus werden dagegen nicht alle "Rassen" als gleichwertig angesehen. Weiterhin spielt die Nation eine viel größere Rolle. Der Kommunismus gilt für die ganze Welt, der Nationalsozialismus nur für ein Land (das aber den Wunsch nach Ausdehnung hat).
2. Ein weiterer wichtiger Punkt ist wohl das Christentum. Während sich der Kommunismus sehr deutlich von der Kirche abgespalten hat, sie sogar verfolgt hat, ist der Nationalsozialismus wenigstens offziell der Kirche treu geblieben. Hitler war ja bis zuletzt Mitglied der Kirche. Auch gab es die Deutschen Christen, praktisch ein Nebenarm der NSDAP.

@Traitor
Ob daran etwas schlechtes ist, ist wohl gerade einer der zentralen Fragen. Ich denke, das müssen wir noch etwas näher ausdiskutieren (vielleicht schreibe ich morgen was dazu).

Padreic

P. S. Vier gleiche Ziffern in der Postingzahl sind doch was schönes *g*.

Thod
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Mo 17. Dez 2001, 22:50 - Beitrag #12

Wenn ich mich nicht irre, gab es im Mittelalter doch auch verschiedene Stände. Vielleicht nicht ganz so extrem wie mit den Klassen, aber es gab doch deutliche Unterschiede. Vielen Bauern ging es im Gegensatz zum Adel und Klerus recht schlecht.

Ich wollte auch gar nicht Werbung für das Mittelalter hier machen, sondern einfach nur Entwicklungsstränge aufzeigen, die über den Personenbegriff zum Individuumsbegriff und dadurch zu einem recht künstlichen Verständnis von Gruppe/Sozialstruktur führten, welches IMHO letzlich der Grund für das Misslingen der sozialistischen Gesellschaften ist.
Das chritliche Personenverständnis geht u.a. auf Boethius zurück, der ja nicht zum Mittelalter gehört. Natürlich gab es Klassen. Sie sind aber nicht primär Ausdruck christlicher Sozialordnung, sondern vor allem übernommene Strukturen, in die das Christentum hineingewachsen ist. Für meine Aussage spielt das aber nur eine nebengeordnete Rolle, denke ich.
Sprichst du von einem fiktiven, wirklich christlichen Staat oder von einem Staat im Mittelalter? Ich bezweifle, dass ein armer Bauer im Mittelalter wirklich die Möglichkeit hatte, dem Fürsten in einem ausführlichen Gespräch sein Fehlverhalten klarzumachen.

Das habe ich auch nicht gemeint. Der Fürst ist Rechenschaft schuldig: er ist verantwortlich nach christlichem Bild, und zwar seinem Vorgesetzten und letztlich Gott. Egal wie hoch er in der Hierarchie steigt, es gibt immer noch einen über ihm. Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach die Erfahrung, das man durch das steigen im Amt leichter hochmütig und stolz werden kann, und darum persönlich leichter fällt und auch tiefer. *Jeder* Mensch hatte seine persönliche Verantwortung und war persönlich gerufen. Das ist das Neue, und wie gesagt nicht auf das MA beschränkte.
Meinst du theoretisch gesehen gleich oder praktisch? Theoretisch gesehen waren in einem christlichen Staat vielleicht alle gleich, aber Adel und Klerus hatte doch deutlich mehr Recht als ein Bauer.

Auch darauf möchte ich nicht hinaus.
Die Gleichheit ist die Gleichheit vor Gott. Nicht jeder hat die gleiche Position, aber jeder hat den gleichen Wert. Hierin liegt ein Unterschied, und der wird durch den Rationalismus abgeschafft: Der Bessere steigt auch letzlich im Wert. Die Menschenrechte z.B., die diese Position verneinen gehen hier nicht auf den Rationalismus ein, und verraten somit ihre letzlich Christlichen Wurzeln...
War diese [die französische Revolution] nicht auch eine Antithese zum Absolutismus?

Ja, aber woher kommt gerade dieses Gedankengut? Natürlich gehen die politischen und anderen Ebenen miteinander einher: Der Absolutismus wurde oft mit der Kirche verbunden. Die Geistesgeschichte, die politischen Ordnungen u.a. sind halt sehr vielschichtig.

1. Für den Kommunismus ist m. E. die Internationalisierung ein wichtiger Punkt. Da alle Menschen gleich sind, sollen auch Menschen jeder Nation dem Kommunismus beitreten. Außerdem wird keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen "Rassen" gezogen.

Der Nationalismus möchte sein Volk letztlich auch international ausbreiten. Im Kommunismus sind Menschen ja auch nicht unter allen Hinsichten gleich: z.B. nicht unter ihrer Bildung etc. Die Stufungen beziehen sich nur auf ein leicht verschobenes Schema.

Das mit der Kirche kann man so nicht unbedingt sagen: Der russische Kommunismus hat sich sehr gut mit der orthodoxen Kirche arrangiert. Eigentlich ist Kirche in jedem Staat eine Art Opposition, oder sollte es sein: sowohl im Nationalsozialismus, als auch in der heutigen Demokratie: richtig christlich ist das alles nicht.

Gruß,
Orald

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Di 18. Dez 2001, 21:35 - Beitrag #13

@Orald
Boethius war aber immerhin schon Christ und sein Denken gehörte wohl mehr zum Mittelalter als zur Antike, auch wenn er in der Antike lebte. Ich habe neulich den Satz "Persona est rationalis naturae individua substatantia" von ihm gelesen. Bei sowas finde ich es immer schade, dass ich nicht besser Latein kann.

Das habe ich auch nicht gemeint. Der Fürst ist Rechenschaft schuldig: er ist verantwortlich nach christlichem Bild, und zwar seinem Vorgesetzten und letztlich Gott. Egal wie hoch er in der Hierarchie steigt, es gibt immer noch einen über ihm. Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach die Erfahrung, das man durch das steigen im Amt leichter hochmütig und stolz werden kann, und darum persönlich leichter fällt und auch tiefer. *Jeder* Mensch hatte seine persönliche Verantwortung und war persönlich gerufen. Das ist das Neue, und wie gesagt nicht auf das MA beschränkte.


Auch darauf möchte ich nicht hinaus.
Die Gleichheit ist die Gleichheit vor Gott. Nicht jeder hat die gleiche Position, aber jeder hat den gleichen Wert. Hierin liegt ein Unterschied, und der wird durch den Rationalismus abgeschafft: Der Bessere steigt auch letzlich im Wert. Die Menschenrechte z.B., die diese Position verneinen gehen hier nicht auf den Rationalismus ein, und verraten somit ihre letzlich Christlichen Wurzeln...

Du sprichst hier von der christlichen Theorie, aber bei anderen Systemen nimmst du meist Bezu auf die Praxis. Du kannst nicht die eine Theorie mit der anderen Praxis vergleichen.

Ja, aber woher kommt gerade dieses Gedankengut? Natürlich gehen die politischen und anderen Ebenen miteinander einher: Der Absolutismus wurde oft mit der Kirche verbunden. Die Geistesgeschichte, die politischen Ordnungen u.a. sind halt sehr vielschichtig.

Aber wenn ich mich nicht irre, war gerade einer der zentralen Thesen des Absolutismusses, dass nicht alle Menschen gleich sind. Der König sollte über allen stehen, nicht nur als Stand, sondern meines Wissens auch an Wert. Ludwig der 14. nahm nicht umsonst die Sonne als Symbol. Und ist es nicht fast ein Paradoxon, dass die Rückkehr zum christlichen Wert der Freiheit eine Abwendung vom Christentum bedeutete? Auch die Brüderlichkeit geht ja nah an die Nächstenliebe. Das ganze kommt wohl dem Christentum nahe, hat aber viele feine Unterschiede und manchmal auch Unterschiede in Kernpunkten.

Das mit der Kirche kann man so nicht unbedingt sagen: Der russische Kommunismus hat sich sehr gut mit der orthodoxen Kirche arrangiert. Eigentlich ist Kirche in jedem Staat eine Art Opposition, oder sollte es sein: sowohl im Nationalsozialismus, als auch in der heutigen Demokratie: richtig christlich ist das alles nicht.

In der Theorie müsste aber der Kommunismus die Kirche ablehnen (Opium fürs Volk). Aber die Kirche erschien ihm wahrscheinlich nützlich und eine totale Abschaffung hätte große Ablehnung vom Volk gebracht. Theorie und Praxis klaffen eben weit auseinander.

Padreic

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Fr 21. Dez 2001, 15:05 - Beitrag #14

Ich schreibe jetzt mal der Reihe nach zu jedem Beitrag etwas:

@Orald
Was hältst du an meinen Aussagen für gefährlich?

Dabei bezog ich mich nicht darauf, dass das Christentum gut ist, sondern darauf, dass es das einzig wahre und vollstädnige ist, so zumindest habe ich Stellen wie
Von der Person, welche sich über die Liebesfähigkeit, die Möglichkeit der Reifung und Verantwortung definierte, bleib nur noch das Individuum übrig.
verstanden. Und dass ich solchen Alleingeltungsanspruch für gefährlich halte, habe ich ja schon oft gesagt, "primitiv" ist meine Aussage also nicht.

Dieser Text bezieht sich auf keines der von dir gebrachten Zitate meines Textes.
Doch. Wenn du sagst:
von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten
, dann sagst du doch, dass vor dieser Reduktion alle Menschen gleich waren. Und das war nie der Fall.

Ich habe gesagt, daß der Rationalismus/Individualismus defizitär ist. Darum sind auch alle Ideen, die aus ihm entspringen defizitär.

Auch diese von dir genannten?
Man wollte doch eine bessere Welt: Gleichheit, Bründerlichkeit und so weiter...
Gleichheit forderst du doch selber. Nur weil sie aus einem anderen Weltbild hergeleitet sind, sollen sie jetzt plötzlich falsch sein?

Natürlich empfinden sie die Misstände real. Nur die Abhilfe trägt nicht, wenn sie weiterhin auf ihrem Menschenbild beharren.

Das sagte ich doch auch: die praktische Umsetzung funktioniert nicht, da
Und da liegt auch der Knackpunkt des Systems, es funktioniert nur mit idealen menschen, die es leider nicht gibt.


@Padreic:
Wenn ich mich nicht irre, gab es im Mittelalter doch auch verschiedene Stände. Vielleicht nicht ganz so extrem wie mit den Klassen, aber es gab doch deutliche Unterschiede. Vielen Bauern ging es im Gegensatz zum Adel und Klerus recht schlecht.

Ich würde sagen, die Unterschiede waren viel stärker. Denn Adel war eine feste Gruppe, durch die man wenn überhaupt nur durch andere Adlige kommen konnte (Ritterschlag). Im 19.Jhd dagegen konnte man theoretisch vom Arbeiter zum Großbürger aufsteigen, wofür es ja auch genug Beispiele gibt. Natürlich blieb dies der überwältigenden Mehrheit verwehrt, aber es war aus eigener kraft möglich.

Ob daran etwas schlechtes ist, ist wohl gerade einer der zentralen Fragen. Ich denke, das müssen wir noch etwas näher ausdiskutieren (vielleicht schreibe ich morgen was dazu).

Auf welche Stelle beziehst du dich?

wieder @Orald:
Sie sind aber nicht primär Ausdruck christlicher Sozialordnung, sondern vor allem übernommene Strukturen, in die das Christentum hineingewachsen ist. Für meine Aussage spielt das aber nur eine nebengeordnete Rolle, denke ich

Wenn sich deine Aussage auf einen theoretisch idealen christlichen Staat bezieht, dann ist es wirklich wenig wichtig. Wenn es um historische "christliche" Staaten geht, dann ist es aber sehr wichtig. Denn auch beim Kommunismus in Russland zB wurden ja viele alte Strukturen mitübernommmen, die die Gesellschaft mitprägten. Man kann keine Kultur ohne ihre Vorgeschichte sehen.

wieder @Padreic:
Du sprichst hier von der christlichen Theorie, aber bei anderen Systemen nimmst du meist Bezu auf die Praxis. Du kannst nicht die eine Theorie mit der anderen Praxis vergleichen.

Du bringst auf den Punkt, was ich im hierüberstehenden Abschnitt sagen wollte *g*

Und ist es nicht fast ein Paradoxon, dass die Rückkehr zum christlichen Wert der Freiheit eine Abwendung vom Christentum bedeutete? Auch die Brüderlichkeit geht ja nah an die Nächstenliebe. Das ganze kommt wohl dem Christentum nahe, hat aber viele feine Unterschiede und manchmal auch Unterschiede in Kernpunkten.

So ähnlich sehe ich das auch. Moderner Humanismus oder wie immer man es nennen mag, hat große Ähnlichkeiten mit dem Christentum (genannte Nächstenliebe, Gleichheit), die natürlich, wie Orald richtig sagt, aus seiner Geschichte erwachsen, aber halt auch zentrale Unterschiede (Mensch als Zentrum)

Entschuldigung, wenn mein Beitrag etwas wirr scheint, das kommt vom von-hinten-durcharbeiten, ich hoffe er ist lesbar. Wenn nicht, bitte sagen, dann überarbeite ich es nochmal.

Padreic
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Fr 21. Dez 2001, 16:19 - Beitrag #15

@Traitor
Ich glaube, so wichtig ist es jetzt nicht, ob in den Ständen oder in den Klassen die Unterschiede größer waren. Wichtig ist wohl nur, dass sie in beiden groß waren und sie sich darin nicht sehr stark unterscheiden.

Besonders wichtig ist mir allerdings, diese beiden Punkte auf ihre Richtigkeit und Bedeutung zu bewerten:
Der Mensch muß in der Gesellschaft funktionieren (als Gegenbewegung zum Ursprünglichen Individualismus, der dennoch überall durchscheint) und für die Gesellschaft leben und handeln
Es wird der Person des Menschen in seine Verantwortung einerseits, in seine auf etwas höheres Bezogenen Reflexivität, und andererseits in seiner individuellen Freiheit und der persönlichen Fähigkeiten unabhängig von vorgegebenen Strukturen nicht Rechnung getragen.

Dies sind die beiden zentralen Punkte, die Orald bei Sozialismus bemängelt. Ich denke, Orald hat Recht, dass die Nächstenliebe im Sozialismus ein Stück anders verstanden wird. Der Sozialismus ist wohl in der Ethik sehr mit dem Utilitarismus verwandt, im Gegensatz zum Christentum mit seiner Nächstenliebe. Die beiden Ethiken scheinen ähnlich zu sein, aber in der ersteren wird der Fokus auf die Gesellschaft und in der zweiten auf die einzelne Person gelegt. Weiterhin ist die letztere auch emotionaler. Ich denke, das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Sozialismus und Christentum.

Das Christentum legt natürlich Gott in das Zentrum. Aber tut wirklich jeder Sozialismus etwas anderes? Ich schrieb ja schon von der Christentumverbundenheit des Nationalsozialismusses. Es ist die Frage, ob hier der Mensch oder Gott im Zentrum ist.

Padreic

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Fr 21. Dez 2001, 16:36 - Beitrag #16

@ Padreic,
Boethius war zwar christlich geprägt, aber selber kein Christ. Sein Denken hatte mit dem Mittelalter wohl gar nichts zu tun, er lebte
480 - 524. Auf ihn geht letztlich der christliche Personenbegriff in seiner philosophischen beschreibung zurück, auch wenn die Wurzeln älter sind.
Der von dir genannte Satz heißt in etwa "Person ist eine individuelle (individuiert, zum individuum gemachte) Substanz (im aristotelischen Sinne eine Hypostasis mit "Selbststand" d.h. sie ist zwar erschaffen, aber sie besteht aus sich selbst heraus, nicht in Abhängigkeit von anderem) mit einer vernünftigen Natur ausgestattet."
Du sprichst hier von der christlichen Theorie, aber bei anderen Systemen nimmst du meist Bezu auf die Praxis. Du kannst nicht die eine Theorie mit der anderen Praxis vergleichen.

Ich führe dei Praxis i.d.R. nur beispielhaft an: auch bei anderen Systemen liegt der Kern und die Aussage in der Theorie, wenn du es so nennst. Ich denke, diese zeige ich auch auf. Wo, bzw. was fehlt dir da konkret?

Bezüglich des Absolutismusses möchte ich schon anmerken, daß ich ihn nicht vertrete. Das Christentum versucht in der Situation in der es sich befindet, die Heilslehre unter den Menschen zu verbreiten. Sicher gibt es da viele staatliche Fehlformen. Ich halte den Absolutismus nicht für besser oder schlechter, als die Demokratie: dort liegt es halt an der (christlichen) Enstellung des Monarchen.
Und ist es nicht fast ein Paradoxon, dass die Rückkehr zum christlichen Wert der Freiheit eine Abwendung vom Christentum bedeutete? Auch die Brüderlichkeit geht ja nah an die Nächstenliebe. Das ganze kommt wohl dem Christentum nahe, hat aber viele feine Unterschiede und manchmal auch Unterschiede in Kernpunkten.

Der Freiheitsbegriff ist nicht der Christliche, da man vorher schon wesentliche christliche Merkmale des Menschenbildes aufgegeben hat. Der Art der Freiheit, die dort verkündet wurde, fehlt die Ordnung, welche das menschliche Geleichgewicht hält. Sie führt letztlich nur in neue Abhängigkeiten: nämlich in die Diktatur der Gruppe. Ebenso verhält es sich mit der Brüderlichkeit: wenn man derartige menschliche Zusammenhänge auf Teilaspekte reduziert, kommen oft recht krumme Ergebnisse raus. Brüderlichkeit ist *keine* Liebe.
In der Theorie müsste aber der Kommunismus die Kirche ablehnen (Opium fürs Volk).[/quote
Kommt auf die spezifikation der Theorie an. Eigentlich schafft er selbst religiöse Strukturen, und dann kann er andere Religionen durchaus ablösen wollen. Seine Inkonsequenz dabei leigt allerdings daran, daß er dann selbst Opium für das Volk wird.

@ Traitor
Dabei bezog ich mich nicht darauf, dass das Christentum gut ist, sondern darauf, dass es das einzig wahre und vollstädnige ist,

Die Einführung des Personenbegriffes, der unseren Kulturkreis veränderte und heute nicht mehr wegzudenken ist, IST halt christlich. Wenn du ihn nicht magst, kannst du ja anderer Meinung sein, aber ihn als das typische Kennzeichen christlicher Philosophie anzuerkennen, der in dieser Art vorher und anderswo nicht bekannt war, da kommt man halt nicht drum herum. Ebenso kann man auch kaum bestreiten, daß unser heutiger Individuumsbegriff eine Abart des selben, mit deutlich weniger Merkmalen ist, sozusagen eine Reduktion welche auf Teilaspekte beschränkt ist.
Was möchtest du da konkret gegen halte? Einfach nur zu sagen: "Das die das eingeführt haben spricht ja für sie, das kann aber nicht sein, also sollte man diese Sache nicht erwähnen", halte ich wirklich für zu blöd...
Und dass ich solchen Alleingeltungsanspruch für gefährlich halte, habe ich ja schon oft gesagt, "primitiv" ist meine Aussage also nicht.

Das du etwas mehrmals äusserst, erhöt seine Qualität nicht. ;)
von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten, dann sagst du doch, dass vor dieser Reduktion alle Menschen gleich waren. Und das war nie der Fall.

Nein, das sage ich nicht. Ich vergeliche Theorien miteinander. Im begriff der Person ist eine Gleichwertigkeit der Personen, da sie aus sich selbst sind mitgedacht. Bei der Reduktion der Person auf die kognitiven Fähigkeiten, gerät dieses Gleichgewicht in Schieflage. Es nützt nichts, diese ausbessern zu wollen, in dem man eine neue Staatsform einführen will, oder sich zu neuen Gruppen zusammen schließt. Das Menschenbild liegt tiefer, und es wird auch alle Gruppen, die darauf fußen zum Scheitern bringen. Wie die Praxis ja auch gezeigt hat, wird das Ungleichgewicht von der Person auf die Gruppe transferiert. Sowohl der Kommunismus, als auch der Nationalsozialismus haben ihre Gruppe als Höherwertig angesehen, als alle anderen. Darin zeigt sich dieser Mangel z.B. konkret.
Wenn du nun entgegnen willst, das christentum sähe sich auch als höherwertig an, als alle anderen Formen, dann verneine ich das. Durch das Christentum wird kein Mensch besser oder schlechter: es ist eine Möglichkeit, welche einem letztlich das Gelingen oder Scheitern des eigenen Lebens nicht aus der Hand nimmt.
Und da liegt auch der Knackpunkt des Systems, es funktioniert nur mit idealen menschen, die es leider nicht gibt.

Du willst mich wohl einfach nicht verstehen, oder?
Ich habe hier überhaupt kein System als funktionsfähig angepriesen. Schau doch mal auf den Titel dieses Threads.
Mir geht es darum aufzuzeigen, woher die Ideen des Sozialismusses kommen, warum es von der Grundausrichtung her gleich ist, ob kommunistisch oder nationalsozialistisch, und wo einige der Defizite im Menschbild liegen und herkommen.
Du machst daraus eine Diskussion über die Frage, ob das Christentum verwirklicht werden kann, und ob es nicht zu arrogant ist, auf seine positiven Einflüsse auf die Geschichte hinzuwirken. Das ist überhaupt nicht Thema.
So ähnlich sehe ich das auch. Moderner Humanismus oder wie immer man es nennen mag, hat große Ähnlichkeiten mit dem Christentum (genannte Nächstenliebe, Gleichheit), die natürlich, wie Orald richtig sagt, aus seiner Geschichte erwachsen, aber halt auch zentrale Unterschiede (Mensch als Zentrum)

So einfach sehe ich das nicht. Wie man an deiner letzten Aussage sieht, ist dieser Humanismus das exakte Gegenteil vom Christentum. Ähnlichkeiten in der Form, wie du sie anfangs siehst, können zwar darüber hinwegtäuschen, aber auch die Anklänge an Nächstenliege etc. im Humanismus sind dem christlichen Gedanken entgegengestell, wie ich u.a. zu zeigen versucht habe.
Man kann halt nicht von der Form auf den Inhalt schließen.

Gruß,
Orald

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Fr 21. Dez 2001, 16:38 - Beitrag #17

@ Padreic
Ich schrieb ja schon von der Christentumverbundenheit des Nationalsozialismusses. Es ist die Frage, ob hier der Mensch oder Gott im Zentrum ist.

Im Nationalsozialismus liegt die Nation, oder die Rasse im Zentrum

Gruß,
Orald

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Fr 21. Dez 2001, 16:38 - Beitrag #18

Ich denke, Orald hat Recht, dass die Nächstenliebe im Sozialismus ein Stück anders verstanden wird. Der Sozialismus ist wohl in der Ethik sehr mit dem Utilitarismus verwandt, im Gegensatz zum Christentum mit seiner Nächstenliebe. Die beiden Ethiken scheinen ähnlich zu sein, aber in der ersteren wird der Fokus auf die Gesellschaft und in der zweiten auf die einzelne Person gelegt. Weiterhin ist die letztere auch emotionaler. Ich denke, das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Sozialismus und Christentum.

Da muss ich euch Recht geben. Der Sozialismus begründet die Nächstenliebe im Prinzip mit ihrem Nutzen, nicht mit einer tieferen Bedeutung. Auch die Menschenrechte sind ja letztendlich in einem absolut rationalen Weltbild nur durch ihren Nutzen begründbar, ein funktionierendes Gesellschaftsmodell muss immer auch auf irgendwelche irrationalen Werte zurückgreifen. Zumindest jetzt noch.

Das Christentum legt natürlich Gott in das Zentrum. Aber tut wirklich jeder Sozialismus etwas anderes? Ich schrieb ja schon von der Christentumverbundenheit des Nationalsozialismusses. Es ist die Frage, ob hier der Mensch oder Gott im Zentrum ist.

Der Nationalsozialismus hatte im prinzip seinen eigenen Gott, den "Perfekten Menschen". Diesem ideal wurde versucht nachzueifern, es wurde überall verehrt. Im kommunistischen Sozialismus kann ich eine solche Struktur nicht erkennen, einzig die Gesellschaft an sich könnte man hier als Gott definieren.

Thod
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Fr 21. Dez 2001, 16:56 - Beitrag #19

Der Nationalsozialismus hatte im prinzip seinen eigenen Gott, den "Perfekten Menschen".

Das ist im Kommunismus auch so: Der Mensch muß sich halt noch zu diesem perfekten Wesen entwicklen, wobei Erziehung auch eine gewisse Rolle spielte.

Was den Nuten angeht: Das Problem ist eben, daß der Nutzen auch daringesehen werden kann, die Gruppe zu sabotieren, etc

Gruß,
Orald

Padreic
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Fr 21. Dez 2001, 17:04 - Beitrag #20

@Orald
Boethius war zwar christlich geprägt, aber selber kein Christ. Sein Denken hatte mit dem Mittelalter wohl gar nichts zu tun, er lebte 480 - 524.

Da habe ich aber etwas anderes gelesen. In der Geschichte der Philosophie von Hirschberger wird gesagt, dass Boethius ein Christ ist (Nachweis durch seine theologischen Werke) und dass er von seiner Bedeutung für das Mittelalter her, direkt nach Augustinus zu nennen ist. Aber ich glaube, mit dieser Frage schlittern wir ein wenig an dem Thema des Threads vorbei, oder?
Ich führe dei Praxis i.d.R. nur beispielhaft an: auch bei anderen Systemen liegt der Kern und die Aussage in der Theorie, wenn du es so nennst. Ich denke, diese zeige ich auch auf. Wo, bzw. was fehlt dir da konkret?

Beispielsweise vergleichst du die Ungleichheit der Klassen in der Praxis mit der theoretischen Gleichheit im Christentum. Ist es denn wirklich auch in der Theorie so, dass der Humanismus Armut für viele und Reichtum für Manche fordert?
Im Nationalsozialismus liegt die Nation, oder die Rasse im Zentrum.

Damit hast du wohl recht. Indirekt wird hier also wieder der Mensch ins Zentrum gerückt.

@Traitor
Auch die Menschenrechte sind ja letztendlich in einem absolut rationalen Weltbild nur durch ihren Nutzen begründbar, ein funktionierendes Gesellschaftsmodell muss immer auch auf irgendwelche irrationalen Werte zurückgreifen. Zumindest jetzt noch.

Die große Frage bei einem solchen Weltbild ist, was Nutzen ist. Nutzen kann man wohl nicht völlig rational begründen. Ein irrationales bzw. willkürliches Element wird wohl immer bleiben.

Padreic

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