Hi Traitor,
hab ich dich je schon mal in der Luft zerrissen?
Marx, Engels und Co haben ja nicht den Sozialismus, sondern den Kommunismus gepredigt, aber lassen wir das mal auf sich beruhen. Wenn auch nicht völlig korrekt, so denke ich kann man doch vom Sozialismus als gemäßigtem Kommunismus sprechen...
Wie die meisten politischen Einstellungen muß man diese Richtung wohl auch aus ihrem geschichtlichen Kontext heraus sehen. Dabei kann man aber meine Ansicht nach nicht weit genug zurück gehen. Als ersten Anhaltspunkt möchte ich feststellen, daß die Unterscheidungen Sozialismus-Kapitalismus deutlich zu kurz gegriffen sind. Ich denke, da ziehen sich rote Fäden durch die Geschichte des Abendlandes, und diese müssen zuerst einmal untersucht werden.
Weder der Kommunismus, noch der Sozialismus sind in anderen Kulturkreisen entstanden. Das hat einige Gründe, und ich werde mal versuchen, meine Auffassung hier *kurz* darzustellen, auch wenn ich weiss, daß das ein Balanceakt ist, und dieses Sicher vielerlei Anlass zur Kritik bieten wird, da ich der kürze wegen auf vieles nicht eingehen kann, was an sonsten Bibliotheken füllen würde.
1. Besonderheit in der Entwicklung des christlichen Abendlandes gegenüber anderen Kulturen.
I.d.R. definieren sich Gesellschaften über Gruppenzugehörigkeiten. Wir haben Stämme, Städte, Kulturkreise etc, und die einzelnen Individuen gehen in diesen auf, sind ihnen verpflichtet und bilden quasi kleine Rädchen im Gesamtgefüge.
Maßgebend ist die Gruppe oder Gesellschaft, in die man hineingeboren wird, und diese wird in der Regel durch wenige oder gar nur einen Führer geleitet, mal zum Wohle, mal zum Wehe des einzelnen.
Hier hat das Christentum eine weltweite Neuerung eingeführt, die mittlerweile auf der Welt fast selbstverständlich geworden ist, so daß man sie oft übersieht und für menschliches Allgemeingut hält: die Person, bzw. Personalität
Dieses Konzept holt den Einzelnen aus der Gesellschaft heraus, und gibt ihm Rechte und Pflichten. Den Begriff hier näher zu erläutern sprengt allerdings sicher den Rahmen, so daß ich darauf verzichten werde. Bei Bedarf kann man dazu sicher einen eigenen Thread aufmachen.
Das herausgerissen sein aus der Gesellschaft, diese besondere Position des Menschen (als Ebenbild Gottes) veränderte das gesamte Gesellschaftsgefüge. Sünde und Schuld wurde unterschieden, Verantwortung auch für Abstrakta wurde möglich, der Mensch wurde quasi über alle anderen Geschöpfe herausgehoben, und bekam (im Guten wie im Schlechten) eine völlig neue Rolle in der Welt.
Die Kirche versuchte diese in einem Gleichgewicht zu halten, indem sie komplexe Strukturen und Abhängigkeiten zwischen Personalität und Gruppe, zwischen Person und Amt aufzeigte, und für alle diese Dinge ausgewogene Konzepte entwickelte. Durch die Definition der Person war der Mensch über alles erhoben, aber über seine Position im Amt wurde seine besondere Verantwortung gezeigt. (Besonders schön bei Thomas Morus nachuzulesen)
Im Vergleich zu allen anderen Kulturen, in der nur die Position innerhalb der Gruppe ausschlaggebend für Würde und Ansehen des Menschen ist, (er selber hat eingentlich nie Ansehen, nur Position) war nun etwas neues Geschaffen: ein komplexes Zusammenspiel von persönlicher Entwicklungsmöglichkeit und Verantwortung innerhalb des Gruppengefüges.
2. Von der Person zum Individuum.
Schon zu Zeiten des Mittelalters (11. oder 12. Jhdt.) entstand zu dieser Kirchlichen Errungenschaft eine Weiterentwicklung, welche sich quasi als Konkurrenz aus dem christlichen Gedankengut herausentwickelte: der Individualismus
Die neue Position des Menschen wurde aufgenommen, seine Verpflichtungen in der Gesellschaft jedoch wurden geleugnet. Man sag den Menschen als Mittelpunkt und Zentrum der Welt, wo im Christentum Gott steht, wurde der Mensch etabliert. Einer der ersten, welche sich in dieser Art äußerten war glaub ich ein Mönch namens Gottschalk.
Mit dieser Einstellung, daß der Mensch etwas besonderes war, und mit der Ablehnung Gottes als nötiges (auch spirituelles) Zentrum begann eine Art des Rationalismusses. Die Mysthik, welche dem Egoismus und Egozentrismus entgegenwirkte wurde mit samt des Gottesbildes abgelehnt, und die Allmacht der Ratio begann ihren Siegeszug.
Von der Person, welche sich über die Liebesfähigkeit, die Möglichkeit der Reifung und Verantwortung definierte, bleib nur noch das Individuum übrig. Zusammen mit dem Rationalismus warf man alle möglichen Prinzipien aus christlicher Ethik über Board, man griff unbewusst auf alte antike oder vorantike (babylonische/esotherische) Praktiken wie Astrologie, und ähnliches zurück, und dachte, der Mensch könne mit seiner Ratio alles. Dies begann schon in der Renaissance, und hatte in der sog. Aufklärung einen vorläufigen Höhepunkt, immer in strenger Abgrenzung zur Kirche und zum Christentum. Interessant lässt sich diese Entwicklung vor allem in der Kunst, aber natürlich auch in Philosophie und Politik nachvollziehen.
Es bildeten sich also im Abendland zwei konkurrierende Weltanschauungen heraus: das Christentum mit seiner Mystik und Schloastik, und eine Form des Humanismusses, mit seiner Ratio und Alleinbestimmung.
3. Neue Gesellschaftsformen
Im Verlauf der Geschichte zeigten sich nun auch einige negative Seiten des so in die Höhe gelobten Individuums. Allein durch das Fallenlassen gewisser christlicher Moralanschauungen, dem neuen Blick auf den Menschen als quasi allmächtiges Wesen, welches funktionalen Strukturen folgt ähnlich wie es Maschinen tun, trug seine Früchte. Zusammen mit dem Rationalismus und der Entmystifizierung entstand eine immer mehr rein Naturwissenschaftliche Sicht, welche vieles zwar funktional erklärte, in ihrer Härte aber auch ungeheure Grausamkeit aufzeigte. (Schön sieht man das z.B. später an den Expressionisten wie z.B. Benn)
U.a. die Härte und Grausamkeit einer emotionslosen rationalistischen Sicht auf den Menschen schuf neue Hierarchien. Auf den Kulturkampf vor allem mit dem etablierten Adel und der Kirche möchte ich hier nicht imeinzelnen eingehen, wichtig scheint mir nur, daß damit der Aufstieg des Bürgertums und des Geldadels neben die alte Adelsschicht einherging.
Dieser Aufstieg wurde allerdings auf den Köpfen von sklavenähnlichen Massen an Arbeitern und quasi rechtlosen geführt. Bildung, Humanismus und Rationalismus führten nicht zu einer Gleichberechtigung der Menschen, sondern im Gegenteil zu strengen Einteilungen in Klassensysteme, wie man vor allem in England gut sehen kann.
Gab es im Christentum immer noch die Möglichkeit, den Fürsten und auch den Geistlichen persönlich anzusprechen und ihm sein Verhalten und seine persönlichen Sturz deutlich zu machen, so war diese Möglichkeit in den neuen Strukturen nicht mehr vorhanden: Erfolg rechtfertigte die Moral, ähnlich wie es auch der Kalvinismus predigt. Niemand brauchte sich zu hinterfragen, da die einzige moralische Instanz letztlich das "Können" war, und das konnte man auch am Erfolg ablesen.
Interessant ist, daß dies auch gerade in der Bürgerschaft erkannt wurde, und die Initiative dagegen auch aus ihr hervor ging.
Diese Entwicklung auf Gesellschaftlicher Ebene (ich raffe natürlich Jahrhundertprozesse in sträflicher Kürze, berücksichtige weder den aufkommenden Welthandel, die Technisierung, die ganzen Imperialisitschen Strukturen, weder Krankheiten, noch sonstige Katastrophen und Entdeckungen können hier genannt werden) fand natürlich in allen Gebieten ihre Entsprechung.
Als Ausgleich gegen diese Härte gegen die Massen begann man an neuen Konzepten von Staat und Gesellschaft zu arbeiten.
Kurz gesagt: aus diesen Konzepten, welche aus dem Individualismus und der Aufklärung hervorgegangen sind, entstanden solche Dinge, wie die amerikanische Verfassung, die Englische u.a., bis hin zur Französischen Revolution. Wie gesagt: Interessant finde ich, daß es die Söhne der Besitzenden waren, nicht die Unterdrückten, die aus ihrer bequemen Situation heraus von Gleichheit aller träumten, welche ihre geistigen Ahnen durch die Reduktion des Menschen auf seine Ratio ihm genommen hatten. (Wie will man auch Mitleid u.a. streng rational erklären...)
Zusammenfassend kann man meiner Ansicht nach festhalten:
Aus der Unterdrückung der Massen, welche durch den Rationalismus, die einseitige Reduktion des Menschen auf seine Individualität heraus und druch das Mangelempfinden eine nicht mehr vorhandenen Gesellschaftlichen Komponente der Zugehörigkeit aller Individuen, welche es überall sonst gibt, entstanden ist, erwuchsen auf sehr abstraktem Boden von neuem Konzepte zur Einordung *aller* Menschen in eine vermeintlich bessere Welt bzw. Gesellschaftsordnung.
4. Praxis der neuen Gesellschaften.
Ich beschränke die weiteren Ausführungen nun noch weiter auf eine recht enge, evtl. etwas plakative Schiene, aber zur Diskussion ist ja später noch genügend Raum
Eine der Früchte dieses aus der Aufklärung entstandenen Denkens war die Französische Revolution. Wie man sicher weiss, hat sie sich durch besondere Grausamkeit, durch die Symbolik des Fallbeils und die Unbeschreiblichen Greuel und Blutbäder einen guten Namen gemacht.
Woran lag das? Man wollte doch eine bessere Welt: Gleichheit, Bründerlichkeit und so weiter...
Einerseits denke ich daran, daß man eben all diese Werte nicht vom Reißbrett her schaffen konnte. Auch waren die Menschen in dieser Zeit nicht gerade von hohen Idealen verwöhnt, und gewisse Rachegedanken dürften eher ausschlag gebeben haben.
Auf jeden Fall kann man wohl fest halten, daß die Ideale nicht besonders glücklich umgesetzt wurden, daß gerade auch die Initioatoren von der Härte und Konsequenz mit der sie ihre Gedanken umsetzten selbst getroffen wurden. Ich würde sagen, das katholische "sowohl als auch", die Freie des "Verzeihen könnens", Spiritialität u.a. fehlten.
Wie auch immer, trotz ein paar napoleonischen Wirren, die Ideen blieben und die missliche Lage großer Bevölkerungsgruppen auch.
Um nun dem Bogen zu diesem Thread wieder zu schließen: Der Sozialismus und auch der Kommunismus sind Ergebnisse dieser aus dem Individualismus heraus entstandenen Weltanschauungen. Hier geht es in der Entstehung um Klassenkampf, um das Wiedererlangen eine Gemeinschaft, trotz der Seperierung der Gesellschaft in lauter Individuuen. Die Ziele liegen meist in ferner Zukunft, man möchte ein neues Reich (ein kommunistisches) schaffen, in dem jeder seinen gleichberechtigten Platz hat, und dafür hat man viele Konzepte entworfen.
Natürlich hat man festgestellt, daß das alles nicht so einfach geht: Die Menschen verhalten sich nicht entsprechend aufopfernd für die Gesellschaft, und viele lassen sich von Träumen nicht anstecken sondern nutzen die Chancen die sich ihnen bieten, auch entgegen allen Moraledikten.
Das hat einige dazu verleiten lassen, Konzepte über Diktatorische strukturen aufzubauen, um in einer Übergangsphase alle zur Gleichheit zu erziehen, andere haben durch Krieg oder auch nur durch gutes Beispiel versucht zu ihrer Vision beizutragen.
Das einzige was meine Ansicht nach geblieben ist, ist die Tatsache das *alle* diese Konzepte nicht gehalten haben, was sie versprachen.
Ein Nationalsozialismus schaft enge Gesellschaftstrukturen, Zusammengehörigkeitsgefühle und die Aussicht auf eine gute Zukunft auf Basis ethnischer oder Nationaler Gedankengänge, ein Kommunismus das gleiche auf Basis der Arbeiterklasse. Ersteres hat dafür diejenigen, die nicht zur Nation gehörten ausradieren wollen, zweiteres war genauso Blutig zu intellektuellen und anderen, welche nicht dem Ideal des Arbeiters entsprachen, um nur zwei Beispiele herauszunehmen, welche das letzte Jahrhundert prägten.
Für mich ist das Scheitern dieser gesamten Systeme zuerst durch das defizitäte Menschenbild bedingt:
- Der Mensch muß in der Gesellschaft funktionieren (als Gegenbewegung zum Ursprünglichen Individualismus, der dennoch überall durchscheint) und für die Gesellschaft leben und handeln
- Es wird der Person des Menschen in seine Verantwortung einerseits, in seine auf etwas höheres Bezogenen Reflexivität, und andererseits in seiner individuellen Freiheit und der persönlichen Fähigkeiten unabhängig von vorgegebenen Strukturen nicht Rechnung getragen.
Für mich unterscheiden sich in diesen keine aller mir bekannten Kommunistischen und Sozialistischen Systeme.
Gruß,
Orald