Libyen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Lykurg
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Di 28. Jun 2011, 22:28 - Beitrag #101

Ich las an verschiedenen Stellen die Kritik, damit sei ihm die Möglichkeit versperrt, ins Exil zu gehen und so den Konflikt früher zu beenden. Ich halte das aber für recht blauäugig; hätte er das wirklich gewollt, hätte er es vor Wochen tun können, bevor er Familienmitglieder durch die Bombardements verlor, und bevor er die Bevölkerung von Misrata und anderer Städte mit Scharfschützen beschießen ließ und (mutmaßlich) seine Söldner mit Viagra zum Vergewaltigen ermunterte.

Er hat mehrfach bekräftigt, bis zur letzten Patrone und bis zum Tod kämpfen zu wollen; ich halte für eher unwahrscheinlich, daß er sich ins Ausland absetzen würde; insofern ist der Haftbefehl auch nicht schädlich. Wie er durchgesetzt werden kann und wer ihn vollstrecken soll, ist eine ganz andere Frage, es geht hierbei erst einmal um die formale Feststellung, einen Rechtstitel, unter dem man gegen ihn vorgeht, und das finde ich gut, ganz gleich wie manch einer die Haltung der USA zu Den Haag einschätzen mag. ;)

Maglor
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Mi 29. Jun 2011, 21:51 - Beitrag #102

Gaddafi wird nicht wie Ben Ali oder Idi Amin im Diktatorenparadies Saudi-Arabien unterkommen können. Dafür hat er einfach zu oft versucht, Prinzen umzulegen.
Staaten, die ein großes Herz für fremde Schurken haben, gibt es nicht mehr, allenfalls Syrien.
Assad und Gaddafi haben sich vielleicht schon verabredet, sich im Ernstfall gegenseitig Asyl zu gewähren. :crazy:

Gesuchte Kriegsverbrecher wurden in der Vergangenheit nur ausgeliefert, wenn sie ausgeliefert wurden. Dies war eine Entscheidung jener Staaten, die den Kriegsverbrecher in ihrer Gewalt hatten, mehr nicht. Dass Beispiel der Kriegsverbrecher des Bosnien-Krieges, die sich mehr als ein Jahrzehnt in Serbien versteckt hielten, belegt, wie schwer die Sache ist. Sanktionen, selbst der Angriff der NATO - nichts hat es genutzt, am lenkte eine neue serbische Regierung nach zähen innenpolitschem Ringen ein und lieferte die gesuchten Kriegsverbrecher selbst aus.
Erst wenn eine neue libysche Regierung dazu bereit wäre Gaddafi auszuliefern und diese gegen den 200.000 Köpfe zählenden Gaddafi-Stamm durchsetzt, kann es in Den Haag zum Prozess kommen - ein denkbar unwahrscheinliches Szenario.

Im Falle einer De-facto-Teilung (Waffenstillstand mit Demarkationslinie) dürfte Gaddafi noch für Jahrzehnte in Sicherheit sein.

Gaddafi könnte ebenfalls bei verbündeten Milizen in den Nachbarländern Tschad, Sudan oder Niger untertauchen und Libyen von dort aus weiter terrorisieren - vergleichbar mit dem Rückzug der Taliban in pakistanische Stammesgebiete. Das wäre allerdings weder Exil noch Rücktritt, sondern die Fortsetzung der bekannten Geschichte an anderer Stelle.

Ipsissimus
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Mi 27. Jul 2011, 00:06 - Beitrag #103


Lykurg
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Mi 27. Jul 2011, 00:15 - Beitrag #104

Tja, wenn man ihn militärisch nicht besiegen kann, ohne mit Bodentruppen reinzugehen (was angesichts der geringer gewordenen Bedrohung der Zivilbevölkerung wohl eher nicht vom UN-Sicherheitsrat gebilligt würde), die Rebellen nicht vorankommen und der Status quo zu teuer wird, muß man sich eben andere Lösungen einfallen lassen. Wie weit Änderungen gehen können, wird man sehen; wichtig ist aber auch, die Einheit des Landes im Auge zu behalten, und da sind Verhandlungen schon ein sinnvoller Weg.

janw
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Mi 27. Jul 2011, 01:24 - Beitrag #105

Allerdings sehe ich nicht so recht, wohin eine Lösung mit Verbleib Gaddafis im Land wirklich führen sollte, außer daß sie für den einen Tag der Verabschiedung das Problem des Westens mit Gaddafi beenden, dem Westen somit einen eleganten Ausweg aus der Affäre sichern würde.
Am nächsten Tage würde Gaddafi wieder politisch aktiv, der innere Konflikt ginge weiter, wie auch der äußere zwischen den ihm mehr oder weniger geneigten Nachbarn.
Wenn schon, müsste eine Teilung des Landes erfolgen, bei der Gaddafi einen hübschen Platz in der Wüste samt Zelt und Kamelen bekommt. :crazy:

Ipsissimus
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Mi 27. Jul 2011, 13:41 - Beitrag #106

im Verhandeln war Gaddafi schon immer Meister, der verhandelt gerne, udn gern auch bis er 100 ist^^

ich neige derzeit auch eher dazu, die Teilung des Staates für die bessere Variante zu halten, vorbehaltlich dessen, dass dabei Stammes- und Clangrenzen beachtet werden und nicht einfach nur ein Lineal genommen wird. Ganz wohl ist mir dabei nicht, weil dadurch natürlich auch Zustände zementiert würden, zumindest in Gaddafistan. Und meine grundlegende Frage ist auch noch nicht geklärt: was genau wollen die Rebellen aus ihrem Land machen?

janw
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Mi 27. Jul 2011, 14:09 - Beitrag #107

Ich könnte mir vorstellen, daß die Rebellen darauf selbst noch keine Antwort haben, außer einer Aneignung jener Reichtümer, die Gaddafi ihnen real oder empfundenermaßen vorenthalten oder genommen hat.

Lykurg
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Mi 27. Jul 2011, 19:28 - Beitrag #108

Die Rebellen haben, um eine Teilung des Landes zu verhindern, lange gezögert, mehr als provisorische Strukturen zu schaffen. Ohnehin hat sich unter Gaddafi jegliche Form politischer Eigenverantwortlichkeit verabschiedet und müßte erst wieder aufgebaut werden.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde ich vermuten, daß die Rebellen eintreffende Gelder im Wesentlichen in Waffen stecken, und definitiv hat es eine Anhäufung von Reichtümern in den Händen Gaddafis und seines Clans gegeben, die dem Land und seinen Einwohnern zurückgegeben werden sollte.

Bedingung für eine solche Lösung wäre ja ein Machtverzicht.

Ipsissimus
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Do 28. Jul 2011, 09:53 - Beitrag #109

gab heute morgen im Deutschlandfunk ein Interview mit einem ZDF-Reporter, der vor Ort in Libyen berichtet, direkt von der Front, etwa 100 km vor Tripolis. Der meinte, der militärische Spielraum Gaddafis sei erheblich geschrumpft, ihm würden allmählich Geld und Waffen ausgehen. Das führe aber nicht zu einem Abflauen der Kämpfe sondern zu einer Umstellung des Kampfstils, Gaddafis Truppen imitieren immer mehr den Stil der Rebellen, mit schnellen Gelände-Buggys, auf denen Maschinengewehre montiert sind. Und natürlich verschanzen sie sich nach wie vor in Dörfern hinter der Zivilbevölkerung.

Schwer abzuschätzen von hier aus, was daraus resultiert

Maglor
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Do 28. Jul 2011, 16:42 - Beitrag #110

Einer Somalisierung Libyens steht also nichts mehr im Wege.
Die Dreistigkeit eines Diktators siegt über Feigheit und Ohnmacht des Westens.

Was Gadaffi betrifft:
Ich denke man ihn diesen Mann nicht einfach so absetzen oder kalt stellen. Es gibt auch kein Amt von dem er zurücktreten kann. Gadaffi ist nicht der Präsident, Generalsekretär oder ähnliches von Libyen sondern der sogenannte Revolutionsführer.
Selbst wenn in naher oder ferner Zukunft Tripolis fallen sollte, hat Gadaffi noch immer das Potenzial sich in die Tiefen der Sahara zurückzuziehen und den Kampf noch Jahrzehnte fortzusetzen - gff. auch aus dem Ausland.

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Do 28. Jul 2011, 17:10 - Beitrag #111

Einer Somalisierung Libyens steht also nichts mehr im Wege.
Die Dreistigkeit eines Diktators siegt über Feigheit und Ohnmacht des Westens.
Naja, solange sie Öl haben, wird der Westen sie nicht völlig aus den Augen verlieren. Solange eine Seite den Export sicherstellen kann, ist man im Geschäft; und wer weiß, wie lange sich die andere Seite halten kann. Und sei es durch Verrat oder Attentat - ich bezweifle, daß Gaddafi sich lang genug halten kann, um wirklich einen Partisanenkrieg zu führen, sollte Tripolis ihm verlorengehen (was aber im Moemnt wohl nicht zu erwarten ist). So besonders viele Möglichkeiten für den Westen, es besser zu machen, sehe ich aber nicht.

Maglor
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Mo 5. Sep 2011, 21:18 - Beitrag #112

Tripolis ist gefallen. Die Schlacht um Provinzstädte geht weder. Gaddafis Getreue verschanzen sich und leisten erbitterten Widerstand gegen die Rebellen. Die Stammlande der Gadaffa sind noch immer in der Hand Gaddfis.

Meiner Einschätzung nach wird Gadaffi nicht wie Saddam Hussein enden, sondern vielmehr wie Osama bin Laden. Die Weg in Tschad und den Niger sind frei. Die Grenzregionen beider Nachbarländer werden seit Jahrzehnten von Rebellen kontrolliert, die so etwas wie Satelliten des Gadaffi-Regimes waren. Eine Ausweitung des libyschen Bürgerkrieges auf die Nachbarländer muss allerdings keineswegs eine weitere Destabilisierung der Region bedeuten. In beiden Ländern herrscht ohnehin so etwas wie Bürgerkrieg. Eine "Jagd" auf Gaddafi könnte natürlich bedeuten, dass die Dromedar-Kavellerie der Tuareg demnächst gegen Marschflugkörper antritt.

Guido Westerwelle drohte ja bereits vor Monaten damit die Bundeswehr als UN-Friedenstruppe in die Wüste zu schicken, sollte es gelingen Gaddafi wegzubomben. Nun vermeldet die Übergangsgregierung sie wolle keine Blauhelme. Sie stören ohnehin nur bei der Arbeit. Und wen die Rebellen nun immer wieder die bösen Neger-Söldner Gaddafis. Das west-östliche Bündnis um die NATO vermeldet hingegen, den Krieg fortzusetzen bis von den Gaddafi-Anhänger keine Bedrohung mehr ausgeht.

Währenddessen verstöß die BILD -Zeitung offen gegen die Genfer Konvention und präsentiert Kriegsgefangene als die bösen Neger-Söldner. Ob bald auch die ersten Deutschen aus Gaddafis Legion gefangengesetzt werden?

Ipsissimus
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Mi 7. Sep 2011, 15:23 - Beitrag #113

und der Konvoi hat Burkina Faso aka Obervolta wohl schon erreicht^^ aber niemand weiß, wo Gaddafi stecken könnte, nachdem sein guter alter Freund Luc-Adolphe so großzügig war, ihm politisches Asyl anzubieten^^

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Mi 7. Sep 2011, 15:34 - Beitrag #114

Ja, allerdings wird die Größe des Konvois diskutiert; ursprünglich war die Rede von 200 Fahrzeugen, laut nigerischen Angaben sollen es drei Fahrzeuge sein, die neun Personen aus dem inneren Zirkel um Gaddafi befördern, unter anderem seinen Sicherheitsberater, aber dann wohl wirklich nicht ihn selbst. Interessant wäre aber, ob das mit den Satellitenbildern übereinstimmt, die es ja von der Region derzeit im Übermaß geben dürfte. ;)

Die Rebellen (wann man wohl aufhört, sie als solche zu bezeichnen?) meinen jedenfalls, sie hätten Gaddafis Versteck weiträumig umstellt und es sei nur noch eine Frage der Zeit, wann sie ihn hätten. Man wird sehen.

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Mi 7. Sep 2011, 15:57 - Beitrag #115

na ja, wenn ich Niger wäre, wäre ich auch um Deeskalation bemüht, solange da Natoflugzeuge in der Luft rumschwirren^^

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Mi 7. Sep 2011, 16:34 - Beitrag #116

Gerade wenn Nato-Flugzeuge herumschwirren, sollte die Unterscheidung zwischen drei und 200 Fahrzeugen recht leicht zu treffen sein. Vielleicht war es zwar tatsächlich ein Massenexodus, bei dem aber nur die drei Fahrzeuge wirklich kritisches Personal enthielten, die anderen hatten unauffälligere Pässe.

Maglor
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Mi 7. Sep 2011, 18:05 - Beitrag #117

Wer weiß schon, was da wirklich passiert. Vielleicht sind aus auch nur Heimkehrer: Söldner Burkina Faso, die nun Libyen schwer mit Schätzen beladen verlassen und ihr erlerntes Handwerk anderswo zu betreiben.

Zur Bezeichnung "Rebellen": Der Übergangsrat wird von Gaddafis Justizminister angeführt. Die Revolution der Straße ist somit zur Palast-Revolte geworden.
Nicht weniger gefährlich klingt der Name al Senussi, ein leibhaftiger Nachfahre des Sufi-Königs, dessen Halbmondfahne sich die Rebellen zum Emblem gewählt haben.

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Do 8. Sep 2011, 09:06 - Beitrag #118

andererseits hätte Burkina Faso als Zielgebiet Gaddafis den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass die Nato da noch ein unterdrücktes Volk befreien könnte^^

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Do 8. Sep 2011, 10:51 - Beitrag #119

Hmm, gibt es denn da nennenswerte Bodenschätze?
Nicht, daß ich da einen Zusammenhang sähe, aber...

Ipsissimus
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Do 8. Sep 2011, 13:24 - Beitrag #120

Gold und Mangan; die Baumwolle wäre auf dem Weltmarkt auch konkurrenzfähig ohne die Baumwoll-Subventionen für die US-amerikanischen Anbauer

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