Zitat von Lykurg:scheinheilige Nichteinsicht, daß andere ebenfalls durch die Umstände hineingezogen werden konnten.
Ich bin mir jetzt nicht sicher, wie Du das meinst, meinst Du jetzt, Grass habe diese Nichteinsicht gehabt? Eher doch wohl nicht, wenn er Walter Jens und Christa Wolff (für die nächste Diktatur) gleichfalls in Schutz nimmt...oder?
Andererseits war das Betonen der Hineinziehbarkeit junger Menschen doch auch mein Reden, dem Du heftig widersprochen hast, denn es bedeute kompletten Relativismus usw.
*Etwas verwirrt bin*
Zum Rest:
O_o nun ja...
Das erstere Ereignis in der Gefangenschaft ist unschön, steht aber wie alle seine Erlebnisse in der NS-Diktatur unter dem Umstand der Vorzeitigkeit vor den Nürnberger Prozessen, die Grass die Augen öffneten - wie er sagt.
Das weitere ist gleichwohl bedauerlicher, wenn auch die Materie eine schwierige ist.
Zitat von ntv:1967, bei einer Lesung in Tel Aviv empört er sich, dass der "Antisemitismus der Eltern ... den Kindern zum gegenstandslosen Philosemitismus" geriet. Auschwitz relativierend, sagte der deutsche Schriftsteller: "Kaum eine europäische Nation hat es gegeben, die sich nicht zeitweilig das Verbrechen zum politischen Verbündeten gewählt hatte."
Die erstere Äußerung ist differenziert zu betrachten - "gegenstandsloser Philosemitismus" impliziert für mich den Vorwurf des Fehlens von "Herz bei der Sache", bloße politische Korrektheit, der Mode folgend. Das mag gewiss für etliche Beteiligte stimmen, bis heute, doch war damals dies schon viel und die Äußerung leugnet das Engagement gleichfalls Vieler, das es gleichfalls gab, bis heute, das letztlich die Grundlage schuf dafür, daß jüdisches Leben in Deutschland heute wieder ein Stück "normal" geworden ist.
Zum anderen...gewiss, Blut klebt an allen europäischen Händen, ob vom Kolonialismus, der Ausrottung fremder Kulturen, ob vom Holocaust, ob auch von dessen schleichender Unterstützung, indem England gezielt die Gleise dorthin nicht bombardierte - obwohl man wusste, was in Deutschland geschah, indem Amerika sehr zögerlich nur die Flüchtlinge aufnahm, gleichfalls die Schweiz.
Die Helfershelfer zu benennen, darf jedoch nie darin einmünden, die Täter zu entlasten, und hier ist Grass dem Abgrund nahe, wenn nicht schon darüber.
Wenn Grass 1971 gesagt hat:
"So hat Israel durch die schleichende Annexion der besetzten Gebiete den arabischen Staaten einen Vorwand für deren Angriff geliefert."
So ist dies ein Satz, der beispielhaft jenen Zwiespalt beschreibt, der das Verhältnis vieler Linker nach 1967 zu Israel bestimmt, bis heute.
Angesichts der Tatsache, daß Israel tatsächlich und von der Völkergemeinschaft als faktisch erkannt ihm nicht gehörende Gebiete gegen geltendes Recht besetzt hält und angesichts der Polarisierung Israels gegen die arabische Welt et vice versa muss jede Kritik an Israel dort zwangsläufig als Angriff gewertet werden - "wer nicht für uns ist, ist gegen uns" und einen antisemitischen touch haben, wo ausgewiesene und bekennende Antisemiten sich in gleicher Weise äußern. Zumal Israel erst jetzt allmählich intern die Trennung hinbekommt zwischen Staat und Volk, die politische Säkularisierung gewissermaßen, bis dato das "Staat der Juden", der verfolgten zumal, Sein also Teil der Staatsidentität war.
Dieses Problem zu erkennen und die richtigen Worte zu finden ohne abzugleiten, will manchem in dieser Frage nicht gelingen, einem Grass hingegen hätte derlei nicht passieren dürfen, oder er hätte sich um Klarstellung bemühen müssen. "Si tacuisses!" möchte man ihm beinahe zurufen...
Die Diskussion mit Kaniuk erscheint gleichfalls unerfreulich - wenn ich von Kaniuk auch selbst nichts kenne, nicht weiß, wie er seine Thesen vertritt, mit seinen Kritikern umgeht.
Die Äußerung Kaniuks
"...nach etwa zwanzig Minuten also kam der Junge zum Vorschein, der einst der Hitlerjugend angehört, jener junge Mann, der tief fliegende amerikanische Flugzeuge beschossen hatte]Die erwähnte Studie Leo Ginsters zu Grass' Antisemitismus finde ich faszinierend - ob wohl noch mehr Doyens der linken Kritik einen ähnlich tief verwurzelten Ursprung dieser Haltung haben?[/QUOTE]
Nun, wenn Du auf Kaniuks Äußerung "ich war mein Großvater, er sein Großvater, der Deutsche gegen den Juden." abzielst, dann würde ich auf die von mir erwähnte "ideologische Schizophrenie" bzw. das unweigerlich Geisel des kollektiven Erlebnisses in diesem Falle sein verweisen, was dann aber für beide Seiten gilt, auch der Überlebende kann nicht aus seiner "Rolle".
Wobei andererseits genügend andere Menschen überzeugende Wendungen ihres Lebens geschafft haben, könnte man dagegen halten. Waren sie vielleicht in ihrer Jugend anders geprägt, in einem etwas anderen Zeitfenster sozialisiert?
Wie dem auch sei, diese Zuweisung kann nur für jene gelten, die in den 30ern Kinder und Jugenliche waren, auf der linken Seite entsprechend für jene, die in der DDR aufwuchsen, vorrangig in deren idealistischer Anfangszeit, vielleicht bis 1975. Für einen großen Teil der Linken in Deutschland gilt dies jedoch nicht.
Ob ich aus den genannten Äußerungen auf einen wirklichen Grass´schen Antisemitismus schließen kann - ich glaube nicht, wie schon gesagt, ein Israel-Kritiker gewiss, doch Kritik am Staat mit Antisemitismus gleichzusetzen, das geht für mich in Richtung "wer nicht für uns ist, ist gegen uns", macht außerdem die Klinge stumpf gegen jene, die wirklich Hass im Munde führen gegen Juden auch hierzulande.
So sehe ich es auch mit der Linken - der widerrechtliche Übergriff auf palästinensische Gebiete wird direkt und als Imperialismus gebrandmarkt, Israel so als "normaler" Staat wahrgenommen, der sich an seine Grenzen zu halten hat, die Palästinenser als bedrängte Volksgruppe, wie die Kurden auch, die Indios, die Penan,... Daß Juden in Deutschland leben, wieder und in wachsender Zahl, als Teil der Gesellschaft, wird, so weit ich die Linke überblicke, durchweg begrüßt und gern gesehen.