Ist Sport noch gemeinnützig?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Mi 15. Aug 2007, 08:53 - Beitrag #21

Guten Morgen, Showstopper, auch von mir ein herzliches Willkommen!
Und um hier nicht nur rumzuspammen, dass ich deine Beiträge zur Vermeidung von Doppelposts etwas angepasst habe, ein paar kurze, unqualifizierte Gedanken zum Thema. ;)

Interessant, dass es immer wieder zum Fußball zurückkehrt, dieses Thema, denn eigentlich geht es um den Sport allgemein.
Auch "Brot und Spiele" wurde oft genannt.
Mir ist dazu ein lateinischer Text, Autor vergessen, eingefallen, den ich einmal in der Schule gelesen hatte. Ein junger Römer beschreibt darin, wie er von Freunden quasi gewaltsam mit ins Kollosseum genommen wird, ein Ort, den er jahrelang gemieden hatte. Der bloße Gedanke daran, dass sich die Massen daran ergötzten, Menschen beim Sterben zuzusehen, hatte ihn - völlig untypisch für seine Zeit - abgestoßen. (Ich glaube, seine Empörung hatte mehr etwas damit zu tun, wie unbeherrscht sich ansonsten kultivierte Römer benehmen können und weniger mit Entsetzen vor dem Tötungsakt). Nun, er setzte sich hin und war fest entschlossen, sich keine Sekunde lang zu amüsieren, was allerdings keine fünf Minuten anhielt. Dann riss ihn die kollektive Begeisterung der Massen mit, und er fand sich selbst wieder, als er wie von Sinnen schrie, vor Wut, wenn die Masse wütend war, vor Begeisterung, wenn die Menge jubelte ... von da an musste man ihn eher gewaltsam aus dem Kollosseum raustragen.

Ähnlich stelle ich mir ein Fußballspiel vor. Abgesehen von Beerdigungen und Gerichtssälen kenne ich keinen anderen Ort, an dem emotionale Aus- und Zusammenbrüche so erwünscht und toleriert sind wie in einem Stadion. Gestandene Männer dürfen dort heulen, völlig aus sich heraustreten, wie die Irren brüllen, sich die Klamotten vom Leib reißen, wenn es sein muss ...
Dieses Phänomen begrenzt sich in dieser Ausprägung auf den jeweiligen Nationalsport. Ich meine, beim Tennis geht es auch um Sport, um ein Auge-Auge-Duell zwischen zwei bis 4 Kontrahenten, aber das sich die Massen vor dem Fernseher und im Stadion und auf der Straße und überall versammeln, um ein solches Spiel anzusehen, das geschieht doch nur, wenn ein Spieler (Geschlecht egal) so oft gewinnen konnte, dass die Breite Masse sie wahrnimmt. Dabei geht es dann nicht mehr Tennis, ein Sport, der für den laienhaften Beobachter relativ langweilig werden kann, sondern um die Einzelperson, die da spielt und ihren Gegner. Ich kenne auch wirklich niemanden, der völlig ausflippt, während er die internationalen Curlingmeisterschaften betrachten kann. Radrennen lebt auch zu 95% von den Skandalen, zu 1 Prozent von interessanten Einzelsportlern und zu 4 % von der Tatsache, das Menschen sich bis über die Erschöpfungsgrenze hinaus quälen, um als Erster über eine Ziellinie fahren zu können.

Und ich denke, da kommt es allmählich zum Punkt. Denn warum sehen Menschen anderen Menschen dabei zu, dass diese Sport treiben?
Das Gehirn reflektiert gerne das, was es sieht. Beobachte ich jemanden beim Gähnen, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit mitgähnen. Beobachte ich, wie jemand alles gibt, um ein Ziel zu erreichen, und lasse mich darauf ein, dann fühle ich selbst den Adrenalinrausch, den Siegeswillen. Ich werde eins mit demjenigen, der dort kämpft, leidet, siegt oder verliert. Es wird mein Kampf.
Sport zu betreiben, ist die eine Sache, wichtig für Körper und Seele. Sport zu beobachten, ist die andere Sache, die stark über die Psyche wirkt, den eigenen Körper aber auch unter positiven Stress setzt. Sport ist ein Unterhaltungsfaktor, die Stars der Arena sind Künstler - ob sie ihren Job nun verstehen oder nicht.
Nun werden Spitzenkünstler teuer bezahlt. Zu Recht - sie geben ihr Privatleben, ihre Gesundheit und noch vieles, vieles mehr auf, um die Massen zu unterhalten. Ein 30jähriger Fußballer ist ein Oldie, mit spätestens 35 wird er, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zwangsberentet und kann dann höchstens noch als Trainer und Werbestar auftreten - oder sich eine neue Beschäftigung suchen.
Eine 30jährige Kunstturnerin hat in der Regel die Hüfte so kaputt, dass sie dankbar sein darf, noch ohne Rollstuhl auszukommen.
Ärzte fangen mit 30 meist erst richtig an, ins Berufsleben einzusteigen.
Sprich: Profisportler opfern Gesundheit und Jugend. Und gewiss nicht alle werden dafür mit Millionen überschüttet. Hier kommt Neid auf. Fragen nach dem "Was soll das?"

Oha, ich habe keine Zeit mehr. Okay, also erst mal Schluss hier, obwohl der Gedanke erst zur Hälfte abgewickelt ist.

Fortsetzung: Da noch kein WIderspruch, setze ich mal den Gedanken fort.

Ist es gerecht, dass ein Fußballstar Millionen kassiert, die durchschnittliche Kunstturnerin aber nur Peanuts bekommt, obwohl sie ihre Knochen genauso ruiniert?
Leider ja. Denn bezahlt wird nicht die Opferbereitschaft des einzelnen, sondern sein Unterhaltungswert für die Masse. Ein Sportler muss entweder überragende Leistung erbringen, charismatisch sein oder blendend aussehen, um zum Star zu werden - trifft alles zu, wird er zum Superstar. Dort angelangt, darf er gerne fortan jedes Spiel/Wettkampf vermurksen, man liebt ihn trotzdem, leidet mit ihm, fiebert mit ihm mit ... siehe Ballack, oder Martin Schmidt. Sie werden zu Helden, ihr Leid berührt uns, ihr Sieg reißt uns mit ...
Ja, warum eigentlich?

Der Mensch ist ein Herdentier. Wir können noch so viel auf Individualismus pochen, es liegt in unserer Natur, uns über die Gruppen, denen wir angehören, zu identifizieren. Ob das nun der örtliche Schrebergartenverein, unsere favorisierte Sportmannschaft oder unsere stolze Nation ist - das WIR gewinnt. In einer Gesellschaft, in der das ICH hochstilisiert wird, in der es mehr Singles als Familien gibt, erfahren solche Gruppenerlebnisse eine noch höhere Bedeutung.

Um mal wieder zum Punkt zu kommen: Ja, Sport ist gemeinschaftsnützig. Heutzutage eher mehr als "früher". Sowohl das betreiben als auch das Beobachten von Sport hat hohe Bedeutung für Körper, Geist und Seele.
Die extremen Summen, die hier geschachert werden, die mafiösen Tätigkeiten im Hintergrund (Wetten, Doping ...) die gewachsene Traditionen des Vandalismus, dies alles ist die negative Kehrseite der Medaille - die aufzeigt, dass es eine ebenso starke positive Seite gibt. Denn warum sollte soviel Geld für etwas gezahlt werden, dass keinen Wert hat?

Andererseits gibt es natürlich noch viel mehr Wege nach Rom. Um ein gemeinschaftliches "Wir" zu erleben, ist auch ein Rockkonzert dienlich. Oder ein Besuch in der Oper. Ich habe noch nie in einem Stadium gestanden und mich dort heiser geschrien, aber wohl schon in Theater-und Musicalrängen auf der Stelle gehopst und die Hände wund geklatscht. Gemeinschaftliches Stricken soll auch sehr beruhigend wirken. ;)
Wenn also Politiker (die sollte man auch mal nach Marktwert bezahlen - eine Merkel hat da einiges verdient, im Gegensatz zu "wtf ist unser Landwirtschaftsminister?") hingehen und Musik- und Kunstunterricht als überflüssig deklarieren, gehören die standesrechtlich erschossen. Musik, Kunst und Kultur sind gewachsene, unersetzliche Werte einer Gesellschaft. Während Sportlerstars nach einigen Jahren in Vergessenheit geraten, können die Spitzenwerke kulturellen Schaffens die Jahrtausende überdauern. Also: Sport UND Kultur, Hand in Hand.
Gedenken wir kurz der Spartaner, die ihr Volk sowohl zu Sport als auch Bildung als auch Kriegsteilnahme zwangen ... und hoffen mal, dass sich bessere Wege zu einem Gleichgewicht finden lassen.

Showstopper
Newbie
Newbie

 
Beiträge: 6
Registriert: 13.08.2007
Mi 15. Aug 2007, 15:10 - Beitrag #22

Nochmals Dank für die Begrüßung und sorry für den Doppelpost :)

Und zu Deinem Post kann ich nur sagen, wow! Besser hätte ich es nicht ausdrücken können! Zwar stimme ich in zwei Punkten leider nicht 100%-ig mit Dir überein, aber insgesamt kann ich Dir nur recht geben mit dem was Du beigetragen hast und dies nur unterstreichen.

Nur zur Vervollständigung, die zwei kleinen Dinge wo ich nicht komplett mit Dir übereinstimme:

1.
Radrennen lebt auch zu 95% von den Skandalen, zu 1 Prozent von interessanten Einzelsportlern und zu 4 % von der Tatsache, das Menschen sich bis über die Erschöpfungsgrenze hinaus quälen, um als Erster über eine Ziellinie fahren zu können.


Leider ist das wirklich so, dass der Radsport heute nur noch von Skandalen lebt (obwohl er durch diese eigentlich schon längst tot sein müsste) jedoch kann man das, die früheren Episoden des Radsports betrachtend nicht allgemein sagen. Als Doping und andere Skandale noch nicht aufgetaucht sind (zumindest nicht öffentlich) waren es mit Sicherheit 60% die Sportler und 40 % deren Leistung, die die Fans angelockt haben.

2.
Ist es gerecht, dass ein Fußballstar Millionen kassiert, die durchschnittliche Kunstturnerin aber nur Peanuts bekommt, obwohl sie ihre Knochen genauso ruiniert?
Leider ja.(...)


Nun ja, auch hier sollte man unterscheiden und "gerecht" definieren. Aus betriebswirtschaftlichen, bzw. ökonomischen Gesichtspunkten kann ich nur Zustimmen, allerdings aus menschlichen Gesichtspunkten eben nicht..., also ist es auch hier wieder einmal eine Definitionssache. :)

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Mi 15. Aug 2007, 17:14 - Beitrag #23

Was, nur zwei Punkte, bei so viel Verallgemeinerungen? Komm, schlag's mir um die Ohren. ;)

Radsport: Als es noch keine Skandale gab, wie groß war das Interesse der Bevölkerung? Ich meine, solche Klamotten wie "Iron Men" (richtig?) nehme ich nur am Rande war, staune mild, zu welchen Leistungen sich manche Menschen foltern, und vergesse sie sofort wieder. Jeglicher andere große Wettbewerb im Radsport fällt bei mir ebenfalls sofort durchs Wahrnehmungsraster. Bei "Tour de France" hingegen bin ich sofort mit allen Augen und Ohren dabei und warte, wer sich jetzt schon wieder outet, ob es ein Name ist, den ich kenne. Wer da gewinnt, interessiert mich dann schon wieder nicht die Bohne. Kleiner Banause, der ich bin. :cool:

Mit "gerecht" wollte ich bewusst provozieren. Denn persönlich als "gut" im Sinne von "richtig" empfinde ich es auch nicht ... nur eben als marktwirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenz. Ja, einem Profisportler, der sich nicht mal an der Nase kratzen darf, ohne das es davon 100 Beweisfotos gibt, darf ein hohes Schmerzensgeld erwarten, sehr viel höher als eine Frau A aus B, die in ihrer Freizeit am Barren turnt. Und wo ist das Ende, die Grenze?
Ich hoffe einfach, dass der Markt sich hier selbst regulieren wird und Angebot und Nachfrage stets ein gesundes Maß finden können.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 21. Aug 2007, 03:07 - Beitrag #24

So, dann mal etwas mehr von mir...
Der Kern meiner Sport-Antipathie liegt in seiner Betonung des Wettbewerbs und der Focussierung auf Extremleistungen - ohne zu sehen, was deren Erbringung "kostet" und unter gleichzeitiger Mißachtung der "Verlierer".
Sport fördert damit in meinen Augen Verhaltensweisen, die auf Aggression, Ausgrenzung, hierarchische Führungsstrukturen hinauslaufen, Kooperation und Mitgefühl werden nur auf die eigene Gruppe bezogen.
Gewiss wird man nun sagen, daß Aggressionsverhalten menschlich ist, daß menschliche Gesellschaften Wege finden müssen, Aggressionen aufzufangen und unschädlich abzuleiten und daß der Sport hierfür als ein Ventil dienen kann.
In meinen Augen geht dieses Argument insofern fehl, als Sport in meinen Augen Aggressionen nicht verringert, sondern eher noch fördert - mit großem Aufwand versuchen die Fußballvereine, die Fans zur Räson zu bringen, die Geister, die sie riefen... - und nichts unternommen wird, um die Menschen über die tieferen Hintergründe von Aggression, sozialer Ungleichheit und über Alternativen zu hierarchischen Führungsstrukturen aufzuklären.
Sport wirkt insofern in meinen Augen stabilisierend auf die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen - rebellieren die Jugendlichen gegen ihre Perspektivlosigkeit und die Vernachlässigung durch die Politik, dann bekommen sie eben einen Bolzplatz, anstatt daß wirklich nach Lösungen gesucht wird.
Ergebnis ist, daß ein paar kickstarke Jungs profitieren, dem Rest gehts so doof wie zuvor.

Zitat von Lykurg:Die von dir aufgeführten sozialen Dimensionen des Sports sind bedeutsam und rechtfertigen sicherlich ein gewisses Maß von Transferleistungen: Kinder aus schwierigen Verhältnissen gewissermaßen von der Straße zu bringen, einen Lebensinhalt, Träume und Erfolgserlebnisse zu geben, ist wichtig - kein Mittel dazu sollte vernachlässigt werden.

Ja, aber wenn, dann bitte alle, nicht nur die sowieso schon Starken. Und dann bitte auch mit etwas Bewußtseinsbildung - und die schafft IMHO nur die Kultur. Nur durch den Kontakt mit anderer Kultur, von anderen Orten und Zeiten, kann Bewußtsein für gleichwertige Vielfalt und für gegenseitige Beeinflussung, Abhängigkeit, Befruchtung entstehen. Sport ist Retorte, kulturelles Fastfood, Futbol mit denselben Regeln wie football oder soccer oder Fußball, ebenso Tennis und Individualsportarten.
Deshalb bin ich weit eher dafür, allen, aber auch wirklich allen Kindern, unabhängig von Vaters Geldbeutel, den Besuch von Musikschule, Malkursen und ähnlichem zu ermöglichen. Ob daraus ganz viele Geigen- oder Klaviergenies hervorgehen, ist zweitrangig, es geht ja um den Kontakt zur Musik, zur Malerei nicht zum Zwecke, irgendwie besser als ein anderer zu werden, sondern um die Entdeckung und Entwicklung des eigenen Ausdrucksvermögens hierin und das sukzessive Erkennen, daß jede Kultur und jedes Werk Elemente ihrer Vergangenheit und anderer Kulturen enthält.

Zitat von aleanjre:Der Mensch ist ein Herdentier. Wir können noch so viel auf Individualismus pochen, es liegt in unserer Natur, uns über die Gruppen, denen wir angehören, zu identifizieren. Ob das nun der örtliche Schrebergartenverein, unsere favorisierte Sportmannschaft oder unsere stolze Nation ist - das WIR gewinnt. In einer Gesellschaft, in der das ICH hochstilisiert wird, in der es mehr Singles als Familien gibt, erfahren solche Gruppenerlebnisse eine noch höhere Bedeutung.

Eher ein Hordentier...und da liegt das Problem. Die Masse, sei es nun die Südkurve oder die Nation, ist irgendwas, aber nicht die soziale Organisationsform, für die wir ausgelegt sind, ebenso eigentlich das Individuum. Gut, wir sind auch nicht dafür ausgelegt, in eher kühlen Regionen zu leben, da hilft uns die Technik, Felle zu gerben und zusammen zu nähen.
Sicher identifizieren wir uns mit Gruppen - aber muss das noch gefördert werden, wo doch Gruppenbildungen immer mit Ausgrenzung, Überhöhung der eigenen Gruppe einher gehen, ggf. auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ein Hindernis zum Wechsel in eine andere darstellt?
Wird nicht die Ich-Bezogenheit noch verstärkt, wenn Väter ihre Jungen anhalten, noch mehr Leistung auf dem Bolzplatz zu bringen, wenn die individuelle "Leistung" honoriert, das "Versagen" bestraft wird?
Ich denke, wenn die Leistungsgesellschaft den Sport nicht schon hätte, würde er von irgendwelchen findigen Werbestrategen erfunden werden.

alea, Dein Hinweis auf die Spartaner lässt mir einen Satz auf der Zunge entstehen...ich weiß, er ist provokant und ich bin mir deshalb auch seiner noch nicht völlig sicher: Sport ist vormilitärische Erziehung.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 21. Aug 2007, 15:42 - Beitrag #25

Diese Anti-Sport, Pro-Kultur Einstellung ist so eingefahren und so inakzeptabel wie sonst was.


nun ja, lass den paar Kulturfreaks doch den Spaß, wir sind so wenige, dass du wirklich keine Angst davor zu haben brauchst, Deutschland gingen um unseretwegen die Radrennfahrer aus^^

Trotzdem habe ich ein Jahr lang Sportmanagement in Verbindung mit Kulturmanagement studiert, weshalb ich mir nie eine Einstellung "Anti-Kultur" vorstellen könnte ...


Managment, Kultur und Kulturmangagement^^ es steht zu befürchten, daß der Begriff der "Kultur", wie ihn Manager - auch zukünftige - zu benutzen geruhen, nichts bis noch weniger mit dem Begriff der Kultur zu tun hat, wie ihn diejenigen benutzen, die Kultur lieben^^

ich habe Leute wie Dich kennengelernt, Leute, die kulturell sehr interessiert sind und schwafeln können ohne Ende, ohne auf dem Punkt zu kommen.


tja, die "Macher"-Perspektive gegen die Perspektive des Nachdenklichen^^ ich habe übigens bei dieser unsäglichen WM mitnichten in den Fanblocks gestanden und mich patriotisch erfüllt gefühlt; bei Jan kann ich mir das auch beim besten Willen nicht vorstellen. Abgesehen davon, wer sagt denn, dass es im Leben der Kulturbeflissenen keinen Sport gibt? Das mag zwar in Einzelfällen so sein, aber umgekehrt würde ich selbst einem Vollkretin wie Franz Beckenbauer nicht pauschal absprechen, eventuell doch Genuss zu empfinden an seinem teuren Ticket für die Bayreuther Festspiele, auch wenn ich mir nicht vorstellen will, worin dieser für ihn bestehen mag^^

Sport ist Krieg ohne Waffen, sagte Orwell, ... Es geht mir nicht darum diese Aussage komplett zu entkräften, ... aber ist das dieselbe Aggression wie die in einem Krieg? Sollte man nicht unterscheiden in verschiedene Arten der Aggression?


Sport im Profibereich zielt nicht auf Krieg, er zielt auf "Brot und Spiele". Brot und Spiele verhindern, dass ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ursachen von Unzufriedenheit stattfindet, halten das Aggressionspotential zwar unter Kontrolle, aber auch permanent am Köcheln. Orvell war zu sehr von "handfesten" Methoden beeindruckt, als dass er den subtileren Künsten allzuviel Aufmerksamkeit gezollt hätte.

Also: das Problem ist nicht das, was der Sportler macht, sondern das, wozu seine Leistung benutzt wird.

Was ist mit Aggression in der Kultur? ...


dass Musik als Grund für derartige Massaker genannt werden, besagt nicht, dass sie einen Grund dafür darstellt; es legt lediglich die Hilflosigkeit der Erklärungsversuche offen. Killerspiele werden in dem Zusammenhang übrigens auch immer gern genannt, genauso hilflos.

Natürlich ist das, was Soldaten, und das, was Sportler so treiben, vorneinander verschieden. Nur- wer hat behauptet, es wäre gleichzusetzen?

Davon abgesehen ist der Missbrauch kultureller Errungenschaften so alt wie die kulturbildende Menschheit. Das gilt natürlich auch für den Sport, der übrigens auch eine kulturelle Errungenschaft ist, das feindliche Gegenüber Sport - Kultur ist also gar keines der Sache, sondern auf einer anderen Ebene angesiedelt^^

Zum Thema Bildungsstruktur, Bildungssysteme und Förderung des Sports zur Missgunst der Förderung der Kultur:


das Problem besteht wirklich nicht darin, dass klein Erna dazu gezwungen wird, ein Instrument zu spielen. Wenn es allerdings kein privates Engagement seitens der Eltern gibt, hat sie auch so gut wie keine Chance mehr, es zu lernen, wenn sie es eigentlich möchte. In der Schule ist Musikerziehung bestenfalls noch ein Alibi, das gleiche gilt für Kunsterziehung: Und zu dem Zeitpunkt, ab den an ein paar wenigen Schulen noch Leistungskurse Musik angeboten werden, müsste Klein Erna schon soweit sein, ein Instrument auf dem Niveau einer Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule spielen zu können, wenn sie noch eine Chance haben möchte, aufgenommen zu werden - die Leistungskurse kommen also in der Regel 5 bis 10 Jahre zu spät.

Mit Sportangeboten wirst du dagegen zugeschüttet.

1. Sportlicher Ausgleich zur Gesundheitsförderung und gegen Adipositasbildung würde größtenteils wegfallen
2. Vereine, die eh so schon kein Geld mehr hätten würden komplett in die Knie gehen und die Menschen hätten ein VIEL geringeres Angebotsspektrum an Freizeitangeboten, was die Menschen letztendlich unzufrieden stellt
3. Durch den Wegfall der Sportvereine (da die Förderung ausbleibt), würde es nicht zwingend zu einem riesigen Push der Kultureinrichtungen kommen. Menschen die zuvor nicht in Kultur interessiert waren, werden deshalb auch nicht unbedingt mehr in Kultur interessiert sein und es würde sich bald herausstellen, dass der Zulauf relativ zu der vermehrten Förderung, gering ausfallen wird.


1) die Adipositasbildung greift trotz der extremen Förderung des Sports in Deutschland immer weiter um; wenn die Betroffenen damit leben können, ist das im übrigen ihre eigene Sache

2) Vereine kommen, Vereine gehen. Man kann auch in eine Blockflötenspielgruppe gehen

3) stimmt, allerdings ist kaum davon auszugehen, dass die dem Sport entzogene Unterstützung in die Kulturförderung einfließen würde.

Auch für den Sport werden die Gelder vom Staat immer weiter gestrichen, das wird nur leider wieder übersehen.


der erste Halbsatz stimmt, der zweite nicht. Das Problem besteht darin, dass SPORT ALS KULTURELLES PHÄNOMEN staatlich so uninteressant ist wie Kultur als Ganzes auch. Gefördert wird Sport als Geschäftsartikel und Sport als massenwirksames Manipulationsmittel, mehr nicht.


Wieso sollte man den Sport nicht fördern? Menschen werden und bleiben durch Sport Gesund und sind ausgeglichener, das Thema Gesundheitssport ist sowieso ein sehr Wachsendes.


ja, warum sollte man ihn nicht fördern? Ich bin sehr dafür, dass man ihn fördert - aber nicht unproportional. Sport und Kultur müßten gleich auf gleich gefördert werden

http://de.fifa.com/aboutfifa/worldwideprograms/ , oder Kids in den Ghettos der USA, die durch den Basketball eine Beschäftigung finden, oder arme Familien in Deutschland, die ihren Kindern nichts geben können, sie aber, da es noch erschwinglich ist, in Fußballclubs stecken können und Ihnen so eine Freude machen, usw.


sorry, das ist Bullshit. Die von dir skizzierten Idyllen zeigen vielmehr genau, wozu Sport missbraucht wird - "unser Junge hat es in den Basketballclub der Stadt geschafft" - aber die Ghettos bleiben bestehen, genauso wie die Ungleichbehandlung sozialer SChichten überhaupt.

Ernsthaft, welche Veranstaltungen vereinigen friedlich die verschiedensten Menschen am meisten? ...


alle, die als Alibi zum Saufen benutzt werden können, von Dorffesten bis Weltmeisterschaften

Klar muss man da nicht so viel nachdenken wie es im Theater oder auf Kunstausstellungen der Fall wäre, aber ist das überhaupt notwendig um glücklich zu sein und erfüllt zu leben?

ja^^


Fakt ist: beides bekommt vom Staat zu wenig Förderung und oft wird diese noch falsch angelegt.


korrekt

In einer Welt, die zunehmend stressiger wird, ist der Ausgleich in der Freizeit das wichtigste für den Menschen und ob er den im Sport oder in der Kultur findet ist doch, sorry, SCHEIßEGAL!


Sport, als Instrument in den Händen der Mächtigen, ist ein Mittel, den Deckel auf dem Kochtopf "zunehmend mehr unzufriedene Menschen" drauf zu halten, um sie dazu zu bringen, ihre Unzufriedenheit nicht in Aufbegehren umschlagen zu lassen. Die eigentlich notwendige Maßnahme wäre nicht, in der Freizeit den Stress des Alltags abzubauen, sondern sich aktiv mit seiner Situation auseinanderzusetzen.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mi 22. Aug 2007, 13:25 - Beitrag #26

Zitat von Ipsissimus:Abgesehen davon, wer sagt denn, dass es im Leben der Kulturbeflissenen keinen Sport gibt? Das mag zwar in Einzelfällen so sein,

"Kulturbeflissen" ist so ein großes Wort, und wenn ich sehe, wer sich alles damit schmückt, wieder so eins von diesen Etiketten...^^
Sport...manche würden sagen, ich hätte das mal in meinem Leben gehabt, einmal so mit 7, als ich Hockey gespielt hab, bis irgendwann die Gruppe zerlegt wurde, was ich damals nicht verstehen konnte - ich vermute, es ging darum, aus Spaß Ernst zu machen, die Besten auszusieben... Für mich war es einfach ein schönes Spiel in einer Gruppe von Gleichaltrigen, mit denen ich mich ganz gut verstand.
Dann so zwischen 12 und 17, als ich Kajak gefahren bin. Schöne körperliche Betätigung mit der Möglichkeit, dahinzugleiten über das blinkende Wasser unter dem Blätterdach...und ne Eskimorolle zu können, hat mich auch irgendwie stolz gemacht.
Trotzdem war das für mich nie Sport im Sinne von Leistungserbringung, ein bisschen Selbstbeweisung vielleicht und zeitweise auch ein nettes soziales Umfeld. Bis dann irgendwann einige Chaos-Kids dominierten mit Bier und dummen Sprüchen und die Alten sich auf Besitzstandswahrung verlegten, als es um die Kehrseiten des Paddelns in kleinen flachen Flussoberläufen ging, die gesperrt werden sollten. Naja, dann hatte ich auch meine Rücken-OP, und danach hab ich nicht mehr den Einstieg gefunden.

Wirklich laufender Posten seit ich 11 oder 12 bin ist mein Klavier, auch wenn ich mal etwas Auffrischung bei den musikalischen Hintergründen vertragen könnte^^

Vorherige

Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste