Madrid-Urteile

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Mo 5. Nov 2007, 00:33 - Beitrag #21

e-noon, das "Wir" war deskriptiv gemeint, im Sinne von "Gesamtheit der einen westlichen Lebensstil lebenden und von der auf dessen Aufrechterhaltung und Fortbestand zielenden Politik profitierenden Menschen", nur insofern vorhaltend zu verstehen, als ich auch die damit verbundenen Folgen für andere Menschen beschrieben habe, die ein Westler nicht unbedingt angenehm empfinden würde.
Natürlich liegt es mir fern, irgendeinem bestimmten Menschen dies vorzuhalten, mich selbst vielleicht ausgenommen, der ich mir schon einige Inkonsequenz vorhalte^^, allerdings gleichzeitig sehend, daß eine wirklich andere Lebensweise unter den hiesigen Sachzwängen alles andere als einfach zu realisieren ist.

Zitat von Lykurg:janw, der Terminus "asymmetrische Kriegsführung" bezeichnet ganz einfach den Sachverhalt, daß ein Staat einem Nicht-Staat in einer kriegerischen Auseinandersetzung gegenübersteht, eben etwa in einem Guerillakrieg oder im Fall terroristischer Anschläge gegen eine Staatsmacht.

Ja, im engeren Sinne hast Du recht, aber da das Verhältnis zwischen den reicheren (den Ostblock eingeschlossen) und den ärmeren Ländern eigentlich fast durchgehend von militärischen Elementen seitens der reicheren Länder gekennzeichnet (gewesen?) ist, zumindest als Drohkulisse - Nutzung der ärmeren Länder als Schauplatz für Stellvertreterkriege und zu propagandistischen Zwecken, Unterstützung von Despoten wie z.B. Mobutu mit westlicher Militärhilfe, westliche Militärhilfe begleitet die Rohstoffausbeutung westlicher Konzerne in vielen ärmeren Ländern, womit dann die Proteste der örtlichen Bevölkerung kleingehalten werden, Papua-Neuguinea nur mal als Beispiel, usw. - wobei vielleicht außerdem auch materielle Sanktionen insofern zum Militärischen Methodenarsenal zu zählen sind, als sie Vorstufen des Militärischen sind, (wie auch das "wenn Du nicht gestehst, werden wir Dich foltern" schon zum Folterkomplex gehört) habe ich den Begriff der (A)Symmetrischen Kriegsführung auf den gesamten Komplex zwischenstaatlicher Normen ausgedehnt - die nun praktisch allesamt von den reicheren Ländern gesetzt wurden, schon das Konzept des Nationalstaats ist vielen Kulturräumen fremd gewesen. Gewiss mag Dir diese Begriffsausweitung gewagt erscheinen, aber Deine engere Begriffsverwendung (die auch sicher etwas für sich hat) ändert nichts an dem Faktum der Ungleichverteilung der Machtverhältnisse zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern und an der Tatsache, daß die Persistenz dieses Gradienten viel zum Wohlstand in diesem Land beiträgt.
Die "Asymmetrische Kriegsführung" in Deinem Sinne, um es mal darauf zu beschränken, ist in den letzten Jahren in ARD und ZDF sowie zahlreichen europäischen Tageszeitungen auch von als Gastkommentatoren oder Experten hinzugezogenen Vertretern von Staat und Sicherheitsorganen durchaus nicht nur als Sachverhalt beschrieben, sondern als ungünstiger Zustand bewertet worden - mag letzteres eine gelungenere Fomulierung als "Lamento" sein^^

(Wobei ich damit nicht alle diese Normen verwerfen will, sie haben einiges für sich. Mir ging es nur darum, aufzuzeigen, welchen machtgeschichtlichen Hintergrund sie haben und wie sie mißbraucht werden (können)).

Soweit kulturelle oder geistige Befindlichkeiten des angeklagten Individuums nachweislich Einflüsse auf die Tat hatten, werden diese im Normalfall vor Gericht in irgendeiner Weise berücksichtigt werden. Alles darüber hinausgehende, was in Richtung "Geschichte aufarbeiten" geht, kann nicht Aufgabe eines normalen Gerichts sein, janw![...]

Ja, nach der gängigen Konzeption der Aufgaben eines Gerichtes ist das so, und das macht auch viel Sinn. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß diese Konzeption nicht "einfach so" existiert, nicht alternativlos ist und mit dem Problem leben muss, nicht alle Fälle restlos aufklären und mit einem angemessenen Urteil abschließen zu können.
Der Mann, der mit 1,5 Promille den Freund seiner Ex-Partnerin erschießt, bekommt mildernde Umstände wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit, der Mann, dessen seit Jahrhunderten gut lebendes Volk verhungert, weil die Regierung eines anderen Volkes ihnen die Lebensgrundlage raubt oder der Mann, dessen Landsleute und Glaubensbrüder von einem anderen Land terroristisch überfallen und drangsaliert werden, woran sich andere Länder noch beteiligen, und aus Verzweiflung darüber und weil er die Regierungen nicht direkt erreicht, in ihren Ländern eine Bombe legt, wird wegen vielfachen Mordes zu einer sehr langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Beides systemkonforme Urteile, beides Urteile, die ich für richtig erachte, da beides Mord ist und ich Mord nicht billige und das Leid der Hinterbliebenen und der Verletzten sehe. Nur, was ist denn mit der Verzweiflung des Mannes und mit dem zugrundeliegenden Unrecht, sind die wirklich kein mildernder Umstand, wenn andererseits mit Milde belohnt wird, wer sich vor dem Schuss auf den Liebesrivalen Mut antrinkt?
Das ist eine Aporie, vor der unser Rechtssystem hier steht, deren Unübersteigbarkeit auch gut ist - von der mensch aber Kenntnis nehmen sollte.
Natürlich bin ich sehr froh, daß wesentliche Täter (alle wesentlichen?) an dem Massaker von Atocha zu harten Strafen verurteilt worden sind, teils zu den härtestmöglichen, und wünsche den Opfern Frieden, den Hinterbliebenen Trost und den Verletzten jede erdenkliche Hilfe für ihr restliches Leben.

Deine Einwände zu Spaniens "Missetaten" sind einfach nur schlimm. Ich glaube nicht, daß etwa der Trawlerkonflikt die geringste Rolle in diesem Zusammenhang gespielt hat. Abgesehen davon - du als Pazifist und Linker! - was käme denn dabei heraus, wenn die Fischkutter torpediert würden? Wessen Lebensgrundlage würde vernichtet? Wer käme dabei ums Leben? Etwa die Verantwortlichen? Und selbst wenn, wäre das eine Lösung?

Der Konflikt selbst hat wohl keine direkte Rolle dabei gespielt, er ist aber exemplarisch für die Art und Weise, wie Europa, und Spanien besonders, in Westafrika, Nordafrika und im Nahen Osten rüberkommt, zusätzlich zu den Sachen in Irak usw. Mag sein, daß ich mich etwas zu sehr auf die Trawlersache focussiert hatte, aber mit anderen Übergriffen nimmt es sich nichts.
Ich gebe Dir recht, mein
aber ich weiß auch nicht, ob ich es verdammen könnte

klingt akzeptierend bis apologetisch, war aber eher als ein nachdenkliches "wenn die Leute aus den Ländern der Räuberei anders nicht begegnen können, als solche Mittel anzuwenden, würde ich nicht irgendwie das ihnen angetane Unrecht unterstützen, wenn ich ihnen den Gebrauch der Mittel verübeln würde?" gemeint.
Natürlich ist Gewalt für nichts eine Lösung, ganz unabhängig davon, daß sie immer in Gegengewalt mündet. Das ist mein credo, wobei ich damit in kauf nehme, daß manche Opfer von Gewalt ungeschützt und manche Täter unbestraft verbleiben, weil den Opfern die Mittel fehlen, die rechtlichen Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen und weil manches legal ist, das das Gesicht der Gewalt trägt.
Dieses Problem muss ich in kauf nehmen, nehme ich in kauf. Könnte ich das aber in jeder Lage durchhalten, mich nicht von meinen eigenen Gefühlen von Wut und Hass über die von sich gebildet und kultiviert gerierenden Leuten begangenen Sauereien hinreißen zu lassen, in einem Moment anderes zu denken?
Ich denke, ich kann es heute mehr als früher durchhalten...

Natürlich würde die Versenkung der Fischereipiraten vor allem Leute treffen, die selbst nichts zu verlieren haben, Philippinos, Bangladeshi, Pakistani, die für Hungerlöhne die Netze auslegen.
Grund genug, so etwas zu verdammen.

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