Vertrag von Lissabon

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
Karteizombie
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Do 19. Jun 2008, 22:17 - Beitrag #21

Ich denke das Hauptproblem am EU-Bild der Öffentlichkeit ist eben, dass die "EU" für alles Mögliche herhalten muss und eben die Zielscheibe oder Ausrede der nationalen Politik ist. Ein schönes Beispiel sind ja die Paragrafen, die die Norm der Krümmung der Salatgurken regeln. So kam kürzlich aus der Komission die Initiative eben solche "sinnlosen" Paragrafen aufzuweichen. Tatsächlich traten nun wieder die nationalen Regierungen als Verteidiger der Normen auf, denn sie sei ja notwendig, da der Einzelhandel eben nur genormte Gurken effizient in Pappkartons stapeln könne. Jahrelang wird da von den Einzelstaaten gelästert und genörgelt, aber in Wahrheit haben sie sich den ganzen Paragrafen-Salat selbst zu bereitet. :zettel:
Vielleicht sollte die politischen Parteien mal ihre Heuchelei überdenken und aufhören Brüssel den schwarzen Peter zuzuschieben. Wer regelt den bitte die EU? Der Minister-Rat, das Parlament... Der Klassiker: Die europäische "Parteien-Demokratie" :rolleyes:
An sich halte ich die "Verfassung" der EU für nur unwesentlich undemokratischer als die der Bundesrepublik. Bemerkenswerterweise ist unser tolles Grundgesetz eben auch nicht durch Plebiszit angenommen. Man schaue sich dann nur mal den Bundesrat an, der ja an weiten Teilen der Gesetzgebung beteiligt ist, aber im Grunde eben nur eine Abordnung der Landesregierungen. Und im Fall Hessen fehlt da ja die parlamentarische Mehrheit im Land... :crazy:
Gern wird ja übersehen, welchen Einfluss die EU tatsächlich ausübt. Ein schönes Beispiel zum Thema Deutschland ist ja die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, welche Frauen den Dienst bei der Bundeswehr ermöglicht. Hier hat die Legislative der EU eben erkämpft, wozu deutsche Paragrafenreiter eben nicht in der Lage waren, da sie offenbar zu Fest in deutsche Tradition und Politik verwickelt waren. Diese Rolle des quasi Neutralen, der die National-Staaten in Sachen Freihandel, Staatsverschuldung aber eben auch Umweltschutz und Menschenrechte in die Schranken weist, wird von der nationalen politischen Klasse nur mangelhaft vermittelt; im Gegenteil malen sie den Teufel an Wand und schieben Europa den Schwarzen Peter zu, wenn irgendetwas schief läuft.
Gern wird ja übersehen, dass die EU nicht nur Globalisierung sondern auch Abgrenzung bedeutet. So bewahrt vor allem die EU Mittel- und Westeuropa vor der grünen Landwirtschaft, ob das nun gut findet oder nicht. Oder erhält die Zuckerrübe und kanarische Bananenwirtschaft am Leben, obwohl beide nicht konkurrenzfähig sind. Was die "Festung Europa" betrifft, so ist klar, dass das Haus Europa auch einen Keller hat. Jene Grenze, die zwischen Deutschland und Polen abgebaut wurde, wird nun eben zwischen Polen und der Ukraine hochgezogen. Flüchtlingselend wird es sicher auch ohne EU geben.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
Dämmerung
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Di 24. Jun 2008, 09:39 - Beitrag #22

das dürfte ein "halb zog sie ihn, halb sank er hin"-Problem sein, will sagen, EU und Nationalregierungen benutzen sich wechselseitig als Argumentationslieferanten.

Das Grundgesetz der BR Deutschland ist ein Kriegsfolgeprodukt, das es in dieser Form ohne die Kapitulation nicht gegeben hätte, das darf man imo nicht vergessen. Fragen der demokratischen Legitimierung spielten damals möglicherweise nicht die ganz große Rolle gegenüber der Problematik, einer faschistisch geprägten Nation ohne großartige demokratische Traditionen eine Verfassung zu geben, die sich als Bollwerk gegen die schlimmsten Auswüchse totalitärer Tendenzen verwenden lässt. Dass kaum 60 Jahre später im Zuge aufblühender rechts-neoliberaler "Neu"-"Besinnung" der Gesellschaft von dieser Verfassung störende Interferenzen ausgehen würden, konnte damals wirklich niemand ahnen.

janw
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Di 24. Jun 2008, 17:58 - Beitrag #23

"Halb zog sie ihn..." trifft es denke ich wirklich, eines der üblichen Machtspielchen, das eigentlich Wahnsinnige - und vielleicht Verräterische - daran ist nur, daß dies kein Thema in den Medien ist, zumindest nicht an pominenter Stelle, und wenn, dann nur in radikal europaskeptischen Beiträgen und Zusammenhängen.

IMHO geht es ums Durchregieren und um die Verschleierung dessen, daß die EU in weiten Teilen zum Administrationsorgan einiger Lobbygruppen und Konzernzusammenhänge verkommen ist - wenn sie denn je anderes war.

Unilever ist einer dieser Konzerne, und einer, der eigentlich eher kontrolliert gehörte, als daß er Macht erhält. Neben Nestle dominiert Unilever den Nahrungsmittelsektor in Europa und treibt seine Ressourcengewinnung aggressiv voran, u.a. durch Rodung wertvollster Wälder für Palmölplantagen - daß das Projekt in Elfenbeinküste erstmal bis zum Vorliegen einer Umweltverträglichkeitsstudie ausgesetzt ist, bedeutet nur, daß es danach dennoch durchgeführt werden soll, vielleicht mit dem Winkelzug, daß sie Unilever von der ausführenden Firma trennt.

Gern wird ja übersehen, dass die EU nicht nur Globalisierung sondern auch Abgrenzung bedeutet. So bewahrt vor allem die EU Mittel- und Westeuropa vor der grünen Landwirtschaft, ob das nun gut findet oder nicht. Oder erhält die Zuckerrübe und kanarische Bananenwirtschaft am Leben, obwohl beide nicht konkurrenzfähig sind.

Wobei ich die Sache mit der Konkurrenzfähigkeit für nicht gesichert halte - wenn man berücksichtigt, daß Brasilien für die Ausweitung der Zuckerrpoduktion auf noch mehr Campos Cerrados und Regenwälder zugreifen würde, daneben auch Bioethanol produzieren will, Zuckerrohr alles andere als ökologisch und sozialverträglich angebaut wird, ist die Zuckerrübe gar nicht so schlecht - man müsste nur einen Weg finden, Brasilien zu einer ökologischen Lösung seiner Probleme zu verhelfen und zu einer volkswirtschaftlichen Wertzumessung seiner natürlichen Lebensräume in ihrem natürlichen Zustand. Eine Ökosteuer in allen westlichen Ländern, die den Tropenländern zufließt für ihren Dienst, den sie mit ihren Wäldern der Allgemeinheit erbringen...irgendwoetwas müsste möglich sein, wenn man nur wollte.
Und wer je kanarische Bananen gegessen hat, weiß, warum sie etwas teurer sind als die Normware von dole - bzw. auch da: Man verpflichte dole und Chiquita, in ihren Plantagen angemessene Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten, z.B. in dem im Vergleich westlicher Heimatstaat - tropischer Produktionsstaat die jeweils härteren Regelungen gelten - und das Preisgefälle würde sich angleichen.

Wobei...müsste mal nachsehen, ob attac auch schon auf sowas gekommen ist...

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