Diktatorenherbst im nordafrikanischen Winter

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Sa 12. Feb 2011, 12:59 - Beitrag #21

Vielleicht ist es an der Zeit die Blätter zu zählen, die bereits vom Baum gefallen sind.
Nach Ben Ali mit Mubarak bereits der zweite Diktator gestürzt bzw. zuzrückgetreten. Bei den Unruhen in Ägypten wurden ca. 300 Menschen getötet, in Tunesien waren es über 200 Tote.
Der jordanische König hat aufgrund von Protesten die Regierung endlassen und Reformen zumindest angekündigt. Kleinere Zugeständnisse machte auch der seit über 30 Jahren mehr oder minder regierende jemenitische Diktator, indem er angekündigte doch nicht (ganz) auf Lebenszeit zu regieren.
Inwieweit die Erfolge in Ägypten, die Syrer und Algerier in ihrem Vorhaben bestärken werden, wird sich zeigen. Der bislang eher erfolglose Protest in Algerien erzeugt immer neue Stilblüten des öffentlichen Selbstmordes. Zur bekannten Selbstverbrennung nach tunesischen Vorbild kommt eine völlig neue Protestform: Demonstranten ritzen sich auf der Straße mit Rasierklingen die Haut auf.

Lykurg
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Sa 12. Feb 2011, 13:19 - Beitrag #22

Spannend finde ich die sehr differenzierte Berichterstattung in den chinesischen Medien. Die warnen natürlich vor der Unsicherheit, in der die ägyptische Bevölkerung sich jetzt befindet, das chinesische Staatsfernsehen zeigte gestern Bilder von leergefegten Straßen und verbarrikadierten Geschäften. :D

Daß in Tunesien doch (auch) so viele umgekommen sind (bezogen auf die Bevölkerung zumindest) hatte ich gar nicht mitbekommen. Algerien wäre es auch zu wünschen, wobei das Ergebnis nach Bürgerkrieg etc. wohl noch unsicherer ist als in Ägypten. Marokko? Auf meiner Prioritätenliste ganz oben ständen ja Syrien und der Iran, aber das ist wohl nicht zu erwarten angesichts derer Sicherheitsapparate und Erfahrungen. - Eher kippt Saudi-Arabien, und dann sollten wir uns warm anziehen. Bild

Maglor
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Sa 12. Feb 2011, 17:53 - Beitrag #23

Das Bild, das die Medien liefern ist verzerrt. Kairo ist Sitz der Auslandstudios von ARD und ZDF und etliche anderer Journalisten. In Tunis gab es wahrscheinlich gar nicht genug Kamera um jeden kamelreitenden Schlägertypen abzulichten. So ein Unglück wie die Evakuierung der deutschen Nachrichtensender hätte in Tunesien ja gar nicht passieren können, egal wie viele Steine und Molotow-Cocktails durch die Luft fliegen.
Beachtenswert ist an der Stelle noch schlechte Presse für die ägyptischen Umstürzler. Bei den blutigen Entwicklungen in Tunesien wird auf gern die Blumensprache zurückgegriffen, das ganze als "Jasminrevolution" bezeichnet.

In Ägypten melden sich natürlich an jeder Stelle, die Kritiker zu Wort und warnen vor Chaos, Instabilität, Muslimbrüdern und anderen Inkarnationen des Teufels. Wenn man genauer hinsieht, ist die Entwicklung in Ägypten ja weitaus unchaotischer. Mit El-Baradei erhielt der ägyptische Aufstand früh ein Gesicht, das wenigstens so tat, als hätte es eine Führungsrolle. Und das Militär, dass nun in Ägypten, die Macht interiummäßig übernommen, scheint das volle Vertrauen des Volkes zu haben.

Und wie sieht es in Tunesien aus? Der neue Präsident - selbst verständlich "Islamist" - lebte 20 Jahre im Exil und hat wahrscheinlich jeden Bezug zur Realität seiner Heimat verloren. Mit im Team der Übergangsregierung stehen alte Kader der Ben-Ali-Partei. Auf nachdem Ben Ali das Land verlassen, ist Tunesien noch nicht zur Ruhe gekommen. Nun wird fleißig gegen diese Übergangsregierung demonstriert.

Ich glaube nicht, dass Saudi-Arabien und die anderen unerhört reichen Öl-Staaten von dieser Unruhe ergriffen werden. Die Bevölkerung dort leidet nicht unter Massenarbeitslosigkeit und Armut, an der Kleptokratie der Prinzen wird sie zu einem kleinen Teil ja beteiligt. Es ist ein Phänomen armer Länder. Der syrische Diktator hat vielleicht noch Potenzial, er ist vergleichsweise jung und kann mit seinen Machtspielen gegen Israel und Jordanien durchaus noch den lokalen Chauvinismus bedienen.
Ahmadinedschad glaubt für den Sturz Mubaraks und Ben Alis seine eigene Erklärung gefunden zu haben: Das helle Leuchtfeuer der islamischen Revolution!
Innenpolitisch gibt es da durchaus Parallelen. Ahmadineschad sieht sich selbst ebenfalls als ein Vertret sozialer Gerechtigkeiten, der zugunsten des Volkes korrupte Mullah-Bonzen zurechtstutzt. Und Kritiker warfen ihm ja vor, er plane die langsame Verwandlung des Ajatollah-Staates in eine Militärdiktatur.

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So 13. Feb 2011, 06:24 - Beitrag #24

Mein Blick in die Medien liess mich gerade erschaudern. Da bringt Gottschalk in seiner "Abschiedsrede" in Bezug auf seinen Ausstieg zum gestrigen 30-jährigen Jubiläum von "Wetten, dass..." doch glatt unter: "[...] obwohl es mich persönlich schon ein bisschen ärgert, dass Mubarak mich knapp geschlagen hat."

Einmal hat Gottschalt die Sendung nur rund 22 Jahre moderiert (rund 1 Jahr war es Wolfgang Lippert, den Rest moderierte der Erfinder Frank Elstner), Muhbarakl amtierte über 29 Jahre. Insofern ist das "knapp" von Gottschalk m.E. knapp an einer zutreffenden Einschätzung vorbei.
Zudem ehrt es Gottschalt gewiss, sich darüber zu ärgern, wie lange Mubarak amtieren konnte. Aber, selbst wenn es intendiert vielleicht bis vermutlich nur als Scherz gedacht war, befremdet es mich schon, wie sich ein moderierender Entertainer hier als im Wettstreit mit einem despotischen Diktator darstellt.

Maglor
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Mi 23. Feb 2011, 19:56 - Beitrag #25

Algerien: Diktator Bouteflika hat sich dem Druck der Straße teilweise gebeugt. Der seit 1992 geltende Ausnahmezustand wird noch noch dieses Jahr aufgehoben. Der 73-Jährige wird nicht erneut für das Präsidentenamt kanidieren.

Lybien: Im Lande herrscht nun mehr Bürgerkrieg. Das Militär geht mit Flugzeuge gegen Demonstranten vor, die sich teilweise erbeuteter Panzer bedienen. Tausende Flüchtlinge verlassen das Land. Der exzentrische Diktator Gadaffi kennt keine Gnade und erklärte, er sei bereit als Märtyrer zu sterben.
Eine Verbrüderung des Militär mit den Aufständischen wie jüngst in Ägypten, scheint ausgeschlossen. In den Jahrzehnten seiner von panafrikanischem Größenwahn geprägten Herrschaft, scharte Rebellen, Söldner und Terroristen des gesamten Kontinents um sich, deren Schicksal für immer an den Diktator gebunden ist. Siehe auch: Gadaffis Islamische Legion

Bahrein: Die schiitische Bevölkerungsmehrheit des Inselkönigreichs Bahrein rebelliert gegen den sunnitischen König. ach anfänglichen Straßenschlachten gibt sich der König nun versöhnlich.

Ägypten:
Nach der Machtübernahme des Militärs gibt es außenpolitisch erste Anzeichen eines Paradigmenwechsels. Erstmals konnten iranische Kriegsschiffe den bisher für sie gesperrten Suezkanal durchqueren und ins Mittelmeer vordringen. Viel Lärm um nichts, auf jeden Fall aber ein Zeichen, dass das neue Ägypten sich nicht mehr länger von Europa und Amerika hermschubsen lassen wird, sondern eigene Wege geht.

Lykurg
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Do 24. Feb 2011, 01:05 - Beitrag #26

Mir war nicht klar, in wievielen Ländern Gaddafi mit seinen Söldnerheeren Angst und Schrecken verbreitet bzw. zur Misere Afrikas beigetragen hat. Man hätte ihm wirklich schon längst das Handwerk legen müssen, und furchtbar, was da jetzt passiert. Die Szenen sind allerdings grotesk - Gaddafi unter dem Regenschirm im Führerhaus eines alten LKW - ein Kommentator verglich es mit expressionistischen Kurzfilmen der 20er Jahre, bzw. entdeckte etwas Michael-Jackson-haftes darin.

Inwieweit sich in Ägypten wirklich etwas ändert, bleibt fraglich. Zwar ist diese Lockerung gegenüber dem Iran auffällig (eine "Routineübung", die regelmäßig alle 30 Jahre stattfindet?^^), aber die Übergangsregierung weist erhebliche Kontinuität zu Mubaraks Kabinett auf, und das Militär hat dem Verfassungskonvent deutlich gesagt, welche Artikel sie bearbeiten dürfen und welche nicht. Sieht alles nur nach einem Gesichtswechsel aus.

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Do 24. Feb 2011, 17:54 - Beitrag #27

Zitat von gmx.de:Al-Saadi, ein anderer Gaddafi-Sohn, sagte der "Financial Times" (Donnerstag) in einem Telefoninterview , 85 Prozent des Landes seien "sehr ruhig und sehr sicher". Sein Bruder Saif al-Islam arbeite derzeit an einer Verfassung für Libyen. Sein Vater werde künftig als Berater einer neuen Regierung fungieren, sagte Al-Saadi. "Mein Vater wird bleiben als großer Vater, der Ratschläge gibt."
Zitat von Wikipedia:Libyen: Insgesamt werden gut 85 % der Landesfläche von der Sahara eingenommen.
Bild

...und man sollte nicht vergessen, daß Libyen 2010 in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wurde (als einer der vier Vertreter Afrikas).

Maglor
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Sa 26. Feb 2011, 12:55 - Beitrag #28

Gaddafi und Gaddafis Lybien waren trotz oder wahrscheinlich eher gerade wegen der militärischen Abenteuer auf dem afrikanischen Kontinent sehr beliebt. (Immerhin dürfte der eine oder andere Amtskollege sein Handwerk in lybischen Warlord-Schulen erlernen und sich der lybischen Entwicklungshilfe erfreuen.)
Gadaffi ist ründer der Afrikanischen Union, die im letzten Jahrzehnt zunehmed die Aufgaben der UN-Blauhelme auf dem Konitnent übernahm.
Hier mal ein kleiner Einblick in Gaddafis Lebenswerk, die Vereinigung Afrikas, alternativ auch der arabischen Welt oder der Umma. Erinnert ein bisschen an eine Szene aus "Die nackte Kanone".
Statt der Bevölkerung einen bescheidenen Wohlstand zu ermöglichen, finanzierte er mit dem Öl-Reichtum seine machtpolitischen Abenteuer. Ein bedeutender Teil der afrikanischen Staaten hat Gaddafi seine Führungsrolle abgenommen, vielleicht wegen der übergroßen Afrika-Aufnäher auf seinen Uniformen und Abendkleidern. :crazy:
Gadaffis Behauptung, Osama bin Laden sei für den Aufstand verwantwortlich, passt in seine Rolle, als Günstling des Westens im Kampf gegen den Terror, die er seit ein paar Jahren recht überzeugend spielte. Nun hat ihn der Westen seinen neuen besten Freund fallen gelasen wie eine heiße Kartoffel, dabei wurde sogar lybische Anti-Terror-Einheiten von deutschen Beamten ausgebildet.

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Mo 14. Mär 2011, 20:26 - Beitrag #29

Ein neuer Stern ist am Horizont erschienen. Die Öl-Prinzen halten in Heiliger Allianz zu einander. Das Imperium schlägt. Der Frühling ist da.
1.000 saudische Soldaten sind in Bahrain einmarschiert, um dem dortigem König vor dem wütendem Mob zu schützen.
Damit hat die panarabische Revolutionswelle erstmals eine militärische Intervention zur Folge, allerdings noch vor einer tatsächlichen Eskalation. Zuletzt versuche der König von Bahrain seine Untertanen mit großzügigen Geldgeschenken zu beruhigen.

Interessant ist hier auf das Maß, welches die Prinzen anlegen. Die Saudis und ihre Freunde fordern zur gleichen Zeit den "Westen" dazu auf, in Libyien eine Flugverbotszone zu errichten um den Unsturz gegen den unadeligen Revoltionsführer Gaddafi abzusichern. Er ist nunmal kein Abkömmling des Propheten sondern ein "Kaffer".

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Mo 14. Mär 2011, 20:48 - Beitrag #30

Ja, und sein System ist pseudosozialistisch und religionsfeindlich, beides Punkte, die in Saudi-Arabien nicht so richtig gut ankommen.

Inzwischen allerdings erobern Gaddafis Truppen leider das Land zurück - wenn der UN-Sicherheitsrat eine Einigung finden sollte, möge er das bald tun, sonst droht Bengasi ein Blutbad. Ob die arabischen Länder wolh auch aktiv werden würden?

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Mo 14. Mär 2011, 20:58 - Beitrag #31

Die saudische Truppen mögen den Mut haben mit Panzer die Straßen Bahrains aufzuräumen, aber es mit den kampferprobten Panzern und Flugzeugen Libyien, ist doch eine ganz andere Sache, vielleicht dann doch eine Nummer zu groß. ;)

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Do 27. Okt 2011, 19:16 - Beitrag #32

Für seinen flammenden Einsatz für Paprika und Bananen wurde dem tunesische Gemüsehandler und der ehemals lebendiger Fackel Mohamed Bouazizi der Sacharow-Preis für geistige Freiheit des EU-Parlaments verliehen. Seinem leichtendem Beispiel folgten wenigstens 20 Nordafrikaner und Araber, die sich im vergangenen Jahr in Brand setzten.
Über politische Absichten jenes sogenannten Märtyrers ist nichts näheres bekannt. Mittlerweile ist es offensichtlich, dass das Beispiel des Gemüsehändlers von der tunesischen Opposition propagandistisch aufgewertet wurde.

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Mo 4. Feb 2013, 17:16 - Beitrag #33

Die Zeit berichtet unter dem Titel "Die arabische Schande) mit Fokus auf Ägypten und den Tahir-Platz mit dem Sub-Titel:
Auch der Arabische Frühling hat an der Lage der Frauen wenig geändert. Sexuelle Übergriffe und Belästigung gehören für sie noch immer zum Alltag.


Mehr als ein möge sich das möglichst umgehend wirksam ändern fällt mir dazuleider gerade nicht ein.

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Mo 4. Feb 2013, 21:34 - Beitrag #34

Es ist eigentlich auch ganz egal, wogegen man auf die Straße geht, ob gegen Mohamed-Karikaturen, für freien Wahlen, gegen freie Wahlen, gegen den Diktator oder gegen den gewählten Präsidenten, für Fußball, für Hooligans, gegen Amerika, gegen Israel ...

Ganz egal, scheiß-egal, Hauptsache es brennt.
Wenn Mann dabei noch einen Laden plündern und eine Frau schänden darf, warum auch nicht. :(

Maglor
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Mo 8. Jul 2013, 22:03 - Beitrag #35

Auf jeden Winter folgt ein Frühling.
Nach neuerlichem Militärputsch in Ägypten fürchtet der Westen tatsächlich ein islamistischer Mob könne den demokratischen gewählten Präsidenten zurück an die Spitze bringen.
Und die bösen Salafisten boykottieren sogar die Bildung einer Militärregierung, an der sogar unser ägyptischer Lieblings-Opi Baradei beteiligt werden soll.
Schlimm, schlimm ... und die Demonstranten sind jetzt auch endlich wieder die Terroristen. Das ist sicherlich das rechte Signal zur Wende, sei es in der Türkei oder Syrien.

Traitor
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Mo 15. Jul 2013, 21:11 - Beitrag #36

Die Demokratie der Wahl darf natürlich auch bezweifelt werden; legitimer als der Putsch war sie aber sicherlich.

Hauptproblem ist in all diesen Ländern halt, dass es mindestens drei Gruppen gibt - "alte Garden", Islamisten/Islamische und "Liberale". Wovon meistens zwei gegen die jeweils andere zusammenarbeiten und die einzige uns genehme Gruppe keine Mehrheit hat.
Und in Wahrheit ist es natürlich noch komplizierter, da es noch religiöse, ethnische, politische und wirtschaftliche Unterströmungen gibt...

Maglor
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Mo 15. Jul 2013, 21:43 - Beitrag #37

Ja, so einfach ist es nicht mit den Islamisten.
Jüngst bekannten ja auch die Saudis und die Emire Flagge. Sie begrüßten den Regimewechsel und seien hoch erfreut über die Absetzung der böhsen Islamisten. Dass die ägyptischen Muslimbrüder tatsächlich nach demokratischen Regeln spielen wollten, war den Prinzen wohl irgendwie unheimlich geworden. Die Vorzeige-Scharia-Monarchen tun jetzt, als sei Mursi der gefährliche Islamist gewesen.

Der saudische König Abdullah applaudierte der Armee, „die Ägypten aus einem dunklen Tunnel zurückgeholt hat“. Anwar Gargash, der Außenminister der Emirate kommentierte: „Dass sich die Ägypter einer islamistischen Regierung verweigert haben, stellt einen Wendepunkt in der Region dar”. taz.de

Die Fronten sind also gezogen - lieber ein halbsozialistischer Volldiktator als ein islamistischer Halbdemokrat.
Im Sinne der Blumensprache sollte man das ganze den Lotus-Putsch nennen. :crazy:

Traitor
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Sa 20. Jul 2013, 22:50 - Beitrag #38

Solche Berichte zeichnen dann ein geradezu lateinamerikanisches Bild von den wirtschaftspolitischen Zuständen Ägyptens.

Die spannende, wenn auch kontrafaktische, Frage ist für mich, ob sich die Muslimbruderschaft an der Macht hätte halten können, wenn sie einen moderateren und offeneren Kurs gefahren hätte. Während und nach dem Mubarak-Kurs galt sie ja noch als relativ liberal, es wurden (zumindest im naiven Ausland?) recht große Hoffnungen in ein zwar islamisch geprägtes, aber doch demokratisches und rechtstaatliches, Ägypten gesetzt. Dann haben sie aber härter und intoleranter regiert als erwartet und somit wieder einen starken Straßenprotest heraufbeschworen, den sich die Putschisten als Legitimation heranziehen konnten.
Oder wäre der Putsch auf jeden Fall gekommen und eine Handvoll inszenierter Demonstranten hätte auch schon als Legitimation gereicht?

janw
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So 21. Jul 2013, 12:33 - Beitrag #39

Tja, man könnte es so sehen, daß in Ägypten ein ungeschriebenes Gesetz der Demokratie gebrochen wurde: Demonstrationen sind legitim, aber nicht erfolgreich.

Traitor, ich denke, wenn sie sich gemäßigter gegeben hätten, weniger in den Alltag der Menschen hinein regierend, sich mit den Golfstaaten besser gestellt hätten, wäre es vielleucht anders gelaufen. So haben sie sich neben großen Teilen der Bevölkerung auch jene zum Feind gemacht, auf die sie angewiesen waren.

Traitor
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So 21. Jul 2013, 12:59 - Beitrag #40

Dieses Gesetz ist doch schon in vielen anderen Ländern gebrochen. Siehe etwa die hin und her schwankende Macht zwischen Gelbhemden und Rothemden in Thailand. Das Phänomen zeigt sich immer dann, wenn das Militär die eigentliche Macht im Staate ist, aber noch so viel "Anstand" zeigt, nicht im eigenen Namen, sondern dem der Straße, putschen zu wollen.

Meine naive Hoffnung wäre das rückwirkend auch, aber weder bin ich mir sicher, ob das aus ihrer eigenen Perspektive je (auch vor der Wahl) eine Option war, noch, ob das für Militär und Emirate genug gewesen wäre.

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