Erdbeben in Japan; historischer Wert von 8,9

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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So 13. Mär 2011, 14:18 - Beitrag #21

Gut, dass ich nicht zu schnell nach dem Erdbeben hier geschrieben habe. Dann wäre mein Beitrag nämlich im Wesentlichen ein "Das ist ja nochmal gut gegangen, schön, dass die japanische Sicherheitstechnik so wunderbar funktioniert!" gewesen. Und das hätte ja falscher nicht sein können.
Anfangs war nur von Materialschäden und ein paar Verletzten die Rede, jetzt sind es tausende bis zehntausende Tote, große Zerstörungen und zwei Fast-GAUs.

Sicher kann man aber immer noch sagen, dass die Japaner im Vorfeld beeindruckendes geleistet haben. Ohne erdbeben"sichere" Architektur und Tsunami-Warnsystem hätte das auch ein Hunderttausend-Opfer-Beben werden können, diese Dimension ist derzeit wohl auch nach pessimistischen Abschätzungen zum Glück relativ ausgeschlossen.

Dennoch waren aber offensichtlich zahlreiche normale Wohnhäuser nicht auf dem sicheren Stand der Hocharchitektur, und noch schlimmer, Infrastrukturanlagen, Fabriken und Kraftwerke, bei denen es eigentlich zu erwarten wäre.

Bei Fukushima traue ich mir erstmal noch keine qualifizierte Beurteilung zu, die Nachrichtenlage ist zu unsauber. Ein neues Tschernobyl dürfte die Salzwasserflutung verhindert haben, aber das Ausmaß der Verseuchungen und Schwierigkeit der Sanierung dürfte schon noch erschreckend werden.

Für hiesige Medien und Opposition wäre ein GAU ein gefundenes Fressen, das machen sie schon erschreckend offensichtlich.

janw
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So 13. Mär 2011, 14:52 - Beitrag #22

Mir scheint, daß die Beben selbst beherrschbar sind und auch bei diesem besonders starken Beben einigermaßen verkraftet worden wären, gegen die Tsunamis gibt es scheinbar noch keine Mittel.

Ich denke, die Opposition tut das, was die andere Seite bei entsprechender Thematik auch getan hätte. Passiert etwas, das nach Terroranschlag aussieht, ruft die konservative Seite nach mehr Sicherheit.
Hinsichtlich der offensichtlich fehlenden Betroffenheit angesichts des Leids könnte darauf verwiesen werden, daß jenes zu empfinden auch vielen anderen schwer fällt.

009
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So 13. Mär 2011, 15:11 - Beitrag #23

Ich versuche mich mal an einer auf meiner gestrigen Medenrezeotion basierenden Sammlung dessen, was ich als Fakten erachte und einer Kommentierung dessen. Durch Verlinkung belegen wäre gewiss schön, aber irgendwie finde ich da gerade im Wust nichts rechtes bzw. ich erleide da etwas einen information overload.

Das ich diesen Beitrag recht sachlich nüchtern halte heisst übrigens natürlich nicht, dass ich nicht auch betroffen und erschrocken mitfühlend über die Verkettung dieser Katastrophen bin, aber irgendwo geht es mir vor allem auch im die Frage, was ist da genau schiefgelaufen und welche Lehren sind zu ziehen.

Auf einer gewissen abstrakteren eben kann ich manche entsetzt überraschte Betroffenheit auch insofern nicht nachvollziehen, als sich doch recht brutal nüchtern betrachtet nur das verwirklich hat, was als Restrisiko eben schon immer zu denken war (einiges geht schief, dadurch Sicherheitsregeln ausgehebelt, doch mind. Austritt von Radioaktivität).

Aber nun zu den Fakten:

Die japanischen AKWs sind z.B. lt. Tagesschau erbebensicher bis 7,75 bzw. in besonders gefährdeten Bezirken bis 8,25. Das ist löblich, zu hinterfragen ist aber dringend, warum die nicht bis 9,x mind. ausgelegt waren, da die 8,9 (oder gar 9,0 wie ich irgendwo (tm) im Radio hörte) nunmal nicht das allerstärkste bisherige und somit IMHO nicht gänzlich unerwartbares, sondern etwas zu berücksichtigendes war.
Positiv aber: trotz Erdbebenstärke > Auslegung haben die AKWs wohl dank gewisser Sicherheitsreserven das eigentliche Beben mehr oder minder unbeschadet bzw. funktionierend überstanden.

War die AKW-Technik hinreichend sicher gegen Notlagen gefeit? Dazu bspw. der Spiegel:
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, war nach dem Erdbeben nicht nur der Hauptstrom, sondern auch ein Notstromaggregat ausgefallen, was zum Versagen des Kühlsystems geführt habe. Der US-Nachrichtensender CNN zitiert Edano mit der Aussage, die Kühlung des Reaktors laufe "nicht nach Plan". Westliche Experten zeigten sich zutiefst beunruhigt über diese Entwicklung, denn selbst nach einer Schnellabschaltung ist ein Atomreaktor in seinem Inneren noch extrem heiß und muss weiterhin gekühlt werden.

Sollte nicht, gerade wenn man ein AKW schon gegen starke Erdbeben absichert bzw. dafür auslegt zum Notfallszenario auch ein Versagen der öffentlichen Infrastruktur, sprich Unterbrechung der Strom- und Wasserversorgung gehören? Wieso kann offenbar ein einziges ausfallendes Notstromaggregat solche Folgen haben? Müssten nicht, ob der doch maximal erscheinnden Gefahr mindestens 2 Sicherheits-/Rückfallebenenen auch bei der Notsromversorgung existieren? Ist ja schließlich nicht nur ein österreichisches Fernsehzentrum, dass die EM übertragen will sondern etwas potentiell viele Menschen und gar den Planeten gefährdende, weswegen man das doch "etwas" besser absichern müsste. Sowohl bei der (Not-)Stromversorgung als auch bei der Frage, was der Kühlkreislauf aushalten muss.
Bin da kein Experte, aber IMHO tät eine Auslegung "Auch ohne Strom/Wasser von außen Systeme so lange funktionsfähig, dass Reaktor gesichert heruntergefahren weden kann + Sicherheitszuschlag von 100% der Zeit" das mindeste.

Maglor
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So 13. Mär 2011, 15:16 - Beitrag #24

Den tausende Japaner, de die Welle zurück ins Meer gerissen hat, wird die Frage Gau oder Nicht-Gau wahrscheinlich nichts mehr bedeuten.
Vor dem shintoistischem Hintergrund Japans ist es übrigens ein schweres Übel, wenn die Leichen nie gefunden und begraben werden. Dass die Vermissten irgendwo im Pazifik als Fischfutter treiben, ist so ziemlich die schlimmst mögliche Nachricht.

Zum Thema Fakten: Menschen sind nur Ameisen, den Naturgewalten ausgeliefert mit der hoffnungslosen Hoffnung der Sicherhet eines Schwarmes.

e-noon
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So 13. Mär 2011, 15:20 - Beitrag #25

Wohl nicht nur für Shintoisten.

Wie kann es denn passieren, dass man eine Tsunami nicht bemerkt? Wie hoch war die japanische, und warum versagen die Warnsysteme regelmäßig? Sind es Badegäste, die vor allem dadurch in Gefahr geraten, oder reichen sie so weit ins Land, dass man auch beim Einkauf im Supermarkt weggespült werden kann?

009
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So 13. Mär 2011, 16:16 - Beitrag #26

Zitat von e-noon:Wie hoch war die japanische, und warum versagen die Warnsysteme regelmäßig


Mir deucht, es könnte weniger die Frage sein, ob die Warnsysteme versagten, sondern eb überhauot Warnungen mit hinreichend Vorlaufzeit möglich sind.
So lese ich in der Welt
Die Zeitspanne zwischen der Warnung vor dem Tsunami und dem Auftreffen der Welle auf die japanische Küste betrug nur zehn bis 15 Minuten. "Wahrscheinlich war es zu wenig Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen – jedenfalls für sehr viele Menschen", sagt Weny Watson-Wright, Generalsekretärin der Intergovernmental Oceanic Commission. Die UN-Organisation koordiniert weltweit Erdbeben- und Tsunamiwarnsysteme.

[...]

Die Welle, die schließlich auf die Küste traf, war bis zu zehn Meter hoch und riss Hunderte Menschen in den Tod.

[...]

"Die Zerstörung wird groß, wenn die Entfernung zum Land kurz ist", sagt Watson-Wright. Das Warnsystem habe ihrer Ansicht nach gut funktioniert. Die japanische Wetterbehörde sprach die Tsunamiwarnung nur drei Minuten nach dem Erdbeben aus.


Wie ein Prof- für Geophysik gestern im WDR (Radio oder TV weiss ich nicht mehr) meinte, ist bei seriösem vorgehen die Zeitdauer von 3 Minuten, um festzustallen, das und wo es wirkliche Tsunami-Gefahr gibt, de facto nicht wirklich mehr zu unterbieten.

Lykurg
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So 13. Mär 2011, 17:22 - Beitrag #27

Ja, es ist wirklich viel schlimmer geworden als die ersten Nachrichten vermuten ließen. Bild - Die falsche Betroffenheit von Medien und politischen Organisationen hierzulande, verbunden mit dem Versuch, die Ereignisse maximal auszuschlachten, ist eklig.

Trotzdem bleibt, wie Traitor richtig darstellt, daß Baumethoden und Vorbereitung mit Sicherheit unzählige Menschen gerettet haben. Das Tsunamiwarnsystem mag auch noch vielen den Weg aufs Dach ermöglicht haben; eine Vorwarnungszeit von wenigen Minuten ist natürlich chancenlos, wenn die Welle kilometerweit ins Land eindringt und eine breite Wand von Häusern, Autos, Zügen und Schiffen mitschwemmt, etwa hier(3. Bild) das Frachtschiff in der verwüsteten Innenstadt von Kesennuma. Die Wucht des Wassers ist unvorstellbar, davor und vor der zurückweichenden Welle kann man nicht entfliehen (Geschwindigkeit auf offener See bis 800 km/h).

janw
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So 13. Mär 2011, 17:54 - Beitrag #28

Zitat von 009:Die japanischen AKWs sind z.B. lt. Tagesschau erbebensicher bis 7,75 bzw. in besonders gefährdeten Bezirken bis 8,25. Das ist löblich, zu hinterfragen ist aber dringend, warum die nicht bis 9,x mind. ausgelegt waren, da die 8,9 (oder gar 9,0 wie ich irgendwo (tm) im Radio hörte) nunmal nicht das allerstärkste bisherige und somit IMHO nicht gänzlich unerwartbares, sondern etwas zu berücksichtigendes war.
Positiv aber: trotz Erdbebenstärke > Auslegung haben die AKWs wohl dank gewisser Sicherheitsreserven das eigentliche Beben mehr oder minder unbeschadet bzw. funktionierend überstanden.

Das Problem ist, daß ein Punkt auf der Richterskala einer Zunahme der Intensität des Erdstoßes um etwa das 32-fache entspricht, das ist exponentielles Wachstum.
Das bedeutet umgekehrt eine quasi exponentielle Zunahme der baulichen Resistenzmerkmale - und entsprechend der Kosten.
Da wird dann standardmäßig der zu erwartende Schlimmstfall zugrunde gelegt und mit Sicherheitszuschlägen nach oben hin versehen. Das hat auch gereicht. Die Stromversorgung war für die Kraftwerksbauer nicht beeinflussbar - wenn auch IMHO ein Ausfall derselben in ein Erdbebenszenario hätte einbezogen werden müssen. Der Fehler, den sie gemacht haben, war nach meinem derzeitigen Eindruck, die Notstromaggate nicht außerhalb der Reichweite der Flutwelle platziert zu haben.

Wieso kann offenbar ein einziges ausfallendes Notstromaggregat solche Folgen haben? Müssten nicht, ob der doch maximal erscheinnden Gefahr mindestens 2 Sicherheits-/Rückfallebenenen auch bei der Notsromversorgung existieren?

Die redundanten Systeme haben anscheinend bestanden, nur sind sie eben allesamt von der Flutwelle beschädigt worden.

Zitat von e-noon:Wie kann es denn passieren, dass man eine Tsunami nicht bemerkt? Wie hoch war die japanische, und warum versagen die Warnsysteme regelmäßig? Sind es Badegäste, die vor allem dadurch in Gefahr geraten, oder reichen sie so weit ins Land, dass man auch beim Einkauf im Supermarkt weggespült werden kann?

Das Problem ist tatsächlich die Entfernung zum Ursprungsort.
Die Plattengrenze, an der die Beben auftreten, liegt etwa 80 km vor der Ostküste Japans, von dort braucht die Welle etwa 15 Minuten bis zur Küste.
Die Welle ist auf dem Meer kaum zu erkennen, ein bis zwei Meter hoch, im Flachwasser an der Küste baut sie sich dann 10 m oder höher auf und stürzt dann aufs Land, wo dann eben eine riesige Menge Wasser sich ausbreitet, zusammen mit all dem Zeug, das von ihm bereits mitgerissen wurde.
Die Reichweite kann mehrere Kilometer betragen, je nach der Gestalt des Geländes.

janw
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So 13. Mär 2011, 20:20 - Beitrag #29

Zitat von Lykurg:Die falsche Betroffenheit von Medien und politischen Organisationen hierzulande, verbunden mit dem Versuch, die Ereignisse maximal auszuschlachten, ist eklig.

Ist sie, aber so war es schon bei den Hochhäusern in New York, und letztlich werden die Nachrichten ja ständig abgefragt, und wenn der eine Dienst nichts hat, ist der nächste nur einen Klick entfernt. IMHO ein Preis der heutigen Beschleunigung und der Bilder-Verwöhntheit.

Lykurg
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So 13. Mär 2011, 22:56 - Beitrag #30

Natürlich, geliefert wird genau das, was gefragt ist; und prinzipiell gibt es wohl auch bei Gelegenheiten wie dieser kaum die Möglichkeit, zu berichten, ohne das Leid in einer Weise ins Bild zu rücken, bei der man sich dann nachher fragt, inwieweit das vertretbar war. Daran, daß ein grundsätzliches Bildbedürfnis besteht, habe ich keinen Zweifel - ich habe hier ja auch eine Bilderstrecke verlinkt, um spezifische Informationen zu vermitteln. Aber Besuche von Kamerateams in den Notunterkünften und Suchstellen sowie Interviews mit Menschen, die am Tag zuvor ihre gesamte Familie verloren haben, sind meines Erachtens würdelos.

janw
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So 13. Mär 2011, 23:20 - Beitrag #31

Ich gebe Dir recht.
Allerdings hat es diese Interviews auch in New York und Haiti und anderswo schon gegeben, die Medien können es nicht lassen :(

Ich sehe für morgen und die nächsten Tage etwas kommen, was seltsamerweise noch keiner aus Politik und Medien angesprochen hat, ein Runterwetten der japanischen Bonität.
Oder sollten die Finanzmärkte doch etwas besseres zu tun haben...?

Ipsissimus
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Mo 14. Mär 2011, 11:10 - Beitrag #32

angeblich will Japan Milliarden in die Märkte pumpen, vielleicht lässt sich ja der Bonitätsverlust abfangen. Andererseits geht man von Schäden in Höhe von 180 Milliarden Euro bisher aus, das könnte im Rahmen des Wiederaufbaus auch zu einem zumindest nationalen Wirtschaftsboom führen

Lykurg
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Mo 14. Mär 2011, 11:15 - Beitrag #33

Das ist eine naheliegende Möglichkeit, janw, allerdings bedeutet die Verwüstung auch - wenn es nicht zu größeren Austritten von Radioaktivität kommt, und wenn die Stromversorgung möglichst schnell wiederhergestellt werden kann - einen erheblichen mittelfristigen Anschub für Bau- und Zementindustrie, Automobilbau etc. - man kann es auch mit einem großen Konjunkturpaket vergleichen.
Japans Verschuldung ist horrend, aber auch die Leistungsfähigkeit groß - und relativ wenig betroffen, die meistgetroffenen Präfekturen sind eher wenig bevölkert und gehören nicht zu den wichtigsten industriellen Zentren. Kobe war meines Erachtens ein wichtigeres Industriezentrum, aber die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Land waren gering (wobei hier natürlich die Stromversorgung und das Strahlenrisiko die Folgen verschlimmern).

Lesenswert fand ich als Gegenperspektive zur allgemeinen Berichterstattung diesen Beitrag. In Bezug auf Fukushima ist er sicherlich zu unkritisch (außerdem sehr amerikanisch^^), bemerkenswert finde ich aber, daß er auch verdeutlicht, was nicht passiert ist.

janw
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Mo 14. Mär 2011, 21:53 - Beitrag #34

Ipsi und Lykurg, an eine mögliche Konjunktur durch den Wiederaufbau habe ich auch gedacht, aber ich sehe da eben Probleme aufgrund der schon sehr hohen Staatsverschuldung - der Staat wird neue Kredite benötigen, die durch entsprechende Abstufung im Kreditrating überproportional teuer werden können.
Ob die Menschen, deren Häuser zerstört sind, selber noch etwas wieder aufbauen können...?

Daß die wirtschaftlich wirklich wichtigen Gebiete weitgehend unbehelligt sind, von der Stromversorgung und der Infrastruktur abgesehen, sehe ich auch, aber darüber sehen die Leute von Moody's gerne hinweg.

Der Beitrag ist interessant, auch im Hinblick auf das, was er verschweigt - daß nämlich die Gebiete schnell wieder besiedelbar sein müssen, weil anderswo kein Platz ist für die Menschen auf einer überwiegend bergigen Insel, auf der nur die kleinen Küstenebenen besiedelbar sind.
Das wird sehr schwer werden für das Land...

Lykurg
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Di 15. Mär 2011, 00:09 - Beitrag #35

Nun, bisher ist Japan nicht heruntergestuft worden, die Ratingagenturen scheinen also bis jetzt eher über die Zerstörungen hinwegzusehen als über das Stehengebliebene. Stromversorgung würde ich aber für den weit wichtigeren Aspekt halten, weil davon abhängt, ob die Industrieanlagen ihre Produktion wieder aufnehmen können oder es zu massiven Einbrüchen kommt - und dann eben nicht nur regional, etwa die Automobilindustrie in so ziemlich ganz Japan wurde stark gedrosselt, hoffentlich nur kurzfristig.

Eine Bonität auf Höhe Chinas (FAZ) klingt noch nicht nach 'direkt vor dem Zusammenbruch', interessant auch, daß so ein extrem hoher Anteil der japanischen Staatsverschuldung (90%) Binnenschulden sind.

Wer etwas mit eigener Hand wieder aufbauen kann, ist dabei nicht so entscheidend - dafür haben heutige Gesellschaften Arbeitsteilung; und gerade hier ist ja wichtig, daß die Bevölkerungszahl der hauptsächlich betroffenen Gebiete nicht allzu groß ist. Alles natürlich unter GAU-Vorbehalt, und da sind die Nachrichten ja nach wie vor eine Zitterpartie.

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Zur deutschen Innenpolitik: Die Kanzlerin hat ja jetzt verkündet, die Laufzeitverlängerung auszusetzen - ein schwieriger Schritt (meines Erachtens längerfristig falsch), aber angesichts der Stimmung in der Bevölkerung wohl leider unumgänglich. Aber als Sigmar Gabriel heute Angela Merkel "taktische Spielchen mit den Ängsten der Bevölkerung" vorwarf, hätte ich am liebsten etwas nach ihm geworfen... Das ist doch haargenau das, was er tut: Billigste und abscheuliche Stimmungsmache bzw. Ausnutzung jeder Gelegenheit, die sich bietet, so unpassend sie auch sein mag. - Da wurde mir Olaf Scholz mit seinem gestrigen Ausspruch "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, darüber zu diskutieren" richtig sympathisch.

janw
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Di 15. Mär 2011, 00:56 - Beitrag #36

Die interne Verschuldung ist in der Tat interessant, das könnte einiges ändern.
Vielleicht wird der Wiederaufbau über eine Sondersteuer finanziert...

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Ich war sehr erstaunt über Merkels Beschluss, die Äußerungen von Röttgen gestern bei Anne Will haben mir aber schon entsprechende Assoziationen geweckt.
Das Problem ist, daß es nicht gelingt, den Medien zu vermitteln, worin das Neue der neuerlichen Sicherheitsbewertung liegt. Trotz meiner Skepsis gegenüber selbstreferentiellen Systemen, wie der politisch-industriell-gutachterliche Komplex rund um die Kernenergie einer ist, gehe ich mal davon aus, daß die Sicherheitsbewertung aufgrund bestimmter Annahmen an sich tragfähig war, daß es aber eben darum geht, diese Annahmen mehr oder weniger weitgehend neu zu skalieren. Also "Wieviel Restrisiko darf die Kernkraft kosten, gemessen an den möglichen Folgen und an den finanziellen und politischen Kosten des Umstiegs, Thema Leitungen usw.?"

Bemerkenswert, daß nun endlich auch eine Diskussion über europäische einheitliche Sicherheitsstandards in Gang kommt.
Hoffentlich führt es nicht zur Festsetzung des kleinsten gemeinsamen Nenners...

Lykurg
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Di 15. Mär 2011, 02:20 - Beitrag #37

Es wird leider immer schlimmer. Bei der Explosion vorhin in Block 2 von Fukushima wurde der innere Kessel beschädigt, größere Mengen Radioaktivität wurden freigesetzt und es herrscht Nordwind, das gut 200 km entfernte Tokio gerät also in Gefahr. Wenn sich das so bewahrheitet, könnte schlimmstenfalls die größte Evakuierung der Geschichte bevorstehen.

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Nein, da hat die mediale Kritik meines Erachtens recht: es liegt keine neue Sicherheitsbewertung zugrunde, sondern ist ein Einknicken vor der Volksmeinung, weil offenbar eine Panik- oder quasi Lynchstimmung ausbricht. Im Radio hörte ich eben schon, in manchen deutschen Apotheken seien Iodtabletten ausverkauft. Bei aller Liebe, das ist nun wirklich reine Hysterie - aber offenbar meint Angela Merkel, sich dem nicht vollständig entgegenstellen zu können, sondern lieber Zugeständnisse zu machen.

Ich kann diese ganzen 'wir müssen jetzt sofort alle abschalten'-Statements nicht mehr hören. Wie du schon sagst: die Bewertungen, die nach gründlicher Abwägung von Experten getroffen werden, sind nicht schlagartig hinfällig, man kann allenfalls daran prüfen, inwieweit Einzelheiten ungenügend einbezogen wurden, die zu einer Umwertung führen sollten. Hier kommt es aber keinesfalls auf Tage oder Wochen an, dazu ist die Entscheidung auch viel zu folgenschwer.

Abgesehen davon wäre ein deutscher Alleingang natürlich zuwenig und würde uns abhängiger von Importen aus Frankreich und evtl. Tschechien machen, was die Sache nicht eben besser macht; ganz zu schweigen allerdings von den CO2-Folgen, wenn Europa auf Verbrennungskraftwerke zurückginge.

janw
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Di 15. Mär 2011, 03:10 - Beitrag #38

Zitat von Lykurg:Nein, da hat die mediale Kritik meines Erachtens recht: es liegt keine neue Sicherheitsbewertung zugrunde, sondern ist ein Einknicken vor der Volksmeinung, weil offenbar eine Panik- oder quasi Lynchstimmung ausbricht.

Da habe ich mich mißverständlich ausgedrückt, statt Sicherheitsbewertung als Faktumsbegriff meinte ich den Vorgang, also daß die Kraftwerke und die Grundannahmen hinsichtlich der Sicherheit neu bewertet werden sollen.
Die Gründe, dies tun zu wollen, kriegt Merkel den Medien nicht vermittelt und Röttgen auch nur schwer.
Wobei ich allerdings denke, daß diese Betrachtung und Diskussion der Grundannahmen auch so schon längst hätte geführt werden müssen, von Merkel aber im gleichen Maße aus Nähe zu den Interessenverbänden abgelehnt wurde, wie sie jetzt von der Opposition aus wahltaktischen Erwägungen - obwohl, ist Gabriel wirklich nur wahltaktisch atomskeptisch? - als Aufhänger für eine pauschale Lösung genutzt wird.

Im Grunde das alte Problem, daß eine wichtige politische und auch gesellschaftliche Frage zwischen die Räder der politischen Lager gerät.

[quote]Abgesehen davon wäre ein deutscher Alleingang natürlich zuwenig und würde uns abhängiger von Importen aus Frankreich und evtl. Tschechien machen, was die Sache nicht eben besser macht]
Und das ist so ein Punkt, den ich nicht verstehe - warum wurde nicht vorher schon auf einheitliche hohe Sicherheitsstandards in Europa hingewirkt?
Die Möglichkeit einer europaweiten Abkehr von der Kernenergie sehe momentan noch nicht ganz, Frankreich bezieht 3/4 seines Energiebedarfes daraus.
Der Bezug zu höheren CO2-Emissionen wird in der Diskussion kontrovers gesehen, es sieht so aus, daß dieser auf nationaler Ebene besteht, auf globaler Ebene ist die CO2-Einsparung durch Kernkraftwerke aktuell wohl recht gering, wenn ich Mojib Latif richtig verstehe.
So kommen wir von Risiko-Folgenwert - Betrachtungen und Bewertungen von Umstellungsfolgen zu Maßstabsfragen, national, regional vs global, gegen so viel Komplexität raten Blöd und andere dann zu Iodtabletten. Erwartet man anderes, wenn man um den naturwissenschaftlichen Bildungsstand eines größeren Teils der Gesellschaft weiß?

Ipsissimus
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Di 15. Mär 2011, 10:45 - Beitrag #39

diese Sicherheitsüberprüfung hat wohl nur die Notversorgung zum Gegenstand. Ansonsten, was könnte eine dreimonatige Überprüfung großartig an neuen Ergebnissen bringen, die in der seit über 20 Jahren laufenden Dauerprüfung aller deutschen Kraftwerke nicht längst enthalten sind? Wenn man Probleme bei der regulären, ohne Zeitstress ablaufenden, regelmäßig wiederkehrenden Prüfung nicht findet, welche Chancen hat dann wohl so ein Schnellschuss?

Die Diskussion um Kernenergie läuft völlig falsch, "falsch" im Sinne von "an den Sachverhalten komplett vorbei". Aber was soll´s.

janw
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Di 15. Mär 2011, 12:56 - Beitrag #40

Handeln an Sachverhalten vorbei ist doch politisches Grundprinzip^^

Vielleicht geht es weniger um neue Probleme, als um die Frage, was als Problem eingestuft werden soll. Nicht absturzsichere Kuppel, nur ein Schönheitsfehler oder ernsthaftes Problem? Ist das Alter eines alten Reaktors relevant, oder eher dessen tatsächliche Laufzeit - kein Betrieb, kein Verschleiß?
Vielleicht auch die Frage der Betreiber - dürfen solche Anlagen in den Händen von Privatunternehmen sein?
Letztlich auch, was ist uns das Restrisiko wert? Beim Auto gehen Sachen kaputt und kommen Menschen um oder werden verletzt, ein Kohlekraftwerk könnte in Brand geraten mit ähnlichen Folgen in etwas größerem Maßstab. Eine Kernschmelze in einem AKW würde diesem Land so ziemlich den Rest geben.
(Daß ein sofortiger Umstieg auf Kohle einigem mehr auch den Rest geben würde, inklusive noch größeren Teilen von Landschaft in NRW und Brandenburg mit Braunkohlevorkommen, wäre natürlich ebenso einzubeziehen)

Wäre ich Gerhard Löwenthal, würde ich postulieren, die deutsche Anti-AKW-Bewegung werde von Frankreich finanziert^^

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