Franz(iskus) I.

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Lykurg
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Mo 18. Mär 2013, 10:50 - Beitrag #21

Johannes Paul II. hat eben nicht bzw. nicht nur Geistliche besucht, sondern auch Pinochet und dessen Familie, und mit ihnen gebetet. Er hat sich sehr unverbindlich über die Verbrechen geäußert, obwohl er - im Gegensatz zu Chilenen, die ihr Leben riskierten, indem sie bei seinem Besuch öffentlich Zeugnis ablegten - nicht in Gefahr war. Als Pinochet dann 1999 in England verhaftet wurde, hat sich der Vatikan - letztlich erfolgreich - für seine Freilassung eingesetzt. Stützung lateinamerikanischer Diktaturen war also offensichtlich die offiziell verordnete Position der katholischen Kirche - sei es als Schutz gegen den Sozialismus oder aufgrund der Kirchennähe der jeweiligen Regimes.

Die Schuld vieler Vertreter der Kirche in Argentinien ist furchtbar schwerwiegend. Ich habe eine Seite gefunden, die mir hochgradig suspekt ist, da sie stellenweise einen äußerst hetzerischen Tonfall aufweist und der Betreiber offenbar einen unglaublichen missionarischen Eifer hat. Ich vermute trotzdem, daß die hier gegebenen Informationen in etwa stimmen. Sie zeigen, wie enorm viel dort aufzuarbeiten ist, an Verbrechen, an denen Kirchenvertreter direkten Anteil hatten - und es wird eine gewaltige Herausforderung für Franziskus, wenn er sich dem stellt. Zugleich ist angesichts dieser Greuel aber auch zu beachten, daß sich Bergoglio dem Regime nicht in solcher Weise angenähert hat, daß er etwa der Ehrendoktorverleihung fernblieb, so daß keine gemeinsamen Fotos existieren, anders als etwa von JP2 und Pinochet.

Er hat nicht offen widersprochen, das ist schlimm genug. Was er aber getan und unterlassen hat, und unter welchen Rahmenbedingungen das geschah, muß genauer untersucht werden - die argentinische Wahrheitskommission CONADEP scheint sich mehr mit den Opfern als mit den (Mit-)Tätern befaßt zu haben. Damals war das sicherlich notwendig, heute sollte der Mut zu mehr da sein.

Ipsissimus
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Mo 18. Mär 2013, 11:40 - Beitrag #22

Das Problem scheint mir nicht wesentlich dadurch entschärft, dass Bergoglio eventuell unschuldig ist. Da unklar bleibt, ob er sich tatsächlich nicht der Stützung totalitärer Regimes schuldig gemacht hat - und da es zumindest Indizien dafür gibt, die in die andere Richtung zeigen - hätte eine auch nur einigermaßen verantwortungsbewusste Entscheidung darauf verzichten müssen, einen möglicherweise kompromittierten Papst zu ernennen - wenn denn diese Art von Vergehen im Sinne der römischen Kurie bemerkenswert wäre. Ist es aber nicht, denn dann hätte der Mann erst gar kein Kardinal werden dürfen.

Im Grunde ein klarer Hinweis auf die Ignoranz der Kurie gegenüber Aspekten der Menschlichkeit. Selbst dann, wenn sich noch herausstellen würde, dass Bergoglio inhaltlich unschuldig ist, denn das kann auch die Kurie derzeit nicht wissen.

Traitor
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Mo 18. Mär 2013, 17:47 - Beitrag #23

@Lykurg: "Bescheidenheit als Charaktermerkmal" allein ist nur für den Boulevard relevant, wichtig wird es erst, wenn er sie auch bei seinem Anhang durchzusetzen vermag oder zumindest versucht. Mal sehen, was daraus wird.

@taz: Leider scheinen es wirklich zwei jeweils in sich gleich schlüssige, einander ausschließende Interpretationne der Ereignisse zu sein. Überprüfbare Konfliktpunkte sind nur Verbitskys Aussage "die er noch selbst in die Armenviertel geschickt hatte", die explizit den Darstellungen überall sonst, die beiden seien gegen seinen Widerstand und Warnungen dorthin gegangen, widerspricht, und seine Aktennotiz aus dem Außenministerium, zu der ich noch keine freisprechenden Alternativinterpretationen gesehen habe.

@Jan: Zu der Ehrendoktorwürde wäre interessant, wie es andere Institutionen damit hielten.
Einen Indiopapst halte ich wie Lykurg schon allein für demographisch unwahrscheinlich, dann eher ein Afrikaner. Aber ein Einwanderer gerade mal zweiter Generation, der auch noch parallel einen italienischen Pass hat, ist sicher die am wenigsten ortsgebundene Variante.

@Ipsissimus: Ich fürchte, die Kriterien der Kirche sind hier andere. Dem Christentum ist die lückenlose Aufklärung und das ewige Nachtragen von Vergehen, wie es zur modernen Menschenrechtskultur gehört, nunmal fremd.

Ipsissimus
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Mo 18. Mär 2013, 18:23 - Beitrag #24

Zitat von Traitor:Ich fürchte, die Kriterien der Kirche sind hier andere. Dem Christentum ist die lückenlose Aufklärung und das ewige Nachtragen von Vergehen, wie es zur modernen Menschenrechtskultur gehört, nunmal fremd.
das würde ich doch zu gerne mal anhand von Vergehen überprüft sehen, durch die der Machtanspruch der Kirche ernsthaft gefährdet würde^^

janw
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Mo 18. Mär 2013, 23:51 - Beitrag #25

Zitat von Ipsissimus:Im Grunde ein klarer Hinweis auf die Ignoranz der Kurie gegenüber Aspekten der Menschlichkeit. Selbst dann, wenn sich noch herausstellen würde, dass Bergoglio inhaltlich unschuldig ist, denn das kann auch die Kurie derzeit nicht wissen.

[adv.diab.]Nun gilt aber in juristischen Kreisen doch der Bestandsschutz älterer Rechte. Wie alt ist die Menschenrechts-Erklärung?^^
Hilfsweise: ita Sanctum sui generis, ut ecclesia sancta^^

Padreic
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Di 19. Mär 2013, 00:23 - Beitrag #26

Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie viel Aufmerksamkeit der Papstwahl gewidmet wird und ich kann mein Interesse daran auch kaum verhehlen. Das einzige, was wir über ihn als Papst bisher wissen, dass er Gesten der Bescheidenheit und Nähe zu den Gläubigen gezeigt hat. Seine Eignung als Papst wird sich aber natürlich primär darin zeigen, welche Entscheidungen er treffen wird in der Zukunft; das kann uns nur die Zeit zeigen.

Viele der Fakten und Behauptungen, die in den Medien vorgetragen werden, erlauben mehrere Interpretationen. Einige Dingen suggerieren, dass er ein Mann ist, der sich stark am Evangelium orientiert. Ob das etwas positives oder etwas negatives ist, kommt sicherlich auf die Sichtweise an. Fest steht, dass die Maßstäbe des Evangeliums sicherlich nicht mit denen identisch sind, die beispielsweise Ipsissimus vorträgt und die man wohl allgemeiner als eine moderne Form des Humanismus fassen kann. Insbesondere gehört wohl zu den Evangelien, keinen gewaltsamen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu begehen und Vergebung zu üben. In den milderen Interpretationen kann man wohl einen Großteil, wenn vermutlich auch nicht jeden Teil, des Verhaltens des späteren Papstes Franziskus subsumieren. Härtere Interpretationen werden zu dem Urteil kommen, dass er sich als Schweinehund verhalten hat.

So oder so, Sünder sind wir alle (aus katholischer Perspektive). 'Kompromittiert' ist eine Kategorie der öffentlichen Wirkung - relevanter aus katholischer Perspektive dürfte sein, ob Franziskus im Zustand der Sünde lebt (wozu natürlich auch vergangene nicht-bereute Sünden gehören). Zugegeben, die Wirkung eines falschen öffentlichen Signals ist nicht zu unterschätzen. Aber die katholische Kirche hat, ob bewusst oder unbewusst, (in letzter Zeit?) immer wieder die öffentliche Wirkung von bestimmten Signalen unterschätzt oder ignoriert. Das mag aber auch ein heilbringendes öffentlichen Signal sein, öffentlichen Signalen nicht so viel Beachtung zu schenken....

Es ist klar, dass die katholische Kirche nicht immer ihren eigenen Prinzipien treu geblieben ist (im krassesten Ausmaß, mag man sagen). Im Prinzip finde ich aber die christliche Einstellung, dass Vergangenes vergangen ist, wenn es überwunden (bereut) wurde, eine hilfreiche gegenüber den ewigen Nachtragen von "Skandalen" und alten Vergehen.

Übrigens möchte ich noch anmerken, dass ich natürlich das Verhalten, was von der katholischen Kirche zu wesentlichen Teilen an Stützung der Militärdiktatur in Argentinien getätigt wurde, genau wie die Stützung aller möglichen anderen verbrecherischen Regimes in der Geschichte, natürlich erbärmlich. Nebenbei hat sich die katholische Kirche auch entschuldigt für ihr Verhalten zur Militärdiktatur; das mag vielleicht wenig sein, aber mehr als die katholische Kirche in so mancher anderer Frage hinbekommt.

Zur "weltlichen Bescheidenheit" von Franziskus kam mir noch in den Sinn, dass ein gewisses "Asketentum" genauso Zeichen von Arroganz, Hochmut und Strenge sein kann wie von Bescheidenheit und Liebe zur Einfachheit; bisher hab ich den Eindruck, dass es bei Franziskus eher letzteres ist als ersteres, aber mein Eindruck kann natürlich täuschen.

Ipsissimus
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Di 19. Mär 2013, 00:42 - Beitrag #27

geht es hierbei denn um juristische Aspekte, Jan, steht zu befürchten, dass es in Argentinien zur Anklage gegen Bergoglio kommen wird, oder dass die Kirche enteignet wird? Hier geht es um die beanspruchte Eignung als moralisches Vorbild.


Padreic, mit der Bibel zu argumentieren, selbst auch nur mit den Neuen Testament, ist immer riskant, weil sich fast zu jeder Aussage auch das Gegenteil findet. Das Verhalten Jesu bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel ist nicht wirklich dadurch möglich geworden, dass er jegliche Gewaltanwendung per se für verdammenswert hielt. Und hält nicht selbst das bekannte "gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" im Extremfall die Möglichkeit zu passivem Widerstand offen, wenn eben die Gabe an den Kaiser und die Gabe an Gott im Konflikt stehen?

Im Prinzip finde ich aber die christliche Einstellung, dass Vergangenes vergangen ist, wenn es überwunden (bereut) wurde, eine hilfreiche
Was nur dann so funktioniert, wenn dabei ausschließlich die Perspektive des Täters betrachtet wird. Solange noch Opfer leben, die noch unter den Folgen der Taten leiden - und sei es, dass sie einfach nur nicht imstande sind, zu vergeben, denn die Frage, wann sie dazu imstande sind, hängt mitnichten von der Reue des Täters oder allgemein christlichen Maximen ab - solange ist nichts vergangen.

Was da seitens Kurie betrieben wird, ist der Selbstfreispruch. Wie gewöhnlich.

Maglor
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Di 19. Mär 2013, 00:48 - Beitrag #28

Die hier vielfältig beschriebene Südamerika-Politik der Kurie kann zumindest als überwunden gelten. :rolleyes:

Pontifikale Hofhaltung in Havanna in Sichtweite des Christi-Erlöser-Ministeriums
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Huldigung des Pontifex durch den Neo-Kommandante (R.I.P.)
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Lykurg
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Di 19. Mär 2013, 01:58 - Beitrag #29

Dem scheint Benedikts Hand allerdings nicht gut geschmeckt zu haben. Achso, nein, natürlich hat er nur den Ring geküßt, an dem wohl irgendwas dran war.

@Traitor: Es spielt schon eine erhebliche Rolle, wenn man darauf verweisen kann, insbesondere, weil es ein hervorragendes Vorbild ist, dem entgegengesetzt über die Stränge schlagende Bischöfe etc. maßzuregeln wären. (Komischerweise kommt mir da ganz spontan der Name Tebartz-van Elst in den Sinn...) Wenn der Papst Wert auf eine möglichst prunkvolle Ausgestaltung legt, rechtfertigt das auch den Prunk subalterner Kirchenfürsten. Und umgekehrt.

Zustimmung zu Padreics und Traitors Überlegungen hinsichtlich katholischer Sicht auf Sünde/Vergebung. Gegenüber den heute im Westen 'etablierten' nichtreligiösen Sühneritualen (die ja auch in verschiedenen Ländern nochmal deutlich abweichend ausgeprägt sein können, siehe Oprah Winfreys Rolle für 'gefallene Sünder' in den USA) zeichnen sich diese Mechanismen durch eine Privatheit aus, die beim erwartungsvollen Zuschauer fast zwangsläufig einen schalen Geschmack zurückläßt. Aufzulösen ist dies wohl nur durch Mischformen und Zugeständnisse an Zeitgeist und Öffentlichkeit, deren Notwendigkeit zu erkennen und die zu finden Frage des jeweiligen Geschicks ist.

Padreic
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Di 19. Mär 2013, 06:12 - Beitrag #30

@Ipsissimus: Dass der Jesus der Evangelien jegliche Gewaltanwendung abgelehnt hat, wollte ich nicht behaupten. Aber sowohl die Geschichte mit 'gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist' als auch die des Zöllners deuten nicht gerade auf eine geforderte gewaltsame Erhebung gegen die Staatsgewalt hin. Sowohl die Szene mit dem Rauswurf der Händler als auch die mit "Ich bin gekommen, das Schwer zu bringen" sind in einem geistlichen Kontext. Es geht hierbei natürlich nur um eine Tendenz. Daraus abzuleiten, dass ein guter Christ unter keinen Umständen irgendeinen Widerstand gegen irgendeine Staatsgewalt leisten sollte, ginge natürlich deutlich zu weit.

Was nur dann so funktioniert, wenn dabei ausschließlich die Perspektive des Täters betrachtet wird. Solange noch Opfer leben, die noch unter den Folgen der Taten leiden - und sei es, dass sie einfach nur nicht imstande sind, zu vergeben, denn die Frage, wann sie dazu imstande sind, hängt mitnichten von der Reue des Täters oder allgemein christlichen Maximen ab - solange ist nichts vergangen.
Ich sehe natürlich, dass Strafe auch immer den Zweck hat, den Opfern Genugtuung zu geben. Wenn man aber in den Extremfall geht, dass beispielsweise jemand als junger Mann ein schlimmes Verbrechen begangen hat, danach aber alles getan hat, um es ungeschehen zu machen, echte, nicht nur gespielte Reue gezeigt hat; ist denn dann ein Opfer, nur weil es Opfer ist, im Recht, wenn es nach Jahrzehnten noch Genugtuung fordert oder wird es dann nicht selbst dadurch zum Täter?
Das natürlich nur im Extremfall. Mit der echten Reue dürfte es nur in wenigen Fällen weit her sein und die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur wurden sicherlich nicht nur von jungen Männern vollbracht. Gespielte Reue oder auch vollkommene Abwesenheit von Reue machen das Fehlen von Strafe natürlich sehr verständlich und berechtigt.
Bleiben tut aber natürlich immer die Frage: Warum soll man jemanden einsperren, nur weil er ein Verbrechen begangen hat?

Ipsissimus
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Di 19. Mär 2013, 12:20 - Beitrag #31

Davon, das Jesus Gewalt fordert, kann natürlich keine Rede sein. Er scheint diesbezüglich allerdings eine pragmatische Haltung vertreten zu haben - da, wo es aus seiner Sicht notwendig war, hat er kräftig zugelangt. Ich bezweifele auch, dass diese Geschichte exkludierend gedeutet werden muss - dass der Kontext so eindeutig "geistlich" ist, vermag ich nicht zu erkennen, frag mal einen der Händler. Dass es andererseits eine exegetische Tradition gibt, diese und andere Szenen oder Aussagen so zu deuten, als seien sie rein auf den "geistlichen" Kontext bezogen, ist unbestritten. Das Konzept, sich die Deutung zu suchen, die zu den eigenen Absichten passt, ist aber auch schon länger bekannt^^

Wenn man aber in den Extremfall geht, dass beispielsweise jemand als junger Mann ein schlimmes Verbrechen begangen hat, danach aber alles getan hat, um es ungeschehen zu machen, echte, nicht nur gespielte Reue gezeigt hat
Na ja, ich bezweifele, dass derartige Reue allzu gehäuft auftritt. Schon eher erscheint mir da das Verhalten vieler ehemaliger SS- oder Wehrmachtsangehöriger als vorbildlich - nicht im Sinne moralischer Wünschenswertheit, sondern im Sinne von "das machen die meisten so" - also verdrängen, abstreiten, "ist was passiert"?

Aber selbst, wenn ich das beiseite lasse, berücksichtigt dies nur die Perspektive des Täters. Und es mutet dem Opfer einen abermaligen Zwang zu: Der Täter hat bereut, wie kann es das Opfer wagen, dann nicht auch mit der Geschichte abzuschließen? Die alte Einsicht, dass in einer Sekunde zerschlagen werden kann, was Jahrzehnte zum Wachstum brauchte - die Kirche hat dafür nur ein Schulterzucken übrig. Eine Beichte, eine Absolution, schon ist alles gut.

Das ist zu billig.

Es ist der Täterblick, den die Kirche hofiert. Den Blick der mächtigen Männer in ihren Reihen, die dem Rest der Welt erklären, wie der Rest der Welt die Welt zu interpretieren hat. Das Opfer hat vor allem demütig zu sein. Wie praktisch, in einer Welt, in der die Oligarchen angeblich die Diener aller sind.

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Di 19. Mär 2013, 15:54 - Beitrag #32

Die Kirche ist groß genug, um beide Perspektiven zu vereinnahmen. Sie ist für die Opfer da, aber auch für die Täter. Sie wird sich also auch ihrer eigenen Schuld stellen müssen, weitergehend als das bislang bereits geschehen ist. Sie kann aber zugleich auch auf positive Beispiele verweisen und diese ehren.
Zitat von Spiegel online:Am Dienstag berichtete zudem die italienische "Stampa", dass der neue Papst mit der Seligsprechung eines argentinischen Märtyrers demnächst ein Zeichen setzen werde. Bereits im Mai 2011 hatte er demnach Vorbereitungen dafür getroffen, dem Geistlichen Carlos de Dios Murias diese Ehre zukommen zu lassen. Der Franziskanermönch war 1976 in der argentinischen Provinz Roija gefoltert und von den Schergen des Regimes getötet worden.

Ipsissimus
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Di 19. Mär 2013, 16:09 - Beitrag #33

Als ein positives Beispiel würde ich es werten, wenn ein Bischof, der Menschen der Folter zugeführt oder zwecks Vermehrung kirchlichen Reichtums die Enteignung von Grundbesitz kleiner Bauern betrieben hat, seitens der Kirche demaskiert, seiner Ämter und Würden enthoben und der Staatsanwaltschaft überführt würde. Ob er danach noch beichten dürfte und zwecks Absolution drei Vaterunser beten müsste, oder ob er zusätzlich exkommuniziert würde, wäre mir dann auch egal.

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Di 19. Mär 2013, 17:35 - Beitrag #34

Die meisten Bischöfe von damals werden wohl nicht mehr leben. Ich habe z.B. den Eindruck (durch ein bißchen Querrecherche, die deutsch- und englischsprachige Wikipedia gibt das noch nicht so her), daß die beiden Vorgänger Borgoglios als Erzbischöfe von Buenos Aires regimenah waren, nur stehen sie mittlerweile vor einem anderen Richter. Die Argentinier sollten sich beeilen, wenn sie noch ein paar maßgeblich Verantwortliche drankriegen wollen - jetzt scheint mir die Gelegenheit günstig.

Inwieweit die Kirche direkt von Enteignungen profitiert hätte, kann ich schlecht einschätzen, halte es aber für weniger wahrscheinlich; wenn, eher mittelbar. Verstrickung in Morde und Kindsverschleppungen sind allerdings offenbar belegt.

janw
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Di 19. Mär 2013, 23:33 - Beitrag #35

Zitat von Ipsissimus:geht es hierbei denn um juristische Aspekte, Jan, steht zu befürchten, dass es in Argentinien zur Anklage gegen Bergoglio kommen wird, oder dass die Kirche enteignet wird? Hier geht es um die beanspruchte Eignung als moralisches Vorbild.

Ich bezog mich mehr auf die Schuld-Begrifflichkeit.
Aber letztlich könnte man adv. diab auch in moralischer Hinsicht einwenden, daß santa ecclesia eben sui generis sei, primär nicht darauf angelegt, zu gefallen, das heutige auf eine Vorbild-Rolle ausgerichtet sein bzw. fixiert werden ein Mißverständnis auch der eigenen Leute, die gefallen wollen, nach Aufmerksamkeit streben.
Ist es nicht letztlich eher ein Problem, daß "wir" dieser Organisation und ihren Vertretern überhaupt noch Raum geben, und dann noch diesen besonderen, den sie in diesem Lande hat, statt sie eben als das zu behandeln, was sie ist?

Es mag so vieles Vorbild sein wollen, aber ist es nicht letztlich der wesentliche Zug des freien Menschen, zu erlauben, was ihm Vorbild sein darf?

Maglor
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So 24. Mär 2013, 15:46 - Beitrag #36

Was soll diese ganze Debatte über seine Vergangenheit, viel wichtiger ist doch, dass Papst Franz I. keine rote Schuhen trägt.
Damit ist er schon mal eindeutig ein besserer Mensch als (wie) ich. :crazy:

janw
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So 24. Mär 2013, 16:37 - Beitrag #37

Immer noch besser als blue suede shoes :cool:

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So 24. Mär 2013, 21:43 - Beitrag #38

Und daß er seine Zeitung abbestellt hat. ;)

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Di 9. Jul 2013, 08:59 - Beitrag #39

Franziskus' erste Reise aus Rom heraus geht nach Lampedusa, wo er ein Auffanglager der Bootsflüchtlinge besucht hat. Rote Schuhe trägt er übrigens immer noch nicht (und seine schwarzen sollen ziemlich ausgelatscht sein^^).

janw
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Di 9. Jul 2013, 10:18 - Beitrag #40

Die Schuhe sind schwarz, das zählt^^

Beeindruckend, das muss alljenen in den Ohren klingeln, die sonst stets die Christlichkeit Europas betonen.

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