Johannes Paul II. hat eben nicht bzw. nicht nur Geistliche besucht, sondern auch Pinochet und dessen Familie, und mit ihnen gebetet. Er hat sich sehr unverbindlich über die Verbrechen geäußert, obwohl er - im Gegensatz zu Chilenen, die ihr Leben riskierten, indem sie bei seinem Besuch öffentlich Zeugnis ablegten - nicht in Gefahr war. Als Pinochet dann 1999 in England verhaftet wurde, hat sich der Vatikan - letztlich erfolgreich - für seine Freilassung eingesetzt. Stützung lateinamerikanischer Diktaturen war also offensichtlich die offiziell verordnete Position der katholischen Kirche - sei es als Schutz gegen den Sozialismus oder aufgrund der Kirchennähe der jeweiligen Regimes.
Die Schuld vieler Vertreter der Kirche in Argentinien ist furchtbar schwerwiegend. Ich habe eine Seite gefunden, die mir hochgradig suspekt ist, da sie stellenweise einen äußerst hetzerischen Tonfall aufweist und der Betreiber offenbar einen unglaublichen missionarischen Eifer hat. Ich vermute trotzdem, daß die hier gegebenen Informationen in etwa stimmen. Sie zeigen, wie enorm viel dort aufzuarbeiten ist, an Verbrechen, an denen Kirchenvertreter direkten Anteil hatten - und es wird eine gewaltige Herausforderung für Franziskus, wenn er sich dem stellt. Zugleich ist angesichts dieser Greuel aber auch zu beachten, daß sich Bergoglio dem Regime nicht in solcher Weise angenähert hat, daß er etwa der Ehrendoktorverleihung fernblieb, so daß keine gemeinsamen Fotos existieren, anders als etwa von JP2 und Pinochet.
Er hat nicht offen widersprochen, das ist schlimm genug. Was er aber getan und unterlassen hat, und unter welchen Rahmenbedingungen das geschah, muß genauer untersucht werden - die argentinische Wahrheitskommission CONADEP scheint sich mehr mit den Opfern als mit den (Mit-)Tätern befaßt zu haben. Damals war das sicherlich notwendig, heute sollte der Mut zu mehr da sein.