Der Vorteil dieser Betrachtungsweise ist, dass man fast nie bei schwarz-weißen "komplett unschuldig"- oder "ausschließlich Schuldiger"-Urteilen landet. Der Nachteil ist, dass man fast immer schwierige Abwägungen zwischen relativer Schuld und relativem Verdienst durchführen muss und die Beurteilung nur nach der Bilanz, nicht nach den Absolutwerten, zu ziehen hat.
Gesellschaftsverträge sind eine erschreckend implizite Sache, ja. Es gibt aber durchaus eine unterschriftsäquivalente Aktion des Volkes - der tägliche Verzicht auf Revolte. Solange die nicht erfolgt, scheint naheliegend, dass dem Volk jegliche Übertretungen des Staates als weniger schlimm erscheinen als seine Sicherung ihres Lebensstandards als notwendig. Und die Übertretungen statt insgesamt per Revolte nur einzeln mit den systeminternen Mitteln bekämpfen möchte (oder gar nicht, dann hat es aber halt Pech) - z.B. Veröffentlichung und Empörung.
Dass der Staat "zu gewissen Übertretungen legitimiert" sei, soll aus meiner Warte auch nur heißen, dass grundsätzlich die Möglichkeit solcher Übertretungen im Rahmen des Gesellschaftsvertrags ist - keinesfalls, dass er selbst entscheidet, welche Übertretungen legimitiert sind. Das muss letztlich Entscheidung des Volkes sein (wenn auch nur indirekt per Wahlen und Nichtrevolte). Idealerweise werden Übertretungen vorher per Gesetz geregelt und somit vorab vom Volk (indirekt) abgesegnet. Nur in Ausnahmesituationen darf eine Übertretung kurzfristig am Gesetz vorbei vorgenommen werden (militärische, polizeiliche, geheimdienstliche Aktionen hoher Dringlichkeit), aber dann muss sie zeitnah bekannt gemacht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden - überprüft, ob der Nutzen dieser Aktion größer war als ihr Schaden, wobei die grundsätzliche Übertretung des korrekten Prozedere in den Schaden einzurechnen ist.
Schöner Vergleich, der auch zeigt, dass man unser gerne rausgeholtes "die USA sind kein Rechtsstaat" relativieren muss zu "die USA entsprechen nicht dem Idealbild eines Rechtsstaats" - halbwegs nahe dran sind sie aber schon noch, selbst die in vielen Aspekten mehr als fragwürdige Behandlung Mannings ist doch noch weit von einem Standgericht und sofortiger Erschießung entfernt.Zitat von Padreic: P. S. Die Mafia hätte Manning sicherlich keine 35 Jahre gegeben, nichtmal 35 Tage hätte er gehabt...