Urteil gegen Manning

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 25. Aug 2013, 11:23 - Beitrag #21

@Ipsissimus: Kein Axiom, aber eine direkte Folgerung aus den Axiomen meines Schuldbegriffes - Schuld lädt jedes (prinzipiell) verantwortungsfähige Wesen auf sich, das eine Kausalkette mit (auch nur teilweise, nichtmal unbedingt überwiegend) negativen Folgen in Gang setzt oder deren Richtung beeinflusst.
Der Vorteil dieser Betrachtungsweise ist, dass man fast nie bei schwarz-weißen "komplett unschuldig"- oder "ausschließlich Schuldiger"-Urteilen landet. Der Nachteil ist, dass man fast immer schwierige Abwägungen zwischen relativer Schuld und relativem Verdienst durchführen muss und die Beurteilung nur nach der Bilanz, nicht nach den Absolutwerten, zu ziehen hat.

Gesellschaftsverträge sind eine erschreckend implizite Sache, ja. Es gibt aber durchaus eine unterschriftsäquivalente Aktion des Volkes - der tägliche Verzicht auf Revolte. Solange die nicht erfolgt, scheint naheliegend, dass dem Volk jegliche Übertretungen des Staates als weniger schlimm erscheinen als seine Sicherung ihres Lebensstandards als notwendig. Und die Übertretungen statt insgesamt per Revolte nur einzeln mit den systeminternen Mitteln bekämpfen möchte (oder gar nicht, dann hat es aber halt Pech) - z.B. Veröffentlichung und Empörung.
Dass der Staat "zu gewissen Übertretungen legitimiert" sei, soll aus meiner Warte auch nur heißen, dass grundsätzlich die Möglichkeit solcher Übertretungen im Rahmen des Gesellschaftsvertrags ist - keinesfalls, dass er selbst entscheidet, welche Übertretungen legimitiert sind. Das muss letztlich Entscheidung des Volkes sein (wenn auch nur indirekt per Wahlen und Nichtrevolte). Idealerweise werden Übertretungen vorher per Gesetz geregelt und somit vorab vom Volk (indirekt) abgesegnet. Nur in Ausnahmesituationen darf eine Übertretung kurzfristig am Gesetz vorbei vorgenommen werden (militärische, polizeiliche, geheimdienstliche Aktionen hoher Dringlichkeit), aber dann muss sie zeitnah bekannt gemacht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden - überprüft, ob der Nutzen dieser Aktion größer war als ihr Schaden, wobei die grundsätzliche Übertretung des korrekten Prozedere in den Schaden einzurechnen ist.

Zitat von Padreic: P. S. Die Mafia hätte Manning sicherlich keine 35 Jahre gegeben, nichtmal 35 Tage hätte er gehabt...
Schöner Vergleich, der auch zeigt, dass man unser gerne rausgeholtes "die USA sind kein Rechtsstaat" relativieren muss zu "die USA entsprechen nicht dem Idealbild eines Rechtsstaats" - halbwegs nahe dran sind sie aber schon noch, selbst die in vielen Aspekten mehr als fragwürdige Behandlung Mannings ist doch noch weit von einem Standgericht und sofortiger Erschießung entfernt.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4280
Registriert: 25.12.2001
So 25. Aug 2013, 20:53 - Beitrag #22

Zitat von janw:Das Ende des Römischen Reiches wird von einigen auch mit Vernachlässigung der eigenen Werte in Verbindung gebracht, mir drängen sich im Bezug auf usa manchmal Parallelen auf.

Welche Art von Verwahrlosug der eigene Werte erkennst du im konkreten Fall?
Dass im Krieg auf Menschen geschossen wird, hat Tradition, der Verrat von Geheimnissen nicht. Bei den erschossenen Jorunalisten handelt es sich nicht um Amerikaner oder Europäer. Dass ihre Kameras für Waffen gehalten wurden, erscheint glaubhaft.
Zynische Kommentare beim Schusswechsel auf unterlegene Gegner sind nicht für die Öffentlichkeit. In früheren Konflikten wurden so etwas nicht aufgezeichnet.
Die moralische Verwahrlung liegt auf seiten Mannings, der mit den Werten der USA bricht. Es kann keine Gnade für Indianer, Konföderierte, Kommunisten oder eben Taliban geben.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 26. Aug 2013, 12:28 - Beitrag #23

die Manning'schen Unterlagen bezogen sich allerdings bei weitem nicht alle auf aktuelle Vorgänge, Padreic. Mehr noch, es wäre überflüssig gewesen, sie überhaupt zu veröffentlichen, wenn es ein vertrauenswürdiges, transparentes Verfahren gäbe, anhand dessen klar wäre, dass seitens Regierung und/oder Armeeführung die ernstzunehmende Absicht besteht, verbrecherischen Aktivitäten von Staatsbediensteten im Dienst und von Dienst wegen oder sogar im Auftrag der Regierung / Militärführung nachzugehen. Man kann stattdessen das, was die US-Regierung da teilweise macht, durchaus als Vertuschung und somit Beihilfe zu Kriegsverbrechen auffassen. Und da gibt es meiner Auffassung nach eigentlich gar keine Kompromiss-Möglichkeiten mehr. Zumindest intern muss darauf vertraut werden können, dass Verbrechen geklärt werden. Offenbar verfügte Manning über Informationen, die genau das in ein fragliches Licht stellten.

Stell dir doch einfach mal vor, die Soldaten in den amerikanischen Foltergefängnissen im Irak wären nicht so blöd gewesen, Fotos zu machen und weiterzuleiten. Dann hätte es niemals eine Aufarbeitung gegeben, und unsere Medien würden immer noch davon schwallen, wie korrekt sich die US-Army im Irak verhalten habe.

bzgl. der Mogadischu-Aktion gibt es übrigens durchaus Interpreten, die das nicht als Befreiungsaktion interpretieren, sondern als Statement des Staates, der sich nicht erpressen lässt und dafür auch Tote in Kauf nimmt. Dass es diese Toten nicht gab, war eher dem Zufall in Form mehrerer nichtzündender Handgranaten zuzuschreiben, die Passagiere waren komplett verkabelt.


Traitor, dann verwendest du den Schuld-Begriff so, wie ich den Begriff der "Verantwortung" verwende. Mag nur ein gradueller Unterschied sein, aber "Schuld" ist für mich moralisch konnotiert, "Verantwortung" bezeichnet einen kausalen Zusammenhang. Wobei es noch mal eine eigene Betrachtung wert wäre, was aus "Verantwortung" eigentlich folgt.

... eine unterschriftsäquivalente Aktion des Volkes - der tägliche Verzicht auf Revolte ...
dachte ich mir schon^^ oder auch: wählen gehen, allein schon in einem Land leben. Es ist in der Tat ungemein praktisch, ausbleibende Gegenmaßnahmen als Zustimmung auszulegen, selbst wenn nur ein gebrochenes Rückgrat dahinter stecken sollte^^

das aber nur am Rande, der generelle Einwand gegen die von dir vorgesehene Verwendungsweise eines "Gesellschaftsvertrages" besteht in seinem impliziten Gehalt, der es eben nicht erlaubt, damit explizite Verbindlichkeiten zu begründen, die über die in Verfassung und Gesetzen explizit festgelegten Verbindlichkeiten hinaus gingen.


Die Mafia hätte Manning sicherlich keine 35 Jahre gegeben, nichtmal 35 Tage hätte er gehabt...
mag sein, zeigt aber nur, dass es immer noch schlimmer geht ... wenn das die Vergleichsgröße sein soll, nun gut^^ davon abgesehen, wenn ein Staat so etwas beschließt, wäre es auch legal^^

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4280
Registriert: 25.12.2001
Mo 26. Aug 2013, 18:48 - Beitrag #24

Zitat von Ipsissimus: Stell dir doch einfach mal vor, die Soldaten in den amerikanischen Foltergefängnissen im Irak wären nicht so blöd gewesen, Fotos zu machen und weiterzuleiten. Dann hätte es niemals eine Aufarbeitung gegeben, und unsere Medien würden immer noch davon schwallen, wie korrekt sich die US-Army im Irak verhalten habe.

Niemals ist da sicherlich falsch, richtig ist, dass die Öffentlichkeit eventuell erst Jahrzehnte später erfahren hätte.
Die Material über den Beitrag der CIA zum Sturz des pesischen Premiers Mossadegh wurde auch erst 60 Jahre später veröffentlicht. Über Täter und Opfer ist dann buchstäblich schon Gras gewachsen.

Vorherige

Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste