Dalai Lama: Ex-Despot wird zum Superstar?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Di 1. Apr 2008, 23:02 - Beitrag #41

Dunkel erinnere ich irgendwoher, daß Tibet vor dem Mongolensturm ein durchaus eigenständiges Großreich war

Und Äthiopen war zu Zeiten von Autraliopithecus das führende Land unseres Planeten..... :rolleyes:
Ich bin für die Restauration der Lucy-Monarchie!!!

janw
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Di 1. Apr 2008, 23:44 - Beitrag #42

Zitat von Maglor:Also ich erinnere mich an eine Zeitungsnachricht vor vielen Jahren als der neue Panschen Lama wiedergeboren. Gab es da nicht irgendwie zwei Kanidaten? Eine der Chinisen und einen der Inder, äh Exil-Tibeter.
Die nicht dynastische Wiedergeburt der tibetischen Monarchen könnte der Vorteil Chinas sein. Wenn der jetzige Dalai Lama irgendwann doch ein mal ins Gras beißen sollte, können die regime-treuen Lamas einfach ein Kind zum neuen Dalai Lama ernennen und entsprechend zurecht erziehen.

Und das werden sie tun. Und sie werden die spirituell im Stich lassen, die ihn nicht anerkennen, weil er eben nur oktroyiert ist. Wenn sie sie nicht sogar verfolgen werden, was ich für wahrscheinlicher halte.

Es sagt schon viel aus, dass unser bösartiges Fremdwort Bonze aus dem Japanischem? stammt und eine gewisse Gruppe von Mönchen bezeichnet.

Buddhistisch und Zen-buddhistisch ist nicht exakt dasselbe ]Neulich habe ich mal eine Dokumentation über die thailändische Küche gesehen. War auf Arte, sehr interessant.[...]
Und am einem komischen buddhistischen Feiertag, bastelt die Familie Bäumchen, die sie mit großen Geldscheinen behängt und schenkt sie den Mönchen. (Die natürlich keiner Form der Erwerbsarbeit nachgehen.) [/QUOTE]
Dafür können die Mönche ihre Zeit und Lebenskraft darauf verwenden, spirituell für die Gläubigen zu wirken und zur Befreiung aller fühlenden Wesen beizutragen.
Das entscheidende ist dabei, daß die Gabe nicht erzwungen wird.

Zitat von Ipsissmus:Die einzige harmonische Lösung, die mir einfällt, besteht darin, dass man diese Menschen sich selbst überlässt.

Hm, aber wäre das für Menschen wirklich harmonisch, die zutiefst im Glauben verwurzelt sind?

Maglor
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Mi 2. Apr 2008, 10:04 - Beitrag #43

Zitat von janw:Dafür können die Mönche ihre Zeit und Lebenskraft darauf verwenden, spirituell für die Gläubigen zu wirken und zur Befreiung aller fühlenden Wesen beizutragen.
Das entscheidende ist dabei, daß die Gabe nicht erzwungen wird.

Tja, wer weiß wie das in der kurzen Zeit der Monarchie der Dalai-Lama-Bande war. ;)
Religionen in den lebendige Menschen angebetet werden, die sicht nicht zufällig Maglor nennen, sind mit zumindest nicht ganz geheuer. :rolleyes:

Interessieren würde mich die Verfassung des alten Tibets. (Wahrscheinlich hatte sie ja keine.) Der Dalai Lama wird ja in den Medien gerne mal als "geistliches Oberhaupt der Tibeter" bezeichnet; ist dies überhaupt korrekt? Immerhin scheint es ja noch andere mächtige Lamas zu geben und der Dalai Lama war ja eigentlich doch auch das weltliche Oberhaupt der Tibeter, quasi Papst und Kaiser in einem einzigen kindlichen Körper gefangen!
Interessieren würde mich noch, welche Einfluss heutige tibetische Lamas auf den mongolischen Buddhismus haben.
Danke, Ipsissimus für deine kommende Belehrung. :)

Ipsissimus
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Mi 2. Apr 2008, 11:41 - Beitrag #44

Maglor, du meinst wahrscheinlich den Karmapa-Konflikt. Der Karmapa ist für die Kagyü-Linie dasselbe, was der Dalai Lama für die Gelug-Linie ist. Er wird auch genauso wie der Dalai Lama durch ein Tulku-Verfahren gefunden (also durch eine Kommission hoher geistlicher Würdenträger, die vom Alter her geeignete männliche Kinder darauf untersuchen, ob sie evtl. die Reinkarnation des vorherigen Karmapa sind). Nach dem Tod des 16ten Karmapa wurden von zwei Kommissionen (einer mit exiltibetischen und einer mit in Tibet verblieben Kagyü-Würdenträgern) zwei verschiedene Karmapas inthronisiert (der exiltibetische Karmapa Thaye Dorje wurde dabei in einer Nacht-und-Nebel Aktion von Nydal und ein paar Unterstützern außer Landes gebracht, was für erhebliche politische Unruhe sorgte).

Beide Karmapa genießen die Unterstützung renommierter Kagyü-Würdenträger. Der von China favorisierte Karmapa Urgyen Trinley Dorje wurde zudem vom Dalai Lama als legitimer Karmapa bestätigt (sic! - China und Dalai Lama ziehen hierbei an einem Strang). Im Westen hat der exiltibetische Karmapa mehr Anhänger, insgesamt kann man jedoch sagen, dass diese Geschichte die Kagyü-Linie in die bislang nicht ausgeräumte Gefahr eines Schisma gestürzt hat und bis heute weltweit für erbitterte Auseinandersetzung innerhalb der Kagyü-Anhänger sorgt.

Das heißt aber auch, dass es nicht gar zu schnell zugehen sollte, spirituellen Verrat u.dgl. zu unterstellen. Wenn es Nydals Aktion nicht gegeben hätte, wäre der "chinesische" Karmapa der einzige, und die Kagyü-Würdenträger, die ihn unterstützen, sind bei weitem nicht nur in den Reihen der in Tibet verbliebenen "regimetreuen" Lamas zu finden, von seiner Unterstützung durch den Dalai Lama nicht zu reden. Man muss klipp und klar sagen, dass beide Karmapa die formalen Voraussetzungen erfüllen. Und wenn man dem chinesischen Kandidaten vorwirft, Spielball der chinesischen Politik zu sein, muss man es auch dem exiltibetischen Kandidaten vorwerfen, Spielball westlicher und exiltibetischer Politik zu sein.

Seine Exzellenz Beru Khyentse Rinpoche kam daher schon frühzeitig zu dem Schluss, dass beide Karmapa als legitim zu erachten seien und die Frage des Linienhalters anhand ihrer spirituellen Leistungen post facto entschieden werden solle, eine mir sympathisch gelassene Haltung, die das Schisma vielleicht verhindern könnte, würde sie denn von den Hitzköpfen beider Seiten zur Kenntnis genommen werden.

/edit der Dalai Lama "gilt" als weltliches Oberhaupt Tibets. Tatsächlich ist die Rolle des Panchen Lama wesentlich bedeutsamer, sowohl in spiritueller als auch in politischer Hinsicht. Zum einen ist er in Zeiten schwacher Dalai Lamas oder in Zeiten, in denen die Dalai Lamas noch zu jung sind oder erst gefunden werden müssen das faktische Oberhaupt. Zum anderen ist er der Ausbilder des Dalai Lama und dafür verantwortlich, dass dieser sich entlang der Vorgaben des tibetischen Mönchsbuddhismus entwickelt, was umgekehrt wieder heißt, dass er den größten denkbaren Einfluss auf die Richtung hat, die der zukünftige Dalai Lama nimmt. Alles das geht nicht mit irgendeiner Verfassung einher, es ist seit ungefähr dem 14ten Jahrhundert infolge der Wertschätzung der mongolischen Herrscher für den mönchischen Adel historisch gewachsen und wird so gehandhabt, mehr nicht. Die Kloster besaßen das Land und hatten ein faktisches Ausbildungsmonopol, also konnten sie ihnen genehme politische Vorstellungen - unterstützt durch die übliche religiöse Verbrämung - durchsetzen.


Lykurg, der letzte Zeitpunkt, zu dem es ein wirklich eigenständiges tibetisches Reich gegeben hat, war im 10 Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Natürlich kann man daraus irgendwelche Ansprüche geltend machen. Ich glaube nur nicht, dass das irgendwen interessieren würde. Es wäre ungefähr so, als würden die Deutschen den Anschluss Norditaliens an Deutschland fordern, weil das Gebiet irgendwann mal unter Herrschaft eines deutschen Friedrichs stand^^ seit dem 10ten Jahrhundert war Tibet praktisch ohne Unterbrechung Protektorat anderer Mächte, vornehmlich der Mongolen, Chinesen und Engländer.

Die Bundesrepublik hat vor allem die staatliche Souveränität Tibets nie anerkannt; die deutsche Position wünscht eine Wiedereinrichtung des autonomen Status Tibets, aber nicht offiziell seine eigenständische Nationalität


Jan, wenn diese sich selbst überlassenen Menschen die Mönche zurückrufen, ist ihnen das ja freigestellt.

Maglor
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Mi 2. Apr 2008, 19:43 - Beitrag #45

Ich bin zutiefst beeindruckt. :)
Und glaube die Sache verstanden zu haben. :rolleyes:
Wie lange regierte denn der jetzige Dalai Lama überhaupt. Er war ja noch recht jung, als er nach Indien floh und muss vorher noch lange unter Panschen Lamas Vormundschaft den Kindkönig gemimt haben.

Die Bedeutung der tibetischen Lamas für die heutige Mongolei, die ja eigentlich mein Hauotinteresse war, hast du leider unterschlagen. Interessant klingt schon mal die Förderung tibetischer Lamas durch die mongolischen Herrscher.
Hatte die vorkommunistische Mongolei im 20. Jahrhundert eigentlich einen eigenständigen Klerus oder waren die wilden Reiter und Erben der Goldenen Horde von der Bildung und der Ausbildung durch dieses Bergvölkchen abhängig?
MfG Maglor :rolleyes:

P.S. Obwohl es keinen richtigen Streit gibt, ist der Thread doch einer der interessantesten seit langem.

janw
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Mi 2. Apr 2008, 22:11 - Beitrag #46

Für wahr, sehr erhellend^^ :)
Ipsi, was habe ich mir eigentlich unter den buddhistischen Linien in Tibet vorzustellen, worin unterscheiden sie sich und welche Bedeutung hat es, einer Linie zu folgen?
Irgendwie irritiert es mich ziemlich, welche Bedeutung offenbar Macht und Kriege in diesem Zweig des Buddhismus gespielt haben - wie passt das mit der Forderung nach Gewaltlosigkeit und Achtung vor allen fühlenden Wesen zusammen?

Lykurg
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Do 3. Apr 2008, 00:04 - Beitrag #47

Ipsissimus, natürlich leite ich keine Ansprüche daraus ab. Andererseits ist wohl kaum zu bestreiten, daß nationale Mythen auch über lange Phasen der Unselbständigkeit eine Wirkungsmacht behalten und später hervorgekramt werden können - ob man an Hermann den Cherusker denkt, das Amselfeld , die Goldene Horde oder wen auch immer. Historische Bezugssituationen sind keine geeigneten völkerrechtliche Argumentationshilfen oder Rechtsansprüche, sondern 'nur' eventuelle Keimzellen eines Selbstbewußtseins, Sammelpunkte für Bewegungen aller Art. Vermutlich funktionieren solche Dinge unter den kulturellen und politischen Gegebenheiten Tibets ganz anders. Trotzdem denke ich, daß der mögliche paradigmatische Einfluß einer solchen Vergangenheit auf Ereignisse der Gegenwart nicht ganz unterschlagen werden sollte.

Ipsissimus
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Do 3. Apr 2008, 11:07 - Beitrag #48

Maglor, die ursprüngliche mongolische Religion war der Tengrismus, eine Mischung aus Schamanismus, Animismus, Totemismus und Ahnenkult um den Himmelsgott Tengri; sie spielt heute noch in der Volksreligion vornehmlich unter den noch nomadisch lebenden Steppenbewohnern der Mongolei eine große Rolle. Sie hat große Ähnlichkeit mit Bön, der ursprünglichen tibetischen Voksreligion. Im frühen 15ten Jahrhundert erlag der Tengrismus dem Ansturm des tibetischen Buddhismus, der sich vornehmlich in den mongolischen Herrschaftskreisen breit machte; ab etwa 1550 kann man vom Buddhismus als mongolischer Staatsreligion sprechen; seine Form entspricht dabei der des tibetischen Lamaismus, allerdings ohne die explizite politische Macht der Klöster, die gleichwohl von großem Einfluss waren.

In Rückwirkung dieses Prozesses wurde 1578 von dem mongolischen Herrscher Altan Khan der erste tibetische Dalai Lama (Sonam Gyatso) ernannt. Er war praktisch der Statthalter des Khan in Tibet (der mongolische Buddhismus ist daher der Gelugpa-Linie zuzurechnen). In den folgenden 200 Jahren wurde dieses Band weiter gefestigt; aufgrund der faktischen Autonomie war damit der "Statthalter des Khans" politisches Oberhaupt Tibets, ohne dies aber jemals aus eigener Machtvollkommenheit oder durch Bekundung des Volkswillens zu sein. Er "gilt" eben als Oberhaupt, war dies aber immer nur von fremder Mächte Gnaden.

In der Mongolei kam es unter sozialistischer Herrschaft zu massiven Verfolgungen, viele Lamas wurden getötet oder vertrieben, die meisten Klöster zerstört, darunter auch 1937 Erdene Zuu, das Hauptkloster des mongolischen Buddhismus. Nach der Verfassungsreform von 1992 ist die freie Religionsausübung allerdings wieder garantiert, und die meisten Steppenbewohner sind sehr schnell zur Verehrung des Dalai Lama übergegangen, dessen Bild in vielen Jurthen am Altar hängt.


@Jan

Gelug(pa) (Gelbmützen), ist die jüngste der vier tibetischen Hauptschulen; ihr Boss ist der Ganden Tripa. Sie hat von der Lehre her die größte Ähnlichkeit zum Mahayana, mischt diesen aber mit massiven tantrischen Elementen.

Nyingma (Schule der Alten) ist die älteste tibetische Linie. Sie zeichnet sich durch eine unglaubliche Vielfalt der Lehren und Entwicklungslinien aus, betont dabei aber auch massiv eine eigene Variante des Tantrismus. Aufrund ihrer Vielfalt ist sie dezentral organisiert, hat also auch kein eigentliches Oberhaupt, und ist am ehesten das, was man unter "unpolitisch" verstehen kann, hat also keine expliziten politischen Ambitionen. Erst auf Bitten des Dalai Lama wurde als politisches Amt für die tibetische Exilregierung die Position eines "Oberhaupts der Nyingma" geschaffen, ohne jede religiöse Bedeutung als rein administrative Ansprechstelle.

Sakya ist der Name eines 1073 gegründeten buddhistischen Klosters, von dem die dritte große Linie herrührt, wiederum mit eigenen Tantra-Varianten, dem Hevajra-Tantra und dem Guhyasamaja-Tantra, und stärker "meisterzentriert" als die anderen Linien. Eine Besonderheit ist der Umstand, dass praktisch alle großen Sakya-Lamas in der Familie Khön inkarnieren, die neben der Familie des japanischen Tennu die Familie mit den längsten durchgehenden Stammbaum der Welt ist (zumindest will das die Legende so)

Kagyü geht auf Marpa zurück, einen Gelehrten aus dem 11. Jahrhundert, der als Übersetzer des Mahamudra aus dem Indischen ins Tibetische berühmt wurde. Dessen Schüler Milarepa und dessen Schüler Gampopa begründeten die typsche Kagyü-Form der "Belehrung", in der ein Lama mit Lehrbefugnis zu einem ausgewählten Thema theoretisch referiert. Es gibt fast nichts langweiligeres, aber die stehen drauf^^ daneben natürlich wieder die tantrische Ausrichtung

ansonsten, ich bin kein Experte für tibetisches Gesellschaftsleben. Welche Rolle es spielt, einer dieser Linien anzugehören, kann ich nur vermuten. Es dürfte der Einstieg zu Macht und Einfluss sein, zumindest für die klügeren unter den Mönchen, vergleichbar vielleicht wie bei uns die Mitgliedschaft in einer politischen Partei. Das ist aber nur Vermutung. Dass isch dem tibetischen Buddhismus sehr skeptisch gegenüberstehe, habe ich schon mehrfach geäußert^^


Lykurg, dem stimme ich durchaus zu. Das Verhältnis zwischen Tibet und der Mongolei oder China hat allerdings starke Wandlungen erfahren. Es gab explizit tibetfeindliche Herrscher, und bis zum 10ten Jahrhundert lagen tibetische Könige oft im Krieg sowohl mit Mongolen als auch mit Chinesen, gelegentlich sogar mit Indern, aber in der Protektoratszeit, immerhin etwa 1000 Jahre, hat sich das Verhältnis zumindest zu den Mongolen massiv gewandelt, und auch von den Chinesen wurden die Tibeter gut behandelt, bis eben dann Mitte des letzten Jahrhunderts der Konflikt mit den Maoisten ausbrach und eskalierte. Ich will damit nur sagen, es haben sich Kristallisationspunkte in unterschiedlichen Richtungen gebildet, und zumindest die Forderung der Exiltibeter nach nationaler Eigenständigkeit ist eine sehr moderne Sache, die imo keine Stütze durch die tibetische Geschichte der letzten 1000 Jahre erhält (nb: speziell die Deutschen sollten da sehr stille sein^^ immerhin gibt es einen gültigen Volksbescheid, der die Trennung von Baden-Württemberg in zwei Bundesländer eigentlich verpflichtend macht^^ darüber spricht nur niemand, weil es unter dem Tisch gehalten wird und der Entscheid schon ein par Jahre auf dem Buckel hat^^)

Maglor
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Do 3. Apr 2008, 13:59 - Beitrag #49

Ipsi, das du kein Experte bist, kann ich dir nicht abkaufen. Oder ist hier auch der Einäugige der König unter den Blinden. ;)
Wikipedia mein Freund und Helfer hat dich mal eben ein bisschen entlastet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Mongolei#Religion
Der Einfluss des Dalai Lama und seiner "Bande" ist also in der heutigen Mongolei recht groß. Über die Frage, ob es in vorkommunistischer Zeit ein von Tibet quasi nicht abhängiges Lamatum unter den Mongolen gab, schweigt sich leider auch Wikipedia aus. :(
Ansonsten möchte ich nur mal am Rande anmerken, dass ich als Kind der grünen Mittelgebirge die Mongolei und nicht Tibet als Land mystischer Sehnsüchte und alter Kinderträume betrachte. :love:

Ipsissimus
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Do 3. Apr 2008, 14:22 - Beitrag #50

Maglor, ich bin nur insoweit Experte, als ich mich dem Zenbuddhismus verpflichtet fühle und deswegen auch ein starkes Interesse für dessen Entwicklungslinien und deren historische Bedingungen und Zusammenhänge hege. Meine explizite Beschäftigung mit Ostasien liegt aber schon ein paar Jährchen zurück, und viel mehr Wissen darüber als die paar hier verbratenen Allgemeinplätze habe ich auch nicht mehr drauf^^

der mongolische Buddhismus IST tibetischer Buddhismus. Bis zum 15ten Jahrhundert gab es nur den Tengrismus, der dann durch die Wechselwirkung zwischen mongolischen Adligen und tibetischen Mönchen zugunsten des Buddhismus in einige wenige nomadische Rückzugsgebiete verdrängt wurde, aufgrund welcher Affinität auch immer die Mongolen dazu kamen, die Religion eines von ihnen beherrschten Volkes zu übernehmen. Einen Buddhismus, der nicht dem tibetischen Lamaismus entsprochen hat, gab es in der Mongolei nie ... natürlich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, die Lamas seien Priester der ursprünglichen Religionen Tengris und Bön, die sich nur das Bonzengewand übergestreift haben. Wirklich religionshistorisch belegbar dürfte das aber nicht sein.

Maglor
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Do 3. Apr 2008, 23:22 - Beitrag #51

Dann will ich mal mein Verhör beenden und selbst mal mein Allgemeinwissen und meine Kombinationsabgabe auspacken. ;)
Interessant ist die Tibet- und Buddhismus-Rezeption im deutschen Sprachraum.
Über den Umweg der Theosophie erreichte buddhistisches Gedankengut nicht nur den Anthroposophen und Waldorf-Pädagogen Rudolf Steiner sondern auch die beiden österreichen Arioposophen, Esoteriker, Antisemiten und Möchtegernadligen Guido (von) List (Begründer des germanischen Neuheidentum der Armanen) und "Jörg Lanz von Liebenfels", Autor von Hitlers Lektüre den "Ostara-Heften".
Bei ihnen enstand die Idee einer arischen also indogermaniscen Hochreligion, die sich ja nirgens anders als im hakenkreuzverliebten Dach der Welt, also Tibet, gehalten haben könnte.
Nazi-Ideologe und Rechsführer SS Heinrich Himmler schickte schließlich Forscher der "Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe" nach Tibet zur Schriftenkunde und zum Schädel vermessen.
Die 1936 gegründete "Deutsche Himalaya-Stiftung" schickte schließlich den österreichischen Bergsteiger und SS-Mann Heinrich Harrer in den Himalaya um den Nanga Parbat zu bezwingen; er verbrachte die berühmten "sieben Jahre in Tibet" und lernte den heutigen Dalai Lama kennen.
In den 70er und 80er Jahren erlangt der Süd-Tiroler (Oder soll ich Italiener sagen?) Bergsteiger Reinhold Messner seine heutige Popularität und mit ihm die tibetische Mythologie und Religion um Yeti, Yak und Lama. :crazy:
Heute mimt der bekannte hessische Ministerpräsident, Populist und Hardliner Roland Koch den besten Freund des Dalai Lama, egal ob er nun "Kinder statt Inder" oder "Lamas statt Mullahs" fordert. :crazy:

Mein Dank gilt Wikipedia, einem Buch von Germanen-Experte Rudolf Simek und natürlich Brad Pitt.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Fr 4. Apr 2008, 10:42 - Beitrag #52

na ja, Maglor, weder der Buddhismus noch Tibet sind wirklich schuld daran, dass sich europäische Proto-Faschisten irgendwelche Phantasietiraden über sie zusammenfieberten. Wie in allen solchen Fällen trägt fehlendes Wissen auch hier zur Mystifizierung gemäß unabhängig von der mystifizierten Sache vorhandener Absichten und Vorstellungen bei. Ob dabei wirklich eine durchgehende Linie von Steiner zu Messner entlang der von dir genannten Namen gezogen werden kann, wage ich einfach mal zu bezweifeln - bei weitem nicht alle, die sich für Tibet interessier(t)en, sind deutsch-österreichische Faschisten^^ und Koch ist ohnehin längst jenseits jeder Satisfaktionsfähigkeit. Soweit ich weiß, hat sich der Dalai Lama auch nie als bester Freund Kochs geriert.^^

Was die Freundschaft zwischen dem Dalai Lama und Harrer angeht - sie waren bis zum Tode Harrers tatsächlich Freunde - wenn der Dalai Lama wirklich Satori erlangt haben sollte (was ich für mich mit einem kleinen privaten Fragezeichen versehe), so gilt für ihn das, was für jeden Zenmeister gilt - die Erleuchtung taugt nicht für Moral. Der Beginn dieser Freundschaft liegt wahrscheinlich in der Faszination für das Exotische - aus beiden Richtungen - und in Unwissenheit auf seiten des jungen Dalai Lama. Bezüglich der Frage, ob man eine langjährige Freundschaft weiterführen will, wenn man erfährt, dass der Freund ein Mitläufer-Nazi war, kann man niemandem die je eigene Antwort ersparen oder durch eine "politisch korrekte" Antwort ersetzen. Die Erleuchtung führt jedoch dazu, dass man die Aktualität eines Menschen erfasst, nicht ihm seine Vergangenheit vorhält^^ Zumindest wurde Harrer nie vorgeworfen, getötet zu haben; dass er einer ideologischen Verblendung unterlag, hat er später selbst zugegeben. Ich halte ihn ähnlich wie die Riefenstal eher für eine tragische als für eine bösartige Gestalt.

Maglor
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Fr 4. Apr 2008, 11:06 - Beitrag #53

Ich will es auch eher als Tibet- und Buddhismus-Missbrauch durch deutschsprachige Romantik, Esoterik und Politik bezeichnen und die Traditionslinie auch nicht überbewerten. Interessant und gewiss auch merkwürdig ist sie alle mal!

Was Heinrich Harrer betrifft: Harrer bestätigt bereits 1933 der SA beigetreten zu sein; damals war sie im noch unabhängigen Österreich gerade verboten. 1938 trat er in NSDAP und der Allgemeinen SS ein. Von einem Mitläufer kann ja nicht die Rede sein, von einem "Täter" aber natürlich auch nicht.
Sicher hat Heinrich Harrer irgendwann, vielleicht in seinen 7 Jahren in Tibet, seinen Wertekanon überarbeitet. Schade, dass das im Hollywood-Film unter den Tisch gefallen ist.
Soweit ich weiß, hat sich der Dalai Lama auch nie als bester Freund Kochs geriert.^^

Ich meinte ja auch Roland Koch würde sich als guten Freund des Dalai Lama betrachten. Der Dalai Lama selbst scheint diese Beziehung ja für vergünstigte Geburtstagfeiern in Hessen zu nutzen. :rolleyes:
Ergänzung: Reinhold Messner sass von 1999 bis 2004 für die italienischen Grünen im Europa-Parlament. Ein wahrer Kosmopolit dieser Mann! :boah:

Ipsissimus
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Fr 4. Apr 2008, 14:00 - Beitrag #54

Ich will es auch eher als Tibet- und Buddhismus-Missbrauch durch deutschsprachige Romantik, Esoterik und Politik bezeichnen und die Traditionslinie auch nicht überbewerten. Interessant und gewiss auch merkwürdig ist sie alle mal!


es ist mittlerweile eine ziemlich gewisse Überzeugung von mir, dass nahezu alle exponierten Persönlichkeiten der europäischen Esoterik in der Zeit zwischen etwa 1850 und 1945 einen Hau weg hatten, und zwar einen heftigen, mögen sie Blavatsky heißen oder Steiner oder wie auch immer^^ ich verstehe diese Zeit und ihre Mentalität um so weniger, je mehr ich mich mit ihr befasse. Diese Anfälligkeit für Massenhypnose und -suggestion, für Halluzination und Selbstverarschung in prinzipiell hochgebildeten Kreisen ist unglaublich. Vielleicht hatte es irgendetwas mit den Kaiserreichen und ihrem Ende zu tun - so à la das letzte Aufbäumen adligen und/oder weißen Überlegenheitswahns und der echte Wahnsinn, als das Scheitern des Überlegenheitswahns explizit wurde. Ich muss das noch genauer durchdenken^^

Ipsissimus
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Do 10. Apr 2008, 15:18 - Beitrag #55

nur zur Ergänzung

http://www.stern.de/politik/ausland/:Tibet-Konflikt-Der-Dalai-Lama-Unschuldsengel/616803.html

imo ziemlich realistische Analyse^^ und einige, in meinen Augen recht armselige Kommentare im Sternforum dazu, von Leuten, die den Artikel wahrscheinlich nur nach Reizworten abgesucht haben statt ihn zu lesen und vor allem zu verstehen^^

Lykurg
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Do 10. Apr 2008, 15:55 - Beitrag #56

Für realistisch und unbedingt berichtenswert halte ich die Unterscheidung des Artikels zwischen gewaltlosen Protesten etwa von Mönchen und blutigen Ausschreitungen der Jugendlichen. Ansonsten ist der Artikel in meinen Augen über weite Strecken ein Schreckenszeugnis an regimefreundlich angekuschelter, selbstzensierender Berichterstattung. Die Beschuldigungen des Dalai Lama werden geschickt eingeführt durch den historischen, aber kaum als historisch markierten Rückblick - als hätte man einen Artikel über Johannes Paul II. und seine Bemühungen um Verständigung im Nahen Osten eingeleitet mit einer Bemerkung über das Engagement "der bisherigen Päpste" für die Kreuzzüge oder (etwas zeitnäher) "deren" Schweigen zu Auschwitz.
Darauf folgt eine kleine chinakritische Bemerkung, direkt überdeckt durch die Beschuldigung des Dalai Lama als Holocaustrelativierer - guter Schachzug der Argumentationsführung! Zwischen den beiden Dalai-Lama-Anschuldigungen liest sich die lächerliche kleine Maßnahme gegen die Mönche doch wie eine - ach ja - notwendige und verständliche Maßnahme der Rechtmäßigen Regierung, Ruhe und Ordnung herzustellen. Vielleicht hat Geiges es auf einen chinesischen Journalistenpreis abgesehen?
"Der jetzige Dalai Lama betreibt geschickt PR in eigener Sache und reist durch die ganze Welt." - das liest sich ein bißchen wie die Sätze, mit denen der liebe Herr Wagner von der Bild-Zeitung die abgefeimteren seiner Widerwärtigkeiten untermauert. Aus dem Exilantendasein wird so schnell eine Jet-Set-Existenz...

Natürlich steht auch in den Antworten auf den Artikel viel Unsinn. Den Hinweis über die Mechanismen chinesischer Pressezensur und die Bedeutung auch des indirekten Drucks halte ich jedenfalls für zu ernst, um den Spiegel-Artikel so einfach beiseitezuwischen.

Ipsissimus
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Do 10. Apr 2008, 16:29 - Beitrag #57

dass Geiges nach beiden Seiten austeilt UND rühmt, ist dir sicherlich aufgefallen. Ich sehe keinen Sinn darin, einseitig parteiisch zu werden, dazu ist die Postion beider Seiten zu fragwürdig

Maglor
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Do 10. Apr 2008, 20:48 - Beitrag #58

Der Artikel bildet auf jeden Fall einen wertvollen Kontrast zu dem, was mir Lokal-Zeitung und Tagesschau bieten. Naja, eigentlich wiederholt er ja nur meine Kritikpunkte.:D
Interessant finde ich die schon übliche Überschätzung des Dalai Lama. Nun fordern doch Bundestag und EU-Parlament allen Ernstes, die Volksrepublik solle mit dem Dalai Lama in Verhandlungen treten. Dieser bezweifelt jedoch, dass es sich bei den Randalierern um seine "Bande" handelt und eigentlich hält er ja die Zugehörigkeit Tibet zu China mittlerweile für recht und billig.
Ein Trauriges Bild: Westliche Politiker verfallen dem Mythos eines Gottkönigs. :confused:
Gerade jene, die einst mit der Mao-Bibel und Ho-Schi-Minn-Rufen die Bühne der Öffentlichkeit erreichten, sind nun die ärgsten Verfechter der lamaistischen Monarchie.
Tja, da wird auch schon Nepals Weg von der Monarchie zur Republik in der Tagesschau kritisch beäugt. Immerhin könnte ja Leib und Leben tibetischer Exil-Mönche nun in Gefahr geraten. :(
Tibet ist zwar das "Dach der Welt" aber doch nicht der Mittelpunkt des Universums. Und Tibet ist sicherlich nicht die einzige chinesische Provinz, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ich erinnere nur an den Arbeitssklaven-Skandal im vorigen Jahr. Als wäre das nicht schon Grund genug gewesen, die Olympiada für antichinesische Propaganda zu missbrauchen. Maos Kulturrevolution mit ihren Gewaltexzessen ist zumindest lange vorbei und der Maoismus mit kapitalistischem Antlitz sucht sich andere Opfer als rückständige Kleriker.

Zum Mythos: Ich glaube der Mythos entstand in jener Zeit als Tibet ein isoliertes, rückständiges ja verbotenes Land in der Bergen war. Jenen Zauber einer verlorenen geglaubten, archaischen, scheinbar besseren Welt heiliger Männer und gläubiger Yak-Treiber, abgeschlossen von der Außenwelt und für Ausländer verboten, erlag wohl einst auch Heinrich Harrer. Nur ein so geheimnisvolles Land wie Tibet konnte Heimat so vieler Sehnsüchte und Utopien werden. Die chinesische Regierung erhält paradoxerweise diesen Mythos mit ihrer Nachrichtensperre. ;)
Der Ruf der friedvollen, philosophien und unschuldigen Tibeter im deutschen Sprachraum hat sich im Westen durchgesetzt, aber die Mongolen, die ja ebenfalls den Lamas und Yaks verfallen sind, haben den Ruf ungestümer, gewalttätiger Wilder. Beides vielleicht noch ein Erbe nationalsozialistischer Mythologien?
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Fr 11. Apr 2008, 03:06 - Beitrag #59

Zitat von Maglor:Interessant finde ich die schon übliche Überschätzung des Dalai Lama. Nun fordern doch Bundestag und EU-Parlament allen Ernstes, die Volksrepublik solle mit dem Dalai Lama in Verhandlungen treten. Dieser bezweifelt jedoch, dass es sich bei den Randalierern um seine "Bande" handelt und eigentlich hält er ja die Zugehörigkeit Tibet zu China mittlerweile für recht und billig.
Ein Trauriges Bild: Westliche Politiker verfallen dem Mythos eines Gottkönigs.
Gerade jene, die einst mit der Mao-Bibel und Ho-Schi-Minn-Rufen die Bühne der Öffentlichkeit erreichten, sind nun die ärgsten Verfechter der lamaistischen Monarchie.

Naja, der Dalai Lama ist immerhin die einzige greifbare Persönlichkeit auf Seiten der Tibeter, die für diese hinreichend als Repräsentationsfigur gelten kann, die außerdem persönlich einigermaßen integer erscheint und die gewissermaßen als Gegenüber zur chinesischen Seite taugt. Sicher kann man sich immer bessere Personen wünschen - aber realpolitisch gesehen: lieber er als keiner^^
Wie weit er die Zugehörigkeit zu China als recht und billig ansieht, ist IMHO nicht so eindeutig zu sehen, ich denke eher an die berühmten zwei Herzen und den Geist, der sich der normativen Kraft des Faktischen beugt, um überhaupt so etwas wie Friedens willen.
Wie weit die Randalierer allesamt tibetische Mönche waren, ob wirklich buddhistische Mönche, wie es der Artikel impliziert, Menschen ermordet haben, habe ich leise Zweifel, ich kann mir vieles vorstellen, aber doch das alles nicht so recht. Aber dazu unten mehr.
Man kann den Politikern alles mögliche vorhalten - erstlinige Ignoranz gegenüber der chinesischen Diktatur und den Irrglauben, Olympia werde da heilend wirken, Populismus, Bevorzugung der Tibeter gegenüber anderen Minderheiten Chinas aus romantischer Verklärung usw. - aber Verfechter der lamaistischen Monarchie sind sie nicht, und dahin werden denke ich auch die anderen lamaistischen Linien nicht mehr zurück wollen.

Tja, da wird auch schon Nepals Weg von der Monarchie zur Republik in der Tagesschau kritisch beäugt. Immerhin könnte ja Leib und Leben tibetischer Exil-Mönche nun in Gefahr geraten.

Wenn in Nepal die maoistischen Rebellen in die Regierung gewählt werden sollten, ein nicht zu vernachlässigendes Problem...

Tibet ist zwar das "Dach der Welt" aber doch nicht der Mittelpunkt des Universums. Und Tibet ist sicherlich nicht die einzige chinesische Provinz, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ich erinnere nur an den Arbeitssklaven-Skandal im vorigen Jahr. Als wäre das nicht schon Grund genug gewesen, die Olympiada für antichinesische Propaganda zu missbrauchen.

"Antichinesische Propaganda" klingt etwas seltsam in meinen Ohlen^^
Für mich ist das aber das eigentliche Problem, Europa und dieses ehrenwerte olympische Gesocks hat gewusst, womit sie es zu tun hatten - einer schlimmen Diktatur, die an diesem Sosein nie etwas zu ändern gedachte, aber zum westlichen Dominanzsystem dazu gehören wollte und vor allem auf dessen kulturelle Attribute versessen war und ist.
Und während man bei alldem Markenkrams peinlich auf die Regeleinhaltung achtet, wird mit unseren kulturellen Attributen so getan, als seien sie losgelöst zu sehen von dem Kontext, in dem und mit dem sie entstanden sind.
[kulturelles Attribut aus chinesischer Sicht, aus unserer Sicht ist das für mich längst ein Markenartikel von vielen].

Zum Mythos: Ich glaube der Mythos entstand in jener Zeit als Tibet ein isoliertes, rückständiges ja verbotenes Land in der Bergen war.[...]
Der Ruf der friedvollen, philosophien und unschuldigen Tibeter im deutschen Sprachraum hat sich im Westen durchgesetzt, aber die Mongolen, die ja ebenfalls den Lamas und Yaks verfallen sind, haben den Ruf ungestümer, gewalttätiger Wilder. Beides vielleicht noch ein Erbe nationalsozialistischer Mythologien?

Ich denke eher nicht, daß das ein urdeutsches Phänomen ist, eher schon Symptom einer westlichen Sehnsucht nach dem Schönen, Guten und Wahren, dem Paradies, die sich auch schon in der Kolonialzeit manifestiert hat - die ersten Schilderungen von Indios und anderer indigener Völker beschreiben nicht unbezähmbare Wilde, sondern oft genug wird "der edle Wilde" oder "die Wilden in ihrer kindlichen Unschuld" beschworen. Das Bild kippte dann irgendwann, als die "Wilden" trotz Taufe nicht die ungeschlagene Wange auch noch hinhalten wollten und ihre Existenz zum wirtschaftlichen Problem wurde.
Vergiss aber bei den Mongolen nicht, daß die Europäer durchaus zwispältige Erinnerungen an sie haben^^

Ich sehe das Verdienst des Artikels vor allem darin, "uns" eben diesen Verklärungshintergrund vorzuhalten, der zur Glorifizierung der Tibeter und zu Indifferenz bis Ablehnung gegenüber anderen Völkern führt, und wenn es unsere eigenen Minderheiten sind.

Allerdings schießt er dabei IMHO übers Ziel hinaus, wenn er das unliberale Regime der Lamas historischer Zeiten geißelt - kein ernstzunehmender Vertreter der Exiltibeter oder der Unterstützerszene hat dieses hoch leben lassen, in Rede nicht "Ein Dalai Lama", sondern der jetzige, von dem nie entsprechende Ambitionen bekannt geworden sind.

Merkwürdig einäugig finde ich Sätze wie diese:
Zitat von Geiges:Weshalb also einfache Chinesen verprügeln und ermorden, die selbst Opfer dieser Politik sind? Weil die Chinesen Tibet "überfremden", heißt es dann, ein Ausdruck, der uns entsetzen würde, ginge es um Türken in Deutschland.

Völkermord ist es nicht, diesen Ausdruck hier zu verwenden verhöhnt die Opfer von tatsächlichem organisiertem Massenmord wie die in den Gaskammern der Nazis.

Zum einen ist das Mißfallen über die chinesische Politik kein deutsches Phänomen, sondern eines des Westens. Verweise auf die deutsche Einwandererproblematik und die Berechtigung deutscher Kritik vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte greifen da zu kurz.
Zum anderen muss es erlaubt sein, die Dinge beim Namen zu nennen - es ist aktive Politik der chinesischen Regierung, die Gebiete der Minderheiten durch aktiv geförderte Einwanderung von Han-Chinesen zu assimilieren. Etwa dasselbe wie die Tramigrasi-Politik Indonesiens in den 80ern, die in Entwicklungshelferkreisen zurecht als staatlich geförderter Völkermord gebrandmarkt wurde.
Wobei man China zugute halten kann, daß immerhin die Ein-Kind-Politik für die Minderheiten nicht gilt - allerdings jetzt reichlich wirkungsloser weise.
Geiges ist auch unexakt, wo es um den Völkermord-Vorwurf geht - der Dalai Lama spricht von kulturellem Völkermord, das ist ein vergleichsweise mildes Diktum.
Davon abgesehen ist zwar der Tod ein Meister aus Deutschland^^, darin kann mensch aber auch einen Anlas sehen, derähnliches anderswo erst recht nicht geschehen zu lassen und ihm ggf. erst recht entschlossen entgegen zu treten.

Letztlich wird Geiges aber Opfer seiner eigenen Fallstricke - IMHO sein intellektuell schwerster Fehler - wenn er einerseits die westliche Begeisterung für die "aufgrund ihrer Religion sanftmütigen Tibeter" verdammt, andererseits aber schreibt:
Nach einigen Tagen friedlicher Proteste zündeten aufgebrachte tibetische Jugendliche in Lhasa chinesische Geschäfte und Restaurants an, verbrannten Ladenbesitzer bei lebendigem Leib, verfolgten Passantinnen auf der Straße und steinigten sie, weil sie Chinesinnen waren oder wie solche aussahen. Das ist rassistische Gewalt und durch nichts zu rechtfertigen.

Religion macht Menschen nicht zu besseren Menschen, sie liefert nur Begründungen für Normen und befreit damit den Menschen davon, aus seinem eigenen individuellen Sosein Normen entwickeln zu müssen.

Daß die Lage in Tibet explosiv war, war lange erkennbar: die repressive Politik wirkte schon lange, die "Hanisierung" schritt voran, und wie in allen Ländern der sog. 3.Welt hatte sich eine demographische Situation ergeben mit einer Bevölkerungsmehrheit im "aktiven Alter", etwa zwischen 20 und 35, nach individueller Verwirklichung strebend, aber ohne jede Perspektive.
Es war klar, daß es nur eines kleinen Anlasses bedurfte, um kollektiv erlebte Frustration in Gewalt sich entladen zu lassen. Klar auch, daß in einer solchen Situation selbst eine friedfertige Volksreligion dies nicht würde verhindern können, allenfalls vielleicht verzögern.
Das Ergebnis ist bedauerlich, aber aus Sicht menschlicher Verhaltensmuster weder erstaunlich noch spezifisch für irgendeine Gruppe.
Wobei ich aber bei dem Bericht von Menschenverbrennungen und Steinigungen ein wenig aufmerke - ist all dies echt, und ohne die Existenz von agents provocateurs zu denken?
Diese Möglichkeiten - bewusste Desinformation durch das Regime und bewusstes Provozieren von Aggressionen - nicht in Betracht zu ziehen, ist ein weiterer Fehler in dem Bericht von Geiges.
Ein Fehler der tief blicken lassen könnte - ein Mittel der Desinformation ist es, Kritik an sich selbst da zuzulassen, wo sie sich offensichtlich aufdrängt, nach der wirklichen Giftgrube wird dann schon keiner suchen^^
Geiges also ein U-Boot der Chinesen?

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Fr 11. Apr 2008, 11:23 - Beitrag #60

Geiges also ein U-Boot der Chinesen?


prinzipiell ist alles möglich, aber ohne ihn persönlich zu kennen und ohne dort dabei zu sein von hier aus nicht wirklich zu entscheiden^^

immerhin, er dürfte Prügel von allen Seiten beziehen, aus exiltibetischer Sicht wie die hier formulierten, und die chinesische Seite dürfte sich bei Sätzen wie "Die Politik der Kommunistischen Partei Chinas ist kläglich gescheitert und KP-Chef Hu Jintao lügt, ..." oder "Die korrupte Kommunistische Partei nutzt die Konflikte zwischen Tibetern und Han-Chinesen, um ihre Macht über beide zu erhalten" oder "Warum riegelt sie Tibet ab? Weil wir alle Seiten interviewen und man dann auch lesen würde: Die Mehrheit der Tibeter verehrt den Dalai Lama und hasst die von Peking eingesetzte Marionettenregierung. " auch nicht wirklich gebauchpinselt fühlen.

Geiges wagt imo den Versuch, auf das eigentliche Problem hinzuweisen, und das wird von einer Vielzahl von Faktoren auf beiden Seiten gespeist, von so vielen Faktoren auf jeder Seite, dass der Versuch der Heiligsprechung einer Seite imo nur als intentional gewertet werden kann. Wir haben in Europa etwas ähnliches, die machtpolitischen Interessen folgende Dämonisierung Serbiens und Heiligsprechung ihrer Gegnerstaaten und -gruppen im Balkan, obwohl längst bekannt ist, dass die Scheiße auf beiden Seiten am dampfen war. Nur dass die serbischen Gegnerstaaten versprochen haben, brav und nett den politischen Neigungen der EU und der Nato Folge zu leisten, die Serben aber nicht.

Ähnliches vermute ich auch für China und Tibet. Der Westen will China als Markt. Er fürchtet China gleichzeitig als Großmacht, die ob ihrer eigenen Atomwaffen schon zu stark ist, um noch erfolgreich à la Irak "befriedet" werden zu können. Da kommt dann jedes nationalistische Unabhängigkeitsstreben gerade recht. Und das lamaistische Regime kann noch so sehr ein faschistisch-theokratisches Unrechtsregime gewesen sein, aus der Sehnsucht und Unwissenheit über die "gute alte" Zeit Tibets wird eine Waffe gegen China.

Selbstverständlich streben die exiltibetischen Führer eine Re-Lamaisierung Tibets an, man muss sich nur die Struktur ihrer exiltibetischen Organisationen anschauen, um zu sehen, dass ihnen nichts gleichgültiger sein könnte als demokratische Gepflogenheiten. Hat der Westen von den Taliban nichts gelernt, die erst hofiert wurden, als es noch opportun war, der Sowjetunion ans Zeug zu flicken, und sich dann als Albtraum erwiesen? Das Problem in Tibet besteht nicht darin, dass da faschistisch-diktatorische gegen westliche Wertevorstellungen stehen würden, da stehen zwei verschiedene Arten faschistisch-diktatorischer Wertevorstellungen und Zielsetzungen gegeneinander. Und beide sind tief in den beiden Völkern verwurzelt, denn man darf nicht meinen, China sei in der Vor-Mao-Zeit ein Hort der Menschenfreundlichkeit und des Humanismus gewesen.

Dieser Konflikt ist ein weiterer Konflikt aus einer langen Reihe ähnlicher Konflikte weltweit, der aufgrund der gierig ausgestreckten Hand westlichen Militär- und Wirtschaftsimperialismus´ vor etwa 120 Jahren aus der Latenz erwachte, in der er vorher zum besten beider Völker über 500 Jahre lang ruhte, und seither virulent war. Gerade wir mit unserem Weltwirtschaftssystem, das in direkter Fortsetzung dieses Imperialismus uns alle Vorteile gewährt und den Nicht-Industrieländern alle Lasten auferlegt, sind die Letzten, die über die moralische Legitimierung verfügen, uns dort einzumischen.

Die Ansicht, man könne - und es sei die Absicht dort - Tibet über Nacht Demokratie einpflanzen - von im nepalesisch-indischen Exil angeblich geläuterten, vormals theokratischen, jetzt aber demokratisch nach westlichem Credo gesonnenen Führern - und China würde die daraus en passant resultierende Destabilisierung seines gesamten Staatsgefüges einfach so dulden - könnte als Albernheit abgetan werden, wenn es nicht eine so verflucht zielgerichtete und wirksame Propaganda wäre. Zumal am Irak und Afghanistan relativ deutlich erkannt werden kann, was passiert, wenn man versucht, einem Volk, dass über keinerlei demokratische Traditionen verfügt, Demokratie überzustülpen. Aber glücklicherweise geht es in Tibet ja nicht um Demokratie, sondern um Religionsfreiheit, die gefälligst ein Wert an sich zu sein hat, selbst wenn dafür 90% eines Volkes wieder in die alte Leibeigenschaft zurückkehren dürfen.

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