Diktatorenherbst im nordafrikanischen Winter

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Do 25. Jul 2013, 11:48 - Beitrag #41

die Naivität des westlichen Auslands besteht aus einem Reflex: wo auch immer auf der Welt das Wort "Demokratie" gerufen wird, ergänzen wir instinktiv "... nach westlicher Vorstellung". Und unsere Medien lernen einfach nicht aus den vielfältigen Erfahrungen, dass im Einflussbereich des politischen Islams besser zehnmal hin geschaut wird, ehe den Akteuren Sympathie für humanistische Prinzipien konstatiert wird. Was immer Muslime in arabischen Ländern mit "Demokratie" meinen, es hat nichts, absolut nichts mit unseren Vorstellungen von Demokratie zu tun, selbst da, wo es zufälligerweise optische Schnittstellen geben sollte.

Die wollen nicht zu unseren Verhältnissen. Und man kann angesichts von Prism, Tempora und Co noch nicht mal sagen, dass die Aversionen gegen westliche Gesellschaftsprinzipien unberechtigt wären. Die arabischen Gesellschaften sind wohl tatsächlich um einiges bereiter zu offener Gewalt und geprägt von direkter Unterdrückung; dafür sind unsere sehr viel verlogener in ihrer Leugnung der unter der Oberfläche tatsächlich in genauso hohem Maße ausgeübten "sanften", aber ebenso lebensbedrohlichen Gewalt und der davon ausgehenden "sanften" Unterdrückung.

janw
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Do 25. Jul 2013, 15:54 - Beitrag #42

Ipsi, ich bin mir nur nicht sicher, ob die von Dir beschriebene Differenz im Sinne tieferer Kulturbedingtheit konstant ist oder nicht einfach auf unterschiedlicher Entwicklung beruht.
Ob den Leuten hier um 1789 oder 1848 eine Entwicklung zu unserem Zustand vorgeschwebt hat?

Traitor
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Fr 26. Jul 2013, 11:39 - Beitrag #43

Die aktuelle Entwicklung wird wirklich grotesk: das Militär ist bereits an der Macht, fordert aber jetzt das Volk auf, mit getürkten Demonstrationen den Vorwand für einen Ausnahmezustand zu liefern? :crazy:

@Ipsissimus: Die Naivität stellst du korrekt fest, hast aber meines Erachtens wiederum ein zu homogenes Bild von den Gesellschaften dort. Zumindest im Iran und Ägypten (bei anderen Ländern bin ich mir nicht so sicher, vermute es, wenn auch vielleicht in geringerem Umfang, aber auch) gibt es durchaus nennenswerte gebildete und westlich orientierte Schichten, die sich unter Demokratie ziemlich genau das gleiche vorstellen wie wir. Das ist nur nicht die große Mehrheit. Es ist noch nichtmal die große Mehrheit derjenigen, die dort von "Demokratie" reden. Da stimmt deine Einschätzung dann wieder. Aber dann siehe Jan, die demokratische Entwicklung Europas stand auch selten auf richtig breiten Füßen.

Realpolitisch gesehen sehe ich mich auch immer noch nicht zu einer Einschätzung dessen in der Lage, was die Mehrheit dort denn nun unter "Demokratie" verstehen wüde. Ist das für Muslimbrüder, "politischen Islam" usw. nur ein bequemes Werbeetikett, um die naive echt-demokratische Bewegung zu instrumentalisieren und westliche Unterstützung einzustreichen, solange man sie braucht? Und ein Mursi ohne Putsch hätte relativ bald alle demokratischen Aspekte komplett abgelegt? Oder steckt dahinter wirklich eine valide alternative Form von Demokratie, die zwar weder säkular noch meinungsfrei ist, aber bei guter Umsetzung irgendwie doch in der Lage, die anderen Grundtugenden des Konzepts auch langfristig aufrechtzuerhalten?
Ich tendiere stark zu ersterem, aber ohne gute Datenbasis ist es schwer zu entscheiden.

Lykurg
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Fr 26. Jul 2013, 12:09 - Beitrag #44

Tunesien gilt/galt während der Anfangszeit des Arabischen Frühlings als das bei weitem 'westlichste' arabische Land, was das demokratische Interesse tatsächlich auch breiterer Kreise der Bevölkerung angeht. Inwieweit da inzwischen Ernüchterung eingetreten sein mag, wäre eine andere Frage. Wenn du bis zum Iran blickst, liegt dazwischen in jedem Fall noch der Libanon, dessen traditionell freie und tolerante Gesellschaft sich zwar durch den Bürgerkrieg gewandelt und zu einer starken Emigration demokratischer Eliten^^ geführt hat, trotzdem könnte das Land ein Musterfall einer freiheitlichen mehrheitlich islamisch geprägten Gesellschaft sein, wenn die bösen Nachbarn nicht wären (einschließlich insbesondere der Iran).

Und tatsächlich bin ich - ohne nennenswerte Faktenbasis - der Ansicht, daß ziemlich viele Muslimbrüder u.ä. islamistische Politiker tatsächlich der Überzeugung sind, ihre Werte seien mit einer in ihrem Sinne 'guten' Demokratie vereinbar. Das ist sogar weniger bigott gedacht als die sozialistischen 'Volksdemokratien', schon weil vermutlich weniger Wahlfälschung dafür erforderlich ist, ein solches System zu etablieren.

Ipsissimus
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Fr 26. Jul 2013, 12:35 - Beitrag #45

so homogen sehe ich die arabisch-muslimischen Gesellschaften gar nicht, Traitor, nur ist die Fraktion derer, die für demokratische Gesellschaften nach westlichem Vorbild eintreten, in diesem Kulturkreis nirgendwo sonderlich ausgeprägt. Lybien wird Warlord-Gebiet in irakischer Manier, Tunesien steht kurz vor Abschluss der religiösen Konterrevolution, in Ägypten steht die verfehlte Wirtschaftspolitik Mursis in der Kritik und führte zur Entmachtung, nicht aber seine Re-Islamisierungstendenzen und mehr oder weniger überall waren die in unseren Medien so interpretierten "Proteste gegen den Islam" tatsächlich in der Hauptsache nur Proteste gegen konkrete Regierungen, noch nicht einmal gegen Regierungsformen.

Wo es da relevante westlich gesonnene Eliten gibt, müsstest du mir erst mal zeigen, immer mit der Ausnahme Libanon, der aber mit seinem Überlebenkampf so gebunden ist, dass es praktisch keine Rolle spielt, wer da was will. In gewisser Weise war Syrien das einzige arabische Land, und die Regierung Assad die einzige arabische Regierung, die mit unseren Wertevorstellungen konform ging. Aber kaum haben die Fundamental-Religiösen "Demokratie" geschrien, haben unsere Medien im Sinne ihres Umdeutungsreflexes wieder alles missverstanden, was misszuverstehen war, und mittlerweile ist die Lage dort eh jenseits von gut und böse. Die Einschätzung amerikanischer Diplomaten, wonach es auf eine Trennung hinausläuft, dürfte hinkommen. Danach wird es im sunnitisch-schiitischen Teil richtig lustig werden, und die Alewiten werden hoffentlich Ruhe bekommen.

ob die von Dir beschriebene Differenz im Sinne tieferer Kulturbedingtheit konstant ist oder nicht einfach auf unterschiedlicher Entwicklung beruht
frag in 500 Jahren noch mal, Jan; während unserer Restlebenszeit wirst du keine Antwort erhalten^^ insofern ist sie konstant^^

Ob den Leuten hier um 1789 oder 1848 eine Entwicklung zu unserem Zustand vorgeschwebt hat?
die Situation in Europa ist Folge des 2ten Weltkrieges. Ich glaube nicht, dass frühere Vorstellungen von irgendeiner Relevanz dafür sind, auch wenn natürlich der Versuch unternommen wird, die durchgängige Relevanz der früheren europäischen Kultur- und Politikgeschichte interpretativ zu retten. Wer wird schon gerne daran erinnert, dass Demokratie ein Befehl war, zumindest in Mitteleuropa^^

Traitor
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Fr 26. Jul 2013, 12:48 - Beitrag #46

@Lykurg: In Tunesien hätte ich ein sehr starkes Stadt-Land-Gefälle erwartet - aber gut, das haben meine Beispielländer sicher auch. Der Libanon ist kein sehr typisches Beispiel, da er eben nicht "mehrheitlich islamisch geprägt" ist/war.
Es gibt auch sicher ein Kontinuum im politischen Islam zwischen westlich anerkannter Demokratie und westlich verteufeltem Gottesstaat, die Unterschiede zwischen frühem Erdogan, spätem Erdogan, Mursi und Ajatollahs kann man jeweils mit ähnlicher Berechtigung als graduell ansehen.
Ganz ähnlich in der Tat zum Demokratie-Kommunismus-Kontinuum, und auch die soziale Lage insbesondere Ägyptens und das Phänomen Putsch-Volksfront-Rückkehr-der-alten-Eliten erinnert ja stark an Lateinamerika.

@Ipsissimus: "Proteste gegen den Islam" gab es natürlich nicht oder kaum, in dieser Formulierung haben das aber auch meines Wissens keine ernstzunehmenden Medien gebracht, höchstens "gegen den Islamismus", "gegen die Muslimbrüder" etc. Aber ja, auch dann überwogen die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Aspekte.

Syrien hatte Licht und Schatten; in Sachen Religionstoleranz gin es sicher "mit unseren Wertevorstellungen konform", in Sachen Bürgerrechte aber definitiv nicht.
Das Trennungsszenario, als halbwegs sauber verstanden, halte ich für zu optimistisch - die religiösen, ethnischen und politischen Gruppen sind regional viel zu durchdrungen, als dass das ohne massive "Säuberungen" ginge.

Die 1945er Demokratien, von Übersee oktroyiert, könnte man mit Irak und Afghanistan vergleichen; die "Frühlings"-Länder eher mit 1918.

Ipsissimus
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Fr 26. Jul 2013, 12:56 - Beitrag #47

als dass das ohne massive "Säuberungen" ginge
das war der Teil, den ich unter "lustig" subsummierte^^


"gegen den Islamismus"
eine Erfindung unserer Medien von auserlesener Bösartigkeit in ihre Diffamierung des Islam^^ ich hoffe, eines Tages vom Kristianismus lesen zu dürfen

Lykurg
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Fr 26. Jul 2013, 13:04 - Beitrag #48

Ähm, im historischen Sinne geprägt natürlich nicht, nur im gegenwärtigen Zustand mehrheitlich islamisch. Das Interessante am Libanon ist halt das über lange Zeit funktionierende Nebeneinander vieler in etwa gleichstarker Glaubensgemeinschaften. Beirut diente vermutlich als Vorbild diverser meist südlicher Städte mit vielen Tempeln in diversen Fantasyromanen, das kann dann auch rückwirkend idealisieren.^^

Ipsissimus, ich wundere mich, daß du bei Syrien tatsächlich unsere Wertvorstellungen und nicht unsere Interessen als entscheidende Gemeinsamkeit anführst. Es sei denn, syrische Gefängnisse und die der CIA... ups.

Maglor
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Fr 26. Jul 2013, 17:51 - Beitrag #49

Vieles im langen Herbst oder neuen Frühling der Dikatoren findet in den hiesigen Leitmedien keinen Nachhall.

Gelegentlich wird z. B. noch bemerkt, dass die ägyptische Salfisten-Partei in Opposition zur Muslim-Bruderschaft steht. Auch hat man mitbekommen, dass die Öl-Prinzen keine Freunde der Muslimbruderschaft sind, weil diese Bewegung eben auf ihre Weise auch republikanisch, revolutionär und sozialpolitisch orientiert ist und damit eben doch der Monarchie entgegensteht. (Man beachte hier den grassen Gegensatz zum militanten Salafisten in Reinkultur. Die Taliban nannten ihren Staat Emirat Afghanistan. Andere Kreise des Spektrums fordern ein Kalifat etc.)
Eines der wesentlichen Probleme in Ägypten ist wahrscheinlich, dass die Minderheitsmeinungsträger nicht (mehr) bereit sind, sich zu fügen. Kompromisse werden nicht gemacht. Die Wahlverlierer sehen es nicht ein, die Muslimbrüder regieren zu lassen und die Muslimbrüder sehen es erst nicht ein als Putschverlierer klein bei zu geben. Wahrscheinlich ist es so, dass die einzelnen Parteien eben mit dem sogenannten Pluralismus nicht zurechtkommen bzw. nach dem sogenannten Frühling erkannt haben, dass man mit der Macht der Straße Politik gemacht erfolgreich werden kann.
Auch kaum Beachtung findet die simple Tatsache, dass Kairo ca. 10 Mio. Einwohner hat. Wenn dann mal 10.000 Menschen auf Tahrir-Platz aufmarschieren, ist das immer noch ein Minderheit. Das Problem ist eben nur, dass dieses ein Promill der Bevölkerung eben doch die ganze Polizei etc. vermöbeln könnte. Dass sich während dieser quasi Streetart-Performance mit gelegentlichen Platzwunden auf Sinai-Halbinsel quasi ein rechtsfreier Raum etabliert hat, ist natürlich Nebensache.

Ein Trennungsszenario halte ich für Syrien wenig erfolgversprechend.
Historisches Vorbild kann nur das seit nunmehr Jahrzehnten defacto autonome Kurdengebiet im Irak sein. Als die Amerikaner (oder die UNO) den Nordirak quasi aus dem dem Machtbereich Saddam Husseins entzogen, begangen sich dort kurdische Warlords und unterschiedliche Parteien gegenseitig zu bekmpfen. Dass ein Rückzugsgebiet für kurdische Rebellen aus der Türkei entstand versteht sich von selbst.
Für Syrien kommt noch der Machtfaktor palästinensischer Gruppen hinzu. Bei den Schiiten ist es fraglich, ob Zwölfer- und Siebener-Schiiten überhaupt noch zusammenarbeiten würden, wenn die Existenzbedrohung durch salafistische Genozidkommandos und die eiserne Hand Assads wegfallen würde. Man sollte nicht immer nur auf den Iran schauen, sondern sich vielmehr fragen was der Krieg in Syrien für den Libanon, den Irak oder die Türkei bedeutet und welches Land als nächstens mit in den Abgrund gerissen wird. (Und was bedeutet das alles für Lampedusa? Ein möglicher Exodus der Syrer wird nicht am Bosporus halt machen.)

Trennlinien der Konflikte möchte ich nicht ziehen. In Syrien kämpfen genau die gleichen Menschen wie im Irak oder Afghanistan, ja genau die gleichen. Es sind die Veteranen aus dem Irak, die sich jetzt über die letzten Christen des Nahen Ostens in Syrien hermachen.
Im Niger kämpfen auch die gleichen Menschen wie in Libyen, obwohl man das nie Frühling nannte.

Die Rolle des Westens ist die des Zuschauers.
Es ist ganz egal ob Syrien Massenvernichtungswaffen besitzt oder einsetzt oder mal die ein oder andere Rakete auf die Türkei abfeuert.
Die NATO wird nicht eingreifen, egal was passiert. Die Entscheidung stand schon vorher fest. Liefern wir lieber noch ein paar Waffen an die Rebellen. Wenn die mit Assad fertig sind, ist Erdogan als nächster dran.

Ipsissimus
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Fr 26. Jul 2013, 18:02 - Beitrag #50

die Rebellen in Syrien sind im Wesentlichen Theokraten. Was sollten Theokraten gegen Ergogan einzuwenden haben?

das eigentlich Interessante an der Situation in Ägypten ist ja die hiesige mrdiale Haltung zur Demokratie, die offenbar ganz Wesentlich davon abhängt, gegen wen sich ein Staatsstreich richtet. Wenn es sich um den gewählten Präsidenten um einen muslimischen Fundamentalisten handelt, ist das offenbar nicht so schlimm mit den Staatstreichen.

Maglor
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Fr 26. Jul 2013, 18:11 - Beitrag #51

Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen. ;)
Endziel der theokratischen Kämpfer kann nur das Weltkalifat sein oder wenigstens das eigene Martyrium.
Es geht gar nicht um Religion. Es ist ein simple Logik.
Frieden im syrischen Kurdistan kann ja auch nur bedeuten, dass danach Krieg im türkischen Kurdistan anfangen muss. Und jene Salafisten, die in Syrien den Weg ins Paradies nicht gefunden haben, müssen ja auch wieder irgendwo hin. Und die Hisbollah könnte im Falle eines Sieges der syrischen Opposition ja auch nicht in den Iran fliehen, was für alle sicher die beste Lösung wäre, sondern müsste in den Irak, den Libanon, die Türkei oder eben an die Wand.

Zitat von Ipsissimus:das eigentlich Interessante an der Situation in Ägypten ist ja die hiesige mrdiale Haltung zur Demokratie, die offenbar ganz Wesentlich davon abhängt, gegen wen sich ein Staatsstreich richtet. Wenn es sich um den gewählten Präsidenten um einen muslimischen Fundamentalisten handelt, ist das offenbar nicht so schlimm mit den Staatstreichen.

Das ist doch fade und alt bekannt. Der Putsch der Fatah im PLO-Gebiet war ja auch in Ordnung, weil die Hamas die Wahl gewonnen hatte. Den Ansatz gibt übrigens auch schon bei der Berichterstattung über die Türkei. Kemalistisch-revionistische Tendenzen innerhalb von Militär und Justiz werden hier allzu oft noch als Vertreter einer säkularen Vernunft bezeichnet, obwohl es ja eine solche in der Türkei nie gegeben hat. :rolleyes:

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Fr 26. Jul 2013, 18:54 - Beitrag #52

alt bekannt und doch immer wieder überraschend in seiner Regelmäßigkeit^^ man sollte meinen, selbst Journalisten könnten lernen, wenn sie nur wollen^^ aber wahrscheinlich ist das der Punkt. Sie wollen nicht.

Traitor
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So 11. Aug 2013, 17:03 - Beitrag #53

Zitat von Ipsissimus:"gegen den Islamismus" - eine Erfindung unserer Medien von auserlesener Bösartigkeit in ihre Diffamierung des Islam^^ ich hoffe, eines Tages vom Kristianismus lesen zu dürfen
Pardon, aber: eine Relativierung deinerseits von auserlesener Bösartigkeit in ihrer Leugnung einer reales Leid verursachenden Ideologie...
Diffamiert wird der Islam, wenn jede politische Haltung, die sich auf ihn beruft, bereits als islamistisch bezeichnet wird. Aber nicht durch die reine Existenz des Begriffes, für den es sehr wohl angemessene Anwendungsfälle gibt. Ob die Muslimbrüder nun islamistisch sind oder nur pro-muslimisch, wie die CSU pro-christlich ist, darüber kann man reden. Die iranischen Ajatollahs, die Taliban, manche syrische "Rebellen", usw. sind aber ganz zweifelsohne "islamistisch".
Und natürlich gibt es Christianismus. Da das Christentum in unserem Kulturkreis aber die "Standard-Religion" ist, wird er nicht so genannt, sondern üblicherweise "religiöser Fundamentalismus", ohne es für nötig zu halten, zu spezifizieren, welche Religion dahinter steckt.

Zitat von Ipsissimus:das eigentlich Interessante an der Situation in Ägypten ist ja die hiesige mrdiale Haltung zur Demokratie, die offenbar ganz Wesentlich davon abhängt, gegen wen sich ein Staatsstreich richtet. Wenn es sich um den gewählten Präsidenten um einen muslimischen Fundamentalisten handelt, ist das offenbar nicht so schlimm mit den Staatstreichen.
Auch hier zeigt sich die Analogie zu antisozialistischen Putschen. Aber es gibt noch einen weiteren, inhärent weitgehend bedeutungslosen, aber für die mediale Wahrnehmung sehr wichtigen Aspekt: ist ein Putsch offiziell gegen die Demokratie an sich gerichtet, oder behaupten die Putschisten, die Demokratie gegen eine mit demokratischen Mitteln erfolgte Machtergreifung schützen zu wollen? Letzteres ist in Ägypten der Fall, und viele wollen es gerne glauben.

@Maglor: Die Unterschätzung der Differenzen zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen des Islam erscheint mir auch immer mehr als größter blinder Fleck des Westens. Die auch nur auseinanderhalten zu können, müsste ein viel wichtigerer Lehrinhalt in Schulen und Zeitungen sein.

Ipsissimus
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Mo 12. Aug 2013, 11:56 - Beitrag #54

"Islamismus" ist keine Ideologie, sondern eine Wahnvorstellung und ein Kampfbegriff westlicher Medien und Politiker. Das entlarvt sich eigentlich unmittelbar anhand deiner Aussage zum Christianismus, denn das Verhältnis Christentum zu Christianismus ist dasselbe wie zwischen Islam zu Islamismus. Wenn im Falle des Christentum als Charakterisierung und Bezeichnung "christlicher Fundamentalismus" genügt, genügt im Falle des Islam auch die Charakterisierung und Bezeichnung "islamischer Fundamentalismus". Eine über die Diffamierung hinausgehende Funktion oder Sinnhaftigkeit ist mit der anderen Handhabung der islamischen Variante nicht verknüpft, das Argument unserer Vertrautheit mit unserer Referenzreligion ist bestenfalls ... na ja, es haut in dieselbe Kerbe wie die eigens erfundene Bezeichnung selbst.

Auch hier zeigt sich die Analogie zu antisozialistischen Putschen
Wo noch und überhaupt, was möchtest du damit sagen?

ist ein Putsch offiziell gegen die Demokratie an sich gerichtet
Das Konzept des Putschs steht in erheblichem Spannungsverhältnis zum Konzept der Offizialität.

... die Demokratie gegen eine mit demokratischen Mitteln erfolgte Machtergreifung schützen ...
Im Falle eines demokratischen Systems, das wie weiland die Weimarer Republik per Ermächtigungsgesetz einkassiert wurde, mag diese Überlegung greifen. Das System in Ägypten, das durch die ersten demokratischen Wahlen, die dort überhaupt seit Ewigkeiten abgehalten wurden, abgeschafft - zumindest in Frage gestellt - wurde, als "Demokratie" aufzufassen, ist aber schon verwegen. Diese Wahlen wurden erzwungen und das auf ihrer Grundlage gebildete System muss mangels Erfahrung der Ägypter mit Demokratie als Experiment aufgefasst werden. Und der Putsch richtete sich nicht gegen Mursis Theokratisierungstendenzen, sondern gegen seine fehl laufende Wirtschaftspolitik.

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Mo 12. Aug 2013, 21:53 - Beitrag #55

Die Wahnvorstellung der Diktatur ist es, die den Orient in den Wahnsinn treibt.
Es wäre sicher vieles einfacher, wenn sie dieses Trugbild der Diktatur ablegen würden, so wie die Menschen im Westen.

Die Okzidentalen glauben nicht mehr an die Diktatur.
Abhörskandale, soziale Ungerechtigkeiten, Verdachtsmomente der Korruption und vor allem die Gewissheit, dass die Regierung nicht nach Volkes Pfeife tanzt, erschüttert die Okzientalen nicht mehr, weil sie den Glaube an die Diktatur verloren haben. Das ist auch der Grund, warum den Herbst der Diktatoren genauso wenig verstehen wie den Frühling der Generäle und das ganze in ihrer eigenen Wahnvorstellung des Islamismus umdeuten. Sie verkennen ja meistens sogar, dass ca. 10 % der Syrienkämpfer aus Europa kommen und die dortigen Vorgänge einen gewissen Modernismus darstellen, weil die dortigen politischen Gruppierungen eben doch europäischen Ideen folgen, die in Europa keine Rolle mehr spielen.

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Di 13. Aug 2013, 09:38 - Beitrag #56

@Ipsissimus: Zu den -ismen mache ich einen Extra-Thread auf.

Zur Analogie: Mir fällt seit einiger Zeit die lokal- wie globalpolitische Vergleichbarkeit der derzeitigen Situation in Nordafrika und Nahost zwischen Diktaturen, "Demokratie" und "Islamismus" einerseits und Lateinamerika früher (und in Einzelfällen, siehe Venezuela, noch jetzt) zwischen Sozialismus, Diktaturen und Demokratie auf. Erstens das unübersichtliche Kontinuum zwischen diesen Regierungs- und Gesellschaftsformen. Zweitens die wirtschaftlichen und Kastenaspekte. Drittens die Art der westlichen Einmischung, die offiziell Demokratie nach eigenem Vorbild fordert, allzuoft aber Diktaturen stützt oder zu ihnen schweigt, solange diese die abgelehnte Ideologie eindämmen.

Das Konzept des Putschs steht in erheblichem Spannungsverhältnis zum Konzept der Offizialität.
Es gibt ja immerhin den "Putsch mit Ansage"... meistens folgt die "offizielle" Rechtfertigung aber natürlich erst im Nachhinein, und die kann durchaus von "Demokratie ist Teufelswerk" bis zu "wir sind die Retter der Demokratie" reichen.

Erzwungene Wahlen müssen nicht das schlechteste sein, in Deutschland hat es ja vergleichsweise gut geklappt, besser als bei den selbsterarbeiteten im ersten Anlauf... Für Ägypten "Demokratie" trotzdem meinetwegen gerne in Anführungszeichen.
Die Wirtschaftsüberlegungen dürften inoffiziell die dominierenden sein, in der öffentlichen Kommunikation wurden von Demonstranten wie Generälen auch religiöse Intoleranz, Überkonservatismus und politisch-juristische Gleichschaltung als gleichberechtigte Argumente angebracht. Insbesondere letzteres hatte auch durchaus etwas von "Machtergreifung".

@Maglor: Wann hat schon je jemand an Diktatoren geglaubt, außer in kurzen kollektiven Wahnphasen? Selbst im alten Rom galt der Posten iirc von Anfang an als notwendiges Übel.

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Do 15. Aug 2013, 20:41 - Beitrag #57

Zitat von Maglor am Alt 12.02.2011:Vielleicht ist es an der Zeit die Blätter zu zählen, die bereits vom Baum gefallen sind.
Nach Ben Ali mit Mubarak bereits der zweite Diktator gestürzt bzw. zuzrückgetreten. Bei den Unruhen in Ägypten wurden ca. 300 Menschen getötet, in Tunesien waren es über 200 Tote.

Das war also der Herbst. :rolleyes:
Er entspricht also nur dem Tagwerk eines Frühlingstages. :|

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