Zitat von Ipsissmus:Alle mir bekannten sich demokratisch gebenden Staaten und überstaatlichen Organisationen wie die EU dulden im Herzen ihrer Staatsform einen vollständig und ganz und gar demokratiefeindlichen Mechanismus, nämlich Lobbyismus. Lobbyismus bewirkt, dass die Entscheidungen von Politikern zugunsten der Privilegien von Interessengruppen ausfallen und nicht mehr an das Wohl der Gesamtbevölkerung gebunden sind, oder allgemeiner, dass gruppenspezifische (=gruppenegoistische) Partialinteressen als Gemeinwohl deklariert werden.
Das sehe ich genau so, ich fürchte aber, daß ein gewisses Maß an Interessenvertretung gesellschaftlicher Gruppen unvermeidbar ist: In jeder größeren Gesellschaft bilden sich Untergemeinschaften heraus, die nur noch begrenzte Wahrnehmung der Probleme anderer Untergemeinschaften haben. Die Politikergemeinschaft ist verpflichtet, Politik für alle Teile der Gesellschaft zu machen, für die Einzelnen wie für bestimmte Gruppen. Dazu bedarf sie aber einer Kenntnis der jeweils relevanten Befindlichkeiten, Bedürfnisse und Problemlagen, um auf diese adäquat reagieren zu können.
Vielleicht ließe sich dies aber dahin gehend auflösen, daß die Kritik spezifisch auf kommerziell ausgerichtete Interessenvertretungen abstellt.
@Strkturelle Gewalt:
Das Konzept stammt von dem norwegischen Friedensforscher Johan Galtung, der ergänzend zu der klassischen, meist körperlichen Gewalt durch einen oder mehrere bestimmte Täter eine durch gesellschaftliche oder staatlich-administrative Machtstrukturen und Regelsysteme vermittelte Einschränkung individueller Freiheitsrechte und Entfaltungsmöglichkeiten als Strukturelle Gewalt bezeichnet. Er setzt dabei ideell auf entsprechenden Äußerungen von Me-Ti ("Buch der Wendungen") auf:
Zitat von Me-Ti:„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“
Galtung selbst definiert Strukturelle Gewalt wie folgt:
Zitat von Johan Galtung:„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist“.
Letztlich kann ich nicht anders, als Ipsi recht geben, was die, sagen wir, geringe intellektuelle Problemdurchdringung der Politik betrifft:
Sicher haben viele Länder über ihre Verhältnisse gewirtschaftet, Griechenland und einige andere besonders. Sicher muss hier anders gewirtschaftet werden, insbesondere müssen die Einnahmen verbessert werden, überhaupt den entsprechenden geltenden Gesetzen folgend gemacht werden, das ist allein schon eine Frage der Gerechtigkeit. Auch Ausgaben müssen gekürzt werden, wo sie wenig sinnlos und verschwenderisch sind. Schuldenschnitte kann man machen, sie können die Konsolidierung erleichtern.
Aber bei alledem muss doch betrachtet werden, daß im Falle eines Staates konkret immer Menschen betroffen sind, und welche Menschen diese Maßnahmen besonders treffen.
Ich hörte vor ein paar Tagen - nicht in den Nachrichten, sondern in einer Hintergrunsendung im dlf - daß der Schuldenschnitt in Griechenland auch von der dortigen Rentenversicherung mitvereinbart wurde, die für die Kapitalerwirtschaftung griechische Staatsanleihen besaß. Folge: Die Hälfte der Rentenbeträge sind verloren, Rentner mit eh schon niedrigen Renten haben von der Hand in den Mund nur noch die Hälfte. Und das, ohne die maßgeblichen Verursacher des Problems zu sein und ohne etwas an ihrer Lage ändern zu können.
Man spricht von den Verwerfungen, die ein Austritt aus dem Euro bringen würde, man weist es ab, gemeinschaftlich zu haften, wo man gemeinschaftlich sehend das Problem mit verursacht hat, stattdessen lässt man die Bevölkerung ins Elend abrutschen, darauf vertrauend, daß die Menschen sich nicht kollektiv wehren werden.
Und wenn doch, hat man Frontex und andere Mittel zur Hand.