(Selbst-)Verteidigungsminister Guttenberg ein Plagiator?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Lykurg
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Mi 23. Feb 2011, 09:56 - Beitrag #61

Er hat mehrere Tage für die Entscheidung gebraucht, ja, gefühlt eine lange Zeit. Aber erstens ist es für ihn eine Lebensentscheidung - er hat ca. sechs Jahre an der Diss gearbeitet, wie er schreibt, und jetzt ist das alles für die Katz wegen eines Vergehens, dessen Schwere er offenbar zunächst selbst nicht sah. Vielleicht liegt das auch in seiner Herkunft und schon damaligen Machtposition begründet, die ihm die tägliche Zuarbeit von namenlosen Mitarbeitern selbstverständlicher machten als anderen in ihrer Doktorandenzeit. Zweitens: Wieviel Zeit hätte er für die Entscheidung wohl vor zwanzig Jahren gehabt? Affären hatten früher viel weniger Dynamik; und die Schwarmintelligenz wäre sowieso nicht zum Tragen gekommen. In gewisser Weise haben wir es mit einer neuen Situation zu tun, was sich ja auch in seiner bundesweit beispiellosen 'Rückgabe' des Doktors zeigt, womit Bayreuth vor ein auch rechtliches Problem gestellt wurde - 'geht das überhaupt?' - insofern kann man auch mit einiger Berechtigung sagen, daß er formal zu schnell gehandelt hätte, nämlich der Entscheidung vorgegriffen, die er ja eigentlich abwarten wollte. Das wäre formal korrekt gewesen, aber mit der Öffentlichkeit nicht gegangen. Insofern kann ich sein Verhalten hier recht gut verstehen.

Die Bewertung des Mißbrauchs des Wissenschaftlichen Dienstes ist analog zu anderen Vorteilsnahmen zu beurteilen; ob ihn das knickt, muß man sehen, das ist aber unabhängig von der Plagiatsfrage an sich abzuwägen. Das hat jedenfalls deutlich mehr Zusammenhang mit seinem Amt als der Titel, liegt aber immerhin auch schon einige Jahre zurück. Man wird sehen und sollte auch hier nicht den fälligen Entscheidungen vorgreifen.

Sehr deutlich ist übrigens die Rückendeckung für ihn seitens der Bundeswehr. Laut dem letzten Afghanistankommandanten Fritz war Guttenberg in den letzten neun Monaten fünfmal da, hat jedesmal als erstes die Soldaten gefragt, was sie brauchen und was er für sie tun kann. Die fühlen sich von ihm verstanden und haben wirklich andere Sorgen als seinen Titel.

Roban, darin, daß sich die Kanzlerin hinter ihn stellt, sehe ich nichts überraschendes, geschweige denn eine Ungeheuerlichkeit. Die würde durch einen erzwungenen Rücktritt selbst massiv beschädigt, müßte ihr Kabinett umbilden etc., insofern ist es für sie nur vernünftig, die Abläufe zu entschleunigen.

Roban
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Mi 23. Feb 2011, 12:48 - Beitrag #62

Lykurg, dein großes Verständnis in Ehren. Beschäftigt man sich intensiver mit dem oft zunächst unverständlichen Verhalten anderer, löst sich vieles in Luft auf, was wir uns gerne einbilden, um uns besser zu stellen als andere, indem wir sie herunterziehen. Doch läßt sich damit prinzipiell alles verstehen und entschuldigen, legt man bei allen die selben Voraussetzungen, Fähigkeiten und Verantwortungen zugrunde. Es gibt aber gravierende Unterschiede im Machtgefüge, die ja auch dazu führen, daß Elitemenschen von vielen sehr viel Rahm hochgestampft bekommen und damit den vielen auch entsprechende Gegenleistung in Form von Fähigkeit und Verantwortung schulden.

Habe ich Verständnis dafür, daß "Dr. Chef" den Selbstverteidigungsminister nicht vom Seil schüttelt, kann ich auch Verständnis dafür haben, daß sich zwischen einem alten, liebenswürdigen Sack und einem jungen Mädel zarte Bande entwickeln und daraus - wie es halt so geht - eine Schwangerschaft entsteht, noch eine, und noch eine ... - Auch die "Kranken", die ihre Opfer umbringen, nachdem sie sich befriedigt haben, schlittern über viele Stationen undisziplinierten Verhaltens in die Rolle des Bösen. Niemand kommt mit einem Gebiß auf die Welt und beißt seiner Mama die Brustwarzen ab, damit die ihm das bequemer zu melkende Fläschchen hinhält.

Die Superreichen, die sich durch jahrelange kooperative Schweinereien mit Juristen Villen und Jachten leisten können, würden auch massiv geschädigt, wenn sie durch irgendwas gezwungen würden, mit der zu Unrecht stattfindenden Bereicherung aufzuhören.

Nur Gesellschaften, in denen genug Kontrolle wirksam ist, die zu große Ungerechtigkeiten beim Geben und Nehmen verhindert, ist überlebensfähig und wird genug Zufriedenheit für alle ermöglichen.

Lykurg
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Mi 23. Feb 2011, 13:27 - Beitrag #63

Roban, darin sehe ich erhebliche Gefahren. Gesellschaften mit starker Kontrolle der Reichen seien zufrieden und stabil? Wie weit willst du da gehen? Mir fallen spontan einige Staaten ein, in denen genau diese Kombination nicht funktioniert...
Gerade für Abwägungen, was im Rahmen des Zulässigen ist und was außerhalb, braucht man Juristen und eine funktionierende Justiz. Alles andere ist Willkür (und naturgemäß in den obengenannten Staaten besonders weit verbreitet, wobei das auch dort Schweinereien der Machthaber nicht verhindert).

Meine Argumentation zielte aber darauf ab, daß er eventuell im Rahmen des Möglichen rational und richtig gehandelt hat. Deine Forderung nach einem Anlegen unterschiedlicher und speziell für Funktionsträger verschärfter Maßstäbe ist in meinen Augen unrealistisch und auch nicht wünschenswert.

Ipsissimus
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Mi 23. Feb 2011, 13:47 - Beitrag #64

mittlerweile ist ja auch klar, dass wir alle nur einer gutinszenierten PR-Kampagne auf den Leim gegangen sind. Wie sein Verlag gestern mitteilte, ist die Dissertation Guttenbergs der Verkaufsschlager der Saison, auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste für Belletristik und die erste Auflage war innerhalb einer Woche komplett ausverkauft^^ letzteres stimmt übrigens^^


es ist schon ein Lehrstück, zu verfolgen, wann wer aus welchen Gründen und in Bezug auf welche Gruppen nach starkem Staat mit mehr Kontrolle ruft. Die Konstellationen sind da überaus fluide. Und wer da gerne Polizei vor seinen Geschäften sehen möchte, um deren Sicherheit festzustellen, möchte noch lange nicht automatisch auch die Polizei in seinen Geschäften, damit die Gesellschaft sicher sein kann^^ Das gilt natürlich in analoger Weise auch bezogen auf alle möglichen anderen Rufer^^

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Mi 23. Feb 2011, 15:40 - Beitrag #65

Jetzt, wo sich der Sturm unmittelbarer Ereignisse legt, finden sich in Spiegel und FAZ grundsätzlichere Analysen des ganzen.

Der Spiegel geht die Sache unter dem Titel Guttenbergs Ehre - Die Lüge ist ministrabel geworden an. Er sieht dabei sehrwohl eine fundamentale Bedeutung der ganzen Affäre:
Bevor wir nun aber flugs wieder zur Tagesordnung übergehen und zu den tatsächlich wichtigeren Problemen in Nordafrika, in Afghanistan und der Frage, ob acht Euro mehr im Geldbeutel der Hartz IV-Empfänger die soziale Kluft in Deutschland zumindest ein wenig zuschütten können, sollten wir uns vielleicht doch noch einmal kurz bewusst machen, was es eigentlich bedeutet, wenn einer wie Karl-Theodor zu Guttenberg Minister in diesem Land bleiben kann. Um eine plagiierte Promotion geht es dabei längst nicht mehr. Es ist eine Zäsur in der politischen Kultur der Bundesrepublik: Die Lüge ist ministrabel geworden.
Als Motiv für die stete Stützung Guttenbergs wird Partei- bzw. Regierungsräson vermutet:
Stellen wir uns nur einmal kurz vor, zu Guttenberg wäre zurückgetreten. Angela Merkel hätte ihr Kabinett umbilden müssen zu einer für sie denkbar ungünstigen Zeit. Das Jahr hat mit der furios verlorenen Hamburg-Wahl schon schlimm genug für die Union begonnen, der Verlust des beliebtesten Mannes hätte wohl weitere Niederlagen für die Christdemokraten eingeläutet, die CSU hätte gleich gänzlich ohne Perspektive dagestanden. Das darf nicht geschehen - also muss Guttenberg um jeden Preis gestützt und gehalten werden.

Der Spiegel sieht auch Anlaß zu Zweifeln an der grundsätzlichen Ehrlichkeit zu Guttenbergs:
Es "schmerzt" Karl-Theodor zu Guttenberg, seinen Titel nicht mehr führen zu können, sagte er in Kelkheim vor den treuen Kameraden aus der hessischen CDU. Was allen anderen Schmerzen bereiten sollte, ist sein und der Umgang der Kanzlerin mit der Glaubwürdigkeit der Politik. Wenn einer schon in einer Angelegenheit die Unwahrheit verbreitet, die im Grunde nur seine persönliche Eitelkeit betrifft, wie steht es dann um den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen, wenn es um wirklich wichtige Fragen geht? Muss man jetzt nicht noch mehr als vorher davon ausgehen, dass der Verteidigungsminister auch bei seinen Einlassungen zur Kunduz-Affäre die Realität zu seinen Gunsten verbogen hat? Und was kann man ihm in Zukunft noch abnehmen - außer den unbedingten Willen, sich selbst in einem guten Licht darzustellen?
Die Werteproklamation der Politiker wie Guttenbergs für sich selber werden vor diesem Hintergrund als problematisch und Demokratiegefährdend eingestuft:
Mit dem versäumten Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs, mit der Rückendeckung der Kanzlerin für ihre so dringend benötigte Lichtgestalt ist es jetzt amtlich: Wenn ein Politiker von Werten redet und von Verantwortung, dann handelt es sich dabei nur um eine Simulation. Begriffe wie Anstand und Ehrgefühl werden nur bemüht, weil sie das Publikum gerne hören will. Doch sie bedeuten nichts. Das ist nicht gut für die Demokratie. "Politik braucht klare Werte", steht nach wie vor auf der Website von Karl-Theodor zu Guttenberg. Und: "Verantwortung bedeutet vor allem Verpflichtung, Vertrauen und Gewissen." Es wäre anständig, wenn der im Amt bleibende Verteidigungsminister wenigstens diese Phrasen entfernen lassen könnte - als Akt der politischen Hygiene.



Aus dem Kommentar mit dem Titel Guttenbergs Copy-Paste-Affäre - Kapitulation des deutschen Bürgertums geht hervor, dass an Guttenbergs Dissertations-Plagiat ein wesentlicher gesellschaftlicher Wandel festgemacht wird:
Er gibt den "Dr." zurück, und Schwamm drüber: Die Union will nach dem akademischen Etikettenschwindel ihres Verteidigungsministers Guttenberg sofort zur Tagesordnung übergehen. Dabei hätte genuin Konservativen nichts verwerflicher sein müssen als ein solcher Verrat an den eigenen Idealen.
Was wir in diesen Wochen erleben, ist der Abgesang des deutschen Bürgertums, seiner Postulate, seiner Lebensform, seines Ethos. Dieses deutsche Bürgertum war über Jahrhunderte zusammengehalten durch Furcht vor Verfall. Und der Verfall drohte durch die Roten, durch aufsässige Unterschichten, schließlich durch revoltierende 68er. Als gefährdet galt das Eigentum, der Leistungsgedanke, die Tugenden von Fleiß, Ehrbarkeit, Anstand. So hat man es über Jahrzehnte wieder und wieder von Vertretern bürgerlicher Parteien, kirchlicher Einrichtungen, wirtschaftlicher Verbände gehört.



Auf mich nicht ganz so deutlich eine Zeitenwende sehend wirkt der Kommentar der FAZ mit dem Titel Minister zu Guttenberg - Entlassen. Nett finde ich den auf Guttenbergs Entlassungssyndrom anspielende Einleitung:
Um seine politische Karriere zu retten, hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg diesmal seinen eigenen Doktor entlassen. Damit mag er davonkommen. Die von ihm vertretenen Werte aber sind beschädigt.
Die m.E. wesentlichen Gedanken und Einschätzungen finden sich im Ende des Textes:
Schaden im Kosmos der bürgerlichen Werte
Noch aber ist Deutschland eine Republik, und noch ist ein Plagiat Diebstahl geistigen Eigentums. Die Kanzlerin mag aus naheliegenden Gründen über Letzteres hinweggehen, wenigstens nach außen hin. Den Schaden im Kosmos der bürgerlichen Werte, den die Operation zur Rettung des gestrauchelten Bannerträgers nach sich zieht, kann aber auch Frau Merkel unmöglich übersehen.
Die Aktion, so sie denn gelingt und schon alles am Licht ist, wird Spätfolgen haben. Guttenberg hätte sich selbst, den Werten, die er hochhält, und langfristig auch der Union einen besseren Dienst erwiesen, wenn er nicht nur der Universität Bayreuth einen Brief geschrieben hätte, sondern auch der Kanzlerin.



Im von der Faz in diesem Kommentar verlinkten Artikel mit dem Titel Guttenberg verzichtet auf Doktortitel - „Solche Stürme hält man aus“ erkenne ich ein erschreckendes Medienbild von zu Guttenberg:
Von seinen drängenden Aufgaben in Afghanistan redet Guttenberg jetzt, von toten Soldaten, die zur „Randnotiz“ geworden seien im Angesicht einer Debatte über die „Fußnoten in einer ministeriellen Doktorarbeit“, von einer Presse, die aufpassen müssten, dass sich die „Maßstäbe nicht verschieben“. Das sei „kein wirkliches Beispiel für exzellenten Journalismus“ gewesen. Und dann die Sätze, die Guttenberg unbedingt hier in der Provinz sagen wollte und nicht in Berlin: Es gehe darum, den Schaden „für eine Universität, bei meinem hoch geschätzten, honorigen Doktorvater und einem Zweitkorrektor“ zu begrenzen. Bei der Durchsicht der Arbeit habe er festgestellt, „wie richtig es war, dass ich gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde“. Auch wenn dies schmerze. Die Guttenberg-Gemeinde ist aufs Tiefste gerührt.

Eben gerade aus wegen den in den obigen Kommentaren deutliche werdenden Überlegungen halte ich Guttenbergs Dissertation sehrwohl auch für ein äußerst wichtiges Thema, das der Journalismus zu recht stark thematisiert hat. Übrigens spricht Guttenberg, m.E. insofern vollkommen folgerichtig, nicht davon, dass er den Schaden bei sich selbst begrenzen wollte oder habe...

Lykurg
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Mi 23. Feb 2011, 17:12 - Beitrag #66

In der Tat halte ich entgegen der Spiegel-Darstellung den bürgerlich-konservativen Wert der Ehrlichkeit in der Politik für eine längst nicht mehr zu erfüllende Illusion. Nach meinem derzeitigen Erfahrungsstand erwarte ich nicht, daß Politiker sich moralischer als andere Menschen verhalten könnten. Im Gegenteil - wenn Politiker unumgänglich ethisch einwandfrei sein und handeln müßten und bei jedem geringsten Zweifel sofort ihr Amt verlören, würde das zu einer noch weitergehenden Abschottung, Beschönigung und Verschleierung führen - unter Verschärfung bisheriger Tendenzen zur medial vermittelter Oligokratie. Macht korrumpiert, und die höchste Macht erreichen keine reinen Toren. Nur wer von Anfang an alle seine Leichen im Nachbarskeller vergraben hätte oder später die Möglichkeit zu einem digitalen Großreinemachen bekäme, hätte überhaupt noch politisch Chancen, sehr viel wahrscheinlicher wäre aber ein restriktives Presserecht, das sämtliche ihnen mißliebige Berichterstattung zu Personen des öffentlichen Lebens unterbände. Angesichts dieser Optionen ist mir Fehlbarkeit lieber...

Vor diesem Hintergrund erkenne ich auch in der derzeitigen Affäre fortgeschrittene ethische Korruption, verbuche das aber (etwas zynisch) unter dem Erwartbaren und bin bereit, bis auf Weiteres abzuwarten, wie ein vermutlich kommender parlamentarischer Untersuchungsausschuß dazu befindet - solange es nicht mit seiner Amtsführung kollidiert und er sich nicht direkt strafbar gemacht hat, was beides klar Gründe für einen direkten Rücktritt wären.

Ipsissimus
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Mi 23. Feb 2011, 17:30 - Beitrag #67

ich denke, ein zentraler Begriff im Rahmen dieser ganzen Diskussion lautet "Illusion". Es wurden Illusionen zerstört, darunter auch solche, mit denen der Staat regiert wird. Sowas ist eigentlich gefährlich. Dass diese Zerstörung von Illusionen nur zu einem Sturm im Wasserglas führte und Guttenberg bei weitem nicht in Gefahr schwebt, von verbitterten Bürgern, denen die Augen aufgingen, in einer Nacht und Nebel-Aktion gelyncht zu werden, weist meines Erachtens vor allem darauf hin, wie desillusioniert und resigniert viele Bürger tatsächlich schon sind. Es weist auch ein bisschen darauf hin, wie tief verwurzelt und weit verbreitet die Sehnsucht nach einer "Lichtgestalt" ist, und letzten Endes auch, wie wenig die deutsche Gesellschaft gegen Demagogen tatsächlich immunisiert ist, wenn die es nur freundlich und geschickt genug anstellen.

Ein weiterer zu nennender Begriff wäre "Realpolitik". Er kommt durch, womit er durchkommt. Die Gründe dafür sind egal, solange er den dafür nötigen Preis zu zahlen bereit und imstande ist.

Die falsche Art von Zynismus, an allen relevanten Stellen. Aber mächtig genug und somit entscheidungsbestimmend.

e-noon
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Mi 23. Feb 2011, 17:43 - Beitrag #68

Jemanden wegen Betrugs in einer Doktorarbeit zu lynchen, fände ich auch entsetzlich. Lieber resigniert als derart verbohrt, dass man jemanden lieber umbringt, als einen Fehler zu verzeihen, selbst einem Politiker :rolleyes: Was nicht heißt, dass man ihn weiter im Amt lassen und seinen Diebstahl, wie auch seine Lügen diesbezüglich, ignorieren sollte. Die angemessenste Maßnahme, eine Psychotherapie für Guttenberg, in der er lernt, seine inneren Werte zu pflegen und wertzuschätzen, anstatt sich äußeren Eitelkeiten hinzugeben, ist sicher illusorisch; mir fällt leider keine Möglichkeit ein, in der er weiterregieren und gleichzeitig seine Läuterung unter Beweis stellen kann. Es sei denn, er vollbringt etwas wahrhaft Großes, stiftet einen Teil seines Vermögens dem Fond für Opfer akademischen Plagiats, wenn es so etwas gibt, oder legt seinen Adelstitel ab, weil er erkannt hat, dass es auf die Fähigkeiten und nicht die Bescheinigungen und Namenszusätze eines Menschen ankommt...

Lykurg
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Mi 23. Feb 2011, 18:39 - Beitrag #69

Sehen wir es auch so: In unserer Wissens- und Informationsgesellschaft gelangen viele Dinge nach mehr oder weniger zufälliger Auswahl ans Tageslicht, die früher nie jemandem aufgefallen wären. Bayreuth hat, heißt es, nie eine reguläre Plagiatsprüfung durchgeführt, wer betrügen will, der konnte es also schon immer. Wenn aber jetzt mehr Dinge rauskommen als früher und gefiltert von sprunghafter öffentlicher Aufmerksamkeit, mal das eine und mal das andere Thema unter den Tisch fällt oder eine Woche später ganz groß wird, kann auch die Setzung von Konsequenzen neu diskutiert werden.
Und wenn die Öffentlichkeit daran Anteil hat bzw. diese Diskussion in irgendeiner Weise selbst führt, ist das eine interessante Verlagerung realpolitischer Urteilsbildung zu den Bürgern. (Natürlich auch da begleitet von den üblichen Akteuren und ihren Perversionen - ich sah heute auf deren Titelblatt, daß die B*ld eine TED-Umfrage veranstaltet, ob Guttenberg bleiben soll...)

Roban
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Mi 23. Feb 2011, 19:11 - Beitrag #70

Zitat von Lykurg:Roban, darin sehe ich erhebliche Gefahren. Gesellschaften mit starker Kontrolle der Reichen seien zufrieden und stabil? Wie weit willst du da gehen? Mir fallen spontan einige Staaten ein, in denen genau diese Kombination nicht funktioniert...
Gerade für Abwägungen, was im Rahmen des Zulässigen ist und was außerhalb, braucht man Juristen und eine funktionierende Justiz. Alles andere ist Willkür (und naturgemäß in den obengenannten Staaten besonders weit verbreitet, wobei das auch dort Schweinereien der Machthaber nicht verhindert).

Meine Argumentation zielte aber darauf ab, daß er eventuell im Rahmen des Möglichen rational und richtig gehandelt hat. Deine Forderung nach einem Anlegen unterschiedlicher und speziell für Funktionsträger verschärfter Maßstäbe ist in meinen Augen unrealistisch und auch nicht wünschenswert.


Ich komme beim besten Willen nicht darauf, wie Du darauf kommst, Lykurg. Ich habe weder in meinen Zeilen noch dazwischen gemeint, Reiche sollten Gesellschaften stärker kontrollieren. Daß sie von der Gesellschaft bzw. von Juristen stärker kontrolliert werden sollen, ist sicherlich notwendig, so wie sich alles entwickelt hat mit den Schuldenbergen, der Dauerarbeitslosigkeit und den vielen anderen "Unschönheiten" nach dem großen Wiederaufbau ab 1945.

Schön wäre, Juristen würden für das Abstecken des Rahmens des Zulässigen zur Verfügung stehen! Sie sind so wenig bereit, diese Pflicht zu erfüllen, daß sie es nicht mal mächtige Scherenspreizer und kleinere Quälgeister unserer Zeit daran gehindert haben, den Rahmen des Erträglichen zu sprengen! Die Krise ist nicht das Werk von Kassiererinnen, die sich ab und zu eine Kleinigkeit zur Aufbesserung ihres kärglichen Gehalts geleistet haben, auch nicht zu viel Engagement der Gerichtsputzfrauen, die zu viele Akten voreilig weggeräumt haben ...!

Es erstaunt mich, daß noch nicht bei dir angekommen ist, wie sehr es mir um eine funktionierende Justiz geht. Ich möchte behaupten, daß es wenige gibt, die so viel dafür unternommen haben wie ich. Die meisten, die sich um dieses Ziel gekümmert haben waren Juristen. Doch die konnten nicht verhindern, daß Willkür und Machtmißbrauch in der deutschen Justiz eingedämmt wird. Viele haben ihn sogar gedeckt, zu stablisiert und gefördert!

Ich habe dein Verständnis für unseren Selbstverteidigungsminister deshalb kritisiert, weil sich das Böse und das Unrecht schlechthin genau mit solchen Rechtfertigungen und diesem Verständnis entwickelt. Ich finde es aber wichtig, Verständnis zu haben, damit mehr Menschen die Gefahren rechtzeitig erkennen. Schließlich sind es nur kleine, banale Fehler bei unserer Kommunikation mit uns selbst, die zu größeren mit anderen führen und sich irgendwann zu so großem Unrecht aufschaukeln, daß die Betroffenen ihr Hirn deformieren und irgendwann auch in der Lage sind, über Leichen zu gehen.

Lykurg
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Mi 23. Feb 2011, 19:38 - Beitrag #71

Mit "Kontrolle der Reichen" meinte ich natürlich nicht "Kontrolle [des Staates] durch die Reichen", sondern eben "Kontrolle[/Einschränkung] der Reichen [durch den Staat]", wie du es offensichtlich gemeint hattest. Kommunikation...^^

Ich muß gestehen, daß meine Augen ins Trudeln kommen, wenn ich in deinen Beiträgen das Wort Jurist lese. Das Phänomen nennt sich in der Handschriftenkunde Augensprung: Wenn man einen Text abschreibt, in dem ein im Alltagssprachgebrauch nicht allzu stark vertretenes Wort zweimal im Abstand von wenigen Zeilen auftaucht, kann es passieren, daß man das zweite für das erste hält, also den Satz bis zum ersten Auftauchen abschreibt und ab dem zweiten weiterschreibt, die Textpassage dazwischen aber verlorengeht. Dies führt zu erheblicher Textverschlechterung in mittelalterlicher Literatur. Ich möchte jetzt keinen Skandal daraus machen, aber es könnte in neuzeitlicher Anwendung erklären, warum in meiner Wiedergabe deine Forderungen nicht zwangsläufig zum gleichen Ergebnis kommen. Vielleicht sollte ich mehr ZDF gucken. Bild

Verständnis bedeutet nicht zwangsläufig auch Verzeihen, Roban.^^ Es kann aber einen Appell dafür bedeuten, eine Forderung zu kontextualisieren und gegebenfalls eine Kompromißlösung anzustreben, gerade wenn eine prophylaktische Argumentation à la "... führt auf die Dunkle Seite der Macht" vielleicht am Modell funktioniert, aber in der Realität nicht praktisch umsetzbar ist.

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Mi 23. Feb 2011, 19:39 - Beitrag #72

Zitat von Lykurg:Und wenn die Öffentlichkeit daran Anteil hat bzw. diese Diskussion in irgendeiner Weise selbst führt, ist das eine interessante Verlagerung realpolitischer Urteilsbildung zu den Bürgern. (Natürlich auch da begleitet von den üblichen Akteuren und ihren Perversionen - ich sah heute auf deren Titelblatt, daß die B*ld eine TED-Umfrage veranstaltet, ob Guttenberg bleiben soll...)


Die hat inzwischen offenbar sowohl ein von diesem Organ ungewolltes Ergebnis wie auch zweiBeiträg im Bildblog erzielt: Deutschlands flexibelste Meinung und Deutschland stimmt sich ab

Auch die Zeit befindet sich inzwischenin der Reihe derjenigen, die das Feszhalten von Guttenberg an seinem Posten wie von der Politik an Guttenberg als äußert kristisch einstufen - mit dem Kommentar Guttenberg verhöhnt das Leistungsprinzip
Rücktritt oder nicht: Der Verteidigungsminister taugt nicht mehr als Vorbild. Den Wissenschaftsbetrieb hat er im Vorbeigehen beschädigt, kommentiert Meike Fries.
[...]
Hatten wir nicht immer gedacht, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft und müssten fleißig und redlich sein, um irgendwann dafür belohnt zu werden – hat man uns das nicht spätestens in der Grundschule erzählt? Und nun hebt ausgerechnet ein Konservativer dieses Leistungsprinzip aus den Angeln. Welch Ironie.

Wer eine Doktorarbeit abschreibt oder sogar andere für sich arbeiten lässt, der erspart sich nicht nur Zeit. Er verzichtet auch auf das selbstständige Denken, den Gewinn eigenständig erarbeiteter Erkenntnisse und erworbenen Wissens. Nähmen sich Schüler und Studenten Guttenberg großflächig zum Vorbild, würde sich Kanzlerin Merkels immer wieder ausgerufene Bildungsrepublik in eine verdummte Gesellschaft verwandeln. Bildung gilt hierzulande mittlerweile als Exportgut. Nach Guttenberg könnte es für die deutsche Exportrate jedoch finster aussehen. Oder anders gesagt: Mit Abschreibern ist kein Staat zu machen.

Roban
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Mi 23. Feb 2011, 19:52 - Beitrag #73

Zitat von Ipsissimus:ich denke, ein zentraler Begriff im Rahmen dieser ganzen Diskussion lautet "Illusion". Es wurden Illusionen zerstört, darunter auch solche, mit denen der Staat regiert wird. ...

... weist meines Erachtens vor allem darauf hin, wie desillusioniert und resigniert viele Bürger tatsächlich schon sind.


Genau. Ich führe das auf das wachsende Selbstbewußtsein aufgrund immer schneller erreichbaren Wissens zurück. Wieviel sich hier geändert hat in unserer Gesellschaft in der letzten Dekade, ist gewaltig!

Die Machtverhältnisse ändern sich rasant.

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Do 24. Feb 2011, 00:49 - Beitrag #74

Durch das auf mich willfährig wirkende Verhalten der Uni Bayreuch hat Googleberg es doch tatsächlich geschafft, "nur" den Doktorgrab aberkannt zu bekommen, ohne das - zumindest sicher und bereits jetzt - geprüft wird, ob er wie vorgegeben tatsächlich nur aus versehen plagiierte.

In der Pressemeldung (obacht, driekt verlinktes PDF) der Uni Bayreuth liest sich das so:
Die Frage eines möglichen Täuschungsvorsatzes konnte die Kommission letztlich dahinstehen lassen. Für die Kommission war entscheidend, dass unabdingbare wissenschaftliche Standards objektiv nicht eingehalten worden sind. Im Fall ihrer Verletzung ermächtigt Artikel 48 Verwaltungsverfahrensgesetz zur Rücknahme des Doktorgrades, ohne dass ein Täuschungsvorsatz nachgewiesen werden muss.

Das Verfahren der Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die ausschließlich über die
promotionsrechtlichen Konsequenzen zu entscheiden hatte, ist damit
beendet.

Mehr Infos zu diesem Aspekt bringt ein Beitrag der Tagesschau:
Nicht geklärt hat der Ausschuss die Frage, ob Guttenberg bewusst getäuscht hat. "Das wäre sicherlich ein längerer Prozess gewesen, dies dezidiert nachzuweisen", sagte Bormann. Die Universität habe darauf verzichtet, weil Guttenberg selbst um die Rücknahme seiner Dissertation gebeten habe.
Ich bin entsetzt bis schon etwas wütend, dass sich die Uni aus meiner Sicht von Guttenbergs Eingeständnis dessen, was nicht mehr zu leugnen ist (jede Menge fehlerhafte Zitate bzw. Nicht-Zitate) dazu bewegen lässt, ihn wie mit Samthandschuhen zu behandeln und nicht - auch im Intereese des eigenen Rufes als seriöse Uni - sehrwohl weiter prüft, ob hier nicht von bewussten und vorsätzlichem plagiieren, mithin dem Erschleichen des Doktorgrades ausgegangen werden muß.


Weil auch Unis nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm schweben, gibt es offensichtlich hinreichend viele Urteile, die bei ähnlichen Werken wie der Guttenbergschen Dissertation sehrwohl Vorsatz als unzweifelhaft annehmen, wie ein Beitrag der Süddeutschen zeigt:
Die Hochschule wollte sich nicht darauf einlassen, die Frage nach Absicht und Vorsatz beim Täuschen zu beantworten. Es reichte ihr, dass die Dissertation den Anforderungen der Promotionsordnung schlicht nicht genügt. Wenn es sehr viele kopierte Stellen in einer Dissertation gibt, argumentieren die Verwaltungsgerichte in der Regel, dass der Kandidat gewusst haben muss, was er tat. Aber auf einen möglichen Rechtsstreit mit Guttenberg wollte es die Uni Bayreuth offenbar nicht ankommen lassen. Gleichwohl nehmen viele Forscher Guttenberg nicht ab, dass er beim Abfassen der Dissertation lediglich unachtsam war. Ob er absichtlich Regeln missachtet hat - dazu konnte oder wollte sich die Uni indes nicht offiziell äußern.



Ich wie ich finde treffends übertitelkten Beitrag Die Quadratur des Kreises ist nicht gelungen gelingt es Guttenberg m.E. einmal nicht, die Problematik mit den Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes wegzuargumentieren:
In der Fragestunde des Bundestags ging es auch um Arbeiten, die vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags angefertigt worden sind. Diese soll Guttenberg - ohne korrekte Quellenangabe - in seiner Dissertation verwendet haben. Guttenberg wies Vorwürfe zurück, er habe dies verschleiern wollen. Die Themen der Ausarbeitungen hätten bereits früher unter anderem in seiner politischen Arbeit im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages eine Rolle gespielt. Er habe die Ausarbeitungen bei vielen Reisen und Vorträgen genutzt.
Denn selbst wenn dem so sein sollte, bliebt noch immer die Frage, ob er zur Verwendung die dazu notwendige Genehmigung des Bundestages einholte (deren Erfordernis betonte Bundestagspräsident Lammert, von mir irgendwo da oben verlinkt/zitiert).


Tja, dann hab ich da noch was bemerkt....
Zitat von Lykurg: Im Kern habe ich aber inzwischen ein bißchen den Eindruck, zu Guttenberg liest die Matrix und folgt 009s Ausführungen (dann kann er sich aber ruhig auch anmelden!)^^ Der Nicht-Selbstverteidigungsminister hat nämlich inzwischen, wie ich im Radio hörte, die Uni Bayreuth gebeten, seinen Doktortitel zurückzunehmen, da er sich "gravierende handwerkliche Fehler" habe zuschulden kommen lassen. Das kommt den Forderungen doch schon weitgehend nach...

Hier lesen, mir folgen, das bekommt allmählich mehr Indizien. Ich zitiere wieder aus dem Tagesschau-Artikel:
Guttenberg: "War hochmütig"
Guttenberg wies auf seine Belastung zum Zeitpunkt der Erstellung seiner Doktorarbeit hin. Er sei sicher "so hochmütig" gewesen zu glauben, dass ihm die Quadratur des Kreises gelinge und er als junger Familienvater die politische und wissenschaftliche Arbeit in Einklang bringen könne. "Für mich stellte das offensichtlich eine Überlastung dar", räumte Guttenberg ein. Er stelle heute mit Bedauern fest, dass ihm diese Quadratur nicht gelungen sei. "Dazu stehe ich." Deshalb verzichte er auf den Doktortitel.
Im Vergleich dazu was ich vor drei Tagen schrieb:
Ich frage mich letztlich, was wohl die größere Blamage wäre, gehe dabei aus, eine Version stimmt: Guttenberg hat die Arbeit selber so verzapft, kennt die Fehler in der Arbeit ganz genau und glaubt nur immer noch, das sei nicht nachzuweisen oder man werde ihm schon nix können/wollen/werden. Die andere, wohl unglaublichere Version wäre, das er nicht mit dem zitieren bewusst getäuscht hat sondern einen Ghostwriter hatte, bei dem ihm wohl immer noch nicht bewusst genug ist, was der für ihn verzapft und wo der ihn reingeritten hat. Rausreden würde er sich ggf. mit Sekretär mit erweiterten Fähigkeiten und Kompetenzen wegen seiner Eingespanntheit, in der er seelisch leider überfordert war, die Ansprüche an Kraft und Zeit, die ihm Familie, Partei, Politik herantrugen alle zu erfüllen - und auch nicht entscheiden konnte, wenn er zurückstellt, weswegen er ausnahmsweise in dieser Krisensituation auf wie er heute sieht unlautere Hilfe zurückgriff.
Man könnte fast meinen, das mit dem Ghostwriter war vielleicht doch eine Fehl-für-möglich-Haltung von mir (oder Guttenberg wird das erst noch offenbaren), aber beim Rest ist schon eine frappierende Ähnlichkeit der Argumentation. Aber ob ich gut geraten oder er gut gegooglet hat,w ird wohl offen bleiben müssen.

Zum Abschluß wieder aus dem Tagesschau-Artikel ein m.E. herrliches Zitat:
"Die Satiriker spotten ja auch schon, Herr Guttenberg, wenn Sie sich damit rausreden wollen, Sie hätten nur schlampig zitiert, dass diejenigen, die des Ladendiebstahls künftig überführt werden, sich damit herausreden demnächst, sie hätten schlampig eingekauft." Thomas Oppermannn, SPD-Fraktionsgeschäftsführer

Lykurg
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Do 24. Feb 2011, 00:49 - Beitrag #75

Ähem... ich glaube nicht, daß es das ist, was Ipsissimus meinte, Roban... aber gut.

Recht treffend fand ich übrigens das hier... Bild

Edith (böse):
Zitat von nw-news.de:"Ich appelliere an ihre Ehre", sagt der Linke-Abgeordnete Dietmar Bartsch. "Früher wusste der Adel, was er an solch einer Stelle zu tun hat."

janw
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Do 24. Feb 2011, 02:06 - Beitrag #76

Zitat von Ipsissimus:ich denke, ein zentraler Begriff im Rahmen dieser ganzen Diskussion lautet "Illusion". Es wurden Illusionen zerstört, darunter auch solche, mit denen der Staat regiert wird. Sowas ist eigentlich gefährlich. Dass diese Zerstörung von Illusionen nur zu einem Sturm im Wasserglas führte und Guttenberg bei weitem nicht in Gefahr schwebt, von verbitterten Bürgern, denen die Augen aufgingen, in einer Nacht und Nebel-Aktion gelyncht zu werden, weist meines Erachtens vor allem darauf hin, wie desillusioniert und resigniert viele Bürger tatsächlich schon sind. Es weist auch ein bisschen darauf hin, wie tief verwurzelt und weit verbreitet die Sehnsucht nach einer "Lichtgestalt" ist, und letzten Endes auch, wie wenig die deutsche Gesellschaft gegen Demagogen tatsächlich immunisiert ist, wenn die es nur freundlich und geschickt genug anstellen.

Ein weiterer zu nennender Begriff wäre "Realpolitik". Er kommt durch, womit er durchkommt. Die Gründe dafür sind egal, solange er den dafür nötigen Preis zu zahlen bereit und imstande ist.

Die falsche Art von Zynismus, an allen relevanten Stellen. Aber mächtig genug und somit entscheidungsbestimmend.

Eine konservative Gesellschaftskunde-Lehrerin ermunterte 1968 ihre Schülerinnen, sich politisch zu engagieren: Politik werde oft als schmutziges Geschäft wahrgenommen, aber das sei es nicht bzw. müsse es nicht sein; heute ist Politiker im Ranking der schlechteste aller Berufe, da wird automatisch jedes, das ein bisschen besser Eindruck schindet, bzw. über das die Presse ein bisschen wohlwollender berichtet, zum Hoffnungsträger, es könne ja vielleicht doch noch etwas Licht im Dunkeln geben.
Kannst Du es den Leuten verdenken, daß sie diese Kerze hüten, wenn sie von Wissenschaft nichts verstehen, der Kerl aber doch wenigstens noch den Adel in sich trägt, und dazu jedes zweite Wochenende bei der Truppe verbringt, offenbar Pflichtbewusstsein in Reinkultur?

Mir macht das auch angst, mich sorgt aber auch, wie dünn die Personaldecke der Politik geworden ist - ist da noch irgendwer zu sehen, der sich langjährig im Bereich Verteidigungs- bzw. Friedenspolitik annehmbar profiliert hätte, geeignet, den eingeschworenen Strukturen des Hauses paroli zu bieten?
(Oder sollte das Hoffnung machen, noch ein paar Jahre bis game over?^^)

Ich denke immer noch darüber nach, was wohl hinter dem ganzen steht, eine Rezension, die sich zu einer Affäre ausweitet, nach den Gesetzmäßigkeiten der Mediokratie, oder gezielte Steuerung der nunmal ins Rollen gekommenen Affäre, um damit letztlich die Kräfte hinter Merkel zu versammeln - Guttis Amtsbehalt nur eine Folge des falschen Zeitpunktes für eine Kabinettsreform und fehlendesn Ersatzes, oder die ganze Affäre als Verschleierung für parallele Sauereien, die Hartz-Nichtreform z.B.?
Es fällt doch auf, daß der Rechtswissenschaftler aus Bremen nicht mehr in der Debatte erwähnt wird, und daß keiner auf die Erpressbarkeit des nunmehr entzauberten Verteidigungsministers hingewiesen hat - war die vielleicht gerade Sinn und Zweck der Aktion, Bändigung des enfant terribles?

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Do 24. Feb 2011, 09:40 - Beitrag #77

Das inzwischen Schweigen des Bremer Juristen lässt sich m.E. gut erklären - er hat die Reneznsion geschrieben, sah schon damitgenug Zweifel geäht,hat schlicht die Weiterungen beobachtet und sich vielleicht schlicht deshalb nicht weiter gemeldet/beteiligt, weil er auch noch anderes, ihm persönlich viellicht wichtigeres, zu tun und keine wesentlichen neuen erkenntnisse beizutragen hat.
Ob er mit dem verlauf der ganzen Geschichte zufrieden ist, wäre aber spannend zu erfahren.

Wie der Unispiegel berichtet, hat für einen verbeamteten Chef eines Landschaftsverbandes sein Plagiat bei seiner Dissertation geendet mit ebenfalls Entzug der Doktorwürde, aber auch einem Strafbefehl über 90 Tagessätze und (freiwilligen) Schadenersatzzahlungen an den Verlag seiner Dissertation und weiterer Bücher von ihm.

Bliebe in Bezug auf "KT" fast nur zu fragen, ob die für ihn zuständige Staatsanwaltschaft (welche wäre das wohl?) auch ein öffentliches Intereresse an einer Strafverfolgung wegen Urheberrechtsverletzung sähe und der Bundestag durch Aufhebung der Immunität solche ermittlungen ermöglichen würde.

Interessant zumindest zum Aspekt Bild und ihr Liebling Guttenberg ist es, dass das verteidigungsministerium eine Werbekampagne zum anwerben von Zeitsoldaten besonders unter gering qualifizierten und Ausländern (oder Personen mit Migrationshintergrund? Weiss gerade nicht, ob nur Deutsche in die Armee können) plant - mit Anzeigen ausschließlich in Bild und Bild am Sonntag. Schreibt zumindest die Financial Times Deutschland.

Ipsissimus
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Do 24. Feb 2011, 12:19 - Beitrag #78

Genau. Ich führe das auf das wachsende Selbstbewußtsein aufgrund immer schneller erreichbaren Wissens zurück. ...

Die Machtverhältnisse ändern sich rasant.
Roban, ich bringe wachsendes Selbstbewusstsein nicht wirklich in Konnex mit der von mir attestierten desillusionierten Resignation. Und eine rasante Änderung der Machtverhältnisse habe ich in Deutschland nach 1945 noch genau zweimal wahrgenommen, einmal 1969, als Brandt noch (zum letzten Mal) einen realen Unterschied zwischen SPD und CDU implizierte, und einmal anlässlich der deutschen Wiedervereinigung, bei der die Leute so schnell über den Tisch gezogen wurden, dass sie die Reibungsenergie für Nestwärme hielten. Ansonsten siehe Lykurgs Bemerkung, ich glaube auch nicht, dass du verstanden hast, was ich meinte.

Kannst Du es den Leuten verdenken, daß sie diese Kerze hüten, wenn sie von Wissenschaft nichts verstehen, der Kerl aber doch wenigstens noch den Adel in sich trägt, und dazu jedes zweite Wochenende bei der Truppe verbringt, offenbar Pflichtbewusstsein in Reinkultur?
schwierig, Jan, ganz schwierig. Du hast zweifellos recht, in psychologischer Hinsicht ist der Reflex, sich in dunklen Zeiten an Lichtgestalten anzuschmiegen - und notfalls auch an weniger lichte Gestalten, solange sie nur optisch adrett angehübscht daherkommen - völlig plausibel und nachvollziehbar. Allein, ob wir den Führerkult politisch korrekt nun "Lichtgestalten-Kult" nennen, der Inhalt bleibt sich gleich, und das Problem dahinter auch, zuviele Leute wollen lieber irgendwie regiert werden statt effektiv aufzubegehren, sobald sie schlecht regiert werden.

Was die Personaldecke angeht, das war schon immer ein Problem von Oligarchien, aber es hat sich offenbar immer wieder als lösbar herausgestellt.

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Do 24. Feb 2011, 12:30 - Beitrag #79

Fast schon einen Meta-Witz meine ich entdeckt zu haben. Der Kölner Stadt-Anzeiger bringt einen Artikel mit Witzen über zu Guttenberg, u.a. diesen hier:
Ede steht wieder mal wegen Ladendiebstahls vor Gericht. Fragt der Richter: „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen, Angeklagter?“ „Ich war Einkaufen.“ „Reden Sie keinen Unsinn.“ „Aber Herr Vorsitzender, der Verteidigungsminister sagt, er hätte nur schlampig zitiert. Ich hab‘ bloß schlampig eingekauft.“


Das erinnert doch mehr als frappierend an das Zitat vom SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, das ich oben zitiert habe (Quelle war der Tagesschau-Artikel).

Makeda
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Do 24. Feb 2011, 12:33 - Beitrag #80

Interessant zumindest zum Aspekt Bild und ihr Liebling Guttenberg ist es, dass das verteidigungsministerium eine Werbekampagne zum anwerben von Zeitsoldaten besonders unter gering qualifizierten und Ausländern (oder Personen mit Migrationshintergrund? Weiss gerade nicht, ob nur Deutsche in die Armee können) plant - mit Anzeigen ausschließlich in Bild und Bild am Sonntag. Schreibt zumindest die Financial Times Deutschland.


Soll jetzt ganz Aufgemacht werden...freut bestimmt die Türkischen Mitbürger aber ib die Türkei es zu lässt, dass ihre Leute nciht mehr den Wehrdienst in der Türkei machen müssen..glaub ich kaum! Schade für Sie!

Heute Titelte die Bild 79% stehen zu Guttenberg (versteh ich nicht, fand ihn vorher schon bescheiden und zu den Fehlern der Dokarb sag ich mal lieber nihcts) Und die Tageszeitung Titelte irgendeinen Bericht, warum Guttenberg bleiben kann oder soll...oder so was in der Art.

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