Durchs BildBLOG habe ich mal wieder interessante Texte im Netz finden können, die eine Art refektierenden Meta-Blick auf die Berichterstattung zu Erdbeben, Tsunami und dem Nukleargeschehen werfen.
Der
Deutschlandfunk widmet sich dem Zahlen-Zynismus:
Für die Abwicklung dieses zynischen Geschäfts gibt es professionelle Kriterien, nach denen die Tragweite eines Ereignisses für den eigenen Markt bemessen wird: So zählt ein Autobusunglück mit fünf Toten im Inland mehr als eines mit 50 Toten auf einem fernen Kontinent, außer es handelt sich im letzteren Fall um Deutsche. Solches Rechenwesen mit Opferzahlen mag zarten Seelen anstößig erscheinen, doch dahinter steckt nichts anderes als der Versuch, dem irrationalen Schicksal mit Rationalität zu begegnen.
Betrachtet man hingegen die aktuelle Japan-Berichterstattung, so scheint es, dass dort kein Erdbeben stattgefunden hat, sondern ein Reaktorunfall. Es muss sich um einen Reaktorunfall mit vielen tausend Toten handeln, denn seit einer Woche kreisen die Schlagzeilen der deutschen Medien fast ausschließlich das Atomkraftwerk Fukushima und die von ihm ausgehende Strahlengefahr. Durch Verstrahlung ist jedoch bis jetzt, gottlob, kein einziger Mensch ums Leben gekommen. An der Küste landauf und landab liegen indes mehr als 16.000 Leichen, zum größten Teil ungeborgen im Meer oder unter Haustrümmern begraben.
Diese völlige Verkehrung der Verhältnisse hat eine einzige, hässliche Ursache: beim Thema Atomkraft herrscht in Deutschland Rationalitätsverbot. Schon der Schadensvergleich mit anderen Arten der Energieerzeugung wird in der öffentlichen Diskussion konsequent ausgeblendet: In China sterben jedes Jahr mehrere Tausend Bergarbeiter beim Kohleabbau; um mit den Verheerungen, die immer wieder von brechenden Staudämmen angerichtet werden, Schritt zu halten, müssten sich noch etliche atomare Super-GAUs ereignen.
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Bloß für den deutschen Journalismus gilt das nicht. Seit einer Woche geht Möglichkeit vor Wirklichkeit. Statt Berichten gibt es Befürchtungen. Statt Kennzahlen Kann-Zahlen. Natürlich kann es in Daiichi morgen noch ganz schlimm werden. Natürlich kann eine Strahlenwolke bis nach Tokyo ziehen. Ein Taumel des Könnens hat Korrespondenten und Kommentatoren erfasst, die mit Konditionalsätzen um sich werfen. "Es ist nicht auszuschließen, dass ... " lautet eine der beliebtesten Formulierungen, in der freilich die Abdankung des Journalismus liegt. Zyniker der Old School würden sagen: Warten wir mal ab, was passiert. Heutige Journalisten sind aufs Ausschließen erpicht. Der zynische Journalismus war jedenfalls sachlicher.
Einen wunderbaren Gegenblick gerade zum letzten Absatz liefert ein
Japanologe der Uni Wien:
Manipulieren japanische Medien die Bevölkerung mit einer einlullenden Berichterstattung? Wird die ohnehin schon bildhafte und oft mehrdeutige japanische Sprache benutzt, um die Wogen zu glätten und die Menschen in der für uns so fremd wirkenden viel zitierten stoischen Ruhe zu halten? „Die großen überregionalen Tageszeitungen berichten seriös, nüchtern, rasch, aber unaufgeregt“, so Roland Domenig vom Institut für Ostasienwissenschaften und Japanologie der Universität Wien. „Man stellt keine Spekulationen an, sondern die Qualitätsmedien in Japan veröffentlichen nur wirklich fundierte Fakten, aber detailliert und in einer neutralen Sprache, die weder übertreibt noch verharmlost.“ Berichtet wird nur von als gesichert geltenden Todesopfern, und hier werde sehr genau gearbeitet. „Begriffe wie ,Todeszone‘ oder ,radioaktive Wolke‘, die in westlichen Medien präsent sind und im eigentlichen Sinne keinen Informationswert besitzen, finden sich nicht in den japanischen Medien, dafür wird der Fokus auf aktuelle Daten sowie ausführliche und leicht verständliche Grafiken gerichtet.“
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In manchen Aussagen meinen Beobachter eine gewisse Unschärfe zu erkennen. Man meint, dass nicht immer alles auf den Punkt gebracht werde. Dies liege aber an der japanischen Sprachverwendung im Allgemeinen und betreffe nicht die aktuelle Berichterstattung im Besonderen. Bewusste Manipulation sei hier nicht zu verorten. So verstünden die Japaner ganz genau, was gemeint ist, wenn sie Formulierungen hören, wie „Man bemüht sich darum...“, „Es scheint so...“, „Dem Informationsstand zufolge...“, während solche Floskeln für uns schwammig und verklärend wirken mögen.
Domenig erklärt es an einem Beispiel: „Wenn ein Japaner hört, dass ,noch große Anstrengungen unternommen werden müssen‘, so weiß er genau, dass in der betreffenden Situation eine gewisse Unsicherheit herrscht. Nur für uns, die nicht wie Japaner bereits im Kindergarten darauf vorbereitet werden, wie man sich bei Erdbeben und Tsunamis verhält und dass die Voraussetzung für ein erfolgreiches Katastrophenmanagement eine gewisse Ruhe und Gelassenheit gepaart mit einer großen Portion Disziplin ist, wirken solche Aussagen zweideutig.“ Ein Japaner hört eindeutig heraus: keine Panik, aber auch kein Aufatmen – abwarten und aufmerksam die Situation verfolgen. Genau das ist die Stimmung, die wir seit über einer Woche im Reich der aufgehenden Sonne mitverfolgen.
Weil der von Grafiken spricht sei noch auf einen Beitrag
dieses österreichischen Blogs verweisen, der aufzeigt, dass bei menschen mit Maischberger die verwendete Grafik zur Veranschulichung, wo es in Europa AKW gibt, manche nicht mehr existenten oder nie in Betrieb gegangene verzeichnet sind, während andere übersehen wurden.