Dafür hängt Ihr Euch an diesem Detail auf, anstatt mal z.B zu überlegen, wie weit die Fixierung auf ein Ereignis überhaupt sinnvoll ist, zumindest in der gegebenen Zeitspanne, lasst Euren sonst so auf schärfste sezierende Analyse ausgerichteten Geist schleifen, wenn es um die Frage geht, auf welche Gesellschaft sich dieser thread überhaupt bezieht!
Welche Gesellschaft ist gemeint, und was charakterisiert sie überhaupt, hebt sie von anderen ab - DAS sind die Fragen, die IMHO zumindest im Hinterkopf sich stellen müssen, bevor man sehen kann, was wohl differenzierend und prägend dafür gewirkt hat.
Aus einem solchen - gewissermaßen ethnologischen - Blickwinkel heraus denke ich, daß eine komplexe Gesellschaft wie die unsrige sich allmählich von den sie umgebendem Gesellschaften differenziert hat, daß letztlich nicht nur ein Ereignis konstitutiv gewirkt hat.
Ipsis Liste
Industrielle Revolution
Buchdruck
Entdeckung Amerikas
hat sicher was - allerdings nicht nur für Deutschland, sondern auf europäischer Ebene.
Was sicher auch auf den Universalienstreit zutrifft, allerdings hat dieser den besonderen Charme, daß zu seiner Hoch-Zeit die Differenzierung in die europäischen Nationalstaaten noch nicht endgültig vollzogen war - Europa war noch ein Europa der Regionen, gewissermaßen. Der Universalienstreit hat Europa aus dem Bann der alleinigen geistlichen Geisteshoheit befreit - eine Trennung gegenüber der Entwicklung in der Orthodoxie.
Die Entdeckung Amerikas hat die arabische Vorherrschaft im Gewürzhandel als Vorläufer, sie zu umgehen war das Ziel Columbus'.
Die Erfindung des Buchdrucks war natürlich ausschlaggebend für die Verbreitung der Gedanken in der Neuzeit, sie hat die Ereignise erheblich beschleunigt. Das chinesische Modell... hätte man auf seiner Basis die bewegten Lettern entwickeln können?
Die industrielle Revolution hat IMHO letztlich die Zäsur zwischen Europa und dem Rest der Welt vollzogen, indem das auf Herrschaftsdifferenz basierende Kolonialsystem um Differenz im Verhältnis von Produkt und Produzent erweitert wurde: Der Umgang der Araber mit den Völkern Ostafrikas, auch einige Beziehungen zwischen anderen außereuropäischen Völkern hatten koloniale Züge, aber der Handwerker war Herr seiner eigenen Arbeit und seiner Produktionsmittel. Das änderte sich im Europa der Industrialisierung.
Um mal nach Deutschland zurück zu kommen...der deutsche Sonderweg, der sich in seiner jüngeren Geschichte manifestiert, äußert sich IMHO besonders im Föderalismus - er ist für mich das, was Deutschland maßgeblich von seinen Nachbarn unterscheidet und das Bewusstsein der Menschen in Deutschland nachhaltig prägt. Föderalismus hier gemeint als demokratisch gezügelte Kleinstaaterei.
Wenn ich das richtig sehe, reicht die Zersplitterung in Kleinstaaten schon sehr lange zurück, vielleicht in die Folge der Zerteilung des Reiches Karls des Großen.
In der weiteren Entwicklung hat für mich dann v.a. der 30jährige Krieg prägend auf Deutschland gewirkt - er hat Deutschland sozial und wirtschaftlich um 100 Jahre zurückgeworfen, während in den anderen Ländern der Kolonialismus vorangetrieben wurde oder der Absolutismus gedieh.
Der Versuch Deutschlands, es diesen Ländern hinterherhechelnd gleich zu tun, gepaart mit der Schürung eines Unterlegenheitsgefühls im Volk (wenn auch erst im 19.JH "am deutschen Wesen soll die Welt genesen", nationale Selbstüberhöhung) ist IMHO nicht unerheblich für die jüngere deutsche Geschichte.
(Nach meinem Empfinden wirkt dies auch heute noch fort, wenn ich mir Begriffe wie "Exzelleninitiative" ansehe, die mir so aus anderen Ländern nicht zur Kenntnis gekommen sind - da haben hierzulande einige immer noch das Gefühl, unterlegen, zu kurz gekommen zu sein und versuchen, dies zu transportieren)
Das Nationale hatte schon vor 1933 in Deutschland einen anderen Klang als in England, Frankreich und Italien(?) - glaube ich zumindest - Deutschland ist kein Nationalstaat, wohl nie gewesen, sondern ein Konglomerat von Kleinfürstentümern mit starker Verfolgung von Partikularinteressen, einzig durch die Sprache und einige andere kulturelle Ähnlichkeiten verbunden. Wie heterogen dabei auch heute noch, zeigt Ipsis Schilderung des Saarländischen Schwenkbratenrituals vor etlicher Zeit.