Nichtwählen!

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Di 30. Aug 2005, 13:46 - Beitrag #1

Nichtwählen!

im folgenden als Grundlage ein Artikel aus Telepolis (heise.de) von heute

Einfach "Nein"?
Reinhard Jellen 30.08.2005
Nichtwähler sollten ernst genommen werden
Mit der wachsenden politischen Unsicherheit der Bundesbürger hinsichtlich der Bundestagswahl könnte das Lager der Nichtwähler (vgl. Spaß mit dem Kreuz) wachsen und weiter an Bedeutung gewinnen. In speziellen Internet-Foren können nun die Wahlabstinenzler ihre Gründe für den Wahlboykott darlegen..


Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom 25. August, welche die inszenierte Vertrauensfrage der Regierung Schröder für verfassungskonform erklärte, ist der Weg frei für die Bundestagswahlen am 18. September. Obwohl rund einundneunzig Prozent der Wähler überzeugt sind, daß dieser Wahl eine besondere Bedeutung zukomme, zeigen sich jedoch vierzig Prozent des Stimmvolks noch unentschlossen, welcher Partei sie ihre Stimme geben sollen.

Im Vergleich zum Wahljahr 2002, wo zu einem ähnlichen Zeitraum vor ihrer Stimmabgabe rund 73 Prozent der Wähler ihre politische Entscheidung bereits festgelegt hatten, sind es vor dieser Abstimmung nur 64 Prozent. Auch wenn die rot-grüne Bundesregierung bei der Bevölkerung drei Wochen vor der Wahl trotz leichter Stimmengewinne (der SPD) von zwei auf insgesamt 38 Prozent immer noch weit abgeschlagen hinter CDU/CSU/FDP (insgesamt 51 Prozent) liegt, sind 69 Prozent der Wähler nicht der Ansicht, daß eine neue Bundesregierung eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung Deutschlands gewährleisten könne. Und beachtliche sechzig Prozent stimmen inzwischen der Aussage zu:

Man verliert allmählich jegliches Vertrauen in die Politik. Ich mache mir wirklich Sorgen, wie es mit Deutschland weitergehen soll.


Vereinheitlichende Interpretation divergierender Interessen

Die repräsentative Demokratie ist in eine schwere Vertrauenskrise geraten (vgl. Nicht wählen oder direkt wählen). Die Menschen bekommen mehr und mehr den Eindruck, dass ihre Interessen in den Parlamenten von den gewählten Volksvertretern nur noch zum Schein repräsentiert werden, und man dort ihre Anliegen nur noch im Sinne des Neoliberalismus interpretiert. Beispiele dieser im Dienst der Eliten neoliberalen Interpretation von Allgemeininteressen sind die Energiepolitik der GRÜNEN und die von der CDU geplante Abschaffung steuerfreier Zuschläge für Krankenschwestern und Polizisten .

Die GRÜNEN betreiben neoliberale Politik mit ökologischen Argumenten: Danach bedeuten erhöhte Energiepreise für Privathaushalte weniger Verbrauch von fossilen Brennstoffen, und dies gewährleistet wiederum einen schonenden Umgang mit der Natur. Nach dieser Logik würde auch die Privatisierung von Wasser einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Erde leisten. Die CDU will mit dem Historiker Götz Aly z.B. die Rücknahme der oben erwähnten steuerfreien Zuschläge damit begründen, daß diese während des Faschismus eingeführt wurden und ihre Streichung also eine auf neoliberale Art praktizierter Antifaschismus darstellt. (Freilich könnte man mit dieser Begründung auch die Abschaffung von Autobahnen fordern oder sich für die Auflösung des "Führerprinzips" im deutschen Aktienrecht stark machen.)

Diese vereinheitlichende neoliberale Interpretation von Wählerinteressen führt die repräsentative Demokratie in eine kritische Lage: Mit dem Verschwinden der programmatischen Unterschiede der Parteien (für welche auch die erneute Berufung des Siemens-Chef Heinrich von Pierer zum Vorsitzenden eines politischen "Rates für Innovation und Wachstum" steht, der bereits bei Kohl und Schröder Kanzlerberater war), dem Darstellen der politischen Strategie als alternativlos und der mit einer Amerikanisierung des Wahlkampfs nur unzureichend kaschierten Substanzlosigkeit der politischen Debatten, in welcher die Interessen der Bevölkerungsmehrheit keine wesentliche Rolle mehr spielen, wird aber das Legitimationsprinzip der repräsentativen parlamentarischen Demokratie untergraben. Dies hat zur Folge, dass sich tatsächlich ein wachsender Teil der Bevölkerung aus nachvollziehbaren Gründen aus dem offiziellen politischen Diskurs zurückzieht:


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Ein immer größerer Teil der Bevölkerung in der Bundesrepublik ist parteienmüde, nicht unbedingt desinteressiert an Politik, jedoch verdrossener Stimmung, was die konkreten Ausformungen politischen Agierens angeht. Die gängigen Weltdeutungen der politischen Profis und der massenmedialen MeinungsbildnerInnen bestärken diese Verdrossenheit; wenn die Globalisierung in ihren gesellschaftspolitischen Folgen ein Naturvorgang ist, nahezu unbeeinflussbar, was soll dann noch die Einmischung in nationalstaatliche oder europäische parlamentarische Abläufe? Und speziell in der Bundesrepublik: Wenn es zu den umstürzenden Eingriffen in das soziale System, also dem Abschied von Sozialstaat, keine Alternativen gab und gibt, nicht einmal unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung - und diese Alternativlosigkeit wird dem Publikum ja Tag für Tag eingehämmert -, weshalb sollte dann jemand, der Politik nicht zu seinem Beruf machen kann oder will, seine knappe Zeit für politische Diskussion und Aktivitäten verwenden?
Arno Klönne

Die Existenz der neu gegründeten Linkspartei, die momentan auf sieben Prozent der Wahlwilligen kommt, taugt in dieser gesellschaftlichen und politischen Notlage nur bedingt als Silberstreif am Horizont. Schließlich hat man in den letzten Jahren der Bundesrepublik schon zwei Mal die Erfahrung machen müssen, daß linke Parteien mit der Wahl ins Parlament ihre Identität weitgehend bis ganz verloren haben. Dies zeigen die Entwicklung der GRÜNEN von einer basisdemokratischen, ökologischen, sozial und feministisch orientierten und genuin pazifistischen Organisation zur Joschka-Fischer-Partei, die mit Eintritt in die Regierung sämtliche Inhalte über Bord bzw. in Richtung Neoliberalismus umgebogen hat und die der PDS, die ebenfalls als Koalitionspartner der SPD zur vollsten Zufriedenheit der Sozialdemokraten in den Länderparlamenten von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern denselben neoliberalen Kurs mitträgt, weswegen sie auch bei der Wahl 2002 mit Stimmverlusten abgestraft wurde.

Deswegen gibt es berechtigte Zweifel, ob eine Abkehr der von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnten neoliberalen Politik, die gegen die Interessen der Lobbies ertrotzt werden müsste, ausgerechnet vom Parlament aus erfolgen kann, wo die "korrupte Binnendynamik politischer Strukturen" (Karl Heinz Roth) vorherrschend ist, die primär nicht mehr auf den Wählerwillen, sondern auf die Existenzsicherung der Abgeordneten zielt, welche sich deswegen bereitwillig den Interessen der Lobbies unterordnen.

Internet-Foren speziell für Nichtwähler

Der Berliner Verein für eine demokratische und digitale Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft poldi.net, welcher für die von ihm betriebene Polit-Website bereits mit dem Grimme-Preis bedacht wurde, hat nun mit www.ich-gehe-nicht-hin.de den wahlabstinenten Teilen der Bevölkerung ein eigenes Internet-Portal errichtet, auf dem sie die Gründe für ihre Nichtwahl darlegen können. Das Nichtwähler-Portal wurde bereits in Großbritannien zum Wahlkampf 2005 erfolgreich getestet, wo Tausende britische Nichtwähler die Möglichkeit nutzten, ihre Entscheidung öffentlich zu begründen. Der Geschäftsführer von poldi.net, Christoph Dowe, erläutert die mit der Errichtung der Website verbundene Intention seiner Vereins:


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Die Wahlbeteiligung in Deutschland sinkt. Es wird Zeit, dass wir die Nichtwähler ernst nehmen und ihre Stimmen hören. Mit dem Projekt geben wir den fast 13 Millionen Wahlberechtigten, die im Jahr 2002 nicht zur Wahl gegangen sind, ein Forum. Wir hoffen, es wird nicht nur genutzt, sondern auch von allen politisch Verantwortlichen gelesen!

Das Internet-Portal wird mit regem Interesse wahrgenommen: Rund 2500 Einträge und 7300 Kommentare sind bereits schon geschrieben worden. Auch auf der von dem Gründungsmitglied der GRÜNEN Klaus Schramm mitinitiierte Internet-Platform wahlboykott2005.de besitzen die Nichtwähler die Möglichkeit, aus ihrem Herzen keine Mördergrube zu machen.


mir ist das SEHR sympatisch. Ich finde, es ist eine wirkliche Lücke, im deutschen Grundgesetz, das Absinken der Wahlbeteiligung unter eine bestimmte Grenze nicht als Aufforderung der Wählerschaft aufzufassen, über das politische System als ganzes nachzudenken.

janw
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Di 30. Aug 2005, 14:44 - Beitrag #2

Tja...
"Wer wählt, hat seine Stimme schon abgegeben", das war mal ein slogan aus der Sponti- und Anarchoszene der 80er Jahre.

Ich habe es nie so empfunden, meine Stimme, meine Meinungsäußerungsbefugnis, mit meiner Wahlentscheidung abgegeben zu haben - die dadurch Gewählten sind ja nach wie vor durch mich kritisierbar, auch durch Gruppen, in denen ich beteiligt bin.

Ich sehe eher die Gefahr, daß wenn die kritischen Geister, "kGinu beider s" ;) sich der Wahl enthalten, die breite Masse und die politischen Gesinnungstäter dennoch wählen - und wir das dann auszubaden haben. Da unternehme ich lieber den Versuch, dies zu verhindern, und wenn ich scheitere, so wurde der Kampf mit der Stimme gleichwohl versucht.

Immerhin, auch das kann man berücksichtigen, fiel die Entscheidung des BVerfG 7:1, also nicht gerade knapp.
Und aus meiner Sicht war der Handlungsspielraum der Regierung tatsächlich stark eingeschränkt - durch die Blockade des Bundesrates und durch die wenige verbleibende Zeit.
Was sicher letztlich etwas inszeniert dargestellt wurde...

Ich wünsche mir daher, daß nun die Zeit frei wird, um die andere Seite der Medaille zu gestalten, die mit den Belastungen für die Bessergestellten im Lande. Und daß dafür Druck kommt von links.
Wenn wir nicht wählen, kriegen wir gleich Merkel und Westerwelle, gute Nacht Marie.

Und, wie schon öfter angemerkt, auf kommunaler Ebene kann jeder einen Einstieg wagen in das, was man Politik nennt. Nur wenige tun das, ich kämpfe mit mir und meiner Unorganisiertheit.

Ipsissimus
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Di 30. Aug 2005, 14:54 - Beitrag #3

Und aus meiner Sicht war der Handlungsspielraum der Regierung tatsächlich stark eingeschränkt - durch die Blockade des Bundesrates und durch die wenige verbleibende Zeit.



angenommen ein Wunder geschieht, und die SPD wird wiedergewählt - hat sich dann an der Bundesratsblockade irgendetwas geändert?

Milena
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Di 30. Aug 2005, 14:57 - Beitrag #4

...auch ich finde, dass es von immenser Wichtigkeit ist, das Nichtwählervölkchen zu Wort kommen zu lassen, bzw. ihnen Raum und Zeit zu gewähren, auch die Zwischentöne sich dabei anzuhören, gerade von denen die nicht bereit sind einen falschen Kompromiss einzugehen, irgendetwas zu wählen, das vielleicht so annähernd ihren Vorstellungen entspricht oder aber sich einfach aus Bequemlichkeit und Unwissen als langjährige Mitläufer outen oder weil sie glauben es bliebe ihnen keine andere Wahl als zu wählen, und am besten noch das, was man schon immer gewählt hat, denn die andere Partei verspricht auch nicht gerade das gelbe vom Ei und halten tun sie am Ende alle auch nichts....
ist doch wie eine kleine Revolution, wenn die Parteien plötzlich
dastehen ohne Wählerschaft, oder mit einer ganz geringen...
was machen die Parteien dann, so ganz ohne Wähler...
eine parteilose Republik...
oder zumindest würde es einen heidenspass machen, die Gesichter
der Parteivorsitzenden zu betrachten, wenn so richtig eine Wählerflaute
einbrechen würde...denn dann käme die Frage auf-ja, wie? wieso wählt uns
denn keiner..? machen wir vielleicht etwas falsch..? was gefällt denn unserem Völkchen so gar nicht..
aber ich denke, diese Frage werden sie sich mehr als einmal gestellt haben,
nur auf die Antwort, da warte ich noch .....

janw
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Di 30. Aug 2005, 15:02 - Beitrag #5

Nun, wenn kein Aas in Sicht ist, fliegen die Geier von dannen^^

Nein, ich denke, ein anderer Zeithorizont, eine vielleicht etwas andere Sitzverteilung, einige von der WASG, die Feuer machen und in Einzelfragen die Regierung unterstützen - das könnte manche Länderfürsten doch dazu verleiten, weniger starr auf Positionen zu beharren.
Mag sein, daß ich ein Optimist bin, zu sehr vielleicht, aber ohne das wäre ich nicht hier :-)

ich_von_hier
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Di 30. Aug 2005, 16:39 - Beitrag #6

Kann man Nichtwählen wirklich als Stimme ansehen? Schlieslich sind viele, wenn nicht sogar die meisten Nichtwähler einfach nur desinteressiert. Auch wenn ich kein Experte bin und der Artikel zugegeben überzeugend ist, halte ich es für Voreilig zu behaupten diese Leute wollen etwas an unserem System verändern. Wenn man das Land verändern will muss man Aufstehen! Unser Land, bzw. die Welt wurde schließlich nicht von Stubenhockern geformt.

Wenn man wirklich etwas am System verändern will, muss man (aktiv) für sein Ziel Demonstrieren, eine Partei Gründen, Stimmen sammeln, oder ähnliches (immerhin ist das Nichtwähler-Portal ein Anfang).

Nichtwählen ist 1. keine Stimme, 2. falsch, weil das von extremen Parteien schnell ausgenutzt werden kann, wie wir alle wissen und 3. blödsinn, schlieslich wurden mehrere Kriege geführt und viele Menschen sind dafür gestorben, dass wir so eine Demokratie besitzen.

Ipsissimus
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Di 30. Aug 2005, 17:56 - Beitrag #7

Schlieslich sind viele, wenn nicht sogar die meisten Nichtwähler einfach nur desinteressiert.


alle Nichtwähler, die ich persönlich kenne, sind alles, nur nicht desinteressiert. Sie haben, genau wie ich, sogar ein dezidiertes Interesse an Veränderung, sie sind nur nicht mehr bereit, den Affen alle vier Jahre einen Blankoscheck auf Omnipotenz und Dummdreistigkeit auszustellen

Milena
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Di 30. Aug 2005, 18:13 - Beitrag #8

ich-von-hier: leider hast Du nicht verstanden, was die Nichtwähler mit dem Nichtwählen zum Ausdruck bringen wollen....

Malte279
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Di 30. Aug 2005, 19:38 - Beitrag #9

alle Nichtwähler, die ich persönlich kenne, sind alles, nur nicht desinteressiert. Sie haben, genau wie ich, sogar ein dezidiertes Interesse an Veränderung, sie sind nur nicht mehr bereit, den Affen alle vier Jahre einen Blankoscheck auf Omnipotenz und Dummdreistigkeit auszustellen

Aber sie erwarten dann, dass "Irgendjemand anderes" die Änderungen bewerkstelligt an denen sie so interessiert sind. Ich halte Nichtwählen für keine vernünftige Alternative. Im Grunde sagt man damit doch lediglich aus (selbst wenn es von den Betreffenden nicht so empfunden wird), dass einem alles egal ist und man bereit ist alles in Kauf zu nehmen was die anderen Leute so wählen. Ich finde dass diejenigen die sich an einer Wahl weder beteiligen noch selber irgendwelche Schritte unternehmen um die von Ihnen angestrebten Veränderungen zu erreichen, am allerwenigsten dass Recht haben sich über die Politik zu beschweren, ein Recht dass sich manch ein Nichtwähler mit der Begründung "Ich hab die (an der Macht) ja nicht gewählt!" sogar in erhöhtem Maße zuspricht.

Padreic
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Di 30. Aug 2005, 21:13 - Beitrag #10

Nunja, ich als potentieller Nicht-Wähler will mich dann ausnahmsweise mal zu Wort melden...

In einem gewissen Sinne bin ich sicherlich desinteressiert. Ich halte Politik nicht für so wichtig, dass ihr wesentliche geistige Ressourcen widmen würde. Da gibt es wichtiger. Habe wenig Muße genug.
Und wenn ich auf die Parteienlandschaft blicke, dann sehe ich vor allem eins: Parteien, die mir nicht zusagen, Partein, die für mich nur unter leichtem Ekel wählbar wären. Und da ist keine Partei, wo deutlich weniger Ekel wäre, höchstens Parteien, wo etwas mehr Ekel ist.
Wenn ich dann doch wählen würde und es mir nicht einfach machte und simpel das wählte, was meine Familie wählte, so müsste ich zwei Dinge tun: Ekel überwinden und mich informieren und gescheit nachdenken, welches jetzt genau das kleinere Übel wäre. Letzteres ist nicht einfach. Auch Politiker und ihre Berater sind nicht dumm und verzapfen viel Bockmist. D.h. man müsste als erstes herausfinden, was das beste für das Land wäre (was nur sehr schwer möglich ist und nicht so einfach ist, wie sich der erweiterte Stammtisch, aus dem fast unser ganzes Land besteht, das denkt) und dann schaun, welche Partei dem noch irgendwie am nächsten kommt. Viel Aufwand, wenn man es ordentlich machen will. Und ich mache gerne Dinge ordentlich...

@ich_von_hier
1. Ich als Nichtwähler behaupte auch nicht, eine Stimme für Veränderung im Lande abzugeben.
2. Wissen wir das? Was meinst du mit ausgenutzt? Bevor sie wirklich ernsthafte Macht bekommen, merkt man es eine Wahl vorher. Dann kann man immer noch wählen.
3. Erstens habe ich mir diese oder überhaupt eine Demokratie nicht ausgesucht. Aber ich bin trotzdem ganz froh, dass ich in einer wohne und es könnte wesentlich schlimmer sein. Deswegen heißt es, dass man in Krisensituationen sich reinhängen muss, auf jeden wählen, vielleicht noch mehr tun. Aber wenn es so wie jetzt ist, so komme ich mit leichten politischen Veränderungen durchaus zu recht und kann mich ins Private zurückziehen.

janw
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Mi 31. Aug 2005, 01:36 - Beitrag #11

Zitat von Padreic:Aber wenn es so wie jetzt ist, so komme ich mit leichten politischen Veränderungen durchaus zu recht und kann mich ins Private zurückziehen.

Gut, und wenn dann die verbleibenden Wähler etwas extremes wählen? Du hättest einen kleinen Beitrag dagegen setzen können.
Es steht schon etwas auf dem Spiel, noch mehr Freiheiten für die Arbeitgeber, Abschaffung des Kündigungsschutzes in weiten Teilen, noch mehr Studiengebühren,...oder endlich eine Heranziehung auch der Besserverdienenden für die gesellschaftlichen Lasten, usw.

Es ist sicher jedes Recht, Interessensschwerpunkte zu setzen. Aber dann darf man sich nicht wundern, wenn das, was man für weniger wichtig erachtet, klammheimlich von anderen übernommen wird. Unsere Wasserrechte sind derzeit heiß begehrt. Ebenso der Müll, von einflußreichen Lobbys, die nichts wollen als Geld verdienen, ohne Rücksicht auf die Verbraucher, auf die Umwelt, auf andere Generationen.
Hier ist Wachsamkeit geboten, und wer nicht wählt, soll sich hinterher nicht beschweren...

Ipsissimus
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Mi 31. Aug 2005, 09:32 - Beitrag #12

Aber sie erwarten dann, dass "Irgendjemand anderes" die Änderungen bewerkstelligt an denen sie so interessiert sind.

nein^^ Sie erachten lediglich die Mittel, die das System selbst hierfür angeblich zur Verfügung stellt, als Augenwischerei, die lediglich diejenigen täuschen kann, die ihren Luhmann nie gelesen oder verstanden haben. Systeme sind dafür gemacht, sich selbst zu schützen, und jede Systemevolution, die überhaupt von innen her stattfindet, dient lediglich zur Optimierung des systemischen Selbstschutzes, nicht aber dem Wohlergehen der Individuen.

Systeme assimilieren oder speien aus. Was assimiliert, d.h. für den systemischen Selbstschutz funktionalisiert werden kann, wird assimiliert - in diesem Sinne sind selbst die Häretiker und Dissidenten als Alibilieferanten systemisch erwünscht. Alles andere in den Mülleimer.

Wer sich über diesen einfachen Sachverhalt im Klaren ist, wird sich kaum noch irgendwelchen Täuschungen über die "Wahl" hingeben, die wir angeblich haben.


PS: wer gewählt hat, soll sich hinterher auch nicht beschweren, denn diejenigen, die er gewählt hat, machen das, was er mit ihrer Wahl verhindern wollte - was er schon vorher hätte wissen können.

Maurice
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Mi 31. Aug 2005, 11:48 - Beitrag #13

@Ipsi: Ich glaube dir, dass deine Nichtwähler sich darüber ihre Gedanken gemacht haben, aber meinst du wirklich, dass der Großteil der deutschen Nichtwähler von diesem Typ sind?
Jedenfalls kann man wohl sagen, dass es zwei Gründe gibt nicht zu wählen:
1. Kein Interesse an der politischen Situation des Landes.
2. Die Meinung, dass Wählen sinnlos ist.
Was mich interessieren würde, ist ob alle Personen der Kategorie Zwei auch generell dieses demokratische System ablehnen oder sich nur von keiner Partei vertreten fühlen.

Ich jedenfalls werde wählen gehen, weil ich mir meinem Recht bewusst bin, das global und geschichtlich gesehen nicht selbstverständlich ist und froh bin es zu haben. Ich gestehe, dass ich vor ein paar Monaten auch eine gewisse Politikverdrossenheit verspürt habe, aber auch wenn es keine Partei gibt, die alle meine Interessen vertritt, so scheint es mir doch, dass es eine gibt, deren Großteil der Ziele mir sinnvoll erscheinen, was mir reicht sie zu wählen.
Ich habe das Gefühl, dass es sich die Nichtwähler in der Regel zu einfach machen, aber darüber möchte ich lieber in einem anderen Thread diskutieren, den ich plane zu erstellen.

Ipsissimus
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Mi 31. Aug 2005, 11:57 - Beitrag #14

nun ja, Maurice, ich glaube dir, daß du und deine Wähler von der Art sind, die sich Gedanken machen. Ich glaube wiederum nicht, daß die große Mehrheit der deutschen Wähler von dieser Art sind.

Maurice
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Mi 31. Aug 2005, 12:12 - Beitrag #15

Hmm du scheinst irgendetwas falsch verstanden zu haben. *schulterzuck*
Jedenfalls stimme ich dir zu, dass sich die allermeisten Wähler in Deutschland sich (fast) keine Gedanken darüber machen, wen sie wählen.
Wäre schön, wenn wenigstens nur die Menschen wählen würden, die sich zumindest ansatzweise informieren würden und deren politisches Interesse sich wenigstens über Bild-Zeitungsniveau bewegen würde.

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Mi 31. Aug 2005, 12:21 - Beitrag #16

Und wie soll man Menschen mit dem berüchtigten BILD - Niveau davon abhalten zu wählen? ;) IQ - Test vor der Wahl? Eignungstest? Wer nicht alle Wahlprogramme auswendig aufsagen und differenziert darüber diskutieren kann, um zu beweisen, dass er sie wirklich verstanden hat, darf nicht an die Urne?
Das "Volk" ist nun mal nicht das, was der Einzelne sich wünschen mag. Durchaus einer der Gründe, warum auch sehr sozial eingestellte Philosophen und Politiker in alten Zeiten Demokratie für einen schwachen Weg hielten.

Ipsissimus
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Mi 31. Aug 2005, 12:30 - Beitrag #17

sorry, hatte die Frage überlesen

die Frage ist insofern gut, als sie eine implizite Suggestion enthält. "Dieses demokratische System" ablehnen kann mensch ja nur, wenn es ein demokratisches System ist. Darüber besteht Dissens.

Nach meinem Dafürhalten haben wir in Deutschland eine "Lobbyismus-Oligarchie", bei der Politiker eine Anchormen-Funktion haben, die Lobbyisten die Befehlevermittler sind und die Mächtigen im Hintergrund operieren.

Das ganze wird von einer willfährigen Presse in saftschmusige Flauschefarben gehüllt und von der Bürokratie geregelt.

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Mi 31. Aug 2005, 12:43 - Beitrag #18

@Ipsi: Damit hast du schon etwas davon vorweg genommen, was ich dich in einem anderen Thread geplant hatte zu fragen. Ich gehe aber dann in diesem auf dich ein, wenn er eröffnet sein wird.

@Alea: Was das Ausschließen von Wählern auf Bild-Zeitungsniveau angeht, so ist das auch nur Wunschdenken von mir. Mir fällt euch keine adequate Lösung für das Problem ein. Ich sagte ja auch nur, dass es schön wäre ;) ...

janw
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Mi 31. Aug 2005, 13:06 - Beitrag #19

Was die Lobbyisten-Oligarchie betrifft, haben wir Konsens, Ipsi.
Ein Interview mit Herrn Henkel gestern im Deutschlandfunk war diesbezüglich aufschlußreich, als er die Einbindung von Pierers begrüßte mit dem Hinweis, jetzt würden auch endlich in Deutschland Wirtschaftsfachleute an die Macht kommen.
Womit er selbstverständlich "Wirtschaftsfachleute seiner couleur" meinte, denn es gibt ja durchaus auch kritische Ansätze bei den WiWis, welche nur eben keine Handlungsmacht bekommen. Und ganz deutlich ist hier ein Lobbyist hoch gehievt worden, ein gemeinschädlicher in meinen Augen.

Wobei ich mir aber nicht sicher bin, ob die Oligarchie wirklich alles umfaßt und ob es eine Alternative gibt. Kommune, ja...

So werde ich wohl die Gruppe wählen, welche IMHO mit am wenigsten von gemeinschädlichen Lobbyisten beherrscht wird.

Ansonsten ist es eine Frage, wie man angesichts eines schlechten Systems verfährt. Es durch Nichtbeteiligung auszuhungern, wird angesichts eines BILD lesenden Stimmviehs nicht gelingen.

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So 4. Sep 2005, 18:41 - Beitrag #20

@janw
Ein Interview mit Herrn Henkel gestern im Deutschlandfunk war diesbezüglich aufschlußreich, als er die Einbindung von Pierers begrüßte mit dem Hinweis, jetzt würden auch endlich in Deutschland Wirtschaftsfachleute an die Macht kommen.
Was allein deswegen schon eine reichlich erstaunliche Aussage ist, als von Pierer ja auch bei Schröder - wie vorher bei Kohl - eine Beraterfunktion hatte. Insofern herrscht also mal wieder Kontinuität statt Erneuerung, Henkel versucht das ein bißchen zu übertünchen. Eine böse Zunge könnte hier auch etwas Chamäleonhaftes vermuten, ein Wunschdenker Patriotismus, aber letztlich geht es wohl nur um den Schutz seiner Interessen - die sich hoffentlich möglichst weitgehend mit denen des Landes decken.
Ansonsten ist es eine Frage, wie man angesichts eines schlechten Systems verfährt. Es durch Nichtbeteiligung auszuhungern, wird angesichts eines BILD lesenden Stimmviehs nicht gelingen.
Nein, Veränderungen an Einzelheiten etwa des Parteienstaates sollten unbedingt auf dem herkömmlichen demokratischem Wege ablaufen, denn sie würden Leuten wehtun - denen, die vom Status quo am meisten profitieren. Solche Schritte nicht genügend abzusichern, würde bedeuten, daß sie bei nächster Gelegenheit revidiert würden. Wer etwa basisdemokratische Prinzipien stärker verankern will, müßte schon eine Partei dafür gewinnen (oder gründen) - schwierig.

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