All diese Absurditäten von Überhangmandaten an sich bis zum schlimmsten, was einer Demokratie passieren kann, dem negativen Stimmrecht, ließen sich vielleicht durch irgendwelche Detailkorrekturen und Umstiege auf andere Verteilungsverfahren reparieren. Aber dadurch würden nur neue Absurditäten auftauchen und verständlicher würde das Ganze dadurch sicher nicht.
Deshalb bin ich der Ansicht, dass die einzige wirkliche Heilung aus einer Abschaffung der Erststimme kommen kann. Denn im Normalfall - sprich, wenn keine Absurditäten auftreten - hat die Erststimme genau gar keinen Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, und im anderen Fall führt sie eben zu Absurditäten.
Ihr einziger Zweck ist die sogeschimpfte "Personalisierung der Wahl", die ich aber eigentlich sogar ablehne, da im Bundestag keine Politik für einzelne Regionen gemacht werden können sollte. Und wenn dennoch jemand unbedingt die Personalisierung beibehalten will, könnte man durchaus mit einer Erststimme eine Partei wählen und mit einer Zweitstimme einen Kandidaten der Liste dieser Partei, sodass durch den Erststimmenanteil bestimmt wird, bis zu welcher Position die Liste "abgearbeitet" wird, und durch die Zweitstimmenverteilung, wie sie sortiert wird.
Das einzige Problem, das ich bei einer derartigen Reform sehe, ist scheinbar widersinnig: dadurch, dass die meist zugunsten der beiden großen Parteien ausfallende Erststimme abgeschafft wird, könnten die kleinen Parteien geschwächt werden. Denn derzeit betreiben viele Menschen Stimmen-Splitting: aufgrund der Wertlosigkeit der Erststimme wählen sie de facto nur Grün/Gelb, haben aber dennoch das Gefühl, zur Hälfte Rot/Schwarz gewählt zu haben. Dieser psychologische Effekt würde wegfallen und viele der Splitter dann mit ihrer eigentlichen Stimme die große Partei wählen, so dass die kleinen schwer um ihr Überleben kämpfen müssen, damit es nicht zur Bildung eines Zwei-Parteien-Systems kommt.
Hierzu noch ein paar aktuelle Zitate von http://www.wahlrecht.de :
02:00 Uhr - CDU darf in Dresden noch höchstens 40.000 Zweitstimmen bekommen
(mf) Die CDU darf bei der Nachwahl im Wahlkreis 160 höchstens 41.226 Zweitstimmen erhalten, sonst verliert sie ein Überhangmandat und würde nur noch 178 statt 179 Abgeordnete stellen (negatives Stimmgewicht wie erwartet).
04:40 Uhr - Welche Namen sind noch unsicher
Der Bundeswahlleiter hat schon mal eine vorläufige Namensliste veröffentlicht. Folgende Kandidaten sollten allerdings nicht zu sehr darauf vertrauen.
* Cajus Julius Caesar, Listenplatz 34 der NRW CDU. Sollten mehr als 9.409 Wähler in Dresden der CDU die Zweitstimme geben, geht der Sitz ins Saarland zu Anette Hübinger (CDU, Listenplatz 3) - (Alabama-Paradoxon)
* Petra Müller Listenplatz 14 der NRW FDP. Sollten mehr als 3.986 Wähler noch ihre Zweitstimme der FDP geben, geht der Sitz an Lutz RüdigerRecknagel nach Thüringen (FDP, Listenplatz Nr. 2) - (Alabama-Paradoxon)
* Priska Hinz Listenplatz 5 der Grünen in Hessen könnte ihren Sitz an Klaus Borger, Listeplatz 1 im Saarland verlieren, wenn die Grünen noch 27.813 Zweitstimmen erhalten (Alabama-Paradoxon), oder wenn die NPD den Wahlkreis Dresden I gewinnen würde.
* Jörn Thießen Listenplatz 8 der SPD in Schleswig-Holstein würde seinen Sitz an die SPD Sachsen (Barbara Wittig, Listenplatz 5) verlieren, wenn diese noch 48.407 Zweitstimmen erhielte.
* Und sollte die CDU sogar mehr als 41.227 Zweitstimmen erhalten, geht auch der Sitz von Anette Hübinger (CDU, Listenplatz 3 im Saarland) wieder verloren und die CDU hätte überdies ein Überhangmandat verloren.
* Ein Wahlkreissieg für die CDU bedeutete ein weiteres CDU Überhangmandat (mit Sitz für Andreas Lämmel), während ein Sieg der SPD oder Linkspartei keine Änderung bedeuten würde.
04:50 Uhr - Negatives Stimmgewicht
Auch bei dieser Wahl treten wieder negative Stimmgewichte auf. Ganz besonders fällt dies natürlich bei der Nachwahl in Dresden auf, denn hier kann die CDU ja noch Stimmen erhalten (oder dies verhindern).
* Die CDU darf bei der Nachwahl im Wahlkreis 160 höchstens 41.226 Zweitstimmen erhalten, sonst verliert sie ein Überhangmandat
* Hätte die CDU 45.000 Zweitstimmen weniger in Baden-Württemberg, hätte sie noch ein Überhangmandat mehr.
* 70.000 Zweistimmen mehr in Hamburg oder im Saarland und die SPD verliert einen Sitz
* 20.000 Zweitstimmen mehr in Brandenburg und die SPD verliert einen Sitz
* 40.000 Zweitstimmen mehr in Sachsen-Anhalt und die SPD verliert einen Sitz