Türkei-Beitritt

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Padreic
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Mo 3. Okt 2005, 18:02 - Beitrag #1

Türkei-Beitritt

Jetzt ist der 3. Oktober, der schon lang angekündigte Termin für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, und die Gespräche scheinen erstmal nicht stattzufinden, da Österreich sich unter den jetzigen Bedingungen, dass gemeinsames Ziel der Verhandlungen ein Beitritt ist, querstellt. Und da gibt es gleich mehrere Aspekte.

1) Bald sind Landtagswahlen in der Steiermark und die ÖVP stabd nach einigen Skandälchen und so in ihrer alten Bastion gar nicht mehr gut da. Insgesamt ist die Akzeptanz für den EU-Beitritt der Türkei in Österreich sehr gering (hab Zahlen von 10% gelesen), in der Steiermark wohl nochmal geringer. Agiert da jemand wahltaktisch? Andererseits muss man sich auch ganz deutlich fragen, in wie weit es auch demokratisch rechtens wäre, würde sich Schüssel der großen Mehrheit seines Volkes entgegenstellen.

2) Ist ein EU-Beitritt der Türkei überhaupt sinnvoll? Ist die von Österreich favorisierte priveligierte Partnerschaft nicht vielleicht besser? Auch im Lichte dessen, dass der Türkei schon lange der Beitritt quasi zugesichert wurde.

3) Wie ist das Verhalten der Türkei zu bewerten? Sie scheinen sich in einer ziemlich starken Position zu sehen. Zypern anzuerkennen scheinen sie nicht für nötig zu befinden. Und sie stellen die EU vor die Wahl, sie beitreten zu lassen oder ein "Geschlossener Christen-Club" zu bleiben. Anscheinend sehen sie bei sich keine Hoffnungen, sondern ein Anrecht auf einen Beitritt. So kann man vielleicht auch den Vorschlag, die USA als Vermittler zu nehmen, sehen.

Wie steht ihr dazu?

janw
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Mo 3. Okt 2005, 18:59 - Beitrag #2

Schön, kommt das Thema auch mal aufs Tapet :)

Das Agieren der österreichischen Regierung ist denke ich vor allem wahltaktisch begründet. Ressentiments gegenüber allem Fremden sind in Österreich tief verwurzelt nach meiner Beobachtung, die östlich angrenzenden Länder waren in der Vergangenheit nur in sofern "etwas wert", als dort brave untergebene Kolonialvölker lebten. Die Türkei ist natürlich insofern als Feindbild besonders "beliebt", als sie (bzw. eigentlich das Osmanische Reich) mehrfach Österreich erobern wollten. Hier wird dann heute eine Eroberungsabsicht "durch die Hintertür" gewittert.
Wie hat die österreichische Regierung angesichts einer derart ausgeprägten Volksmeinung zu agieren?
Ich meine, sie hätte abzuwägen, wieweit wirklich diese Vorurteile begründet sind, wieweit wirklich eine Gefahr für Österreich gegeben ist, gegen den Schaden, den sie in Europa anrichtet, das ansonsten einhellig für Beitrittsverhandlungen eintritt.
Und da spricht in meinen Augen die Faktenlage eher für eine geringe bzw. kontrollierbare Gefahr, also für einen Primat der europäischen Belange.

Wenn man gegen den Beitritt votiert, muß man IMHO eine konstruktive Alternative anbieten.
Nun ist die Türkei lange schon Mitglied der NATO, auch der EU assoziiert, wenn ich nicht irre - überhaupt konnte das vergangene Terrorregime in der Türkei nur deshalb so unkontrolliert wüten, weil die Türkei im Ost-West-Konflikt unverzichtbarer Bündnispartner des Westens war. Das sollte nicht vergessen werden - hier klebt auch Blut am Westen.
Angesichts dieser schon faktischen und wirksamen Einbindung sehe ich nicht viel, was dazwischen und einem EU-Beitritt an Kooperationsmodellen aufgelegt werden könnte, nicht viel, was konstruktiv zu erreichen wäre.
Die "Privilegierte Partnerschaft" wäre also nicht mehr als eine phrasendrescherische Erklärung, sinngemäß "für gegenseitiges Einverständnis und Förderung des Austausches etc.", hätte keine Wirklichkeitsverändernde Wirkung.

Und sie wäre ein Komplex vergebener Zukunftschancen.
Die Türkei hat einen erheblichen Reformweg hinter sich, sie ist der einzige laizistische islamische Staat mit einer halbwegs funktionierenden demokratischen Rechtsordnung. Sie könnte zum Modell werden für die anderen islamischen Staaten in der Nachbarschaft, indem sie zeigt, daß Liberalität mit einer Zunahme an Wohlstand für alle verbunden ist.

Natürlich wird der Weg kein einfacher sein, die Türkei selbst gibt sich sehr selbstbewußt, zu sehr vielleicht. Man wird ihr Zähne ziehen müssen.
Aber dafür sind die Verhandlungen ja auch langfristig angelegt.

Man muß aber sehen, daß die angestrebten Ziele, die durchaus Europa etwas angehen - Lösung des Zypernkonflikts, Durchsetzung der Pressefreiheit in der Türkei, die Aussöhnung mit den Kurden und die Anerkenntnis des Massakers an den Armeniern - anders nicht erreichbar sein werden als durch Verhandlungen, die der Türkei auch echte Vorteile bieten im Gegenzug.

Ein Punkt sollte in der Diskussion immer mal im Auge behalten werden:
Was ist die EU wirklich? Auch wenn sie praktisch nur aus mehrheitlich christlich orientierten Staaten besteht, ist sie IMHO kein "Christen-Block".
Die Konservativen, die dieses propagieren übersehen die maßgebliche Rolle der Aufklärung, der kritischen Auseinandersetzung mit dem christlichen Welt- und Menschenbild, der Anerkenntnis des Menschen als frei, gleich berechtigt - unabhängig davon, welcher Religion, Hautfarbe etc. er angehört.
Die Dividende dieser Erkenntnis war es, die Europa zu dem machte, was es heute sein will. Gut, daß es davon im Zeichen des Neoliberalismus teilweise etwas abdriftet, ist wahr und ein Problem - das auch erwähnt werden sollte. Es führt aber weg vom Thema...

ThreeOfFour
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Mo 3. Okt 2005, 19:09 - Beitrag #3

was mich an derzeit an der Idee eines EU Mitglieds Türkei stört ist die Tatsache das die Türkei viel zu selbstgerecht ist. Zypern, das Massakern an Armeniern, die Kurdenpolitik. Ich sehe da einfach nicht die nötige Reife der Türkischen Regierung aktuell für eine Mitgleidschaft in der EU.

Ich habe die woche in der RP einen Artikel gelesen das in der Türkei gedacht wird das wir die EU absichtlich immer die Messlatte höher legt, was ich nicht so sehe, ichs ehe es eher so das die Türkei am anfang ne niedrigere Messlatte als andere Staaten hatte und diese nun angeglichen wurde.

Die EU Mitgliedschaft ist ein Privileg kein Recht. Trotzdem finde ich es auch nicht gut das mit sowas Wahlkampf betrieben wird.

Padreic
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Mo 3. Okt 2005, 19:50 - Beitrag #4

@janw
Ich denke, das Verhalten der österreichischen Regierung ist nicht nur, aber sicherlich auch wahltaktisch begründet. Sie nehmen schon länger eine eher beitrittskritische Haltung ein. Gründe gegen einen baldigen EU-Beitritt sehe ich durchaus.

Ich bin leider nicht genau über die Unterschiede zwischen einer priveligierten Partnerschaft und dem Ist-Zustand informiert, kann mir aber vorstellen, dass bzgl. wirtschaftlichen Freiheiten und so noch etwas zu machen ist.

Mein Standpunkt:
a) Die EU selbst ist noch nicht reif für neue Beitritte. Die jetzigen waren eigentlich schon verfrüht, da die nötigen EU-Reformen nicht geschehen sind. Die Probleme mit der Verfassung sind bekannt. Die EU sollte sich erstmal um ihre eigenen Probleme kümmern (was durchaus noch ein Jahrzehnt dauern kann), bevor sie sich weiter vergrößert.

b) Die Frage ist nicht primär, ob die Türkei christlich ist, sondern ob sie als solche europäisch ist. Wir nehmen ja auch nicht Chile auf. Ich würde sagen, dass die Regierung zwar schon recht europäisch ist (die Türkei ist ja auch im Europarat...), große Teile Anatoliens aber kaum so genannt werden können.

c) Da ist die Haltung der Türkei zu vielen Fragen. Janw hat's schon genannt, das Fehlen "[einer] Lösung des Zypernkonflikts, [der] Durchsetzung der Pressefreiheit in der Türkei, [der] Aussöhnung mit den Kurden und [der] Anerkenntnis des Massakers an den Armeniern". Wenn die türkische Regierung sagt, dass sie Zypern nicht anerkennen und es bis auf Weiteres auch nicht tun wollen, kann man ihnen nicht helfen. Wenn man die Staaten der EU nicht anerkennt, erkennt man die EU auch nicht an und kann doch nichtmal daran denken, Beitrittsverhandlungen zu führen...
Mag sein, dass Beitrittsverhandlungen bestimmte Schritte beschleunigen können. Ich bin aber der Meinung, dass, wenn die Türkei sich für einen Nationalismus, der die Prinzipien der EU verachtet, entscheidet, sie das Recht haben sollten, es zu tun. Aber das ist eben das NEIN zur EU.

Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht grundsätzlich gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. Jans Argumente sind durchaus gut, auch ein Interview mit Verheugen, das ich neulich gehört hat, hat mich dem gewogener gemacht. Aber ich bin der Meinung, dass es für einen Beitritt noch viel zu früh ist. Vielleicht kann man in fünf Jahren Beitrittsverhandlungen starten, vielleicht in 10, vielleicht nie. Aber bevor man anfangen kann, müssen sich zwei Dinge ändern: die Haltung der Türkei zu Zypern und zum Armenier-Massaker und die Verfassung der EU.

janw
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Mo 3. Okt 2005, 23:35 - Beitrag #5

Pad, die Skepsis gegen einen schnellen Beitritt kann ich gut verstehen.
Aber in meinen Augen greift sie eben zu kurz.
Es geht nicht darum, daß die Türkei sagen wir in 5 Jahren EU-Mitglied wird und dann irgendwelche 15 Jahre an den Folgen herumgefeilt wird, sondern der Beitritt ist das avisierte Ziel am Ende der Verhandlungen. Und die sind eben auf 10-15 Jahre angelegt.
Klar ist für mich, daß in dieser Zeit viel passieren wird, in der Türkei wird die jetzige Kindergeneration gesellschaftlich prägend werden, was per se einen erheblichen Modernisierungsschub bringen wird. Und wie sich Europa verändern wird im Zeichen der Globalisierung, ob es eine stärkere Dominanz der östlichen Mitglieder geben wird oder eine Neuaufstellung der alten westlichen Führungsländer, das weiß keiner. Von geopolitischen Veränderungen zu schweigen.

Der Punkt, um den es aber beim Beitritt gehen muß, ist neben wirtschaftlichen Reformen und Freiheiten vor allem der Bereich der politischen Kultur. Es muß darum gehen, die kulturellen Werte der Aufklärung, die Toleranz gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt zumal, zu verankern in den Köpfen.
Und das ist etwas, das Zeit braucht und nicht im Vordergrund steht bei einer wie auch immer gearteten privilegierten Partnerschaft.
Das bloße Senken von Einfuhrzöllen, erleichterter Zahlungsverkehr, eine Freihandelszone, das ist nicht, wofür ernsthaft verhandelt werden muß. Das wäre eine vertane Chance, damit wären auch die Probleme, die dem Beitritt ja momentan unzweifelhaft im Wege stehen, nicht im geringsten aus der Welt.

Zu jenen Politikern, die eine privilegierte Partnerschaft befürworten könnte man zweierlei sagen:
Zum einen, gehässigerweise ;), daß sie Demokratisierung nicht wirklich wollen. China zeigt, wie gut sich fehlenden Meinungsfreiheit und gute Geschäfte verbinden lassen. Kritik würde da nur stören.
Zum anderen könnte man sie als cunctatores, Zauderer bezeichnen, schlechte Hamlets, die vor dem Meer der Schwierigkeiten die Waffen strecken.
Die nicht einmal den Versuch unternehmen, etwas zu erreichen von einem großen Ziel.
Ein Europa, das so agierte, verriete seine Grundlagen, die Menschen, die es aufbauten, die eine Utopie verfolgten, nicht wissend, wie weit sie kommen würden auf dem Wege. Ohne die wir nicht das Europa von heute hätten, 15 Staaten, die gemeinsam ein größeres Ganzes bilden auf vielen Feldern. (Mit Mängeln zwar, aber das sind die Aufgaben von morgen)
Nein, keiner kann sagen, ob am Ende der Beitritt der Türkei zur EU stehen wird. Keiner weiß, ob dieser überhaupt noch relevant sein wird am Ende der Reise. Aber ich bin mir sicher, daß die Türkei eines sein wird: Ein freieres Land, in dem man freier als heute seine Meinung wird sagen dürfen.
Allein für dieses Ziel lohnt es, den Weg zu beginnen.

Maglor
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Di 4. Okt 2005, 10:03 - Beitrag #6

Problematisch ist, dass die Beitrittsfrage meist in einer engstirnigen Grundsatzdiskussion endet. Gern profilieren sich gerade in Deutschland die sogenannten "politischen Lager". Die einen behaupten, die Türkei müsse der EU beitreten, um in der "islamischen Welt" endlich das demokratische Zeitalter einzuläuten. Andere wiederum behaupten die Türkei dürfe der EU auf keinen Fall beitreten, weil die Türkei regimeartig regiert wird und die Türken allesamt verwirrte Muselmanen sind, die ständig auf Kurdenjagd gehen oder gleich die eigene Sippe mit Ehrenmorden verehren, wenn sich nicht gerade Terroranschläge gegen Christen und Juden planen oder versuchen die Macht in Deutschland an sich zu reißen.
Ich jedenfalls denke, die Türkei muss nicht unbedingt der EU beitreten, darf aber der EU beitreten, sobald sie die Kriterien erfüllt hat.

Zitat von ThreeOfFour: Ich habe die woche in der RP einen Artikel gelesen das in der Türkei gedacht wird das wir die EU absichtlich immer die Messlatte höher legt, was ich nicht so sehe, ichs ehe es eher so das die Türkei am anfang ne niedrigere Messlatte als andere Staaten hatte und diese nun angeglichen wurde.

Naja, das auch nicht ganz unwahr. Immerhin hat ihr schon vor vielen Jahrzehnten einen baldigen Eintritt, wenigstens aber Verhandlungen darüber, in Aussicht gestellt. Die Türkei wurde immer zurück gestellt, während andere mit Handschlag ins Boot genommen wurden; ich denke hier nicht nur ans "Osteuropa" sondern auch an Staaten wie Griechenland oder auch die "neuen" deutschen Bundesländer. Gerade in jüngster Zeit hat ja die Türkei durchaus Schritte in die richtige Richtung gemacht, etwa die Abschaffung der Todesstrafe. Es wäre gewissermaßen Verhöhnung, wenn man jetzt die Tür zuschlägt und vernagelt!

Was die ganze Sache mit den Armeniern angeht: Da übertreiben es die Europäer doch schon ein wenig. (Ich meine jetzt nicht, dass die Bezeichnung Völkermord übertrieben ist, sondern der Aufriss der heute darum gemacht wird.) Die Türkei steht nicht minder in der Pflicht sich bei den Armeniern zu entschuldigen, wie es Deutschland vielleicht bei den Herero tun sollte. Wird hier vielleicht mit zweierlei Mass gemessen? Ein EU-Beitritt kann doch nicht an Greueltaten scheitern, die vor 100 Jahren begangen wurden!

@Padreic
Sind die Türken wirklich so uneuropäisch? Ich glaube Bulgaren, Rumänen oder Malteser sind Westeuropäern auch nicht gerade zum Verwechseln ähnlich.

MfG Maglor

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Di 4. Okt 2005, 10:04 - Beitrag #7

Ich fand die Antwort vom Türken, der am Eck seinen Spätkaufladen hat, auf meine Frage so richtig treffend (er ist schliesslich ein Berliner:P )
Er sagte: Wass wollt ihr reden über EU Beitritt der Türkei. Schau dich mal um. Über 3 Millionen sind hier. Wie sind doch schon in der EU Integriert.
Das war meines erachtens absolut treffend und zeigt die Kleingeistigkeit unserer Politiker.
Was ist der Unterschied zwischen einem berliner Türken und einem Bayern?
Der Türke spricht Deutsch.:D

Ipsissimus
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Di 4. Okt 2005, 11:19 - Beitrag #8

na ja, die Absicht Österreichs dürfte schon darin bestehen, Beitrittsverhandlungen für Kroatien zu erwirken; die historischen Bindungen dürften da nachhaltig nachwirken; von daher ist es logisch, die Zustimmung zur Türkei von der Zustimmung zu Kroatien abhängig zu machen - ich denke, dieses Taktieren dürfte die Verhandlungen mit der Türkei die nächsten Jahre begleiten, nach dem Motto "ein Zugeständnis für die Türkei - ein Zugeständnis für Kroatien"

mich stört an der Türkei nach wie vor das absolut indiskutable gesellschaftliche Frauenbild, das dort entgegen aller anderslautender Gerüchte nicht nur in Ostanatolien verbreitet ist. Das ist aus meiner Perspektive eigentlich der einzige wirkliche Hinderungsgrund - und bei dem bin ich mir nicht sicher, ob die Verweigerung der Mitgliedschaft zu einer Verschärfung oder zu einer Klärung führen würde.

Von daher Zustimmung zum Beitritt, wenn möglich mit der Auflage, wirksame gesellschaftliche Maßnahmen zur Angleichung des Status de Frau an westliche Standards zu ergreifen

janw
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Di 4. Okt 2005, 12:12 - Beitrag #9

Ipsi, da gebe ich dir recht. Wie ist das aber eigentlich, ist der Vatikanstaat in der EU?^^

Ipsissimus
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Di 4. Okt 2005, 12:17 - Beitrag #10

so weit ich weiß, nicht^^


wenn es nach mir ginge, würde die katholische Kirche und würden alle Organisationen, die eine faktische Ungleichwertigkeit von Männern und Frauen betreiben, ohnehin zu 100 Prozent auf ihren Besitz versteuert werden

Padreic
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Di 4. Okt 2005, 15:54 - Beitrag #11

Nunja und ich denke, dass eine derartige Diskriminierung Andersdenkender nicht wünschenswert ist, aber das ist wohl off-Topic...

@Maglor:
Die Türkei steht nicht minder in der Pflicht sich bei den Armeniern zu entschuldigen, wie es Deutschland vielleicht bei den Herero tun sollte. Wird hier vielleicht mit zweierlei Mass gemessen? Ein EU-Beitritt kann doch nicht an Greueltaten scheitern, die vor 100 Jahren begangen wurden!

Es geht nicht um Greueltaten von vor 100 Jahren, nicht mal unbedingt um eine Entschuldigung; wenn sie unbedingt wollen, können sie diese auch sein lassen. Es ist aber etwas völlig anderes, zu leugnen, dass eine solche Tat überhaupt geschehen ist und diplomatischen Protest einzulegen, wenn ein anderer Staat den Völkermord in der Schule behandeln will...
Die Taten der Deutschen gegenüber den Hereros und die der Türken gegenüber den Armeniern halte ich übrigens nur für begrenzt vergleichbar.

Sind die Türken wirklich so uneuropäisch? Ich glaube Bulgaren, Rumänen oder Malteser sind Westeuropäern auch nicht gerade zum Verwechseln ähnlich.

Nun, ich habe nie gesagt, dass ich deren EU-Beitritt uneingeschränkt begrüße. Leider bin ich aber über die Lage in diesen Ländern nicht gut genug informiert, um deren Zustände fundiert mit denen in Anatolien vergleichen zu können.

@janw
Ein Europa, das so agierte, verriete seine Grundlagen, die Menschen, die es aufbauten, die eine Utopie verfolgten, nicht wissend, wie weit sie kommen würden auf dem Wege. Ohne die wir nicht das Europa von heute hätten, 15 Staaten, die gemeinsam ein größeres Ganzes bilden auf vielen Feldern. (Mit Mängeln zwar, aber das sind die Aufgaben von morgen)
Nein, keiner kann sagen, ob am Ende der Beitritt der Türkei zur EU stehen wird. Keiner weiß, ob dieser überhaupt noch relevant sein wird am Ende der Reise. Aber ich bin mir sicher, daß die Türkei eines sein wird: Ein freieres Land, in dem man freier als heute seine Meinung wird sagen dürfen.
Allein für dieses Ziel lohnt es, den Weg zu beginnen.

Vielleicht sehe ich das zu "realpolitisch" ;).

@LadySlave
Über 3 Millionen sind hier. Wie sind doch schon in der EU Integriert.

Sind sie das, in der EU integriert? Um mal etwas polemisch zu sein: Frag das mal die Frauen, die erschossen wurden von Familienmitgliedern, weil sie westlich leben wollten.

Ipsissimus
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Di 4. Okt 2005, 16:02 - Beitrag #12

Nunja und ich denke, dass eine derartige Diskriminierung Andersdenkender nicht wünschenswert ist, aber das ist wohl off-Topic...
ist es das, Diskriminierung?

LadysSlave
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Mi 5. Okt 2005, 00:59 - Beitrag #13

Sind sie das, in der EU integriert? Um mal etwas polemisch zu sein: Frag das mal die Frauen, die erschossen wurden von Familienmitgliedern, weil sie westlich leben wollten.

Da bewegst du dich aber auf dünnem Eis.
Oder soll ich auch die Frauen aus dem Frauenhäusern fragen? Die überwiegende Mehrheit der geschundenen Frauen , die dort Aufnahme gefunden haben, sind mit deutschen Männern liiert.
Auch wenn es an manchen Stellen Mängel oder auch Verbrechen gibt. So sollten wir doch sachlich da rangehen und feststellen, dass das Auswucherungen sind, die leider sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern passieren. Oder willst du die Unzahl der Beziehungstaten in deutschen Familien nicht zur Kenntnis nehmen?
Ich jedenfalls meine, dass die Mehrheit der Menschen anderer Herkunft integriert ist, und die Unbelehrbaren ruhig wegegschickt werden sollten.;)
Wir sind in gesellschaftlichen Belangen bei weitem nicht so weit von der Einstellung der Türken entfernt.
Wir wollen auch nicht vergessen, dass das Wahlrecht der Frau gerademal 100 Jahre besteht und erst 1965 der § aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gestrichen wurde,der besagte, dass ein Arbeitsvertrag nur gilt, wenn er von dem Vater, oder dem Ehemann der Frau unterzeichnet ist.
Wir geniessen die gesellschaftliche Freiheit, als wäre sie schon immer da. Genauso gefährden wir sie auch, weil bei uns kaum jemandem bewusst ist, dass wir darauf aufpassen müssen, wenn sie nicht verlorengehen sollen.
Wie schnell selbstbverständliche Rechte verschwinden, hat uns ja Schily gezeigt, als er unter dem Deckmantel der Sicherheit die Bespitzelung unserer Bevölkerung einführte.

Nach meiner Kenntnis ist der Vatikanstaat nicht in der EU. Das würde seiner Neutralität widersprechen. Aber der Vatikanstaat hat mit über 150 Staaten diplomatische Beziehungen. (Muss eigentlich der ganze Vatikanstaat aus Bootschaftsschülern bestehen, weil die doch keine Familie haben dürfen;) oder wie sollen die sich vermehrten? :D Was ein Gag sein sollte )

janw
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Mi 5. Okt 2005, 11:47 - Beitrag #14

[quote="Padreic"]Vielleicht sehe ich das zu "realpolitisch" ]
Tss, und das von einem StarTrekker...;)
Nur, ohne diversen scheinbaren Utopien von anderen, besseren Verhältnissen gefolgt zu sein, würde die Menschheit wohl noch durch die Savanne streifen, und der Mond wäre eine ferne Scheibe, die dann und wann leuchtet, wenn die Schakale heulen...
Wer das Große nicht versucht, wird das Kleine nicht erreichen...

Was den Islam und die Behandlung der Frauen betrifft, da muß man aufpassen, nicht zu viel zu vermengen.
Die Ehrenmord-Geschichte, die in letzter Zeit immer mal thematisiert wurde, ist wohl eine anatolische Eigenheit, die quasi idiosynkretisch auf den Islam aufgesattelt wird. Ähnlich wie die Beschneidung von Frauen in Afrika, die dort auch schon vor Einführung des Islams praktiziert wurde.
Es handelt sich also nicht um religiös verbindlich festgelegte Rituale oder Verhaltensregeln, sondern um Ausdruck der Einstellung der jeweiligen "Völker" zu den Frauen. Und diese können moduliert werden, und eine Modernisierung kann hierzu der Motor sein.
Daß außerdem Minderheiten in der Diaspora besonders extreme Verhaltenskodices entwickeln, ist umfangreich belegt. Warum soolte das nicht auch für die Türken hierzulande gelten?

Überhaupt ist es an der Zeit, unser Verhältnis zum Islam zu überdenken.
Vor allem arabischen Gelehrten ist es zu verdanken, daß die Schriften der griechischen Philosophen überhaupt in irgeneiner Form überliefert sind.
Die Herrschaft der Mauren in Spanien war eine Zeit großer kultureller Blüte, gerade auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Wichtige Begriffe der Mathematik entstammen dem Arabischen.
Und letztlich ging auch das Osmanische Reich, wenn ich nicht irre, zumindest über längere Zeiten recht liberal mit den unterworfenen Völkern um. Wenn die Steuern gezahlt waren, war alles gut.
Etwas im Gegensatz zu den christlichen Eroberungen...

Was die Armenier betrifft, es ist wie Pad sagt, das Thema muß thematisiert, öffentlich behandelt werden dürfen.
Wie, wann und auf welche Weise dann ein Ausgleich mit den Armeniern gefunden wird, steht dabei nicht zur Debatte.

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Mi 5. Okt 2005, 16:37 - Beitrag #15

janw, der Witz ist nur folgender: Auch wenn Ehrenmorde etc nicht dem Islam sondern irgendeiner anatolischen Stammestradition entsprungen sind, ändert, dass am Tatbestand überhaupt nichts, außer dass den Täter das Argument der Religionsfreiheit entzogen wird.
Interessant ist vielleicht auch, dass die türkischen Muslime gar nicht die übelsten religiös veriwirrten Türken sind. Die Jesiden, irgendeine eine merkwürdige altehrwürdige Sekte, übertrumpfen sie bei weitem, auch in Deutschland.

MfG Maglor

janw
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Mi 5. Okt 2005, 17:33 - Beitrag #16

Maglor, damit hast Du sicher nicht unrecht. Aber indem dem Brauch der Stempel des Religiösen genommen wird, ergibt sich auch die Möglichkeit, ihn dem kulturellen Wandel anheim zu geben.
Das passiert derzeit mit der Beschneidung von Mädchen in Westafrika, indem dort die Beschneidung zunehmend umgedeutet wird zu einer unblutigen Erwachsenwerdungsfeier quasi.

Das mit den Jesiden wußte ich noch nicht, weiß aber auch nicht, wie stark die Jesiden hierzulande vertreten sind.
(Sollte man vielleicht auch nicht zu laut sagen, sonst wird das noch als schutzwürdiges Kulturgut einer ethnisch-kulturellen Minderheit deklariert:P)

Maglor
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Mi 5. Okt 2005, 17:37 - Beitrag #17

Naja, gerade die verwirrtesten Jesiden genießen in Deutschland ihre religiöse Freiheit verbunden mit dem Asylrecht.
MfG Maglor

janw
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Mi 5. Okt 2005, 17:45 - Beitrag #18

Aber es wird ihnen dennoch schwerlich gelingen, ihre Toten auf Steinpfählen den Geiern zum Fraß auszulegen - wenn ich da jetzt nichts verwechsle.

Da sie in ihrer Heimat diskriminiert werden, genießen sie Asylrecht. Ja.

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Do 6. Okt 2005, 12:18 - Beitrag #19

@janw:
Überhaupt ist es an der Zeit, unser Verhältnis zum Islam zu überdenken.
Vor allem arabischen Gelehrten ist es zu verdanken, daß die Schriften der griechischen Philosophen überhaupt in irgeneiner Form überliefert sind.
Die Herrschaft der Mauren in Spanien war eine Zeit großer kultureller Blüte, gerade auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Wichtige Begriffe der Mathematik entstammen dem Arabischen.
Und letztlich ging auch das Osmanische Reich, wenn ich nicht irre, zumindest über längere Zeiten recht liberal mit den unterworfenen Völkern um. Wenn die Steuern gezahlt waren, war alles gut.
Etwas im Gegensatz zu den christlichen Eroberungen...

Zwei Dinge:
1. Wenn ich meine, dass die Türkei (noch) nicht in die EU soll, auch weil sie zu wenig europäisch sind, so ist das keine Feindlichkeit gegenüber dem Islam. Prinzipiell spricht überhaupt nichts dagegen, dass ein vorwiegend islamisch geprägtes Land in die EU kommt. Wenn man denn ein geeignetes findet.
2. Du argumentierst, glaube ich, gerade gegen den Islam oder islamisch geprägte Staaten. Mir sind, um es platt zu sagen, Kulturen lieber, die früher barbarisch waren und sich jetzt zur Modernität und Freiheit entwickelt haben, als solche, die früher modern und freiheitlich waren und sich dann zur Barbarität entwickelt haben.

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So 9. Okt 2005, 17:31 - Beitrag #20

Interessant ist es doch, dass es fast jedem von uns passiert, dass wir, wenn wir von der Türkkei reden immer den Islam ansprechen, wobei doch gerade die Türkei der einzige islamische Staat ist, der die strikte Trennung von Glauben und Staat in die Verfassung verankert hat.
Das ist ein Verdienst von Attatürk, der sein Land durch eine rigorose Reform an die damaligen mächtigen Staaten herangeführt hat und dabei die Türkei geeint hat. Sicher ist das , wie bei allen geschichtsträchtigen Werken, nicht ohne das Vergiessen von Blut Unschuldiger ,vonstatten gegangen.
Darüber können wir zwar heute diskutieren, jedoch rückgängig kann es keiner machen. Wohl aber die Reformen, die in der Türkei durchgeführt wurden, womit sich dieses Nato-Land von anderen Staaten der Region unterscheidet. Denn es gibt in dieser Türkei nicht nur europafreundliche Mächte.
So wie die Türkei schon mit Europa verflochten ist, ist eine Trennung von Europa bestimmt nicht wünschenswert.
Die meisten Bedenken bestehen doch bei den Arbeitsplätzen. Doch auch hier wird mit ziemlichen Urängsten gespielt.
Ich meine, dass ein Türke genausowenig Lust hat nach Deutschland zu gehen, wie ein Berliner Lust hat, in den USA zu arbeiten.
Die Türken, die im Ausland arbeiten wollen, sind doch schon da. Also, wovor hat der Michel Angst?
Vielmehr habe ich Angst, dass wir als unredliche Großmäuler gesehen werden.
Denn seit 40 Jahren sagen die Europäer, allen voran die Deutschen, dass die Türkei zu uns gehört und dereinst in die EU sollte. Anfangs um gegen die DDR ins Feld zu springen, damit die Türkei die DDR nicht anerkennt. Dann um die Nato an der Grenze zur Sowietunion zu stärken, jetzt ist weder die DDR noch die Sowietunion mehr da. Jetzt wollen wir von unseren Versprechen nichts mehr wissen. Sind wir wirklich so ein verlogenes Volk? Unstet und wortbrüchig?
Das kann und will ich nicht glauben. Ich meine: So geht man nicht mit Freunden um.
Es wird Zeit, auch den Parteien, die ein "C" in den Namen tragen, ein Gebot ins Gedachtnis zu rufen: "Du sollt nicht falsch Zeugnis reden, wider deinen Nächsten". Was ist das? Du sollst nichts falsches über deine Bekannten verbreiten und sollst deinen Bekannten reinen Wein einschenken. Sei Aufrecht und ehrlich gegen jedermann, denn du erhoffst ja genausom dass dein Gegenüber ehrlich zu dir ist (hab ich bewusst weltlich gehalten, damit auch Atheisten sich mit dieser Aussage identifizieren können).
Unter dieser Prämisse bleibt nur das Worthalten als logische Schlussfolgerung.
Ich glaube auch nicht, dass ein EU Eintritt massenhafte Arbeitsaufnahmen von Türken in Deutschland zur Folge hätten.was ich vorher schon begründet hatte. Eher würde sich der Einfluss Europas in der Regieon verstärken.
Und das Ansehen würde steigen, weil wir Wort hielten! Obwohl das Selbstverständlich sein sollte, in einem Land in dem Verträge (zwei übereinstimmende Willenserklärungen') die Grundlage der Gesellschaft sind, musste hart darum gerungen, ob wir unser Wort halten, oder einfach über unsere Eigene Willenserklärung hinweggehen.
Es gibt keine Auswüchse in der Gesellschaft der Türkei, die es in unserer Gesellschaft nicht auch gäbe.

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