Menschenrechte: Recht auf Eigentum vs. Recht auf Arbeit?

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Mi 3. Mai 2006, 17:59 - Beitrag #1

Menschenrechte: Recht auf Eigentum vs. Recht auf Arbeit?

Hallo!

Ich habe mich bei folgender Fragestellung in Bezug auf Menschenrechte ertappt:

Ist das Recht auf Eigentum nur dann möglich, wenn es kein Recht auf Arbeit gibt?

UND: Ist das Recht auf Arbeit nur dann möglich, wenn es kein Recht auf Eigentum gibt?

Ich ziehe da den Vergleich zwischen der BRD und der DDR.

In der BRD ist es im GG verankert (siehe entsprechenden Beitrag im Diskussionsforum: "Würde des Menschen"), allerdings ist uns das Recht auf Arbeit nicht zugesichert.

In der DDR gab es kein Recht auf Eigentum, dafür hatte aber jeder das Recht auf Arbeit, bzw. seinen Arbeitsplatz.


Meint ihr, dass das eine nur existieren kann, wenn es das andere nicht gibt.
Und ist dieser Fall typisch für den Gegensatz von Sozialismus und Freie Marktwirtschaft.

Lykurg
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Mi 3. Mai 2006, 22:36 - Beitrag #2

Ein Gegenbeispiel gab es: Im 3. Reich waren sowohl das Recht auf Eigentum als auch das Recht auf Arbeit auf dem Papier vorhanden. Letzteres war quasi verpflichtend - wer nicht arbeitete, konnte als asozial verfolgt und zur Zwangsarbeit eingeteilt werden; ersteres dagegen wurde etwa aus 'rassischen' Gründen teilweise eingeschränkt, außerdem konnte man es - wie auch andere Rechte - durch angeblichen Verstoß dagegen 'verwirken'. Außerdem war die Finanzierung nur durch Staatsverschuldung in Erwartung eines baldigen Eroberungskrieges möglich. (Heute verschuldet man sich mW lieber ohne eine derartige Planung).

Wenn man historisch weiter zurückblickt, sind beide Rechte nicht ausdrücklich formuliert, aber vorhanden - in der frühen Neuzeit wurden arbeitsfähige, aber nicht -willige Bettler ausgepeitscht und am Ohr gebrandmarkt, das Eigentum hat eine ziemlich lange Tradition (Marx geht davon aus, daß es seit der Seßhaftwerdung ~5000 v.Chr. Eigentum gibt). Ein ausdrückliches Recht darauf findet sich dann spätestens in den Verfassungen seit 1776. Der Gedanke eines Rechts auf Arbeit ist deshalb nicht so alt, weil das Phänomen der Arbeitslosigkeit erst im 19. Jh. relevant wurde, es vorher grundsätzlich genug zu tun gab, eher nicht genügend Arbeitskräfte.

Für den genannten Gegensatz sehe ich es als einen typischen Gegensatz, ja - aber je nachdem, wie genau man die beiden Systeme ausdifferenziert, kommt man insbesondere auch beim Freiheitsbegriff zu unterschiedlichen Ergebnissen.

janw
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Mi 3. Mai 2006, 23:00 - Beitrag #3

In meinen Augen widersprechen sich die Rechte nicht, könnten beide nebeneinander eingeführt werden.
Die Frage ist für mich eher, was diese Rechte konkret bedeuten und welchen Sinn sie in der Ausformulierung machen.

Das Recht auf Besitz wäre sauberer als Recht auf den Erwerb von Besitz oder als Recht auf den Behalt von erworbenem Besitz zu formulieren - dann träfe es die Realität besser, in der eben das Problem ist, daß der Erwerb von Besitz wohl jedem erlaubt ist, aber sachlich nicht allen möglich.
(Was zu ändern allerdings nicht einfach wäre, weil nicht zu bestimmen ist, wieviel Besitz jeder haben sollte, und dieser nicht ohne weiteres an jeden ausgeteilt werden kann.)
Das Problem, das sich wirklich stellt, ist die Ungleichverteilung des Besitzes in Verbindung mit dem Zinssystem, das dazu führt, daß die, die über viel verfügen, diesen leicht weiter maximieren können, ohne nennenswert Leistung dafür zu erbringen.

Das Recht auf Arbeit ist ebenso nicht einfach, sinnvoller wäre es als Recht auf eine den Lebensunterhalt sichernde Arbeit zu fassen - definitionstechnisch halbwegs in Griff zu bekommen, allerdings schwer umzusetzen.

Letztlich spiegeln diese Rechtszuweisungen die empfundene soziale Situation ihrer Zeit wider, im 19.JH. hätte man wohl in weiten Kreisen eher ein Recht auf Nicht-Arbeit und Muße befürwortet - und in gewisser Weise wurde dies mit der Einführung der Schulpflicht umgesetzt. Daß Kinder nicht arbeiten mussten, sondern die Zeit für Bildung nutzen durften, das war schon ein revolutionärer Akt damals...

Mir fällt ein, ich muss mal mein politisches credo bearbeiten, da spielt das auch hinein...

Ipsissimus
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Do 4. Mai 2006, 11:46 - Beitrag #4

auch in der DDR und anderen sozialistischen Staaten gab es faktisch ein Recht auf Privateigentum - wenn mensch dort in ein Wohnzimmer hineingegangen wäre und mit dem Verweis, daß es kein Privateigentum gibt, die Einrichtung abtransportiert hätte, hätte er sich genauso vor Gericht oder in der Klapse wiedergefunden wie hierzulande auch. Die Begründungen wären nur unterschiedlich gewesen.

Vielmehr gab es weder ein Recht auf freien privat-kommerziellen Handel, noch das Recht auf nennenswerten privaten Besitz an Produktionsmitteln - und DAS ist der Punkt, der dem Sozialismus nicht verziehen wurde von allen, die es als ihr gottgegebenes Recht ansehen, auf Kosten anderer Gewinne zu machen.

Wenn ich sehe, wohin uns dieses Recht bringt, frage ich mich, ob der Kommunismus tatsächlich so widerlegt ist, wie es die Schar der Kapitalismus- und Marktgläubigen vorjubelt.


Im Kern des Problems verbirgt sich imo letztlich diese diabolische Doppelbedeutung des Begriffes "Freiheit", bei der in einschlägigen Darstellungen immer so getan wird, als ginge es um die freie Willensentfaltung des Einzelnen, wo in der Praxis sich dann immer und immer wieder erweist, daß es lediglich auf die Freiheit des Kaufmannes hinausläuft, unbehelligt von staatlicher Regulation seine kommerziellen Gelüste zu befriedigen, auch wenn dadurch die Freiheit anderer Menschen zunehmend beschnitten werden muss.

Lykurg
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Do 4. Mai 2006, 17:19 - Beitrag #5

Es wird grundsätzlich...

Ich fand gestern einen äußerst interessanten Aufsatz von Detmar Doering, der sich mit dem Scheitern des Sozialismus befaßt - aus liberaler Sicht, versteht sich, es handelt sich um den Leiter der FNS.

Er argumentiert ökonomisch, etwa mit den Massenhungersnöten der diversen sozialistischen Staaten, denen die Besiegung des Hungers in liberalen Gesellschaften (in Friedenszeiten) gegenübersteht.
Er argumentiert moralisch, daß Sozialismus im massiven Widerspruch zur freien Selbstbestimmung des Menschen steht und jenseits kleiner Gruppen nicht funktionsfähig ist, weil eine Gesellschaft jenseits einer bestimmten Größe nicht mehr durch Ideale, sondern nur durch Regeln zu steuern ist.
Er führt an, daß sozialistische Gesellschaften eine starke Tendenz zum verdeckten oder offenen Nationalismus haben.
Er zeigt, daß sozialistische Systeme mehr dazu neigen, Ressourcen zu vergeuden und die Umwelt zu schädigen, als marktwirtschaftliche Gesellschaften.
Der letzte Punkt, den er anführt, ist so treffend, daß ich diese Pointe eigentlich nicht vorwegnehmen mag... es geht ihm um den Einfluß des Sozialismus auf die Kunst und letztlich das Geistesleben.


Mein Fazit daraus: Es wird wohl in jeder Gesellschaft mit auch noch so freiheitlichen Zügen immer weiter Menschen geben, die mehr oder weniger davon überzeugt sind, daß eine ein bißchen oder sehr viel stärker sozialistisch orientierte Grundordnung besser wäre. Daß diese Überlegung ihnen freisteht, offen diskutiert und durch politische Parteien vertreten wird, ist ein maßgeblicher Unterschied zu sozialistischen Systemen, die eine solche Option zum Erhalt ihrer selbst nicht bieten können.

Antikapitalisten können auch (wie alle 'Antis') das schöne Gefühl haben, daß sie gemeinsam für eine höhere Sache einstehen; sogar, daß sie eine überwältigende Mehrheit sind gegenüber sozialistischen Dissidenten, schließlich verwandten und verwenden sozialistische Regimes erhebliche Anstrengungen darauf, diese zum Schweigen zu bringen und kleinere "Störfälle" wie den Prager Frühling, den Ungarnaufstand oder Tienanmen herunterzuspielen, jegliche Erwähnung davon hart zu sanktionieren und im Keim zu ersticken.

Sie können überdies die Überzeugung entwickeln, ähnliches geschehe auch in liberalen Gesellschaften, werde aber seinerseits heruntergespielt und geheimgehalten. Auch diese Annahme kann frei geäußert werden - und an allerspätestens dieser Stelle sollte ein Denkprozeß einsetzen.

Ipsissimus
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Do 4. Mai 2006, 20:50 - Beitrag #6

Er argumentiert ökonomisch, etwa mit den Massenhungersnöten der diversen sozialistischen Staaten, denen die Besiegung des Hungers in liberalen Gesellschaften (in Friedenszeiten) gegenübersteht.


die die "liberalen" Gesellschaften bis heute damit erkaufen, daß sie auf der ganzen Welt unzählige Menschen tagtäglich verhungern lassen, dadurch daß sie ihnen die Lebensgrundlagen wegnehmen, um bei uns die Nachfrage zu befriedigen

Er argumentiert moralisch, daß Sozialismus im massiven Widerspruch zur freien Selbstbestimmung des Menschen steht und jenseits kleiner Gruppen nicht funktionsfähig ist, weil eine Gesellschaft jenseits einer bestimmten Größe nicht mehr durch Ideale, sondern nur durch Regeln zu steuern ist.


freie Selbstbestimmung des Menschen in kapitalistischen Gesellschaften? Lachst du wenigsten selbst ein bißchen über die Albernheit dieses Arguments?

Er führt an, daß sozialistische Gesellschaften eine starke Tendenz zum verdeckten oder offenen Nationalismus haben.


"USA, like it or leave it", ein Slogan aus meiner Studentenzeit. Die USA wären demnach ein sozialistisches Land. Die Argumentation von Doering ist noch nicht mal mehr bemitleidenswert.

Er zeigt, daß sozialistische Systeme mehr dazu neigen, Ressourcen zu vergeuden und die Umwelt zu schädigen, als marktwirtschaftliche Gesellschaften.


Der Beifall von Exxon und Honywell und wie sie alle heißen, ist ihm gewiß.


Was den Einfluss auf das Geistesleben angeht. Stimmt. Gesellschaften, die Schostakovichs, Pasternaks und Oistrachs hervorbringen, müssen grundsätzlich schlecht sein. Die Übermacht russischer Künstler bis zur Wende, und der danach einsetzende Verfall der russischen Kulturlandschaft ist Folge der generellen Überlegenheit des kapitalistischen Systems.

Desweiteren kritisiere ich an den realen sozialisitschen Systemen sehr wohl die von dir aufgeführten "Störfälle", Lykurg. Frage mich nur, warum du in dieser Reihe nicht Allende, die Todesschwadronen in Honduras, Nicaragua und ähnliches erwähnst, diese Kleinigkeiten, die der CIA so souverän zu handhaben weiß. In dieser Hinsicht sind die Großmächte ziemlich gleichwertig besetzt, also kein Argument für eine der beiden Seiten.

Schließlich polemisierst du zwar gegen die Kritik an der Verschleierungspolitik kapitalistischer Gesellschaften. Dafür, daß es anders sich verhalte, bietest du noch nicht einmal ein Indiz an.

Lykurg
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Do 4. Mai 2006, 23:49 - Beitrag #7

sie auf der ganzen Welt unzählige Menschen tagtäglich verhungern lassen, dadurch daß sie ihnen die Lebensgrundlagen wegnehmen, um bei uns die Nachfrage zu befriedigen
Das würde ich gerne auch auf der Seite der Ursachen, nicht nur der der Folgen, ein wenig konkretisiert hören. Du scheinst dich auf die afrikanischen Bürgerkriegsländer zu beziehen, denn einen tatsächlichen Zwang des Westens, Handelsbeziehungen aufzunehmen, hat es mW zuletzt in Japan 1854 gegeben. Außerhalb von Kriegsgebieten (auf eine Kriegswirtschaft kann diese Betrachtung, wie auch Doering von vornherein klarstellt, nicht angewandt werden) gibt es in einer liberalen Gesellschaft keine Zwangsmittel, die jemanden dazu veranlassen könnten, sich seine Lebensgrundlage ersatzlos nehmen zu lassen.
freie Selbstbestimmung des Menschen in kapitalistischen Gesellschaften? Lachst du wenigsten selbst ein bißchen über die Albernheit dieses Arguments?
Nein, das tue ich nicht, mich würde sehr interessieren, was von dem, was du als elementaren Bestandteil deiner Freiheit betrachtest, dir in unserer Gesellschaft - die übrigens gewisse kapitalistische Züge trägt, aber beileibe nicht in meinem Sinne liberal ist - verwehrt bleibt. Andernfalls lache ich über die Albernheit dieses Angriffs. Die "Freiheit" der Menschen in sozialistischen Regimes ist die eines Alptraums, aus dem man, wenn man Glück hat, aufwachen kann.
Die USA wären demnach ein sozialistisches Land.
Er behauptet an keiner Stelle, daß liberale Gesellschaften automatisch frei von nationalen Gesinnungen wären, insofern ist diese Herleitung logisch falsch. Es würde mich an dieser Stelle interessieren, ob du auch den Text oder nur meine Zusammenfassung gelesen hast - die zwangsläufig die Masse der Begründungen wegläßt.
Der Beifall von Exxon und Honywell und wie sie alle heißen, ist ihm gewiß.
Auch hier argumentiert er, und das habe auch ich nicht umgedreht, historisch und ex negativo. Es erscheint mir nur allzu nachvollziehbar, daß 'volkseigene' Betriebe mit ihren Rohstoffen, die sie nicht einkaufen mußten, sondern zugeteilt bekamen, auch in keinster Weise sparsam umgingen. Wenn durch besondere Effizienz etwas übrig blieb, wurde es im nächsten Fünfjahresplan eingespart - damit jeder Ansatz zu verantwortungsbewußten Umgang mit Ressourcen im Keim erstickt.
Gesellschaften, die Schostakovichs, Pasternaks und Oistrachs hervorbringen, müssen grundsätzlich schlecht sein.
Es ist interessant, daß du gerade Schostakowitsch anführst, der jahrelang um sein Leben fürchtete, mit Schreibverboten belegt war, dessen künstlerische Entwicklung verschiedentlich massiv behindert wurde (Formalismusvorwurf), der zur Komposition banalster Massenhymnen ("Lied von den Wäldern") und Sozialismusjubelsymphonien (11. und 12.) gezwungen wurde. Dessen Auslandskontakte genau kontrolliert und beargwöhnt wurden, genau wie alle fremden Einflüsse auf seine Musik. Zugegebenermaßen war seine Rolle wesentlich zwiespältiger als die deiner beiden folgenden Beispiele. David Oistrach hatte in diverser Hinsicht weit mehr Glück und Freiheiten. Er war auch prominent genug, um als Jude die großen Säuberungswellen der 1930er und kurz vor Stalins Tod zu überleben (obwohl ein hoher Bekanntheitsgrad hier ja auch nicht unbedingt nützte). Ich kenne seine Biographie nicht gut genug, um über die Anfeindungen und Benachteiligungen, die ihm daraus widerfahren sein dürften, genaueres sagen zu können.

Ich gebe zu, daß es für Boris Pasternaks künstlerische Entwicklung sicherlich ein großer Vorteil war, daß er den Literaturnobelpreis nicht annehmen durfte. Er hat dadurch bestimmt einen Eindruck von der großartigen Freiheit des Sozialistischen Menschen bekommen. Ganz abgesehen davon durfte "Doktor Schiwago" in der Sowjetunion nicht erscheinen, und da Pasternak (nebenbei ebenfalls ein Jude) seine Prägung vor 1917 erhielt und in der Zeit danach sich meist als Übersetzer seinen Lebensunterhalt verdienen mußte, weil seine Lyrik nicht den Anforderungen des "sozialistischen Realismus" entsprach, würde ich auch in seinem Fall nicht unbedingt annehmen, daß die Sowjetunion seiner Biographie allzu förderlich war.

Warum hast du eigentlich nicht zum Beispiel Alexander Solschenizyn genannt? Seine beneidenswerten Erfahrungen in diversen Gulags haben ihm schließlich auch den Stoff für seine Romane und Erzählungen gegeben, er war dem geliebten, hochverehrten Genossen Stalin sicherlich sehr dankbar dafür. Weitere Beispiele gäbe es zuhauf. Ich stimme dir zu: Sozialismus bedeutet nicht, daß es keine Kunst gibt, sondern "nur", daß Künstler gelenkt, geknechtet, eingesperrt, gequält, ermordet und aus dem Gedächtnis getilgt werden. Das mag tatsächlich besser sein. Viele kann man nicht mehr fragen.
Dafür, daß es anders sich verhalte, bietest du noch nicht einmal ein Indiz an.
Das Indiz, das ich sehr wohl anführte, war, daß Vorwürfe frei geäußert werden können. Daß andere Meinungen zugelassen werden und ihre besondere Berücksichtigung erfahren, daß es Gruppen gibt, die für alle möglichen divergierenden und mit der herrschenden Meinung nicht deckungsgleichen Ziele eintreten, ohne deswegen strengeren Regeln zu unterliegen als etwa ein Kaninchenzüchterverein.

janw
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Fr 5. Mai 2006, 02:10 - Beitrag #8

Der Erguß, ein anderes Wort kann ich dafür leider nicht anwenden, von Doering ist in meinen Augen hinten und vorne angreifbar, angefangen bei der Autorschaft, die liberalismustheoretische Vorreiterschaft erwarten lassen würde.
Als liberalen Prinzipien verpflichtet kann man den Artikel nur noch dann betrachten, wenn man die Einengung des Liberalismus in Deutschland auf das Wirtschaftsliberale nicht als die Perversion der Idee begreift, die sie ist.

Grundsätzlich sind die beiden dominierenden -ismen, Sozialismus und Kapitalismus, nur Mittel zum Zweck, zwei wirtschaftspolitische Ideologien, erdacht als Mittel zur Erzeugung allgemeiner gesellschaftlicher Wohlfahrt, und bei Deutung des Liberalismus als Forderung von Freiheit für die Menschen sind sie beide so geeignet wie problematisch zur Erzeugung derselben.

Problematisch an dem Artikel ist bereits die ideologische Vorfestlegung, die in dem Wort "grundübles System" in der Überschrift gipfelt - anstatt zu untersuchen, wird bestehendes Urteil mit geeignet erscheinenden Argumenten zu begründen versucht.
Daß der Autor dabei selektiv vorgeht, mit Scheuklappen, hat Ipsi bereits aufgezeigt - wenn man die Toten durch vom Westen ausgelöste Hungerkatastrophen, Bürgerkriege, die Unterstützung von Terroregimen wie in Lateinamerika, Mobuto in Kongo, die Apartheid in Südafrika - nicht zu vergessen auch den Kolonialismus, der kapitalistisch betrieben wurde - usw. zusammen rechnete, wäre die humanitäre Bilanz wohl recht ausgeglichen. Wenn man die Energieverschwendung der westlichen Welt, vor allem Amerikas, einbezieht, wenn man sich erinnert, daß in den 70ern VW und Mercedes in Brasilien mit ihrer "Inwertsetzung wertlosen Urwaldes" (O-Ton eines Werbefilmes aus der Zeit), der Rodung zu Rinderfarmen, erst den Wald öffneten zu der heute möglichen Zerstörung durch illegalen Raubbau an Holz, Goldsucherei usw., Amerika jetzt immer noch nichts gelernt hat, dafür den Rest Alaksas für die Ölförderung freigeben will, es westliche Fangflotten sind, die die Meere bis auf den letzten Jungfisch leer saugen, nur um daraus Fischmehl zu machen, sieht auch die "Ökobilanz" insgesamt nicht rosig aus für den Kapitalismus - sektorale Unterschiede sollen dabei nicht wegdiskutiert werden.

Wenn Döring postuliert, daß Hungersnöte und allgemeine Not gerade mit dem Aufkommen des Kapitalismus beendet gewesen seien, so negiert er, daß das Erkennen von Not, schlimmster bitterster Not, die gerade durch den aufkommenden Kapitalismus ausgelöst wurde, der Anlass war zur Entwicklung der Idee von Sozialismus und Kommunismus durch Marx und Engels.
Döring negiert auch, daß die sich dann irgendwann doch durchsetzende soziale Verbesserung nicht durch den Kapitalismus selbst ausgelöst wurde, sondern durch
a) einzelne Unternehmer, die aus weltanschaulichen Gründen oder auch schlicht zur Konfliktvermeidung soziale Einrichtungen für ihre Arbeiter schufen,
b) Regierungen, die schlicht zur Konfliktvermeidung Sozialgesetze einführten.
Bismarck verbot mit der einen Hand die SPD, mit der anderen führte er die Sozialversicherung ein, die wir heute noch haben und nahm damit den Arbeitern den Wind aus den Segeln - reine Machtpolitik.

Finanzpolitisch irrt Döring fatal: einer der weltgrößten Schuldenberge wird derzeit von Amerika verantwortet, wenn man die Schäden, die durch die Energieverschwendung täglich entstehen, monetarisieren würde, wäre das Ergebnis noch eindeutiger - aber es ist eines der Probleme marktwirtschaftlicher Rechnung, daß Kosten für die Allgemeinheit nicht bilanziert werden, Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.
So entpuppt sich der freieste aller kapitalistischen Staaten als Schuldenfalle par excellence.

Sehr dünnes Eis betritt Doering auch, wenn er den Wohlfahrtsstaat mit dem Sozialismus gleichsetzt: "schleichende Formen des Sozialismus sind wieder auf dem Vormarsch", "weicher Sozialismus ist auch Sozialismus" und die Krisen der sozialen Marktwirtschaften als Beleg für seine These vom gesetzmäßigen Scheitern des Sozialismus heranzieht: "Die Krise der europäischen Wohlfahrtsstaten und ihr verschleierter Bankrott zeigen, daß er (der weiche Sozialismus) genauso wenig funktioniert."

Die Krisen der Sozialen Marktwirtschaften sind unbestreitbar, sind allerdings nicht auf ein gesetzmäßig inhärentes Scheitern-müssen zurück zu führen, sondern auf Wandel in den sie bedingenden demographischen Grundlagen und mangelnde Reaktionsbereitschaft der Politik auf die schon lange absehbaren Probleme.
Man muss eher sagen, daß die sozialen Elemente der Marktwirtschaften in Mitteleuropa konstitutiv für die Stabilitäten der Marktwirtschaften und der demokratisch-marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften an sich waren.
So rum wird ein Schuh daraus, Herr Doering.

Nicht sehr ernst zu nehmen ist Doerings Kritik am Sozialismus, daß in seinem ideologischen Dunstkreis allerlei andere Ideologien gediehen sind - der Nationalismus wurde genauso von Staaten des Ostblocks gepflegt wie im Westen - "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst" (Kennedy), und Umweltbewegungen hatten maßgeblichen Anteil an der Demontage der sozialistischen Regime wie an der Entstehung der environmental awareness im Westen, sie als sozialistische Agenten zu entlarven, ist historisch falsch.

Daß im ökosozialen Diskurs der Gedanke der "Öko-Diktatur" gedacht wurde, ist richtig, die Tatsache hat jedoch gleiche Qualität wie die Tatsache der diversen Gedankenspiele konservativer amerikanischer think-tanks: Den Sozialismus oder den Kapitalismus hierfür in Haftung zu nehmen, entspräche einer Sippenhaftung, welche aus guten Gründen in Europa nicht mehr kultiviert wird.

Es spricht IMHO eher für die ideologische Konsequenz der ökosozialen Gruppen, daß sie aufgrund der sozialen Problematik des Gedankens von der Öko-Diktatur diesen nicht weiter verfolgt haben, er sich nicht wirklich in Programmatiken verankern konnte.
(übrigens ist der nicht als sozialistisch bekannte WWF bei der Durchsetzung seiner Ziele recht wenig zimperlich gewesen, was sich heute z.B. in der Serengeti rächt)

Was den Zusammenhang zwischen Sozialismus und Kultur und Schönheit betrifft, bleibt nur zu sagen, daß alle totalitären Regime, in wessen Namen auch immer, bei der Durchsetzung ihrer Ziele vor der Kultur nicht halt gemacht haben, anderseits auch Kulturschaffen hervorgebracht, gefördert oder sich haben entwickeln lassen haben - Allende ist nicht zu vergessen, wie auch Schostakovich nicht.

Der sozialistische Städtebau hat gewiss Tristesse hervorgebracht, aber auch äußerste Prachtentfaltung wie in der Moskauer Metro, er hat mit dem Zuckerbäckerstil stilbildend gewirkt, und der Wiederaufbau der Warschauer Altstadt war im Sozialismus möglich.
Tristesse hat indessen auch der Kapitalismus hervorgebracht, wenn man sich den Verlust an indigenen Kulturen vor Augen führt und wenn man den wuchernden Städtebrei der westlichen Ballungsräume besieht. Über die städtebauliche Ästhetik von Manhattan, des Frankfurter Bankenviertels oder des Potsdamer Platzes in Berlin mag man geteilter Meinung sein...

Bleibt bei alledem die Frage nach dem Sinn des Ganzen, ist nicht viel drängender als die Frage, ob nun der Sozialismus gesetzmäßig scheitern musste, der Kapitalismus aber die Glückseligkeit verheißende Wirtschaftsform ist, die Frage, wie nach dem Wegfall des Ostwest-Gegensatzes und nach dem offenbar werden der Schwächen beider Systeme ein neues System aussehen könnte, das die Vorzüge beider Systeme vereinigt, ob es ein solches überhaupt geben könnte.

In meinen Augen rührt Doering in einer alten Suppe, stellt dies dann noch unter das Rubrum "Philosophie", wo doch weit drängendere Fragen auf den Liberalismus zurollen.
Die sachlichen und auch Denkfehler, die er dabei begeht, wecken bei mir Zweifel an der richtigen Besetzung seines Postens.

Lykurg
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Fr 5. Mai 2006, 10:15 - Beitrag #9

(Die Erstfassung des Postings ist eben verlorengegangen, jetzt bin ich in Eile, daher nur eine stichwortartige Rekapitulation)

Angreifbar
ist der Text zwangsläufig, es handelt sich bei Doering nicht um einen marxistischen Theoretiker.^^ Zugleich verfolgt er damit nicht die Absicht, in einer allumfassenden Arbeit sämtliche Argumentationen der Gegenseite zu sammeln und zu widerlegen, sondern stellt in einem Drei-Seiten-Aufsatz ein paar wesentliche Punkte zusammen, die er in aller Kürze recht schlüssig begründet - jedenfalls ein erheblicher Teil der bisherigen Gegenbehauptungen hat sich nicht mit seinen Begründungen beschäftigt, sondern Aussagen aus ihrem Zusammenhang gepflückt und mit einer erheblich weniger elaborierten Argumentationsstruktur zu widerlegen versucht.

Für die angeführten "vom Westen ausgelösten Hungerkatastrophen" würde mich das eine oder andere Beispiel interessieren; wenn du jedenfalls anfängst zu bilanzieren, sollten die jeweils ca. 30 Mio. Hungertoten in China zur Zeit des "Großen Sprunges" oder in der Ukraine in den 30ern nicht völlig vernachlässigt werden - und ich bezweifle sehr, daß das auch nur ansatzweise "ausgeglichen" werden kann. Darüber hinaus sehe ich auch die "Täterschaft" des 'Westens' nicht so ganz - letztlich sind ein erheblicher Anteil der Probleme hausgemacht, und in den tatsächlich freien Gesellschaften ist auch der Hunger kein wesentliches Problem mehr.

Der Kolonialismus ist in vielfacher Hinsicht eine dunkle Epoche (übrigens nicht in jeder, aber das führt uns vom Thema weg), seine schlimmsten Erscheinungen gingen allerdings nicht auf freies Unternehmertum zurück, sondern auf die Entscheidungen von Monarchen oder ihrer Machtstrukturen. Ich würde etwa Wilhelm II. nicht gerade als einen Vorzeigeliberalen darstellen wollen, auch wenn er zugegebenermaßen kein Sozialist war.^^

Die von dir genannten sozialen Verbesserungen durch Arbeitgeber und Regierungen sind zum Teil ein Ergebnis des "Drucks der Straße", zum Teil auch aus eigener sozialer Geisteshaltung entsprungen - aber auch im ersten Fall nicht als bloße Machtpolitik abzutun, sondern letztlich Anzeichen für funktionierenden Ausgleich eines Interessenkonflikts, wie so viele bestehen. Für deren dauerhaft funktionierende Abwägung sind liberale Strukturen aufgrund ihrer weit höheren Flexibilität gegenüber individuellen Bedürfnissen erheblich besser geeignet als eine wie auch immer funktionierende zentralistische Regierungsmacht. Liberalismus endet nicht auf der Ebene der Unternehmen, es handelt sich auch nicht um ein rein wirtschaftliches Konzept.^^

Die US-Staatsverschuldung ist nicht Folge des Handelns amerikanischer Unternehmen; und ich glaube nicht, daß du allen Ernstes Bush und seine Regierung als liberal geprägte Menschen darstellen möchtest. "Neoliberalismus" mag zwar ein stylishes Schimpfwort geworden sein, das bedeutet aber noch nicht, daß es auf jeden Menschen anwendbar ist, der einem nicht ins Konzept paßt. Die derzeitige US-Regierung ist erzreaktionär; ein zentraler Konflikt bereits der ersten Hälfte des 18. Jh. war der zwischen liberalem und konservativen Bürgertum, noch bevor Marx und Engels aktiv wurden - und die von dir angeführte bittere Not der Zeit war nicht gerade die Folge liberalen Denkens.
mangelnde Reaktionsbereitschaft der Politik auf die schon lange absehbaren Probleme
ist ein ganz zentrales Merkmal auch sozialistischer Gesellschaften, gerade hier finde ich Doerings Vergleich sehr angebracht. Ob nun die sozialen oder die freien Elemente einer Wirtschaft die stabilisierenderen Elemente sind, scheint mir mit deiner Feststellung noch nicht besiegelt - kurzfristig sind Sozialleistungen sehr wirksam zur Bekämpfung von Unruhen; wenn sie dann aber dazu führen, daß der ganze Laden irgendwann zusammenstürzt, erscheint mir das nicht als ein solides Fundament der Gesellschaft. Ludwig Erhard meinte nicht zu Unrecht, man solle den Kuchen erst groß machen, bevor man ihn verteilt. Daß dann Kluncker und andere sich sattfressen wollten und mehr Kuchen verschlangen, als je gebacken wurde^^, ist eines der Grundübel, mit denen wir jetzt umzugehen haben.

Deine Überlegungen zur Öko-Diktatur erscheinen mir treffend, ich sehe allerdings den Zusammenhang gerade nicht. Jedenfalls stünde es mir (und vermutlich auch Doering) fern, Umweltaktivisten generell sozialistischer Umtriebe zu verdächtigen, schon weil die Umweltbewegung dafür zu langlebig und zu erfolgreich ist.^^

Die Überlegungen zur Kultur - offenbar scheint Schostakowitsch für dich immer noch im Wesentlichen ein Geförderter zu sein - teile ich so nicht, der Zuckerbäckerstil und die vergleichbare Prachtentfaltung der Moskauer (und anderer) Metro-Stationen sind für mich absolut keine kreativere oder erstrebenswertere Entwicklung als moderne Stahlbeton-Glas-Bauten, Doering allerdings zielte wohl eher auf die Tristesse der Plattenbausiedlungen ab - ich konnte vor drei Wochen das Musterbeispiel Bratislava besichtigen, die dichtestbewohnte Stadt Europas. Vom Burgberg aus sieht man eine in den 1990ern wundervoll restaurierte Altstadt (die vorher laut Fotos total verrottet war), jenseits der Donau aber eine Trabantenstadt mit gigantischen Reihen von unglaublich häßlichen Plattenbauten, die bis zum Horizont reichen.

Der Wiederaufbau der Altstädte von Warschau und Danzig war ein spezifisch polnisches Prestigeprojekt, das durchaus nicht vollständig dem einhelligen Willen der sozialistischen Machthaber entsprach, zugleich waren die polnischen Verhältnisse immer etwas anders (wie ein Radieschen: außen rot, innen weiß, wie die Polen selbst sagten). Die Sprengungen der Leipziger Universitätskirche, des Berliner Stadtschlosses und diverser anderer Bauten sowie die 'Rekonstruktion' der :kotz: Berliner Innenstadt jedenfalls sprechen da eine etwas andere Sprache.

Ipsissimus
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Fr 5. Mai 2006, 13:21 - Beitrag #10

habe den Text, den ich gestern abend tatsächlich nur überflogen hatte, jetzt noch mal in aller Ruhe durchgelesen.

Dieser Text ist seiner Natur nach ein Glaubensbekenntnis. Gegen Glaubensbekenntnisse zu streiten, ist müßig. Die darin als Fakten präsentierten Argumente basieren imo weitgehend auf persönlichem "dafür halten", was dem Autor unbenommen bleiben soll; die meisten davon sind bestenfalls strittig, m.E. in ihrer Mehrheit durch einseitige Blindheit bedingt. Dem Sozialismus werden die Schwierigkeiten der Beseitung dessen, was der Imperialismus angerichtet hat, als Makel angerechnet, die eigentliche Tragödie des Sozialismus, daß er in die Hände von Machtgeiern gefallen ist, die ihren kapitalistischen Entsprechungen in nichts nachstanden, gar nicht erst bemerkt, bzw. wieder der Systemstruktur zugerechnet.

Mir ist dieser Text hochgradig inkommensurabel, Propagandalyrik, mehr nicht.

Die Maschine
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Fr 5. Mai 2006, 15:46 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:auch in der DDR und anderen sozialistischen Staaten gab es faktisch ein Recht auf Privateigentum - wenn mensch dort in ein Wohnzimmer hineingegangen wäre und mit dem Verweis, daß es kein Privateigentum gibt, die Einrichtung abtransportiert hätte, hätte er sich genauso vor Gericht oder in der Klapse wiedergefunden wie hierzulande auch. Die Begründungen wären nur unterschiedlich gewesen.


Sehe ich ein wenig anders... oder ich habe es in meinem ersten Beitrag anders gemeint.

Das Privateigentum kann aber jederzeit von den entsprechenden staatlichen Behörden (ausgehend von dem Selbstanschauung im Sozialismus, dass die Partei dazu da ist, ein regulierendes Element zu bilden) ohne Angabe von Gründen (mit Ausnahme von: dem sozialistischem Wohl und bla...) und Entschädigungen enteignet werden.

Meine Fragestellung befasste sich allerdings eher auf dem wirtschaftlichen Sektor.

Lykurg
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Fr 5. Mai 2006, 16:55 - Beitrag #12

Ipsissimus, das steht dir selbstverständlich frei; ersetzte "seiner Natur nach" durch "meiner Meinung nach", und Behemoth gibt Ruhe. ;) Ansonsten könnte man über die Frage, inwieweit die korrupten Eliten im Sozialismus ein sytemimmanentes oder ein generell menschliches, aber gerade deshalb in der Konzeption jedes Gesellschaftssystems hinreichend zu berücksichtigendes Konstitutivum sind, trefflich weiter streiten.^^
/OT

Die Maschine, auf den wirtschaftlichen Bereich bezogen stimme ich dir weitgehend zu; ganz einfach weil mE ein einklagbares Recht auf Arbeit das Eigentum des in diesem Fall beklagten Arbeitgebers infragestellt, das aber seinerseits Voraussetzung für die Arbeit anderer darstellt. Insofern würde es, wenn beide Rechte festgeschrieben wären, zu ständigem Konflikt dieser beiden Prinzipien kommen, aus dem sich vermutlich als Handhabungspraxis eine Vorrangigkeit des einen oder des anderen Grundsatzes herausbilden müßte. Und damit wäre die Sache letztlich obsolet.

janw
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Fr 5. Mai 2006, 23:50 - Beitrag #13

Lykurg, der Gedanke mit dem Glaubensbekenntnis kam mir auch, es ist damit keine Einzelmeinung...

Wo wir nun aber mal dabei sind...will ich die Sache trotzdem mal als Satz von Tatsachenbehauptungen und Schlüssen jenseits von Glaubensgewißheiten behandeln.

Angreifbar ist der Text zwangsläufig, es handelt sich bei Doering nicht um einen marxistischen Theoretiker.^^ Zugleich verfolgt er damit nicht die Absicht, in einer allumfassenden Arbeit sämtliche Argumentationen der Gegenseite zu sammeln und zu widerlegen, sondern stellt in einem Drei-Seiten-Aufsatz ein paar wesentliche Punkte zusammen, die er in aller Kürze recht schlüssig begründet - jedenfalls ein erheblicher Teil der bisherigen Gegenbehauptungen hat sich nicht mit seinen Begründungen beschäftigt, sondern Aussagen aus ihrem Zusammenhang gepflückt und mit einer erheblich weniger elaborierten Argumentationsstruktur zu widerlegen versucht.

Er hat eine vorgefasste Meinung, für die er passende Belege heranzieht, dem Widersprechendes weglässt, dabei zwangsläufig die Wahrheit verdrehend und verkürzend und in für sein Erkenntnisinteresse passender Weise interpretiert.

Das Ergebnis hat damit keine Relevanz in Bezug darauf, daß es irgendwie objektiv richtige Aussagen träfe.
Propaganda eben, wie es sie in beiden Lagern gibt.
Nur, und das ist für mich der springende Punkt, verspielt Doering damit einen Grad an Seriositätszuerkennung, die er ex positione in den Augen vieler Rezipienten hat - "wenn der Doering das so sagt, dann muss da wohl was dran sein...", würden sicher viele weniger in der Materie steckende Menschen sagen.

Daß mein Beitrag weniger elaboriert war als Doerings Text, liegt darin begründet, daß es mir nicht darum ging, das Gegenteil zu beweisen im Sinne von "der Sozialismus ist allgütig, der Kapitalismus das Grundübel", sondern am Text entlang die Fehler aufzuzeigen, die ich in Doerings Text sehe. Gewiss, nicht ohne verve^^
Wobei das Textformat leider sehr zitierunfreundlich ist und ich nicht so viel Zeit auf passagenlanges Abschreiben verwenden wollte.

Für die angeführten "vom Westen ausgelösten Hungerkatastrophen" würde mich das eine oder andere Beispiel interessieren; wenn du jedenfalls anfängst zu bilanzieren, sollten die jeweils ca. 30 Mio. Hungertoten in China zur Zeit des "Großen Sprunges" oder in der Ukraine in den 30ern nicht völlig vernachlässigt werden - und ich bezweifle sehr, daß das auch nur ansatzweise "ausgeglichen" werden kann. Darüber hinaus sehe ich auch die "Täterschaft" des 'Westens' nicht so ganz - letztlich sind ein erheblicher Anteil der Probleme hausgemacht, und in den tatsächlich freien Gesellschaften ist auch der Hunger kein wesentliches Problem mehr.


1. Das Aufrechnen von Toten ist meine Sache eigentlich nicht, aber da Doering die fraglos gegebenen Zahlen von Todesopfern als Argumentationsgrundlage verwendet, muss ich wohl oder übel mit anderen Zahlen dagegen halten - so sehr mir das aus humanitärer Sicht widerstrebt.

2. Man kann den Kolonialismus nicht aus der Kapitalismusdebatte ausblenden, er wurde in England und Deutschland so betrieben, daß das Militär die Kolonien so weit erschloss, daß sie danach für die Ausbeutung durch Kapitalgesellschaften der Mutterländer bereit waren. Carl Peters, in damals Deutsch-Südwestafrika verantwortlich für Massaker und Vertreibungen (Verhungernlassen Zehntausender!) an den Buschleuten und den Nama agierte als Vertreter Deutscher Kapitalinteressen, ebenso war die Eastindian Tea Company eine britische Privatunternehmung, die unter dem Schutz der Krone in Indien schalten und walten durfte, ebenso eine niederländische Gesellschaft in den niederländischen Kolonien auf Java usw.

3. Wirken die Folgen des Kolonialismus in den Ländern fort - in Form von kultureller Entwurzelung, Verlust traditioneller Fertigkeiten (es gibt Hinweise darauf, daß Teile des Amazonasbeckens von den Indios landwirtschaftlich genutzt wurden und eine recht große Bevölkerung davon leben konnte. Die Techniken, mit denen dort auf den armen und empfindlichen Böden gewirtschaftet wurde, sind mit den ausgerotteten Indios verschwunden. Mittlerweile hat man da aber Hinweise, die sehr interessant sind), Grenzziehungen, die quer durch Stammesgebiete schneiden, Großgrundbesitz in Händen der Nachfahren der Kolonisatoren, uvm
Die Unterstützung korrupter, aber willfähriger Regime (s. Abacha, Mobuto,...) und nachfolgende rücksichtslose Ausbeutung der Länder durch westliche Konzerne (schau Dir mal an, was Shell im Nigerdelta angerichtet hat!) kann als Neokolonialismus bezeichnet werden.
Von "hausgemachten Problemen" zu sprechen, trifft es also nicht ganz^^

4. Der Rückgang von Hungerkatastrophen in Mitteleuropa, den es im 19.JH tatsächlich gab, lag wesentlich in der Einführung des Kunstdüngers, verbesserter Ackerbau- und Haltungsmethoden und den Gemeinheitsteilungen begründet.
Der freie Bauer auf eigenem Land ist sicher eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte.

Der Kolonialismus ist in vielfacher Hinsicht eine dunkle Epoche (übrigens nicht in jeder, aber das führt uns vom Thema weg), seine schlimmsten Erscheinungen gingen allerdings nicht auf freies Unternehmertum zurück, sondern auf die Entscheidungen von Monarchen oder ihrer Machtstrukturen. Ich würde etwa Wilhelm II. nicht gerade als einen Vorzeigeliberalen darstellen wollen, auch wenn er zugegebenermaßen kein Sozialist war.^^


Der Sklavenhandel war privatwirtschaftlich organisiert
Die East Indian Tea Company war eine privatwirtschaftliche Unternehmung, ebenso war Carl Peters in dem Sinne tätig.
Dies sind nur 2 Beispiele...

Die von dir genannten sozialen Verbesserungen durch Arbeitgeber und Regierungen sind zum Teil ein Ergebnis des "Drucks der Straße", zum Teil auch aus eigener sozialer Geisteshaltung entsprungen - aber auch im ersten Fall nicht als bloße Machtpolitik abzutun, sondern letztlich Anzeichen für funktionierenden Ausgleich eines Interessenkonflikts, wie so viele bestehen. Für deren dauerhaft funktionierende Abwägung sind liberale Strukturen aufgrund ihrer weit höheren Flexibilität gegenüber individuellen Bedürfnissen erheblich besser geeignet als eine wie auch immer funktionierende zentralistische Regierungsmacht. Liberalismus endet nicht auf der Ebene der Unternehmen, es handelt sich auch nicht um ein rein wirtschaftliches Konzept.^^

Liberalismus und Kapitalismus sind zweierlei und prinzipiell von einander unabhängig aus meiner jetzigen Sicht.
Daß ein individualunternehmerisch organisierter Kapitalismus flexibler ist als ein statswirtschaftlich organisierter Sozialismus, ist sicher so, liegt aber nicht am -ismus, sondern an der Organisationsstruktur. Die microsoftdominierte Softwarebranche ist alles, nur nicht flexibel und kundenfreundlich.
Die sozial engagierten Unternehmer handelten sicher nicht_nur aus unternehmerischer Vernunft, einigen kann man eine humanistische Gesinnung nicht absprechen. Allerdings gab es auch bei den Kolchoschefs solche und solche...
Aber in Teiten des shareholder value zeigt sich, wie schwankend der Boden der humanistischen Gesinnungen ist, wie gut es denn doch ist, gesetzlich fixierte Standards zu haben.

Die US-Staatsverschuldung ist nicht Folge des Handelns amerikanischer Unternehmen; und ich glaube nicht, daß du allen Ernstes Bush und seine Regierung als liberal geprägte Menschen darstellen möchtest. "Neoliberalismus" mag zwar ein stylishes Schimpfwort geworden sein, das bedeutet aber noch nicht, daß es auf jeden Menschen anwendbar ist, der einem nicht ins Konzept paßt. Die derzeitige US-Regierung ist erzreaktionär; ein zentraler Konflikt bereits der ersten Hälfte des 18. Jh. war der zwischen liberalem und konservativen Bürgertum, noch bevor Marx und Engels aktiv wurden - und die von dir angeführte bittere Not der Zeit war nicht gerade die Folge liberalen Denkens.

Wenn man das Fehlen eines Sozialsystems, die Gestaltung des Steuersystems, Umweltauflagen und anderer wirtschaftsrelevanter Gegebenheiten auf Pressionen seitens wirtschaftlicher Lobbygruppen zurückführt - wodurch letztlich der Staat für alle Folgekosten der wirtschaftlichen Betätigungen aufkommt, wo er sich nicht selbst aus der Verantwortung ziehen kann und die Verursacher fein raus sind, dann ist die Verschuldung zumindest in diesen Bereichen durch die Wirtschaft und ihre Lobbies mit verursacht.
Letztlich dient auch die amerikanische Außenpolitik samt Militäreinsätzen wesentlich wirtschaftlichen Interessen.
Bush als liberal zu bezeichnen, würde mir nie einfallen, "neoliberal" ist IMHO nicht gleichbedeutend mit "wirtschaftsliberal".
Es geht aber nicht um eine Rechtfertigung des Liberalismus oder Kritik an diesem, sondern um Kapitalismus und Sozialismus. Die Not, die Marx und Engels zu ihren Ideen veranlassten, war eine Folge sicher nicht des Liberalismus, sondern des (Früh)kapitalismus, ist aber nicht vom "Früh" abhängig.

Zitat:
mangelnde Reaktionsbereitschaft der Politik auf die schon lange absehbaren Probleme

ist ein ganz zentrales Merkmal auch sozialistischer Gesellschaften, gerade hier finde ich Doerings Vergleich sehr angebracht. Ob nun die sozialen oder die freien Elemente einer Wirtschaft die stabilisierenderen Elemente sind, scheint mir mit deiner Feststellung noch nicht besiegelt - kurzfristig sind Sozialleistungen sehr wirksam zur Bekämpfung von Unruhen; wenn sie dann aber dazu führen, daß der ganze Laden irgendwann zusammenstürzt, erscheint mir das nicht als ein solides Fundament der Gesellschaft. Ludwig Erhard meinte nicht zu Unrecht, man solle den Kuchen erst groß machen, bevor man ihn verteilt. Daß dann Kluncker und andere sich sattfressen wollten und mehr Kuchen verschlangen, als je gebacken wurde^^, ist eines der Grundübel, mit denen wir jetzt umzugehen haben.[/QUOTE]
Auch Amerika ist nicht vorbereitet auf die schon länger absehbaren Probleme - die Energiekrise war absehbar, wenn man die Entwicklung in China verfolgte. Alle Systeme mit festgelegten Verteilungsschlüsseln für Gewinne, Verluste und Verantwortung neigen zur Verschleppung notwendiger Reaktionen - das trifft auf den Staatssozialismus des Ostblocks genauso zu wie auf kapitalistische Konzerne und Staaten jeden Grades an sozialer Verfasstheit.

Ich wage die Behauptung, daß ohne die sozialen Elemente der europäischen Marktwirtschaften diese nicht so erfolgreich wären, wie sie in wirtschaftlicher Hinsicht sind. Das Maß an dadurch erreichter sozialer Ruhe hat aus wirtschaftlicher Sicht IMHO positiv gewirkt.
Die aktuelle Krise der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland hört IMHO auf den Namen Kohl. Wären die notwendigen Reformschritte 1985 eingeleitet worden, stünden sie besser da heute. Daß die dann heute durchgeführten Reformen dafür schmerzhafter sind, ist nicht anders zu erwarten (daß sie z.B. bei HartzIV sogar unnütz und sozial nicht besser als die alten sind, sei noch am Rande erwähnt)

Deine Überlegungen zur Öko-Diktatur erscheinen mir treffend, ich sehe allerdings den Zusammenhang gerade nicht. Jedenfalls stünde es mir (und vermutlich auch Doering) fern, Umweltaktivisten generell sozialistischer Umtriebe zu verdächtigen, schon weil die Umweltbewegung dafür zu langlebig und zu erfolgreich ist.^^

Nun, Doering führt auch die Idee von der Öko-Diktatur als Beleg für seine Thesen über die Schädlichkeit des Sozialismus an, implizit klingt dabei für mich der Vorwurf von den Umweltbewegten als 5.Kolonne heraus - wenn Doering das auch nicht explizit so sagt.

Die Überlegungen zur Kultur - offenbar scheint Schostakowitsch für dich immer noch im Wesentlichen ein Geförderter zu sein - teile ich so nicht, der Zuckerbäckerstil und die vergleichbare Prachtentfaltung der Moskauer (und anderer) Metro-Stationen sind für mich absolut keine kreativere oder erstrebenswertere Entwicklung als moderne Stahlbeton-Glas-Bauten, Doering allerdings zielte wohl eher auf die Tristesse der Plattenbausiedlungen ab - ich konnte vor drei Wochen das Musterbeispiel Bratislava besichtigen, die dichtestbewohnte Stadt Europas. Vom Burgberg aus sieht man eine in den 1990ern wundervoll restaurierte Altstadt (die vorher laut Fotos total verrottet war), jenseits der Donau aber eine Trabantenstadt mit gigantischen Reihen von unglaublich häßlichen Plattenbauten, die bis zum Horizont reichen.

Der Wiederaufbau der Altstädte von Warschau und Danzig war ein spezifisch polnisches Prestigeprojekt, das durchaus nicht vollständig dem einhelligen Willen der sozialistischen Machthaber entsprach, zugleich waren die polnischen Verhältnisse immer etwas anders (wie ein Radieschen: außen rot, innen weiß, wie die Polen selbst sagten). Die Sprengungen der Leipziger Universitätskirche, des Berliner Stadtschlosses und diverser anderer Bauten sowie die 'Rekonstruktion' :kotz: der Berliner Innenstadt jedenfalls sprechen da eine etwas andere Sprache.


Ich hätte auch Solschenizyn nehmen können als kulturelle Hervorbringung.
Es ging mir nicht darum zu zeigen, daß der Sozialismus frei von Hässlichkeit, der Kapitalismus aber voll davon sei - davon bin ich weit entfernt.
Die Plattenbauten sind hässlich, aber keine zwangsläufige Folge des Sozialismus. Eher schon des Ressourcenmangels und des dennoch gegebenen Bedarfes an Wohnraum, der geschaffen werden musste.
Was Berlin betrifft oder Leipzig, das waren barbarische Akte, von Kulturbanausen. Ob Marx das gefallen hätte? Ich weiß es nicht...
Übrigens war Frankfurt/Main auch mal schön, bevor die Jugendstilhäuser durch Bankhochhäuser ersetzt wurden :( Ist übrigens einer der Keimpunkte der westdeutschen linken Bewegung, der Häuserkampf zielte eben gegen diesen Akt der städtebaulichen Barbarei.

Lykurg
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Sa 6. Mai 2006, 10:51 - Beitrag #14

Ja! Da sind viele Positionen dabei, denen ich mich amüsanterweise anschließen kann, obwohl sie zunächst gegensätzlich scheinen; vieles davon kann ich auch guten Gewissens akzeptieren, ohne es für mich selbst vertreten zu wollen.^^

An ein paar Stellen muß ich zwangsläufig widersprechen, an denen im rhetorischen Überschwang der feste Boden verlassen wurde, sie seien in aller Kürze mehr aufgezählt als abgehandelt, schließlich überwiegt in meinen Augen hier doch das Gemeinsame.

  • Die Bemerkungen zu Doerings Methodik scheinen mir ein wenig überspitzt^^ am Rande der Ehrabschneidung, jedenfalls "die Wahrheit verdrehend" erscheint mir schon angesichts des fragilen Wahrheitsbegriffs nicht das Wahre. :P
  • Deine Abneigung gegen das Aufrechnen rechne ich dir hoch an^^, du tust es letztlich ja auch nicht; fraglich bleibt, ob ein "Ergebnis" ein solches wäre.
  • Die Berichte über Spuren großer Indiopopulationen im Amazonasbecken habe ich ebenfalls mit einigem Interesse verfolgt, glaubte aber mich zu erinnern, daß diese schon in vorkolonialistischer Zeit zusammengebrochen seien (ich mag mich täuschen).
  • Daß ich deine Bewertung von Kohl nicht vollends teile^^, ist klar, schließlich hätten die seinerzeit notwendigen Schritte auch bereits unter Schmidt oder Brandt erfolgen können bzw. müssen. Daß jedenfalls Teile der notwendigen Reformen in den Kabinetten Kohl IV und V in Angriff genommen, aber von Schröders Regierung zurückgenommen wurden, zeigt die Vermittlungsprobleme, mit denen die Reformen verbunden waren. Sie wurden letztlich erst durch das öffentliche Bewußtsein erheblicher Dringlichkeit durchsetzungsfähig.
  • Ich dachte, meine sarkastischen Bemerkungen zu Solschenizyns Erfahrungen im vorigen Posting wären hinreichend gewesen; "kulturelle Hervorbringung" erscheint mir etwas zynisch. :|
  • Der Wiederaufbau Frankfurts nach dem 2. Weltkrieg ist tatsächlich nicht in jeder Hinsicht geglückt zu nennen; ich erlaube mir aber die These aufzustellen, daß strukturelle Verschandelung im 'Westen' eher die Ausnahme, im 'Osten' eher die Regel war.
Ich wage die Behauptung, daß ohne die sozialen Elemente der europäischen Marktwirtschaften diese nicht so erfolgreich wären, wie sie in wirtschaftlicher Hinsicht sind. Das Maß an dadurch erreichter sozialer Ruhe hat aus wirtschaftlicher Sicht IMHO positiv gewirkt.
unterschreibe ich ausdrücklich, der Punkt ist mE überzeugend. Allerdings besteht in meinen Augen die massive Gefahr einer Übersteuerung dieser Elemente, die die erreichten Erfolge sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht zunichte machen könnten. Daß diese Gefahr auch in der anderen Richtung besteht, akzeptiere ich als Faktum.

janw
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Sa 6. Mai 2006, 11:36 - Beitrag #15

Dann hätten wir ja jetzt mit Fujisama (oder wie hieß er?) das Ende der Geschichte erreicht :P

Vielleicht ein Mißverständnis...Solschenizyn und sein Werk werte ich sehr hoch, "kulturelle Hervorbringung" war ausdrucksmäßig eine Verlegenheitslösung, mir fiel zu der Zeit nichts Treffenderes ein.

Wie wir Doerings Vorgehen an sich bewerten, da werden wir wohl vereinigt im Dissens bleiben...oder können wir uns darauf verständigen, daß es kein Text war für ein Schulbuch, sondern er sich an die Gemeinschaft der liberal Glaubenden^^ ?

Ipsissimus
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Mo 8. Mai 2006, 12:10 - Beitrag #16

nur noch eine klitzekleine Ergänzung^^

http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,414888,00.html

janw
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Mo 8. Mai 2006, 15:07 - Beitrag #17

So gesehen, willkommen, 19.JH!
Nur mit dem kleinen Unterschied, daß es für die "nutzlosen" säkularisierten Atomisierten weder Klasse noch Gott und Teufel gibt, die ihnen Trost in ihrer ausweglosen Lage geben könnten...

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