Ich geh mal auf eine Reihe Punkte ein, die hier aufgekommen sind.
- Grundsätzliche Rechtfertigung des Bundeswehreinsatzes und Begründung der Notwendigkeit seiner Fortdauer
Die Bundeswehr ist in Afghanistan beteiligt an einer Militäraktion, die ursprünglich von usa initiiert und dann von der NATO als notwendig anerkannt wurde.
Man kann, und so fern liegt mir das nicht, hierin einen primären Mangel erkennen, indem die usa praktisch selbst definieren, was aus ihrer Interessensicht notwendig ist, und aufgrund entsprechenden Kadavergehorsams im Sinne eines "usa befiehl, wir folgen Dir", notfalls unter Zuhilfenahme erlogener Sachverhalte, siehe
unter anderem Irak - ich gehe davon aus, daß auch in Sachen Taliban vieles zweckdienlich erlogen worden ist - eine hinreichende Anzahl willfähriger Natopartner dies zu einer gemeinsamen Sache der Nato machen - was dann dazu führt, daß Nato-Partner, die den Braten riechen und sich verweigern, von entsprechend böswilligen Journalisten des Verrats bezichtigt werden.
Ich kann nicht viel anders, als die Springer-Presse als den verlängerten Arm us-amerikanischer Propaganda zu betrachten.
(Im übrigen...wer als Journalist in seinem Vertrag eine Klausel bezüglich einer zwingend einzunehmenden Position, z.B. Loyalität zu usa, akzeptiert, der hat in meinen Augen die Privilegien eines Journalisten nicht verdient, denn das ist Selbstzensur.) Doch dies nur mal am Rande...
Will sagen, die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz in Afghanistan steht für mich begründungstechnisch auf recht wackeligen Füßen. Sie ist IMHO nur gerechtfertigt und akzeptabel, wenn sie maßgeblich zu einer Verbesserung der Situation der Menschen im Lande beiträgt, z.B. durch Sicherung entwicklungspolitischer Maßnahmen, Gewährleistung eines Sicherheitszustandes der Bevölkerung o.ä.
Nun sind die Taliban sicher ein Hindernis für eine Entwicklung des Landes, und im Lande auch nicht besonders wohlgelitten - wobei letzteres wohl in dem Maße schwankt, wie andere Kräfte in das religiöse und kulturelle Empfinden der Menschen eingreifen.
Und eben hierin liegt für mich der springende Punkt für den Erfolg der Nato-Aktion: Die Taliban werden nur besiegt werden können, wenn dies unter Wahrung der religiösen und kulturellen Überzeugungen der Menschen geschieht, und diese eine Perspektive für eine dauerhafte Entwicklung nach eigenen Zielen und Maßstäben bekommen. Das bedeutet vor allem viel Akzeptanz für lokale Strukturen, das kann zum Beispiel bedeuten, daß warlords u.U. respektiert werden müssen, weil eine Clanstruktur nun mal für die afghanische Gesellschaftsstruktur charakteristisch ist.
Die deutsche Programmatik scheint mir hierfür eine geeignete Antwort zu sein, wenn auch sicher zwischen Programmatik und Papier und der Umsetzung in der Wirklichkeit Räume liegen.
Letztlich müßte Deutschland aber auch stärker als bisher diese seine grundsätzlich richtige Programmatik zu einer Programmatik der Nato machen - und daran krankt es in meinen Augen - mehr noch, als bei den eigentlich zu erwarten gewesenen Problemen mit den Menschen in der Uniform.
- Verankerung von Werten in der Truppe und Innere Führung
Der "Staatsbürger in Uniform" ist eine begriffliche wie gedankliche Schöpfung, die wohl recht singulär in der Militärgeschichte ist. Wie schwer es offenbar ist, sie in tägliche Realität umzusetzen, zeigen die immer wiederkehrenden Berichte über nationalsozialistische Tendenzen unter Soldaten, Übergriffe von Wehrdienstleistenden auf Zugbegleiter oder Mitreisende - und Übergriffe von Soldaten im Einsatz gegen Zivilisten oder diesen werthaltige Gegebenheiten, wie die Schändung von Toten in Afghanistan
einschließlich ihrer Duldung durch Vorgesetzte.
Vielleicht muss mensch froh sein, daß derlei überhaupt bekannt wird und ein öffentliches
Skandalon darstellt - in Russland gehören Mißhandlungen unter den Soldaten selbst zum "guten Ton", mit der Folge, daß Mütter geflissentlich versuchen, ihre Söhne von der Armee fernzuhalten - in usa sind Mißhandlungen von Zivilisten und Gefangenen, wie Abu Ghureib zeigte, gängige Praxis und teilweise von oben her als tolerierbar vorgegeben, in vielen anderen Ländern wird das Thema mit einem Schulterzucken und "Soldaten..." abgetan.
Mit der Skandalisierung darf dies indes nicht abgetan sein, viel mehr muss vor allem unter den Vorgesetzten durchgesetzt werden, daß derlei Vorkommnisse nicht unter den Teppich gekehrt werden, Fehlverhalten muss auch zuverlässig geahndet werden.
Dabei muss aber sicher unterschieden werden, unter welchen Umständen was geschehen ist, ob in der sicheren heimischen Kaserne oder in einem Einsatz unter psychischer Belastung.
Zitat von Ipsissimus:Ob die armen Jungs nun tatsächlich überfordert sind, ist die Frage. Ich habe irgendwo mal gelesen, daß derzeit etwa 12000 deutsche Soldaten auf "Friedenssicherungsmissionen" im Ausland tätig sind. Wenn das schon eine Überforderung darstellt ...
Was meinst Du, könnte nicht die zumindest suggerierte permanente Gefahrensituation zu einer gewissen Enthemmung beigetragen haben?
Andererseits ist es natürlich auch ein Problem des verfügbaren "Menschenmaterials" - die Bundeswehr stellt schon längst keinen gesellschaftlichen Querschnitt mehr dar, umso weniger unter den Berufssoldaten. Sie ist, zu guten Teilen, zu einem Sammelbecken derer geworden, die anderswo keine gesellschaftliche Perspektive sehen, teils aus gesellschaftlichen Herkünften, wo Intellektualität, Toleranz und Pluralität nicht gerade prägende Werte gewesen sind.
Das muss zwangsläufig Folgen haben für das Verhalten der Soldaten. Dies nicht antizipiert und entsprechend gegen gesteuert zu haben, ist IMHO ein schweres Versäumnis der Führung der Bundeswehr.
Zitat von Lykurg:Spuren rechtsradikaler Gesinnung konnte ich unter den mir anvertrauten^^ Offizieren übrigens nicht feststellen, Ipsissimus - "jede Menge", meinst du? Das ist vielleicht eine Definitionsfrage des "Neonazi"-Begriffs. (Schönbohm-Debatte...) Das Zahlenverhältnis war bei den Unteroffizieren meinerzeit deutlich besser, auch wenn ich eine hohe "Meßtoleranz" annehme. Im Zweifel hattest du wesentlich mehr Zeit zur Beobachtung.
Könnte es sein, daß diese Tendenzen in verschiedenen Truppenteilen unterschiedlich verteilt sind?
Quo vadis?
Alles in allem ergibt sich für mich der Eindruck, daß die Nato-Mission in Afghanistan grundsätzlich einer Revision zu unterziehen ist.
Es besteht das Problem, daß Afghanistan eines der ärmsten Länder der Erde ist, das nunmehr seit über zwanzig Jahren Spielball internationaler militärischer Interessen gewesen ist, die das Land bis heute nicht nur in seiner Entwicklung gehemmt, sondern gar zurückgeworfen haben.
Die Nato-Präsenz hat der bisher letzten Station dieser Entwicklung, der Taliban-Diktatur, ein Ende bereitet und in Teilen des Landes einen beginnenden Wiederaufbau unterstützt.
Zugleich hat sich diese Militärpräsenz dadurch, daß sie eindeutig interessengesteuert agiert, viel an Glaubwürdigkeit zunichte gemacht und an Potential, unterstützend wirken zu können - bis dahin, daß sie selbst nicht mehr unterstützt wird von jenen, denen sie Freiheit und Perspektiven versprochen hat.
Ein ersatzloser Rückzug der Nato-Truppen, wie man ihn aufgrundddessen fordern könnte, hätte jedoch zur Folge, daß danach die Taliban wohl sehr schnell wieder vordringen würden, wodurch die gewonnenen Freiheiten und der begonnene Wiederaufbau verloren wären.
In meinen Augen ist der Kampf gegen die Taliban nur zu gewinnen, wenn dieser als Kampf für die Freiheit und eine Perspektive zusammen mit der Bevölkerung bzw. ihrer Führung, den Clanchiefs also, geführt wird. Das erfordert vor allem ein Eingehen auf die lokalen Gegebenheiten, insbesondere auf die religiösen Gefühle und kulturellen Sitten der Menschen - nicht einfach, wenn es in der Sprache Paschtu eine Fülle rang-, geschlechts- und herkunftssspezifischer Anredeformen und Wendungen gibt, der gesellschaftliche Umgang mithin stark ritualisiert ist.
Und es müssen Lösungen gefunden werden für wirtschaftliche Probleme - was tun, wenn der Mohnanbau die einzige verlässliche und lukrative Anbauart ist?
Letztlich erfordert dies in meinen Augen den Einsatz von Kräften, die mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sind, vielleicht am besten eine Truppe aus Moslems.
Das wäre am ehesten über einen UN-Einsatz zu bewerkstelligen, welcher IMHO die einzige zielführende Option darstellt.
Die Truppen der Nato könnten in einer derartigen Konstellation durchaus eine Funktion bekommen, indem sie Koordinationsaufgaben übernehmen, Ausbildung, usw. und die Verbindung zu den Entwicklungshilfeorganisationen herstellen.