Köhler - interveniert er zu viel?

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janw
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Do 21. Dez 2006, 23:00 - Beitrag #1

Köhler - interveniert er zu viel?

"Wir haben einen Bundespräsidenten".
Diese Feststellung trifft zu, wie sie auch zu anderen Zeiten leicht fragende Blicke bei vielen hervorgerufen hätte - "so, haben wir? Ja, und, wie heißt er denn nochmal...?" So zu Zeiten des beginnenden Weizsäcker und wohl bei etlichen seiner Vorgänger, wenn ich Berichte aus damaliger Zeit richtig verstehe.
Nun haben wir einen Präsidenten, Horst Köhler, der zu Anfang auf die Feststellung seiner Existenz ebenfalls fragende Blicke hervorgerufen hätte, dann aber begann, sich öffentlich zu äußern - sei es in Fernsehansprachen mit recht deutlicher Positionierung zu aktuellen politischen Fragen, sei es nun mit der wiederholten Zurückweisung von Gesetzen wegen aus seiner Sicht mangelnder Verfassungskonformität und mit einer Rede, die der sich für manche viel zu reformeifrig gebenden Regierung zu noch mehr Reformen rät.

Gemichte Gefühle ruft dies bei mir hervor - zum einen impliziert die Notwendigkeit der Unterzeichnung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten, daß diese bei Verdacht auf oder Vorliegen von Mängeln verweigert werden kann, es ist also seine Pflicht, in diesen Fällen die Unterzeichnung zu verweigern, zum anderen, ist ein Präsident, der nicht in Erscheinung tritt, überhaupt eine relevante Instanz?
Ist es nicht vielleicht gerade seine Aufgabe, dann und wann seine Sicht aus Metaebene auszudrücken - und die von Politik, sich davon genauso wenig beirren zu lassen, wie von den vielen anderen Einflüsterungen der zahlreichen Lobbies im Lande?
Nun, etwas in mir reibt sich doch daran, und vielleicht ist es, weil die konkrete Position mir nicht behagen will.
Mehr Reformen möchte er, mehr Liberalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft, mehr Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen auch bei sozialer Absicherung - der Neoliberalisten Credo, wie es scheint.
Nun ist Herr Köhler sozialistischer Umtriebe unverdächtig, als ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds hat er allerdings auch bei den Entwicklungsländern Sympathien gewonnen, ein Verteiler der Lasten, könnte man meinen.
Das bringt mich auf den Gedanken, sein Drängen auf Liberalisierung könnte der Einsicht der Gegeben- und Unabwendbarkeit der Globalisierung geschuldet sein, mithin, daß die Gefahr für das Land bestünde, abgehängt zu werden, wenn die Reformen nicht weiter gehen - so schmerzhaft sie manche auch treffen mögen.

Ich frage mich nun, ist Köhlers Verhalten angemessen, seinem Amte und der Lage, und wie ist diese überhaupt zu bewerten? Gibt es reale Alternativen zu den neoliberalen Zumutungen?
Sehr viel für einen thread, ich weiß, aber ich lasse es erstmal zusammen. Notfalls kann man immer noch teilen, was nicht zusammen führt.

Lykurg
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Do 21. Dez 2006, 23:54 - Beitrag #2

Ich bin erstaunt über deine Bewertung, bei der (bei aller Vorsicht) die positiven Aspekte überwiegen. Daß von mir keine grundlegende Gegenargumentation kommt, wird wohl nicht sonderlich überraschen.^^ Die Frage der Verweigerung von Unterschriften ist im Grundgesetz ja nicht weiter vorgesehen; allerdings stimme ich den Juristen zu, die etwa beim Flugsicherungsgesetz den Kopf darüber schütteln, daß ein so eindeutig verfassungswidriger Entwurf überhaupt das Parlament passieren konnte. Insofern sind die Bedenken des Präsidenten sehr berechtigt - und die geifernde Kritik an seinem diesbezüglichen Verhalten, die manche Abgeordneten hören ließen, besorgniserregend.

Daß der Bundespräsident als eine Art Gewissen der Nation sich eher im Sinne von Visionen äußern sollte, sehe ich ähnlich - daß Köhlers Vorschläge sich derzeit mit keiner Parteiposition decken, steht dazu ja nicht im Widerspruch. Im Gegenteil sollte man sich eher dann Gedanken machen, wenn ein Präsident genau die Linie einer (möglichst auch noch der regierenden) Partei vertritt, alle ihre Handlungen gutheißt und seine Position dazu mißbraucht, sie zu stärken. Diese Sorge ist bei einem so meinungsfreudigen^^ Amtsträger wie Horst Köhler wohl unberechtigt.

janw
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Fr 22. Dez 2006, 00:48 - Beitrag #3

Nun, wer mildernde Umstände sucht, heißt die Tat nicht gut^^
Die Zurückweisung verfassungswidrig erscheinender Gesetze durch den Bundespräsidenten muss IMHO implizit möglich sein, wenn das Gesetz ihre Annahme (Unterschrift) durch den Bundespräsidenten verlangt - sonst wäre diese Vorschrift redundant. Insbesondere auch, weil iirc kein anderer Weg wie direkte Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes zwecks weiterer Klärung möglich oder vorgesehen ist.
Gewiss, nach den Buchstaben des GG ergibt sich <undefd statement error>, aber damit ist kein Staat zu machen^^

Bei dem anderen tritt meine Position in der Benutzung des Konjunktivs zutage, oder nenn mich advocatus diaboli^^


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