Verteidigungsminister vor Bruchlandung?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Mi 19. Sep 2007, 00:58 - Beitrag #1

Verteidigungsminister vor Bruchlandung?

Nachdem ein entsprechendes Ansinnen vor einiger Zeit vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurde, versucht nun Bundesverteidigungsminister Jung, entführte Flugzeuge per Befehl zum Abschuss freizugeben. Politiker aller Parteien sowie führende Juristen reagieren empört, der Vorsitzende einer Luftwaffenvereinigung ruft aus Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Befehls zur Befehlsverweigerung auf.

Mir wird ein wenig...anders, wenn ich mir vorstelle, daß das Ansinnen Jungs und Schäubles dennoch Wirklichkeit werden könnte, andererseits frage ich mich, wie ernst die Sache zu nehmen ist.
Wäre es nicht für Herrn Jung ein Leichtes, einen Befehl in der Schublade zu deponieren, den er herausziehen kann, wenn der Fall eintritt. Welcher dann eine Fliegerstaffel unter Zeitdruck unter den Zwang setzt, sich zu entscheiden, für das Recht oder für den militärischen Gehorsam?
Muss er dafür so offensiv in die Medien preschen, gar den Fall des außergesetzlichen Notstands bemühen, wo aktuell gar kein Anlass besteht?

Haben wir hier nur den Fall eines Ministers, der mal in den Medien erscheinen will, als einer, der offensiv etwas tut? Steht er vielleicht kurz vor der finalen Landeanweisung, wegen politischer Erfolglosigkeit oder mangelnden Rückhalts in der Partei? Oder gehen den Konservativen so sehr die Argumente flöten, daß sie zu solchen Mitteln geifen zu müssen glauben?

Ipsissimus
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Mi 19. Sep 2007, 10:52 - Beitrag #2

schwierig

Wenn wir davon ausgehen, dass in Deutschland keine Gefahr besteht, jemand könne ein Flugzeug entführen und z.B. in ein Kernkraftwerk abstürzen lassen, dann können wir davon ausgehen, dass Jung einfach nur verfassungsfeindliche Vorstellungen am Verfassungsgericht vorbeischleusen möchte, und daher als Minister abgesetzt gehöre und mit Berufsverbot zu belegen sei.

Wenn wir davon ausgehen, dass das geschilderte Szenario möglich ist, stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Mir wird auch anders, wenn ich daran denke, ein Flugzeug mit 400 Passagieren abzuschießen. Mir wird aber noch ganz anders, wenn ich daran denke, was passiert, wenn ein Flugzeug den Primärkreislauf eines KKW zerstört. Cattenom liegt von mir aus 60 km weit entfernt, 4 Reaktorblöcke, eines der größten KKWs Europas mit einem Einzugsbereich von etwa 20 Millionen Menschen. Wenn das hochgeht wäre im Vergleich dazu Tschernobyl eine witzige, angenehme Kindergartenveranstaltung gewesen.

Im Prinzip bin ich mir darüber im Klaren, dass im schlimmsten Falle es tatsächlich gar keine andere Wahl gibt, als das Flugzeug abzuschießen. 400 Tote Flugzeuginsassen gegen mehrere Millionen Tote und eine riesige Strahlungswüste im Herzen Europas - da gibt es fast nichts nachzudenken, zumal die Flugzeuginsassen durch den Absturz genauso sicher getötet würden wie durch den Abschuss.

Das scheiss Gefühl dabei ergibt sich eher aus dem Umstand, dass ich den Leuten, die einen solchen Abschuss befehlen würden, nicht traue. Ich traue ihnen dahingehend nicht, daß ich ihnen nicht glaube, dass sie bis zum letztmöglichen Zeitpunkt warten, daß sie bis dahin alles versuchen, eine andere bessere Lösung zu finden, dass sie eventual sogar erwägen, den Forderungen der Erpresser nachzugeben - dieses "Wir lassen uns nicht erpressen" kam mir schon immer sehr unmenschlich vor - und vor allem glaube ich ihnen nicht, dass diese Personen die Situation nicht ausnutzen würden, ihre Machtbasis noch extrem auszuweiten.

Als Lösung - im Sinne eines geringsten Übels - könnte ich mir vorstellen, eine Person mit dieser Entscheidungsbefugnis einzusetzen, die außer dieser Entscheidungsbefugnis keinerlei andere Befugnis hat; eine Person, die kein Beamter, kein Politiker und kein Wirtschaftsfunktionär sein darf, und in der Öffentlichkeit durch eine ausgewiesen neutrale Haltung den verschiedenen Einflussgruppen gegenüber bekannt ist. Oder vielleicht der Bundespräsident. Aber kein Machtpolitiker, kein Kirchenfunktionär und niemand, der in einer Hierarchie steht.

Aber insgesamt ist es ein Schreckenszenario, und es bleibt fraglich, ob dann, wenn eintreten sollte, überhaupt irgendetwas getan werden kann, was nicht so oder so das kalte Grauen erzeugt.

/edit janw, dass das Szenario derzeit nicht aktuell ist, erscheint mir eher als günstig dafür, die Thematik jetzt zu bereden. Unter dem Zeitdruck eines sich einem KKW nähernden entführten Flugzeuges würden mit Sicherheit noch weniger brauchbare Gedanken zusammenkommen

janw
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Mi 19. Sep 2007, 12:19 - Beitrag #3

Das Beispiel mit dem Kernkraftwerk ist interessant, wird doch immer behauptet, die Kuppel sei flugzeugabsturzsicher. Oder gilt dies nur für deutsche KKW?

Ich sehe das Problem als solches genau so, wobei aber eine deutliche Differenz zwischen den Schutzgütern bestehen muss. Menschenleben gegen Menschenleben geht nach Karlsruhe nicht bzw. bei entsprechender Auslegung winzigster Unklarheiten in dem Urteil nur, wenn wirklich ein eklatanter Unterschied in der Größenordnung der gefährdeten Schutzgüter besteht.
In der ganzen Diskussion geht für mich unter, daß es vor dem Abschuss eine ganze Spanne niederrangiger Maßnahmen gibt, vom Eingehen auf Forderungen bis zum Abdrängen des Flugzeugs durch eine Fliegerstaffel.
Ich denke, daß diese Mittel ausgeschöpft werden müssen. Erst wenn dann dennoch erkennbar eine Katastrophe mit 1 Mio Toten und großräumiger Verseuchung nicht anders abzuwenden ist, muss notfalls im Einsatzzeitraum über einen Abschuss entschieden werden - der dann, eben unter Würdigung des Zusammenhangs der Geschehnisse in dem Einzelfalle als das erheblich kleinere von zwei großen unabwendbaren Übeln von einem Gericht als durch übergesetzlichen Notstand legitimiert angesehen werden kann.
Es ist das Wesen dieses - bisher nur als juristische Theorie herumschwirrenden - Übergesetzlichen Notstandes, daß er in Fällen greift, auf die das geltende Recht aufgrund ihrer unvorhersehbaren Dimension oder individuellen Gefährdungsqualität nicht angewandt werden kann. Wann aber diese Grenze überschritten ist, kann IMHO aus rein prinzipiellen Erwägungen nicht vorher bestimmt werden - eben weil die Fälle, für die er gilt, unvorhersehbare Eigenschaften haben - UND weil der übergesetzliche Notstand nur gerichtlich festgestellt werden kann, wenn nämlich der Schütze wegen Totschlags vor Gericht steht.

In dem, was Jung da von sich gibt, kommen aber alle die niederrangigen Maßnahmen nicht ansatzweise vor, man könnte den Eindruck gewinnen, Jung selbst wollte sich einen roten Knopf auf dem Schreibtisch installieren und per Gesetz festschreiben, wann ein Gericht seine Benutzung als durch Übergesetzlichen Notstand legitimiert anerkennen muss.

Für den Abschussbefehl würde ich mir auch einen Unabhängigen wünschen, den Bundespräsidenten vielleicht oder am besten einen anerkannten Pazifisten.

Maurice
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Mi 19. Sep 2007, 12:48 - Beitrag #4

Ich kann die Diskussion nicht ganz nachvollziehen. Ich muss schon viel Phantasie aufwenden, um mich in die wohl in erster Linie christlich geprägte Doppelmoral hineindenken zu können. Auf der einen Seite will man Menschen schützen, auf der anderen Seite aber nicht die notwendigen Maßnamen ergreifen. Und warum? Weil man sich lieber nicht die Hände schmutzig machen will, statt ein kleineres Übel in Kauf zu nehmen, um gegebenenfalls vielen Menschen das Leben zu retten. Aber Deutschland ist leider traditionsgemäß ein Land voller Kantianer. Ob man hier jemals eine gesunde Priese Utilitarismus finden wird?

Ach so ich vergas, wenn wir heute erlauben, Flugzeuge abzuschießen, töten wir morgen Behinderte und Babys, machen übermorgen die KZs wieder auf und fangen spätestens in einer Woche den dritten Weltkrieg per Atomschlag an. Jaja, slippery slope :kotz: ...

Lykurg
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Mi 19. Sep 2007, 12:59 - Beitrag #5

Ich muß Maurice (in Maßen) zustimmen. Ich finde es ebenfalls moralisch sehr fragwürdig, eine solche Entscheidung im Krisenfall auf den Piloten abzuwälzen und überhaupt auf die paar Minuten zu vertagen, in denen so etwas überhaupt entschieden werden könnte. Stellt euch vor, man legt fest, daß der Bundespräsident so eine Entscheidung zu treffen hat, und kann ihn eben mal für ein halbes Stündchen nicht erreichen. Schade irgendwie... Ich sehe nicht ein, warum es schlimmer sein soll, eine solche Lage im Voraus zu diskutieren und rechtlich abzusichern, als eine Ad-hoc-Entscheidung zu fällen.

Das kalte Grauen steht so oder so dahinter; davor die Augen zu verschließen, halte ich für unverantwortlich. Und, wie ein FDP-Politiker gestern in einem Radiointerview andeutete, darauf zu hoffen, daß ein Pilot rechtswidrig das Flugzeug abschießen würde und die Konsequenzen trüge, halte ich erst recht für gemeingefährlich. - Ein solcher Fall ist denkbar, also sollte man ihn jetzt regeln und nicht, wenn er eingetreten ist.

Ipsissimus
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Mi 19. Sep 2007, 13:43 - Beitrag #6

ich denke, Jan hat sehr deutlich gemacht, dass es ein Maßnahmenbündel unterhalb des Abschusses gibt, das durchgegangen werden kann, ehe es zum Äußersten kommt; das beißt sich nicht damit, dass es im äußersten Fall zum Abschuss kommen muss. Natürlich muss dieser Fall vorher geregelt werden, nur eben nicht so, wie ein Herr Jung sich das vorstellt, mehr oder weniger als carte blanche für sein Dafürhalten. Slippery slope hin oder her, das Misstrauen gegen Politiker und andere allzu Mächtige entspringt nicht bösem Willen, sondern der langjährigen Beobachtung des Gebarens dieses Personenkreises.

Lykurg
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Mi 19. Sep 2007, 14:34 - Beitrag #7

Hinsichtlich der zuvor zu ergreifenden Maßnahmen stimme ich überein - allerdings mit der Einschränkung, daß Verhandlungen klar umgrenzt sein müssen. Was bei Zugeständnissen an Terroristen herauskommt, hat man z.B. im Umfeld des Freikaufs von Peter Lorenz feststellen können - die freigelassenen RAF-Mitglieder verübten später weiter Anschläge - auch damit lädt man also die Verantwortung für zukünftige Verbrechen auf sich.
Außerdem macht sich der Staat damit erpreßbar, was die Gefahr von Anschlägen und Entführungen massiv erhöht. Aus diesem Grund sind auch in Kolumbien und anderen Ländern mit hoher Entführungsrate Lösegeldzahlungen (auch private) verboten und werden hart bestraft.

Dabei gilt aber eben unbedingt zu bedenken, daß das Zeitfenster zwischen Bekanntwerden der Entführung und Absturz ins Ziel sehr kurz sein kann; die Möglichkeiten zu Abdrängmanövern oder sogar Verhandlungen vielleicht gar nicht mehr gegeben sind.

Wäre es vielleicht besser, sensible Anlagen (also Kernkraftwerke und z.B. Talsperren) mit Flugabwehrraketenstellungen auszustatten, die soweitgehend automatisiert sind, daß die Entscheidung nicht mehr getroffen werden muß, sondern in der Hand der Terroristen liegt (die ihre Geiseln so oder so in den sicheren Tod bringen)?

Maurice
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Mi 19. Sep 2007, 15:14 - Beitrag #8

Mit Terroristen wird nicht verhandelt! Das ermuntert sie nur, das Opfer weiter zu erpressen.
Die einzige Ausnahme: Wenn man durch das Nachgehen der Forderung soviel Zeit gewinnt, dass man die Ar***löcher zu fassen bekommt und (am besten für immer) einsperren kann. Notfalls tut es aber auch eine Resozialisierung, wobei das Wegsperren die sichere Methode ist. ^^

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Mi 19. Sep 2007, 15:41 - Beitrag #9

doch, mit Terroristen muss verhandelt werden, sonst nimmt man den Tod von Menschen schon in Kauf, ehe eineindeutig klar ist, dass dieser Tod unumgänglich ist

Lykurg, man kann sterben, man kann vor seinem Tod aber auch noch alles das werden, was man verabscheut. Ob Terroristen sich Deutschland oder irgendein Land zum Ziel aussuchen, daran lässt sich bei unserer Art der Politik nicht viel bis gar nichts ändern. Wie wir damit umgehen, das sagt viel über uns selbst aus. Wir werfen Terroristen Unmenschlichkeit vor. Aber wir benutzen diese Unmenschlichkeit auch als Argument, uns selbst in der Auseinandersetzung mit ihnen unmenschlich zu zeigen. So oder so sind wir nicht mehr dieselben. Wenn wir unsere Ideale zugunsten unserer Illusion von Sicherheit aufgegeben haben werden, werden wir sehen, dass wir in Land leben, das nicht mehr liebenswert ist. Und dass auch wir nicht mehr liebenswert sind.

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Mi 19. Sep 2007, 15:44 - Beitrag #10

Was ich bei der Diskussion um die Frage nach dem Abschussbefehl eines entführten Flugzeuges nicht wirklich verstehe ist das oft genannte Argument gegen den Abschussbefehl, nach dem Leben nicht gegeneinander aufgewogen werden dürfen. Dieses Argument scheint für mich zu implizieren, dass der Befehlsgebende zwischen den Leben der Flugzeuginnensassen und den Menschen in dem Zielort eines möglichen Selbstmordattentates im Stile des 11. September wählen müsste. Aber da bei einem solchen Anschlag die Leben der Flugzeuginnensassen auf jeden Fall verwirkt wäre würde der Abschuss des Flugzeuges nicht bedeuten, dass die Leben der Flugzeuginensassen gegen die der Opfer im Zielobjekt eines Anschlages aufgewogen würden. Vielmehr würde das Leben derjenigen die auf jeden Fall sterben würden um Minuten verkürzt um damit die Leben sehr vieler anderer Menschen zu retten. Ich glaube nicht, dass ich zu nihilistisch bin wenn ich in diesem Fall der Rettung vieler Menschen den Vorzug vor der Verlängerung des Lebens der Flugzeuginsassen um einige Minuten geben würde.
Vorraussetzung MUSS natürlich die Gewissheit sein, dass tatsächlich ein solches Selbstmordattentat geplant ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Sicherheit besteht ist sehr gering. Die Furcht vor dem voreiligen "präventiven abknallen" entführter Flugzeuge würde ich jedenfalls als ein wesentlich besseres Argument gegen den Abschussbefehl ansehen als das Argument, dass Leben nicht gegeneinander abzuwägen seien. Auch wenn das individuelle Leid durch den Tot von Menschen das gleiche ist glaube ich doch, dass es einen Unterschied macht ob hunderte oder viele tausende und ihre Angehörigen davon betroffen sind.
Ein entführtes Flugzeug muss ja noch nicht einmal in ein KKW gesteuert werden um eine furchtbare Katastrophe auszulösen. Zwar wäre der erfolgreiche Angriff auf ein KKW wohl das schlimmste mögliche Szenario, aber es würde ja bereits "reichen" das Flugzeug in ein vollbesetztes Fußballstadion oder Messezentrum zu steuern um selbst die Opferzahlen des 11. September bei weitem zu übertreffen.

Maurice
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Mi 19. Sep 2007, 16:27 - Beitrag #11

Ich glaube nicht, dass ich zu nihilistisch bin wenn ich in diesem Fall der Rettung vieler Menschen den Vorzug vor der Verlängerung des Lebens der Flugzeuginsassen um einige Minuten geben würde.

Das hat imo nichts mit Nihilismus zu tun, sondern mit einer gesunden Portion Verstand, Güter abwägen zu können. Wer dies aber öffentlich kundtut, verstößt gegen das Dogma der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und hat es sofort mit einem Mob kantischer und christlicher Moralisten zu tun. Selbst wenn sie vor der Wahl stünden, einen unschuldigen zu töten oder die ganze Menschheit zu opfern, würden sie immer noch zweifeln, die eine Person zu töten. Da kann man sich dann doch mal fragen, ob sie überhaupt verstehen, was sie da eigentlich fordern :rolleyes: ...

PS: Trotz der apodiktischen Form meiner Posts erhebe ich nicht den Anspruch, sicher zu wissen, dass meine Wertvorstellungen die einzig richtigen sind. Auf Grund des Glauben an die Irrlevanz von Argumenten bei solche emotionalen Themen (ein Kantianer ist für utilitaristische Argumente nicht zugänglich), stehe ich vor der Wahl zwischen Zynismus und Schweigen. Aus Langeweile vermeide ich das Schweigen. Alle noch an die "vernünftige Einsicht" und das "Überzeugen durch allgemein nachvollziehbare rationale Argumente" glauben, brauchen sich von mir nicht stören lassen. Da ich nicht die Absicht habe, zu Überzeugen, braucht man sich auch nicht mit meinen Argumenten auseinander zu setzen, falls jemand manche meiner Äußerungen als solche empfindet. ;)

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Mi 19. Sep 2007, 18:47 - Beitrag #12

Mindestens ebenso undifferenziert wie Jungs Vorstoß sind allerdings auch die meisten der öffentlichen Reaktionen...hier versuchen wohl viele, politisches Kapital zu schlagen. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios mit der Möglichkeit eines Abschussbefehls zwar nicht sehr hoch ein, aber trotzdem finde ich es schade, dass einige den potentiellen Tod vieler Menschen für solche Zwecke nutzen.
Einige andere begründen ihre Kritik wohl wirklich in dem Glauben an die Verfassung oder dergleichen. Was richtig oder was falsch ist, ist wohl aber nicht dem Juristen zu entscheiden gegeben. [ich glaube nicht, dass ein Soldat im Zweifelsfall wirklich ernsthaft bestraft würde]

Ich kann den meisten meiner Vorredner nur zustimmen, dass in manchen Fällen ein Abschuss (in einem gewissen Sinn) unvermeidlich ist. Ich kenne mich sowohl in der politischen Landschaft als auch in dem Seelenleben unseres Verteidigungsministers zu wenig aus, aber ich halte es für durchaus denkbar, dass der Herr Jung einfach das Unvermeidliche sagen wollte und es keinswegs ein primär taktisch motiviertes Manöver war. Ob er im Zweifelsfall alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, eine andere Lösung als einen Abschuss zu finden, ausschöpfen würde, weiß ich nicht; mir ist aber kaum vorstellbar, dass er andere Möglichkeiten nicht zumindest auch in Betracht ziehen würde. Ganz abgesehen von persönlicher Moral würde er vermutlich zurücktreten müssen, würde er einen Abschussbefehl in einer Situation geben, wo er vermeidbar gewesen wäre.

Ein Punkt, warum es wohl sinnvoll war, dass Jung seine Ansicht schon jetzt geäußert hat, ist, dass bei einer eindeutigen Abschussbefehlsabsicht potentielle Terroristen wohl abgeschreckter sind als ohne einen solchen.

Wo hier viel über Erpressungen geredet wurde: täusche ich mich oder sind die meisten islamisch motivierten (im Westen verübten) Terroranschläge nicht ohne eine explizite Erpressungsabsicht?

Maurice
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Mi 19. Sep 2007, 21:26 - Beitrag #13

Was richtig oder was falsch ist, ist (...) nicht dem Juristen zu entscheiden gegeben.

Ich finde das hast du echt gut gesagt! :)
Ja, einige scheinen zu glauben, unsere Verfassung sei der Weisheit letzter Schluss. Versteht mich nicht falsch, ich halte unsere Verfassung insgesamt auf jeden Fall für eine gute Sache, aber sie sollte nicht behandelt werden, wie in Stein gemeiselt. Immerhin gibt es ja das Mittel der Verfassungsänderung, also warum sollte nicht über eine solche diskutiert werden, wenn jemand Anlass dazu zu sehen meint?

Ein Punkt, warum es wohl sinnvoll war, dass Jung seine Ansicht schon jetzt geäußert hat, ist, dass bei einer eindeutigen Abschussbefehlsabsicht potentielle Terroristen wohl abgeschreckter sind als ohne einen solchen.

Obwohl ich selbst immernoch an den Nutzen von Abschreckung glaube (im Gegenstz zu manch anderem hier), denke ich, dass es dem Selbstmord-Attentäter nicht sonderlich abschrecken wird, ob er sein Leben mit oder ohne Erfüllung seiner Mission lassen wird. Klar ist ihm ersteres lieber, aber abschrecken wird ihn die Sache wohl nicht.

Ipsissimus
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Do 20. Sep 2007, 13:12 - Beitrag #14

die meisten Entführungsversuche, ob islamisch oder nicht, sind mit Erpressung gekoppelt

ich weiss auch nicht, worin das Verdienst bestehen soll, wenn ich gerade mal ein paar hundert Menschen habe abschiessen lassen, und mich dann in den Wohlstandsruhestand zurückziehe. Nicht der schießende Pilot sondern der befehlende Politiker müßte des Totschlags im Amt angeklagt werden, eventuell auch des Mordes, wenn ihm nachgewiesen werden kann, dass es Alternativen gegeben hätte, die er nicht ausschöpfte, weil er die einfache Lösung bevorzugte

unsere Verfassung enthält Artikel, die auch mit Zwei-Drittel-Mehrheit nicht legal aufgegeben werden können (z.B. das Recht auf die Unversehrtheit der eigenen Person). Wenn ich mir die wachsende Bereitschaft ansehe, aus Gründen angeblicher Sicherheit immer mehr verfassungsmäßig garantierte Positionen zur Disposition zu stellen, kann ich die Gründerväter der Verfassung nur zu ihrer Weitsicht gratulieren und dem Verfassungsgericht nur wünschen, dass es standhaft bleibt und sich nicht von politischen angeblichen Notwendigkeiten vereinnahmen lässt

Maurice
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Do 20. Sep 2007, 13:24 - Beitrag #15

Womit wir nun bei der Frage sind, ob eine Verfassung die Demokratie einschränkt, einschränken sollte oder sichert. ^^

Ich schätze, alles sollte nicht zur Disposition stehen. Stellt sich dann aber die schwierige Frage, was nicht zur Disposition stehen sollte.
Ich kenne mich mit der Verfassung im Detail nicht aus, aber aus dieser ein nichtänderbares Abschussverbot folgt, halte ich das für falsch. Mag sein, dass viele die moralische Überzeugung haben, Menschenleben darf nicht gegen Menschenleben aufgewogen werden - für mich ist so eine Ansicht völlig kontraintuitiv und mit einem Fingerstreich ad absurdum zu führen. Wenn ich nicht so skeptisch wäre, würde ich behaupten, dass es solchen Leuten am gesunden Menschenverstand mangelt.

Ipsissimus
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Do 20. Sep 2007, 15:24 - Beitrag #16

eine Verfassung sollte jeder Regierungsform einen Rahmen geben, damit diese nicht entgleist^^

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Do 20. Sep 2007, 18:15 - Beitrag #17

Unter Demokratietheoretikern ist das Thema nunmal umstritten. Nicht jedem ist die Sache so evident wie dir. ;)

Aber interessiert mich e nicht wirklich die Thematik, habe ich doch keinen Einfluss darauf.

Malte279
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Do 20. Sep 2007, 18:55 - Beitrag #18

Mag sein, dass viele die moralische Überzeugung haben, Menschenleben darf nicht gegen Menschenleben aufgewogen werden - für mich ist so eine Ansicht völlig kontraintuitiv und mit einem Fingerstreich ad absurdum zu führen.

Aber inwiefern werden eigentlich wirklich Menschenleben gegeneinander aufgewogen? Das ist das Argument, das ich nicht verstehe. Wenn (und dass ist ein sehr großes WENN) klar ist, dass ein Flugzeug tatsächlich irgendwo hingesteuert werden soll, wo es möglichst vielen Menschen Tod und Verderben bringen soll, ist dann nicht der Tod der Flugzeuginnensassen ab einer gewissen Nähe zu dem Ziel nicht schon so weit sicher dass man nicht mehr von einem gegeneinander aufwiegen sprechen kann? Haben (immer die Gewissheit eines geplanten Selbstmordanschlages mit dem Flugzeug vorrausgesetzt) die Menschen die durch den "gelungenen" Anschlag ums leben kommen würden nicht ebenfalls einen Anspruch darauf das alles getan wird um ihr Leben zu retten? Ist es wirklich auch moralisch gesehen rechtens den Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen um das Ermorden der Flugzeuginnensassen den Attentätern zu "überlassen"?

Maurice
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Do 20. Sep 2007, 19:00 - Beitrag #19

Ist es wirklich auch moralisch gesehen rechtens den Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen um das Ermorden der Flugzeuginnensassen den Attentätern zu "überlassen"?

Wenn du Kant fragst: JA!

Malte279
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Do 20. Sep 2007, 19:18 - Beitrag #20

Ich frage aber nicht Kant, sondern alle Leute hier. Ich glaube ich habe das Argument mit dem gegeneinander aufwiegen nicht richtig verstanden. Zumindest sehe ich den "Tatbestand" des gegeneinander aufwiegens dann nicht gegeben, wenn das Schicksal der Flugzeuginsassen durch ein geplantes Selbstmordattentat besiegelt ist. Wenn das Flugzeug eine solche Nähe zum potentiellen Ziel erreicht hätte, dass es auch keine Hoffnung eines erfolgreichen Wiederübernehmens der Maschiene durch die Insassen gibt, dann wären sie doch in jedem Fall Tod. Das gleiche kann nicht von den vielen anderen geplanten Opfern gesagt werden.
Natürlich ist es ein sehr hypotetischer (aber nicht auszuschließender) Fall, dass Gewissheit über die Absicht zu einem Selbstmordanschlag besteht.

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