Kann denn Wissen strafbar sein?

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janw
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Di 16. Okt 2007, 22:37 - Beitrag #1

Kann denn Wissen strafbar sein?

Erklärung der RLS zur Verhaftung ihres ehemaligen Promovenden Andrej H. (Medieninformation 1007/14):



Am 31. Juli 2007 wurde der ehemalige Promovend der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Andrej H., verhaftet. Er hat über »Restrukturierung des Raumes und gesellschaftliche Macht im Sanierungsgebiet« promoviert und zu stadtgeografischen und -soziologischen Themen zahlreiche (auch internationale) Publikationen aufzuweisen. Andrej H. soll, so die Bundesanwaltschaft, dringend verdächtig sein, einer terroristischen Vereinigung anzugehören.

Es muss Besorgnis erregen, dass in diesem Zusammenhang Begründungen wie die folgenden herangezogen wurden, um den außerordentlich schwerwiegenden Vorwurf nach §129a Abs. 2 Nr. 2 StGB zu begründen:
»Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‚militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.« (zitiert nach einer Presseerklärung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins).

Mit solchen und ähnlichen Begründungen entsteht die Gefahr, dass jede kritische Gesellschaftsanalyse und jeder Zugang zu Wissen und Bildung bei der Bundesanwaltschaft den Anfangsverdacht des Terrorismus provozieren. Es drängen sich Vergleiche zu den Polizeiaktionen vom Mai dieses Jahres auf, als unter Rückgriff auf den gleichen Paragrafen des Strafgesetzbuches bundesweit Büros und Wohnungen von G8-KritikerInnen durchsucht wurden.

Unsere Stiftung steht in der Tradition von Rosa Luxemburgs »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«. Wir setzen uns für diese Freiheit des Denkens und für Gewaltfreiheit in den sozialen und demokratischen Auseinandersetzungen ein. Diese hohen Güter der Bundesrepublik dürfen nicht beschädigt werden. Nach der gegenwärtig bekannten Sachlage ist dies aber der Fall.


Die Gruppe "militante gruppe (mg) wird verdächtigt, in der Umgebung Berlins eine Reihe von Brandanschlägen verübt zu haben, offenbar vornehmlich auf Fahrzeuge der Bundeswehr.
Der Politologe Andrej H. wird in diesem Zusammenhang beschuldigt, die zu den Anschlägen verfassten Bekennerschreiben verfasst zu haben, die Verdachtsgründe hierzu finden sich in dem Text.
Die Bundesanwaltschaft hat die Taten als terroristische Handlungen nach §129 (2) eingestuft, weil sie geeignet gewesen seien, "den Staat erheblich zu schädigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen.
Im August ist Andrej H. unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, die mutmaßlichen Täter bei den Anschlägen sind weiter in Untersuchungshaft.

Der Fall ist besonders interessant, weil der BGH in dem Verfahren grundsätzlich entscheiden will, ob die Zuweisung als terroristische Handlung in diesen Fällen zulässig ist.
Davon würde insbesondere abhängen, ob sich der Politologe strafbar gemacht hat, wenn er nur eine Reihe von Flugblättern geschrieben hat.

Mir sind gerade die Augen hervorgequollen, als ich dieses Zitat aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gelesen habe:
Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‚militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.

Rückt Wissen und der Zugang dazu in den Bereich strafbarer Handlungen, macht sich verdächtig, wer in Bibliotheken abseits der Belletristik stöbert? Sind wir schon...so weit?

Traitor
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Mi 17. Okt 2007, 01:00 - Beitrag #2

Ohne vorerst die Motivation zu weiterer Recherche zu haben, möchte ich den Gedanken nahelegen, dass die fragliche Stelle aus dem Zusammenhang gerissen wurde und es sich hier mitnichten um das auslösende Verdachtsmoment handelt, sondern lediglich um einen unterstützenden Anhaltspunkt, der so eben zu einer sauber formulierten Anklage gehört, als Vorwegnahme einer eventuellen Verteidigungsstragie, die mögliche Urheberschaft zu bestreiten. Denn dass nur anhand seiner akademischen Fähigkeiten und Beziehungen eine Ermittlung oder Anklage gegen diese Person ausgelöst wurde, lässt sich schon daher nahezu ausschließen, dass in diesem Falle entweder eine völlige Zufallsentscheidung getroffen oder zehntausende weitere Personen den gleichen Maßnahmen ausgesetzt worden wären, was beides hinreichend absurd zur Verwerfung dieser Möglichkeiten wäre.

Ipsissimus
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Mi 17. Okt 2007, 14:05 - Beitrag #3

solange nicht allgemein offengelegt ist, welche Sachverhalte zur Etablierung eines "Anfangsverdachts" ausreichen, steht zu befürchten, dass wir in der Bundesrepublik stramm unterwegs sind zur Wiederkehr der - natürlich frommer zu benennenden - Gesinnungstäterschaft. Dieser ganze Fall stinkt zumindest danach. Übermäßiges Vertrauen in staatliche Institutionen ist alles andere als angebracht.

Lykurg
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Mi 17. Okt 2007, 14:14 - Beitrag #4

Ipsissimus, gilt für Staatsorgane grundsätzlich bis zum Beweis des Gegenteils die Schuldvermutung?

Ipsissimus
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Mi 17. Okt 2007, 14:24 - Beitrag #5

das musst du einen Moral- und/oder Rechtsphilosophen fragen, Lykurg^^ sagen wir es so, ich hege einen Anfangsverdacht gegen viele, wenn auch nicht alle staatlichen Institutionen^^

Maglor
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Mi 17. Okt 2007, 14:41 - Beitrag #6

Wissen kann in Nordkorea durchaus unter Strafe stehen... :crazy:
Wenn man das Marketing einer "terroristen Vereiningung" leitet, ist das durchaus ein Grund für Vater Staat gegen jemanden vorzugehen. Akademische Titel sind nicht mit Immunität verbunden und das ist auch gut so.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Mi 17. Okt 2007, 14:44 - Beitrag #7

da der Betreffende wieder freigelassen wurde, scheint er nicht fürs Marketing zuständig gewesen zu sein. Trotz Anfangsverdacht.

janw
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Mi 17. Okt 2007, 18:15 - Beitrag #8

Wobei das genau der Punkt ist...ist das Rechtfertigen einer strafbaren Handlung für sich eine strafbare Handlung?
In meinen Augen ist das von der Meinungsfreiheit gedeckt, und wenn Staat ihm am Zeuge flicken will, kann er dies nur über Straftatbestände oder auch Ordnungwidrigkeiten wie Beihilfe zu einer str. Handlung, im Falle eines Beamten vielleicht Strafvereitelung im Amt und inhaltlich über Beleidigung o.ä., falls sich ein Beteiligter durch das Schreiben beleidigt fühlen sollte und dies rechtlich geltend macht.

Maglor
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Mi 17. Okt 2007, 22:02 - Beitrag #9

Volksverhetzung dürfte dir ja ein Begriff sein.
§ 130 Volksverhetzung
Ansonsten gilt es bei der Meinungsfreiheit wie bei den anderen Grundrechten. Es gibt da diverse Einschränkungen. ;)
"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."
MfG Maglor

janw
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Mi 17. Okt 2007, 22:15 - Beitrag #10

Gut, Volksverhetzung wäre noch ein Tatbestand.
Allgemeine Gesetze...dazu würde in diesem Falle sowas zählen, oder eben Beihilfe zu...oder so.
Persönliche Ehre ist nur dann relevant, wenn sich jemand persönlich darin verletzt fühlt.

Padreic
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Mi 17. Okt 2007, 23:42 - Beitrag #11

er ist ja offenbar nicht wegen Volksverhetzung, sondern wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Wer für eine terroristische Vereinigung (es sei jetzt mal dahingestellt, ob die mg eine ist) Flugblätter schreibt (also nicht unabhängig, sondern als einer der Gruppe, der diese Aufgabe übernimmt), der gehört zu dieser Gruppe, ist also Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Der entsprechende StGB-Paragraph fordert ja eindeutig nicht, dass man selbst eine konkrete Straftat begangen haben muss; es reicht, wenn man Mitglied einer Gruppe ist, die diesen Zweck hat.

Ipsissimus
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Do 18. Okt 2007, 09:54 - Beitrag #12

Im August ist Andrej H. unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, die mutmaßlichen Täter bei den Anschlägen sind weiter in Untersuchungshaft.


der Mann ist wieder freigelassen worden, bitte zur Kenntnis nehmen. Wäre er Mitglied gewesen, wäre er auch nicht "unter Auflagen" freigelassen worden, sondern einem Urteil zugeführt worden.

Davon ganz abgesehen riecht das Ganze nicht nur nach Rückkehr der Gesinnungstäterschaft, sondern auch nach Sippenhaft. Du hast zwar nichts getan, aber du gehörst einer verbotenen Gruppe an, also rechnen wir dir diese Zugehörigkeit so an, als habest du etwas getan. Wirklich erstklassige rechtsstaatliche Prinzipien. Kombinieren wir das ganze noch. Wir vermuten, dass wir dir nachweisen können, dass du was getan hast, weil wir vermuten, dass du einer verbotenen Gruppe angehörst, deswegen jetzt erst mal ab ins Gefängnis. Wem es da nicht in den Ohren klingelt, der glaubt vermutlich auch, dass die USA eine Demokratie ist.

Padreic
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Do 18. Okt 2007, 17:50 - Beitrag #13

@Ipsissimus
Meine Ausführungen waren erstmal allgemeiner Natur und waren keine Schuldzuweisung an diesen Mann. Nach ein bisschen Internetrecherche scheint es mir so (ohne mir ein fundiertes Urteil anzumaßen), dass die Beweise in der Tat ein wenig dünn sind; insbesondere will wohl der BGH eine Grundsatzentscheidung zum Thema, wann man als Mitglied in einer terroristischen Vereinigung zu gelten hat.

Besagter Andrej H. wurde übrigens nicht auf freien Fuß gesetzt, weil er als unschuldig gilt, sondern er wurde vorläufig auf freien Fuß gesetzt (mit Beibehaltung des Haftbefehls), weil die ganze Situation mit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung juristisch und faktisch wohl ziemlich unklar ist...dass er kein Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist, wurde keineswegs durch ein Gericht festgestellt. [was nicht heißt, dass ich hier eine generelle Schuldannahme hege; insbesondere, weil es ja nicht sonderlich klar zu sein scheint, was hier Schuld ist...]

Nochmal zum Paragraphen über terroristische Organisationen im Allgemeinen: ich würde es keinesfalls als Sippenhaft bezeichnen (obwohl ich nicht bestreiten will, dass man ihn mit etwas Böswilligkeit durchaus so auslegen kann). Ich verstehe den Sinn dieses Paragraphen unter anderem aus dem folgenden Extrembeispiel:

Die Personen A, B, C, D und E haben eine Vereinigung gegründet, die vorhat, den Kapitalismus zu schwächen, auch unter Gewalteinsatz. Im Rahmen dieser Ziele planen sie einen Mordanschlag auf den Chef der Deutschen Bank. Sie ziehen Lose, wer diesen Anschlag vorbereitet und durchführt. Es werden die Personen C, D und E ausgewählt. Diesen versuchen die Zielperson umzubringen und meinetwegen gelingt es ihnen auch; allerdings werden sie dabei geschnappt und von ihnen führt die Spur auf A und B, die schließlich auspacken und die Geschichte erzählen und auch, dass sie ebenfalls gemordet hätten, wenn das Los auf sie gefallen wäre. Sie verlangen aber, freigelassen zu werden, da sie ja schließlich nichts getan haben. Was tun?

In diesem Fall fände ich eine Strafe auch für A und B angemessen. Natürlich läuft nicht jeder Fall so "glatt" wie dieser....insbesondere dürfte es im allgemeinen schwer sein, nachzuweisen, wer in welcher Weise Mitglied der Gruppe gewesen ist und insbesondere auch hinter den Zielen der Gewalttätigkeit stand. Wer einer Gruppe angehört, von der Teile Gewalttätigkeit ausüben, wovon er aber nichts weiß oder es zumindest nicht billigt, so hat er dafür sicherlich keine Strafe verdient.
Im Endeffekt würde ich also sagen: ein Paragraph, der im Prinzip sicher seine Berechtigung hat, aber im Einzelfall schwer anzuwenden ist und vielleicht auch zu Missbrauch (der hoffentlich nicht bis zu einem Urteil kommt) verleitet.

Ich bin übrigens, auch wenn es nicht wirklich hier hingehört, durchaus der Meinung, dass die USA nur in einem graduell schwächerem Sinne demokratisch sind als beispielsweise die Staaten der EU....

Traitor
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Sa 20. Okt 2007, 04:47 - Beitrag #14

Wie Padreic sehe ich diesen Straftatbestand ambivalent. Er ist mir zutiefst unsympathisch, aber ich fürchte, er ist notwendig. Übrigens finde ich dabei den Terroraspekt nicht entscheidend, es handelt sich ja um eine analoge, nur verschärfte Form des Gesetzes zur Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Beide dienen dazu, Fälle abzudecken, in denen ein klarer Zusammenhang mit einer Tat besteht, aber eben keine aktive Beteiligung, und auch klassische Beihilfe entweder nicht erfüllt oder zu unsauber / zu einzelfallbezogen wäre. Derartige Tatbestände müssen vom Gesetz abgedeckt sein, da sonst ein riesiges Betätigungsfeld der Unterstützung krimineller Machenschaften ohne Risiko der Bestrafung offenstünde.
Dass es besonders leicht zu missbrauchende Anklagepunkte sind, ist klar. Aber bisher erscheint mir die Gewaltenteilung, gegenseitige und öffentliche Kontrolle in Deutschland gut genug zu funktionieren, um dies zu unterbinden, sodass die Vorteile einer derartigen Regelung für die Sicherheit der Gesellschaft klar die Risiken und das unangenehme Gefühl überwiegen.

janw
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So 21. Okt 2007, 19:41 - Beitrag #15

@Padreic: Ein wesentliches Problem an der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" ist, daß niemand vor diesem Tatbestand sicher ist. Wie die Sache mit den extremislamischen Flugzeugentführern aus Hamburg gezeigt hat, reicht es uU aus, die falschen Leute zu kennen oder mit ihnen zusammen zu leben, um einer Gruppe zugerechnet zu werden, von der man selbst nichts weiß.
Damit ist faktisch der Willkür Tür und Tor geöffnet. Dagegen schützen im Fall der Fälle Gerichte. Noch...
Für Deinen Fall würde der Tatbestand der Beihilfe zum Mord ausreichen.

Im übrigen spricht auch die Anwendungspraxis des Terrorismusvorwurfs Bände...rechte Schlägertrupps sind meines Wissens noch nie damit konfrontiert worden, obwohl die Durchorganisiertheit in diesen Kreisen bekannt sein dürfte.

Lykurg
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So 21. Okt 2007, 21:56 - Beitrag #16

Ich hab eben mal danach gegoogelt - schon auf der ersten Seite fand ich zwei rechte Bands, die als kriminelle Vereinigung verurteilt wurden (Race War in Stuttgart nur auf Bewährung, aber der Sänger von Landser vor dem BGH zu über drei Jahren Haft), aber außerdem den Fall vom Freikorps Havelland, das tatsächlich als terroristische Vereinigung rechtskräftig verurteilt wurde.

Noch helfen Gerichte. Daß es einmal anders sein würde, ist nicht gesagt. Und solange es nicht anders ist, sehe ich die Erfassung als Vereinigung ebenfalls als ein unscharfes, aber schlichtweg unumgängliches Mittel zur Erfassung bestimmter Formen von Kriminalität und Terrorismusbegünstigung.

Padreic
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So 21. Okt 2007, 23:30 - Beitrag #17

@janw: Insofern die Planungsphase noch nicht über den Plan, Person XY umzubringen, hinausgekommen ist, kann man A und B wohl kaum Beihilfe zum Mord vorwerfen, da sie weder in der Vorbereitung noch in der Tat in irgendeiner Art und Weise geholfen haben...

Um zu entscheiden, ob ein Paragraph wie der zur Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen mehr Wohl oder Wehe gebracht hat, müsste man idealerweise alle Fälle untersuchen, in denen er angewendet wurde. Aus (normalerweise mit einer bestimmten Absicht ausgewählten) Beispielen, kann man kaum ein fundiertes Urteil fällen....könntest du vielleicht trotzdem mit Links belegen, wie es konkreter aussah mit der terroristischen Vereinigung rund um die Flugzeugentführer?


Dass immer wieder Leute behaupten, Linke würden härter bestraft, Linke würden häufiger verschont, Recht würden härter bestraft, Recht würden häufiger verschont, Ausländer würden härter bestraft, Ausländer würden häufiger verschont, lässt mich gegen alle solchen Aussagen etwas misstrauisch werden...

janw
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Mo 22. Okt 2007, 00:55 - Beitrag #18

Insofern die Planungsphase noch nicht über den Plan, Person XY umzubringen, hinausgekommen ist, kann man A und B wohl kaum Beihilfe zum Mord vorwerfen, da sie weder in der Vorbereitung noch in der Tat in irgendeiner Art und Weise geholfen haben...

Pad, ich nahm hierauf Bezug:
Es werden die Personen C, D und E ausgewählt. Diesen versuchen die Zielperson umzubringen und meinetwegen gelingt es ihnen auch;

Ob es nun Beihilfe zum versuchten oder vollendeten Mord ist, ändert nur etwas am Strafmaß.

Ich werd mal nach links suchen.

Lykurg, gut, da hast Du mit dem Freicorps Havelland mal einen Fall gefunden.

Zitat von Lykurg:Und solange es nicht anders ist, sehe ich die Erfassung als Vereinigung ebenfalls als ein unscharfes, aber schlichtweg unumgängliches Mittel zur Erfassung bestimmter Formen von Kriminalität und Terrorismusbegünstigung.

Das Problem ist aber, daß es bald standard ist, daß Staat Rechte einschränkt und die Bürger dann auf die Gerichte verweist, wohl wissend, daß sie dort ein hohes finanzielles Risiko eingehen und das Urteil vielleicht erst kommt, wenn der Anlass vorbei ist.
Herr Kurnaz wurde in einem ausländischen Folterlager schmoren gelassen, nur weil irgendjemand meinte, er könnte vielleicht unter Umständen möglicherweise etwas mit islamistischem Terror zu tun haben - keine konkrete Tat, keine überprüfbaren Beweise, keine Möglichkeit für ihn, juristischen Beistand zu bekommen, und das unter gesundheits- bis lebensgefährlichen Bedingungen (50° C unter freiem Himmel ohne hinreichende Flüssigkeitszufuhr...so sieht es in Guantanamo aus, und das haben deutsche Behörden wissentlich inkauf genommen).
Das Versammlungsverbot in Heiligendamm war verfassungswidrig begründet (das aus Sicht des Gerichts mittlerweile entstandene Gewaltpotential führte dann zur Abweisung des dagegen gerichteten Eilantrags, aber an dem grundlegenden Verstoß gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit ändert das nichts)

Das jetzt auf der "linken" Seite...ich hege keinerlei Sympathien für rechts, aber ob die Verbote gegen deren Demos immer so wasserdicht sind, ich weiß es nicht.
Ich weiß, dieser Satz, von mir, mag vielleicht verwundern, aber ich bin doch eher für die inhaltliche Auseinandersetzung, man muss herausstellen, daß die Leute Dünnsinn reden, die Parolen an die Stammtische zu verbannen, bringt IMHO nichts.
Sicher...die öffentliche Sicherheit, wenn eine Gegendemo kommt...

Letztlich habe ich aber in allen diesen Fällen das Gefühl, daß Verwaltung und Teile der Politik ein etwas gespaltetens Verhältnis zum Bürger haben, zwischen nicht ernst nehmen und Mißtrauen. Children shall be seen, but not heard...

Ipsissimus
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Di 23. Okt 2007, 11:55 - Beitrag #19

Richter prüfen Terrorvorwurf

Ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs entscheidet am Mittwoch über den Terrorvorwurf gegen den Berliner Soziologen Andrej H.
Freiheit oder Hochsicherheitshaft? Diese Frage stellt sich für einen Berliner Soziologen, wenn am Mittwoch ein fünfköpfiges Richtergremium des Bundesgerichtshofes vor die Presse tritt. Die Mitglieder des 3. Strafsenats werden dann bekannt geben, ob Andrej H. wegen des Vorwurfes der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation wieder in Haft muss. Der Fall hatte in den vergangenen Wochen international für Aufmerksamkeit gesorgt.

Am 1. August wurde gegen den an der Berliner Humboldt-Universität lehrenden Andrej H. Haftbefehl erlassen. Die Generalbundesanwaltschaft legt ihm zur Last, Mitglied in einer linken Organisation mit dem Namen "militante gruppe" (mg)zu sein. Ebenfalls unter dem Vorwurf einer "mg"-Mitgliedschaft waren wenige Stunden zuvor in einer Aufsehen erregenden Aktion von Staatsschutz und Polizei drei Männer in Brandenburg festgenommen worden. Sie hätten, so heißt es in den Akten der Generalbundesanwaltschaft, Brandanschläge auf geparkte Fahrzeuge der Bundeswehr ausgeführt. Während Andrej H. am 22. August von der Haft verschont wurde, sitzen die drei übrigen Angeklagten nach wie vor in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit ein. Geht es nach dem Willen der Generalbundesanwaltschaft, soll auch der promovierte Soziologe nun wieder ins Gefängnis. Darüber wird am Dienstag in Karlsruhe entschieden.

Neun verhängnisvolle Worte

Klar ist, dass die Entscheidung der Juristen internationale Aufmerksamkeit genießen wird. Schon nach der Inhaftierung Andrej H.s hatten Wissenschaftler aus aller Welt gegen das Vorgehen der deutschen Staatsschutzbehörden protestiert. Besondere Kritik hatte die Begündung der Anklage hervorgerufen: Sie stützte sich maßgeblich auf den Umstand, dass der Soziologe in seinen Artikeln neun Worte gebraucht hatte, die auch in Schreiben der "mg" vorkamen. Dies allein soll die Anklage wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuches gerechtfertigt haben. Besonders heikel: Die Verbindungen zwischen den Inhaftierten, Andrej H. und drei weiteren Angeklagten ist über eine sogenannte Netzwerkanalyse zustande gekommen. Vier der sieben Personen gerieten in das Visier des Staatsschutzes, weil sie gemeinsam publizistisch tätig waren. So hatten ungewollt auch Autoren der in Berlin erscheinenden Tageszeitungen "taz", "junge Welt" sowie des politischen Magazins "telegraph" die Aufmerksamkeit der deutschen Antiterrorkämpfer auf sich gelenkt.

Die Kritik an diesem Vorgehen hat die Verantwortlichen offensichtlich unter Druck gesetzt. Wie das in Berlin ansässige Bündnis für die Einstellung des 129a-Verfahrens Mitte des Monats mitteilte, sind in den vergangenen Wochen fast zwei Dutzend Vorladungen an Personen versandt worden, die mit den Beschuldigten in Kontakt gestanden haben sollen. "Das Spektrum dabei ist sehr breit", sagt Claudia Grothe von dem Bündnis im Gespräch mit Telepolis. Es reiche von Freunden bis hin zu Personen, die sich kaum daran erinnern könnten, mit den Angeklagten in Kontakt gestanden zu haben. Die Aktivisten vermuten daher, dass die Generalbundesanwaltschaft versucht, aus den Aussagen neue Anhaltspunkte für ihre Anklagen zu konstruieren. Das rechtsstaatlich fragwürdige Vorgehen soll, so die Vermutung, im Nachhinein legitimiert werden. "Der Druck auf die nun Vorgeladenen ist daher sehr groß", sagt Grothe. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen könne sich schließlich niemand mehr sicher sein, ob er durch eine Aussage sich oder andere belastet.

Was ist Terrorismus?

Dessen ungeachtet wird der aus fünf Richtern bestehende 3. Strafsenat in den kommenden Wochen auch eine zweite, unter Umständen weit reichendere Entscheidung treffen müssen. Dabei geht es um die Einschätzung des Vorwurfes gegen die drei nach wie vor inhaftierten mutmaßlichen Mitglieder der "mg". Nach Beschwerden von deren Anwälten muss dann darüber entschieden werden, ob die Anschläge gegen Fahrzeuge der Bundeswehr überhaupt den Straftatbestand des Terrorismus erfüllen. In diesem Fall hätten die Taten schließlich geeignet sein müssen, "die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen". Das erklärte einer der Verteidiger, Stephan Schrage, unlängst. Er und die übrigen juristischen Vertreter der Inhaftierten plädieren für eine Behandlung nach "konventionellen" strafrechtlichen Anklagen. Brandstiftung etwa, oder Sachbeschädigung.

Das "Bündnis für die Einstellung des 129a-Verfahrens" hat als Reaktion auf den als willkürlich empfundenen Terrorvorwurf Anfang dieser Woche ein Preisausschreiben unter dem Motto "Was ist eigentlich Terrorismus" ausgelobt:

Das Bündnis (...) sucht Definitionen für 'Terrorismus': juristisch, humoristisch, politisch. Eingereicht werden können Texte, Fotos, Videos, Podcasts, Postkarten, Plakate, künstlerische, wissenschaftliche oder journalistische Beiträge (...) bis zum 30. November 2007.

Erklärung des Bündnisses

Zu den Preisen gehört unter anderem eine Stadtführung mit Andrej H. "und anderen latent terroristischen Stadtforschern zur Gentrifizierung" im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. "Gentrifizierung" – die soziale Umstrukturierung von Wohngegenden – ist eines der neun Begriffe, deretwegen dem Soziologen die Mitgliedschaft in der "mg" vorgeworfen wird.

Harald Neuber 23.10.2007, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26462/1.html


Über die Begriffe, aufgrund derer der "Anfangsverdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" "entstand", kann man sich unter http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26099/1.html informieren

janw
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Di 23. Okt 2007, 20:19 - Beitrag #20

Tja, damit kann man keinen state of the art sozialwissenschaftlichen Diskurs mehr führen, ohne ins Visier von Schlapphüten zu geraten.

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