Münte wirft Handtuch - SPD verliert weiteren Führer

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Di 13. Nov 2007, 21:25 - Beitrag #1

Münte wirft Handtuch - SPD verliert weiteren Führer

Nun ist es also geschehen: Franz Müntefering warf das Handtuch! :P
Die Begründung ist zwar familiär (Die Krebserkranung der Ehefrau), die folgen aber recht politisch.
Nachdem sich Münte, der Mann mit der roten Stecknadel, bereits 2005 vom Amt des Parteivorsitzenden trennte verabschiedete er sich nun aus der Regierung. Damit hat nun der Schöpfer der großen Koalition sein Kind verlassen und der letzte Vorkämpfer für die Agenda Schröders hat sich in die zweite Reihe zurückgezogen.
Ring frei für interne Sticheleien: Außenminister Steinmeier wird nun Vizekanzler.
Der dicke Mann aus Pfalz, nein nicht Kohl sondern Beck, bleibt zu Hause und steigt nicht in die Regierung. Wohlwissend das oppositionelle Haltungen auf Bundesebene mehr Sympathie mit sich bringen als ein simplen Ministeramt im Merkelkabinett. So zieht sich Kurt Beck natürlich auch aus der Verantwortung und auf ihm wird später nicht der Schatten der Großen Koalition fallen.
Aber heute ist nicht alle Tage...
Zog sich nicht einst auch ein anderer SPD-Politiker aus der Spitzenpolitik um Jahre später in einer Schimärenpartei wieder aufzutauchen?
Droht nach Lafontaines Linkspartei bald auch Münte eigene rote Rotte? :crazy:
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Mi 14. Nov 2007, 00:41 - Beitrag #2

Ich hab mich schon eine ganze Weile gefragt, wie es wohl für Münte wäre, wenn er nicht mit seinem Kein-Jota-vom-Agenda-Kurs-abweichen-Dogma durchkommen würde und mit seinen Bestrebungen zur Einführung eines Mindestlohns im Postbereich.
Nun ist er mit beidem gescheitert, wobei ersteres sich schon länger abzeichnete, für letzteres wird ein Wortbruch Merkels verantwortlich gemacht, die sich vorher zustimmend für eine Alleinverbindlicherklärung des Post-Tarifvertrages geäußert haben soll.
Man kann Müntefering als geschwächt ansehen nach der letzten Kabinettsrunde und könnte darin ein, wenn nicht das Motiv sehen, zurück zu treten.

Allein, das entspräche nicht dem Bild von Politik, das Müntefering nach meinem Eindruck darstellt, wonach Niederlagen zum Geschäft gehören und immer nur für den Moment gelten. Sie sind, wenn es einem ernst um die Sache ist, immer nur Ansatz für die weitere Überzeugungsarbeit und die Organisation von Stimmen zur letztlichen Durchsetzung der Forderung mit den Mitteln des politischen Kampfes.
Es entspräche auch in meinen Augen nicht der aktuellen Position im politischen Kalender, auf dem die Bundesregierung etwa ihre Halbzeit erreicht hat. Beste Zeiten, um in der Koalition nicht umsetzbare Ziele zu Zielen der Partei zu machen und allmählich die Wähler darauf zu fixieren.

Ich denke, daß Münte diesen Weg eingeschlagen hätte, wenn nicht Dinge des Privaten etwas anderes erfordert hätten. Er wäre, denke ich, auch zurückgetreten, wenn er mit den Mindestlöhnen für die Postler durchgekommen wäre, wenn auch als strahlender Held und nicht als tragischer Verlierer im politischen Ränkespiel.
Möge sich privat alles zum Guten wenden.

Traitor
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Mi 14. Nov 2007, 06:49 - Beitrag #3

In diesem Spiegel-Artikel gibt es am Anfang eine recht interessante Theorie und im Anschluss eine nette Stilanalyse.

Müntefering war mir stets einer der sympathischsten Politiker. Wie im Artikel gesagt, wurde nie so recht klar, wofür er eigentlich stand, aber er stand gut. Arbeitete sachlich und doch hart, und zumindest grob auch doch immer etwa in den von mir favorisierten Richtungen.

Klar war aber auch, dass er schon seit dem Parteivorstandsrückzug seine Karriere nur noch ausklingen lässt, ich meine mich auch zu erinnern, dass 2005 schon allgemein davon ausgegangen wurde, dass er nach der nächsten Wahl kein hohes Amt mehr anstreben würde. Wohl aus allgemeiner Frustration mit der Unfähigkeit seiner Parteikollegen und dem Misslingen der Kommunikation mit den Bürgern sowie der privaten Belastung. Vermutlich hat er dann durch das Verschlimmern der letzteren seit einiger Zeit auf einen guten Zeitpunkt gewartet und den nun, nachdem er noch einmal versucht hatte, etwas zu erreichen, diesen genutzt.

janw
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Do 15. Nov 2007, 02:05 - Beitrag #4

Hinsichtlich seiner uneitlen Art habe ich ihn auch geschätzt, wobei mir seine strikte Ablehnung von Änderungen an den Hartz IV allerdings immer unverständlich geblieben ist, hier wird IMHO dogmatisches Festhalten an einem Gesetz über das Gebot jeglichen Gesetzes gestellt, den Menschen und anderen Schutzgütern zu dienen und Menschen nicht zu überlasten. Aber das ist ein eigenes Thema...
Letztlich hat er hiermit auch sehr plötzlich einen politischen Richtungswechsel vollzogen, wie auch der Spiegel bemerkt:
[...,] warum dieser harte Wahlkämpfer in etliche Wahlschlachten mit Parolen und Losungen gezogen ist, die für ihn ab 2003 plötzlich allesamt nicht mehr galten.

Vielleicht hat ihn die Krise am Arbeitsmarkt und die so strahlend präsentierte Hartz IV-Lösung damals zu einem "können wir ja mal ausprobieren" gebracht, von dem er nun, auch angesichts der teilweise Verbesserung der Lage, nicht mehr zurück konnte. Ein Problem seiner sauerländischen "Steifheit" vielleicht.
Vielleicht auch eine Folge dessen, wie sein Beharren auf dem Agenda-Kurs in der Partei behandelt wurde - es macht einen Unterschied, ob der Altbundeskanzler ihm unter vier Augen zu einer etwas entspannteren Sicht rät oder dies mit den Worten "Müntefering ist nicht Moses und die Hartz IV-Gesetze nicht die 10 Gebote" in aller Öffentlichkeit tut, fast maßregelnd.
Zitat von Traitor:Vermutlich hat er dann durch das Verschlimmern der letzteren seit einiger Zeit auf einen guten Zeitpunkt gewartet und den nun, nachdem er noch einmal versucht hatte, etwas zu erreichen, diesen genutzt.

Den Berichten nach stand sein Rückzug bereits vor der Koalitionssitzung fest, und er hat nur bis nach der Koalitionssitzung damit gewartet, um hier noch ein Ergebnis zu erzielen, in welcher Richtung auch immer. Ich denke, das erklärt auch die schnelle Lösung der Personalfrage bei der SPD, die bei einem spontanen Rücktritt weniger glatt gelaufen wäre.

Letztlich ist es wohl auch eher ein Rückzug auf Zeit, wenn man Münteferings Worten glaubt und sieht, daß er sein Bundestagsmandat behält - er sagt, es reize ihn weiterhin, "Rüttgers aus dem Amt hebeln".

Warum rückt nun Beck nicht nach?
Viele sehen darin ein Indiz, daß Beck keine höhere Position anstrebt, sondern das Feld Steinmeier überlässt - ich halte das für ein taktisches Manöver, das durchaus Sinn machen könnte: Beck als Parteivorsitzender behält volle Angriffsfreiheit auf die Union, wobei er zugleich von seiner Herkunft her wichtige Kreise der SPD hinter sich scharen kann. Steinmeier, sowieso eher ein diplomatischer Typ, sorgt für den Zusammenhalt in der Koalition, und Scholz bekommt die Möglichkeit, sich als Arbeitsminister zu bewähren.
Die zweite Hälfte der Legislaturperiode, noch dazu in einer Zeit zahlreicher Landtagswahlen, ist sowieso keine Zeit großer Entscheidungen, und so kann nun diese Zeit zur Profilierung der SPD nach außen genutzt werden.

Lykurg
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Do 15. Nov 2007, 02:06 - Beitrag #5

Maglor, du hast einen Profiteur vergessen: Olaf Scholz, dieser Kerl, der jede Wahl bei mir im Wahlkreis auf den Plakaten auftaucht :mecker: - der mit der "Lufthoheit über den Kinderbetten" und glücklose Interims-SPD-Generalsekretär - wird neuer Arbeitsminister. :|

janw, Frau Merkel wird wohl kaum beabsichtigt haben, Müntefering 'rauszuekeln - das wäre ein ziemlich ungeschickter Schachzug gewesen sowohl zu Lasten der Regierungsfähigkeit der großen Koalition, in der er ein stabilisierender Faktor war, als auch als Signal an die SPD. Und ob "Wortbruch"... Audiatur et altera pars: Man hatte sich im Koalitionsvertrag auf bestimmte Bedingungen geeinigt, die nach Unionssicht nicht erfüllt sind.
Jedenfalls hat Beck deutlich gezeigt, daß er Müntefering nicht mehr gebrauchen kann und loswerden will. Stachlige Zeiten kommen auf uns zu...

Traitor, ganz unausstehlich, daß mir wieder nichts übrig bleibt, als dir Satz für Satz zuzustimmen. Erstaunlich negatives Fazit, das der Spiegel (trotzdem?) zieht. - Ich habe großen Respekt vor Müntefering, und achte seinen würdevollen Abgang.

janw
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Do 15. Nov 2007, 02:47 - Beitrag #6

Lykurg, was genau hast Du gegen Scholz? Als Generalsekretär gescheitert, kann das nicht vielen passieren, und sagt dies etwas über seine Ministereignung aus?
Ich bin einfach mal gespannt, wie es da läuft.

Ich denke auch nicht, daß Frau Merkel ihn bewusst rauszuekeln geplant hat, aber wie zu hören ist, hat sie in der Post-Frage erst eine Zustimmung angekündigt und dann abgeblockt. Angeblich wegen Intervention einiger Zeitungsverleger. Welche Bedingungen des Koalitionsvertrages meinst Du denn?

Woraus erkennst Du, das Beck Münte loswerden will? Hab ich was überhört?
Stachlige Zeiten...kannst ihm ja mal einen Rasierer schenken^^

Ipsissimus
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Do 15. Nov 2007, 16:39 - Beitrag #7

ich bin zwar froh drüber, dass wir Müntefering und hoffentlich noch weitere Schröderleute los werden, aber nützen tut es eh nichts angesichts dieser SPD

janw
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Do 15. Nov 2007, 18:25 - Beitrag #8

Ipsi, ja der Bacillus neoliberalis hat ganze Arbeit geleistet...
Tja, wo sollen sie herkommen, die Leute in dem Laden, die für echte soziale Demokratie stehen? Alle Brauchbaren werden von der Presse in den Boden geschrieben, die Basis von diesem Philister aus der Mülltonne (wozu die Sesamstraße doch inspiriert^^) abgegraben...

Maglor
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Do 15. Nov 2007, 20:21 - Beitrag #9

Ich wusste es doch schon immer, die SPD ist eine Hydra. :crazy:
Mal ganz davon abgesehen, war Müntefering wirklich neoliberal? Mindestlohnforderungen und Heuschreckenpropaganda sprachen ja doch eine andere Sprache...
Ansonsten hat Wolfgang Thierse folgendes zu Münte Rückzug ins Private gesagt:
"Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal"
Nein, das ist es wirklich nicht, aber Kritik am Dicken ist es schon.
MfG Maglor :rolleyes:


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