Seit einer Weile ist in das öffentliche Bewusstsein gerückt, daß neben einer größeren Anzahl Langzeitarbeitsloser, die praktisch keine Aussicht mehr haben, eine dauerhafte tragfähige Beschäftigung zu finden, eine größere Zahl Menschen, teilweise in anerkannten Berufen, voll arbeitet und dennoch nicht genug verdient, um damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Die Reaktion darauf reichte vom Schulterzucken der Ökonomen, die dies als Folge der Marktwirtschaft sehen, gar als Zeichen ihres Funktionierens, über sozialpolitische Überlegungen hinsichtlich staatlicher Ausgleichsinstrumente wie "Kombi-Löhnen" bis hin zur Forderung nach existenzsichernden Mindestlöhnen in den entsprechenden Branchen.
Seit kurzem gibt es nun in zwei Bereichen, in denen vorher vorwiegend nicht existenztragende Löhne gezahlt wurden, staatlich festgelegte Mindestlöhne.
Zuletzt wurden diese Mindestlöhne für Postzusteller festgelegt und sind gerade hier stark in der Kritik. Zum einen wird moniert, daß der Markt nicht hinreichend frei sei - die Post hat nach wie vor eine marktbeherrschende Stellung und wird durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer gegenüber Mitbewerbern begünstigt - und weil ins Feld geführt wird, daß die Tätigkeit des Postzustellers vor allem für gering Qualifizierte eine wichtige Beschäftigungsmöglichkeit sei, die Löhne in Höhe des Mindestlohns aber von den Unternehmen nicht erwirtschaftet werden könnten und damit dieses Beschäftigungsfeld durch die Mindestlöhne in Gefahr sei.
Ein Unternehmen hat darauf hin die Entlassung einer größeren Zahl Mitarbeiter bekannt gegeben.
In meinen Augen ist es ein nicht hinzunehmender Zustand, daß Menschen in einer regulären und ganztägigen Beschäftigung nicht genug verdienen, um davon leben zu können, insbesondere in Berufen, für die diese Menschen ausgebildet worden sind.
Dies nicht nur aus "sozialen" Gründen, sondern auch, weil auch von den Wirtschaftswissenschaftlern verlangt werden muss, daß sie die Konsequenzen der in jedem Wirtschaftskunde-Unterricht gelehrten Geldtheorie ernst nehmen, sich ihr stellen, der zufolge Arbeit in unserer Gesellschaft das Mittel ist, Geld im Umlauf zu halten, den Menschen die Existenz zu sichern und ihnen den Konsum der produzierten Güter zu ermöglichen. Zeit ist der "kapitalistischen" (ich benutze diesen Begrifff wertfrei) eine Ressource, damit Geld wert, und damit muss IMHO ein volles Arbeitszeitpensum von 35-40 Stunden/Woche existenzsichernd sein.
Die Verweisung dieser Menschen an die Öffentliche Hand, damit diese die Differenz zur Existenzsicherung zahlt, läuft für mich auf das Phänomen hinaus, das mit "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" beschrieben wird, denn die Inhaber dieser Unternehmen profitieren in unkontrolliertem und unkontrollierbarem Maße davon - wie hoch der Unternehmer sich sein unternehmerisches Risiko bezahlen lassen darf, ohne dabei jene angemessen zu bezahlen, die den praktischen Teil seines Geschäftsbetriebes erledigen, bleibt dabei völlig unbeachtet.
In diesem Sinne halte ich die "Kombi-Lohn"-Modelle für ungeeignet, sie werden eher noch zu einer Verschärfung der Lage führen, weil "der Staat ja die Differenz zahlt". Davon abgesehen laufen diese Modelle IMHO darauf hinaus, daß die Betroffenen analog zu Hartz IV Eingriffen in ihre Haushalts-und Lebensgestaltungshoheit ausgesetzt werden (eine Heranziehung von Rücklagen, Geschenken an die Kinder etc. zur Überbrückung von Engpässen wird schnell ins Gespräch gebracht werden, wenn sie nicht schon Teil der Verwaltungspraxis ist) Das liefe mE auf eine Gesellschaft hinaus, die nicht nur Armut trotz Erwerbsarbeit akzeptiert, sondern hiermit auch eine Beschneidung der Rechte zur selbstbestimmten Lebensgestaltung verknüpft, in gewissem Maße eine moderne Sklavenhalter-Gesellschaft.
Die Absage an das "Kombi-Lohn"-Modell schließt dabei für mich nicht aus, daß in Fällen betrieblicher Engpässe staatliche Zuwendungen fließen können, zur Sicherung eines an sich soliden Betriebes und der Existenz der Beschäftigten und mit zumindest teilweiser Erstattungspflicht des Betriebes.
Nun frage ich mich aber, ob die Focussierung auf den Postzustellerbereich nicht zumindest taktisch unklug war.
Der mit der Bundespost ausgehandelte Tarifvertrag deckt zwar aufgrund der monopolgesicherten und auch durch nicht unbefriedigende Dienstleistungskultur des Unternehmens (ich empfinde die Bedienung bei der Post als deutlich freundlicher und effizienter als bei der Telekom zu Monopolzeiten) unterbaute Kundenbindung die Mehrheit der im Postzustellungsgewerbe Beschäftigten ab, erfüllt damit also dieses formale Kriterium zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung, aber die Monopolstellung in wichtigen Bereichen und die Mehrwertsteuerbefreiung für Postdienstleistungen der Bundespost schaffen nicht die homogenen Marktbedingungen, welche in den klassischen Tarifbranchen gegeben sind - im Baubereich wie in der Stahlindustrie und den Handwerksberufen usw. gibt es zwar große und weniger große Betriebe, die aber ggf. durch Spezialisierung durchweg vergleichbare Marktzugangschancen haben.
Insofern wäre es IMHO sinnvoller gewesen, analog zu den Gebäudereinigern für bereits klassische "Problembranchen" wie Friseure u.ä. existenzsichernde Löhne durchzusetzen, Branchen, in denen vergleichbare Marktzugangsbedingungen usw. Realität sind.
Im Bereich der Postzusteller wäre dies demnach dann anzustreben gewesen, wenn diese Bedingungen umgesetzt worden wären - oder zumindest das erhebliche Mehrwertsteuerprivileg aufgehoben worden wäre, immerhin 19%, welche ein Postkunde automatisch spart.
Ein anderes Argument wird immer wieder ins Feld geführt, nämlich, daß der Postzustellerbereich vor allem gering qualifizierten Arbeitnehmern eine Beschaäftigung bietet, welche nun wegfällt, wodurch diese Menschen nun ganz auf staatliche Zuwendung angewiesen seien.
Dieses Argument kann für mich nur begrenzt verfangen, denn auch gering Qualifizierte sollten IMHO bei vollzeitiger Tätigkeit existenzsichernd bezahlt werden - ob ausgebildete Friseure dafür dann mehr Geld bekommen sollten, wäre getrennt zu diskutieren.
Aber nun, wie steht Ihr dazu?